Irgendwie befriedigt mich das nicht ganz. Beide Religionen haben im Prinzip die sozialen Schranken nicht in Frage gestellt,
Die eigentliche Sendung und Mission des Christentums war die absolute Gleichheit aller Menschen, egal welchen Standes. Das bedeutete vor allem eine Gleichheit vor Gott, heißt jedoch nicht, dass soziale Unterschiede eingeebnet oder gar revolutionär beseitigt werden sollten. Allerdings rufen sowohl Bibel als auch Koran dazu auf, sich der Armen anzunehmen und ihnen zu helfen.
Diese Gleichheit der (gläubigen) Menschen propagiert auch der Koran, der das Gleicheitsprinzip hinsichtlich unterschiedlicher muslimischer Ethnien und Völker erheblich stärker verwirklichen konnte, als das Christentum.
Nun könnte man sagen, dass sich Christentum und Islam in dieser Hinsicht nicht sonderlich unterschieden. Doch bot der Islam darüber hinaus noch ein ausgefeiltes Rechtssystem (Scharia), das ebenfalls auf dem Gleichheitsgrundsatz aller Gläubigen basierte. Betrachtet man demgegenüber die diskriminierenden Rechtsverhältniss im Abendland zwischen Grundherren, Hörigen und Leibeigenen, so war die Auffassung des im Koran propagierten Rechts revolutionär. Das blieb keineswegs eine muslimische Rechtsutopie, sondern wurde im Alltag auch verwirklicht - jedenfalls in einem hohen Maße.
Schließlich hatten die frühen Muslime mit dem Byzantinischen Reich einen christlichen Staat vor ihrer Haustüre, der sich als Inbegriff christlicher Staatlichkeit präsentierte. Angesichts der für Araber unsittlichen Lebensweise byzantinischer Eliten, Mord und Totschlag am kaiserlichen Hof sowie der blutsaugerischen Tätigkeit byzantinischer Steuereintreiber war das jedoch für die Araber kein Vorbild, das nachahmenswert war. Insofern war die Strahlkraft des Christentums gegenüber dem jungen Islam erheblich gemindert und eingeschränkt.
Fasst man das alles zusammen, so ist die rasche Ausbreitung des Islam erklärlich, der seine Gläubigen in ganz anderer Weise motivieren konnte, als es das Christentum nach Ablauf von 600 Jahren vermochte.
Dass später auch die Regierung mancher islamischer Staaten korrupt und verrottet war, steht auf einem anderen Blatt. Die ganz große Mehrheit der Muslime (
umma) fühlte sich in den verbindlichen Normen von Religion und Recht/Scharia, die beide auf dem Koran basierten, gut aufgehoben. Identitätskrisen waren seltener als im Christentum und Inquisition, Hexenverfolgung und Rassismus blieben weitgehend unbekannte Größen. Besonders glaubenseifrige Dynastien wie die spanischen Almohaden (1147-1269) blieben Ausnahmen.