War Tacitus ein "Bestseller"?

salvus

Aktives Mitglied
Diese Frage beschäftigt mich seit einiger Zeit.

Die Völker im Norden waren für die Römer immer eine Art Rätsel. Abscheu und Bewunderung lagen wohl eng beieinander. Ein Werk wie die "Germania" des Tacitus könnte die Römer wohl wirklich sehr interessiert haben.

War der Tacitus eine Art "Bestseller der Antike"?
Wer hat solche Schriften gelesen?
Wie hat man solche Schriften "vertrieben"?
Wie bekannt war Tacitus bei der römischen Bevölkerung?
Welches Interesse wurde seinen Werken entgegengebracht?

Viele Fragen.:fs:
 
Diese Frage beschäftigt mich seit einiger Zeit.

Die Völker im Norden waren für die Römer immer eine Art Rätsel. Abscheu und Bewunderung lagen wohl eng beieinander. Ein Werk wie die "Germania" des Tacitus könnte die Römer wohl wirklich sehr interessiert haben.

War der Tacitus eine Art "Bestseller der Antike"?
Wer hat solche Schriften gelesen?
Wie hat man solche Schriften "vertrieben"?
Wie bekannt war Tacitus bei der römischen Bevölkerung?
Welches Interesse wurde seinen Werken entgegengebracht?

Viele Fragen.:fs:

Zum Buchhandel in der Antike gibt es einen lesenswerten Wiki-Artikel:

Buchhandel der Antike ? Wikipedia

Da bis zur Erfindung des Buchdruckes noch knappe 1 1/2 Jahrtausende vergehen sollten, wurden die Werke von Tacitus wie aller Schriftsteller per Abschreiben unters Volk gebracht. Einen Urheberschutz gab es nicht, so dass jeder jedes Buch abschreiben konnte. Es gab auch gewerbliche "Verlage", die die Bücher vervielfältigten. Geschrieben wurde auf zumeist auf billigen Papyrus (importiert aus Ägypten).

Die Tacitus-Rezeption in der Antike wird auch in der Wiki kurz behandelt:
Tacitus ? Wikipedia

n der Antike fand Tacitus – obwohl er, wie Plinius belegt, bei seinen Zeitgenossen als Schriftsteller großen Ruhm genoss – relativ wenig Beachtung, zumal durch Sueton die traditionelle Form der Geschichtsschreibung (besonders in ihrer spezifischen senatorischen Form, für die gerade Tacitus stand) im lateinischen Westen bis in die Spätantike offenbar erlosch; zumindest kennen wir keine entsprechenden Werke. Dort dominierte, anders als im griechischen Osten, fortan das Genre der Kaiserbiographien (siehe auch Marius Maximus). Zudem galten Tacitus’ Sprache und Stil vielen vermutlich als zu anspruchsvoll. Ammianus Marcellinus schloss mit seinem umfassenden Geschichtswerk im späten 4. Jahrhundert bewusst an Tacitus an; nicht wenige Historiker, darunter Syme, sehen Ammianus sogar als (literarischen) „Erben des Tacitus“ an.[28] Sidonius Apollinaris (5. Jahrhundert) hat Tacitus offenbar gelesen, und der Kirchenvater Hieronymus fasste die Annalen und die Historien als eine 30 Bücher umfassende Kaisergeschichte auf.
 
Habe zum Thema folgendes entdeckt:

98 nach Christus entstanden, wurde die Germania rasch zum Bestseller in Rom: Das Thema war von brennender Aktualität, wurde doch ein Volk geschildert, dem man mit einer Mischung aus Furcht und Respekt gegenüberstand, das man hasste und insgeheim bewunderte, mit dem man seit nunmehr 210 Jahren Krieg führte, ohne daß je ein entscheidender Sieg geglückt wäre.
S. Fabian - Fischer
Die ersten Deutschen
Über das rätselhafte Volk der Germanen
Bastei Lübbe 11. Auflage 2011

Nun weiß ich noch nicht, was ich allgemein von diesem Buch halten soll. Das hört sich ein wenig "reisserisch" an.
 
"Die ersten Deutschen" ist auch ein für die breite Leserschaft geschriebenes Buch.

Die Aussage, dass die "Germania" ein Bestseller gewesen sei, ist für mich nicht nachvollziehbar, jedenfalls kenne ich keine Belege für eine weite Verbreitung des Werks in der Antike wie z. B. Nennungen und Zitate bei anderen Autoren.
 
Ist eigentlich etwas über die Höhe von Auflagen in der Antike bekannt? Also gab es eine professionelle Verlagsindustrie mit Heeren von Kopisten? Im Mittelalter war das ja Aufgabe der Mönche. Kann man da mengenmäßige Vergleiche ziehen? Gibt es dazu irgenwelche überlieferte Zahlen oder begründete Hochrechnungen?

