Vergleich des Wiener Kongresses und der Versailler Friedenskonferenz

Westfälischer Friede:
Google auch nach Staatssouveränität.
Der Religionsfriede des Westfälischen Friedens fand seine Grundlage nicht in einer gemeinsamen Weltanschauung oder durch Schlichtung einer anderen Instanz (KOnzilismus), sondern in der gegenseitigen Anerkennung der Landeshoheit der Fürsten ("Wessen das Land, dessen die Religion"); man verzichtete mit anderen Worten darauf, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen "Protostaates" einzumischen und begüngte sich daher damit, diplomatisch den Landgewinn festzueisen, den der Krieg gebracht hatte.
Das scheint mir sehr widersprüchlich.

Einen Verzicht auf die Einmischung in andere Angelegenheiten kann ich nirgendwo, weder vertraglich 1648 noch in der Realpolitik 1648-1789 erkennen. Religionspolitisch wichtigste Punkte waren sicherlich:
1. Konfessionielles Normaljahr 1621
2. Ausnahme Österreichs aus der Normaljahrregelung, welche einer Gegenreformation dort quasi einen Freifahrtschein geben sollte
3. Anerkennung der Reformierten auf Reichsebene (quasi als Nachholung des "Versäumnisses" von 1555).

Im übrigen war zwar der Westfälische Friede ein wichtiger Bestandteil der Reichsverfassung, klärte aber auch keineswegs die Befugnisse der (schön von Dir genannt) Protostaaten.
Das Recht zu Verhandlungen wie ein vollwertiger Staat wurde, wo dem Kaiser möglich, auch weiterhin den Reichsständen vorenthalten. Geheime und eigentlich fragwürdige außenpolitische Verhandlungen der Reichsstände gab es ja schon vor 1648, wenngleich diesen gerade durch den Status von Schweden und Frankreich als Garantiemächte des Friedens noch weiter Tür und Tor geöffnet wurden. (Und auch tatsächlich waren beide Staaten von hoher Bedeutung für die Außenpolitik der meisten dazu fähigen Reichsstände.)
 
Das scheint mir sehr widersprüchlich.

Einen Verzicht auf die Einmischung in andere Angelegenheiten kann ich nirgendwo, weder vertraglich 1648 noch in der Realpolitik 1648-1789 erkennen.

Zumeist wird der Wästphälische Friede eben ganau damit in Verbindung gebracht: Gleichbehandlung der Staatssouveränität.

Religionspolitisch wichtigste Punkte waren sicherlich:
1. Konfessionielles Normaljahr 1621
2. Ausnahme Österreichs aus der Normaljahrregelung, welche einer Gegenreformation dort quasi einen Freifahrtschein geben sollte
3. Anerkennung der Reformierten auf Reichsebene (quasi als Nachholung des "Versäumnisses" von 1555).

Du meinst, das Normaljahr 1624?
Normaljahr ? Wikipedia

Die protestantischen Reichsfürsten haben sich schon vorher normal im Reich bewegt, meines Wissens, die Anerkennung war nur ein weiterer Teil der Normalisierung.
 
Wie soll man das Bevollmächtigter - Pleni-Potentiarie - denn anders verstehen, als dass sie den anderen Nationen gleichgestellt waren?
Silesia hat ja bereits geantwortet. Ich will hierzu nur folgendes posten:

Unter einem "Bevollmächtigten" versteht man lediglich eine Person, die die Vollmacht hat, mit Wirkung für oder gegen den Entsendestaat verbindliche Erklärungen abzugeben. Das Recht, einen solchen zu entsenden, sagt nichts über den Ablauf des Kongresses aus, mit Ausnahme dass man mit der Möglichkeit rechnete, dass beim Kongress etwas verbindliches unterschrieben werden soll.

1919 entsandte das Deutsche Reich auch einen Bevollmächtigten nach Versailles...
 
Vorsicht: Damit war Frankreich lediglich aufgefordert einen Bevollmächtigten nach Wien zu entsenden. Dass der dort auch was zu sagen haben, gar mitbestimmen sollte, steht da nicht.

Ausgeschlossen ist es aber auch nicht und im zweiten Halbsatz steht etwas von "regeln" und das läßt sich wohl nur durch aktive Beteiligung.

Der Zusatzartikel war ernst zu nehmen. Denn der hohe Anspruch eines "real and permanent balance of power in Europe" war doch zunächst einmal eine Phrase, mit der die Siegermächte gedachten, sich die größten Stücke vom Kuchen zu sichern. Anders ausgedrückt: dieses Gleichgewicht konnte ja auch gegen Frankreich ausgerichtet weren. Das war auch Talleyrand klar, als er den Pariser Friedensvertrag "schlucken" musste. Aber er kannte freilich auch die Gegensätze zwischen den Siegermächten und er setzte darauf, dass es mit deren Gemeinsamkeiten nicht lange hin sein sollte.

Wenn man Franreich hätte ausschließen wollen, dann hätte der Ausschluss in den allgemeinen Artikeln stehen müssen und nicht in den geheimen Artikeln, die nicht bekannt waren.
So konnte Talleyrand sie bewusst ignorieren:

"Herr von Talleyrand ruft bei allen Dingen Schwierigkeiten hervor; er behauptet, der Friede von Paris rede nicht davon, dass Frankreich sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Länder, die es hat abtreten müssen, mischen soll, und er scheint zu wollen, dass, um den übrigen Teil von Europa in Ordnung zu bringen, alles von neuem erörtert wird." (7.Oktober 1814)
(Jean Gabriel Eynards: Der tanzende Kongress (Tagebuch), Berlin 1923, Seite 27)

Wie hätten die Aliierten denn aus der "Nummer" herauskommen können, ohne ihre "wahren Absichten" ruchbar zu machen, die sie zudem bewogen hatten, sie in geheimen Klauseln zu verstecken?
Diplomatisch betrachtet, wohl ein Eigentor.

Zudem setzte Talleyrand ja bekanntlich noch "einen drauf". Im Vorfeld der ersten Beratung sicherte er sich die Gefolgschaft etlicher kleiner Mächte und spielte sich als deren Interessenvertreter auf und die 4 Großmächte waren dann froh, dass er, nachdem er "drin" war, "die Tür hinter sich schloss". (vergl. Cooper, Bernard, Orieux)

Das interessante dabei ist, dass ihm in Frankreich stets vorgeworfen wurde, ein Opportunist oder Verräter zu sein, währenddessen er selbst, seiner Meinung zu diesen Fragen über die Jahre treu geblieben ist.

Eine wirklich interessante Frage und kaum in zwei Sätzen zu beantworten. Was seine Politik angeht ein intessanter Satz von Rudolf Rahn:

"Wenn der Kardinal de Retz in seinen Memoiren einmal bemerkt, man müsse oft die Meinung wechseln, um seiner Partei treu bleiben zu können, ist man versucht, Talleyrand bei der Betrachtung seines Lebens umgekehrt die Maxime in den Mund zu legen: man muss oft die Partei wechseln, um seiner Meinung treu zu bleiben."
(Rudolf Rahn: "Talleyrand Portrait und Dokumente", Tübingen, 1949, Seite 2)

In Frankreich wurde bei der Beurteilung der Person Talleyrands kaum seine Politik zugrunde gelegt, sondern vor allem seine frappante Unmoral und die Tatsache, dass seine Person sich in allen Regierungen wiederfand.
Aber das gehört kaum in dieses Thema, wäre vllt. einen eigenen Thread wert.

Allen, die morgen "Großes" vorhaben, viel Spass! Mögen euch "räudige Kater" erspart bleiben.

Grüße
excideuil
 
Ausgeschlossen ist es aber auch nicht und im zweiten Halbsatz steht etwas von "regeln" und das läßt sich wohl nur durch aktive Beteiligung.
Regeln lässt sich nur etwas, wenn ein Bevollmächtigter anwesend ist, der berechtigt ist, rechtsverbindliche Erklärungen zu unterschreiben. Das ist der ganze Sinn des Art. 24. Du solltest nicht zu viel in diesen hineininterpretieren. Die Frage der Mitwirkungsrechte ist ja im Zusatzprotokoll gereregelt gewesen. Frankreich sollte im "Direktorium" der Großmächte keine haben.
Wenn man Franreich hätte ausschließen wollen, dann hätte der Ausschluss in den allgemeinen Artikeln stehen müssen und nicht in den geheimen Artikeln, die nicht bekannt waren.
Die Vereinbarungen sind in einem sinnvollen Gesamt-Zusammenhang zu sehen. Das Zusatzprotokoll schränkt die allgemeinen Artikel in dieser Frage ein. Dass dies geheim gehalten wurde, dürfte im Zeitalter der Kabinettsdiplomatie nicht verwundern.
"Herr von Talleyrand ruft bei allen Dingen Schwierigkeiten hervor; er behauptet, der Friede von Paris rede nicht davon, dass Frankreich sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Länder, die es hat abtreten müssen, mischen soll, und er scheint zu wollen, dass, um den übrigen Teil von Europa in Ordnung zu bringen, alles von neuem erörtert wird." (7.Oktober 1814)
(Jean Gabriel Eynards: Der tanzende Kongress (Tagebuch), Berlin 1923, Seite 27)
Ich lese das so: hier war jemand der Auffassung, dass mit Frankreich bereits alles geregelt war und dass sich Talleyrand hieran nicht halten und "alles von neuem" erörtern wollte. Wenn das Zusatzprotokoll unverbindlich gewesen sein soll, warum dann diese Erregung?
Wie hätten die Aliierten denn aus der "Nummer" herauskommen können, ohne ihre "wahren Absichten" ruchbar zu machen, die sie zudem bewogen hatten, sie in geheimen Klauseln zu verstecken?
Diplomatisch betrachtet, wohl ein Eigentor.
Das hing davon ab, wie schnell sie in den großen Fragen zu einer Einigung gelangen würden und von ihrer Entschlossenheit diese zu exekutieren. Hiergegen hätte es nur den moralischen Widerstand Frankreichs und der Anderen geben können.
Zudem setzte Talleyrand ja bekanntlich noch "einen drauf". Im Vorfeld der ersten Beratung sicherte er sich die Gefolgschaft etlicher kleiner Mächte und spielte sich als deren Interessenvertreter auf und die 4 Großmächte waren dann froh, dass er, nachdem er "drin" war, "die Tür hinter sich schloss". (vergl. Cooper, Bernard, Orieux)
Die großen europäischen Fragen regelten die Großmächte seit je her unter sich als "Direktorium", d.h. die kleinen und mittleren Staaten waren von diesen Beratungen ausgeschlossen. Frankreich war zwar Großmacht, aber durch das Zusatzprotokoll ausgeschlossen.

Mit seinem Werben um "die Kleinen" drohte Talleyrand mit einer Diplomatenrevolte gegen das "Direktorium" der Großmächte. Er verlangte, wenn ich mich recht erinnere, die Einberufung einer Plenarsitzung aller Vertreter des Kongresses, wohlwissend, dass dadurch effektive Beratungen verunmöglicht werden und der Kongreß noch viel länger dauern wird. So geschickt diese Strategie auch war, wenn Frankreichs Teilnahme an den Sitzungen des "Direktoriums" - wie Du meinst - selbstverständlich gewesen wäre, hätte er ja dieses Schauspiel nicht inszenieren müssen.
In Frankreich wurde bei der Beurteilung der Person Talleyrands kaum seine Politik zugrunde gelegt, sondern vor allem seine frappante Unmoral und die Tatsache, dass seine Person sich in allen Regierungen wiederfand.
Bekannt ist folgende Karrikatur über den "Wendehals" Talleyrand:
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde vor allem auf die unterschiedlichen Staatsvorstellungen eingehen, die letztlich die Entscheidungen bei den Ereignissen geprägt waren.
Frankreich war 1815 ähnlich am Boden wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg; die Koalitionstruppen waren ja tief ins Land eingedrungen.

Aber wir sind hier noch in einer Epoche lange vor der Parlamentarisierung und Nationalisierung Europas. Noch hatte der Hochadel - der quasi international über Europa verteilt war - die Fäden in der Hand. Die Überlegungen waren davon geleitet, wie nach der Revolution und dem Aufstieg Napoleons die Adelsherrschaften "gerettet" werden konnten. Dies hielt man für den gangbaren Weg der Friedenssicherung. Die territorialen Entscheidungen im Wiener Kongress betrafen das eigentliche Frankreich gar nicht, und auch die Monarchie wurde wiederhergestellt.

Zum Zeitpunkt des Versailler Kongress hatte der Hochadel in den Schlüsselstaaten politisch nicht mehr das sagen; dass Nationalstaatsdenken hatte sich entwickelt. Nationale Ressentiments spielten besonders bei den franzöischen Vorstellungen gegenüber Deutschland eine Rolle - nach einer langen Phase der Auseinandersetzungen seit napoleonischer Zeit. Dazu kam das Element der Friedenssicherung stark zum Ausdruck (dass beim Wiener Kongress weniger eine Rolle spielte). Stichworte: Schwächung Deutschlands als Militärmacht, Zerschlagung Österreich-Ungarns, Versailler Nachkriegsordnung mit neuen Staaten in Osteuropa zwischen Deutschland und Rußland.
 
@Gandolf

Alles richtig und schlüssig wie du es beschreibst.
Zumal mir mit der Formulierung "Wenn man Frankreich hätte ausschließen wollen ..." ein nicht beabsichtigter Lapsus passiert ist.
Natürlich bin ich der Meinung, dass die 4 Großmächte die europäischen Fragen unter sich regeln wollten (und es auch taten). Das beschrieb ich schon weiter oben.
Dies ergibt sich schon aus der historischen Stellung als Sieger im Gegensatz zu Frankreich als Verlierer ohne dass diese machtpolitische Logik einer besonderen schriftlichen Manifestierung bedurft hätte. Daher stellte sich mir die Frage der Sinnhaftigkeit eines besonderen zudem geheimen Artikels.
Vielen Dank für deine Gedanken!

Grüße
excideuil
 
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