Wer waren die Kunden von Büchern? Nur die Oberschicht? Das waren meines Erachtens, wenn ich die Oberschicht der Städte im Reich dazuzähle, also die Decurionen und ihre Familien, nur wenige hunderttausend Bürger oder grad mal 1% der Gesamtbevölkerung. Oder streute das breiter? Wissen wir dazu etwas?
 
Ich weiß nur, dass der Cicero-Freund Atticus Verleger war. Nur als Ansatz für eine weitere Recherche.
 
Es gab gewerbsmäßige Verleger/Buchhändler, die eine Schar von Schreibsklaven unterhielten, von denen sie Bücher vervielfältigen ließen. Man muss aber bedenken, dass es noch kein anerkanntes Urheberrecht gab (Ansätze dazu konnten sich in der Antike noch nicht durchsetzen), sodass nicht nur jeder ein Buch für seinen Privatgebrauch von einem Sklaven abschreiben lassen konnte, sondern es auch selbst vervielfältigen lassen und verkaufen (das galt zwar als unmoralisch, aber rechtlich konnte man dagegen nichts machen).

Zur Auflagenhöhe lässt sich nur schwer etwas sagen, da es dazu in den Quellen kaum Angaben gibt. Der jüngere Plinius erwähnt in einem Brief, dass ein gewisser Regulus ein Buch über das Leben seines Sohnes in einer Auflage von 1.000 Exemplaren veröffentlichen ließ. Plinius scheint das zwar einerseits betont zu haben, weil ihm die Zahl relativ hoch schien, andererseits war das aber kein Buch, das mit einem sonderlich hohen Publikumszuspruch rechnen konnte, sodass der Aussagewert dieser Angabe unklar ist.

Bücher waren teuer, aber nicht unerschwinglich. Martial erwähnt, dass ein Band seiner Gedichte 5 Denare kostete; das scheint auch in etwa der Durchschnittspreis für ein neues Buch akzeptabler (Material-)Qualität gewesen zu sein. (Zum Vergleich: Von einem Denar konnte sich eine Person für zwei bis drei Tage ernähren. Ein Arbeiter verdiente etwa einen Denar pro Tag.) Es gab aber auch erheblich teurere und erhebliche billigere Bücher, je nach Qualität des Materials und der Verarbeitung bzw. (bei älteren Büchern) des Erhaltungszustands, teilweise auch nach antiquarischem Wert. (Originalhandschriften des Autors waren besonders gefragt. Sammler gaben kleine Vermögen dafür aus.)

Wohlhabende Personen legten sich eigene Privatbibliotheken an, außerdem gab es öffentliche Bibliotheken, in denen allerdings normalerweise nichts verliehen wurde, man musste also vor Ort lesen.
Zur Frage nach der Leserschaft muss man aber bedenken, dass es nicht nur Buchkäufer und Leser in Bibliotheken gab, sondern Autoren, denen an Ruhm gelegen war, auch öffentliche Lesungen veranstalteten. Insbesondere Lesungen bekannter Dichter wurden durchaus auch (oder gerade) von breiteren Massen besucht. Aber auch aus Werken anderer Autoren wurde öffentlich gelesen. Es gab auch in der Antike schon Literaturstars, deren Werke man hören wollte und aus denen man zitierte. (In Pompeji hat man neben Graffiti zu den verschiedensten Themen auch solche mit Literaturzitaten gefunden.)
 
(In Pompeji hat man neben Graffiti zu den verschiedensten Themen auch solche mit Literaturzitaten gefunden.)

U.a. eines bei einer Walkerei, das eine Parodie auf den Anfang der Aeneis darstellt.

Es lautet (ungefähr) so:

Die Walker und die Eule will ich besingen, nicht die Waffen und den Mann.
 
Wer waren die Kunden von Büchern? Nur die Oberschicht? Das waren meines Erachtens, wenn ich die Oberschicht der Städte im Reich dazuzähle, also die Decurionen und ihre Familien, nur wenige hunderttausend Bürger oder grad mal 1% der Gesamtbevölkerung. Oder streute das breiter? Wissen wir dazu etwas?
Dazu noch ein Hinweis bzgl. Griechenlands: Euripides' Tragödien waren bei ihrer Aufführung zwar nur mäßig erfolgreich, aber schon bald danach erlangten sie weit über Athen hinaus große Popularität. Als die Athener im Peloponnesischen Krieg vor Syrakus eine katastrophale Niederlage erlitten und die meisten Soldaten getötet oder gefangen wurden, waren versklavte Athener, die aus Euripides zitieren konnten, heiß begehrt und wurden viele eben dieser Fähigkeit wegen am Leben gelassen und an gute Häuser verkauft, statt wie der Rest im Steinbruch zu enden. Die athenischen Hopliten waren zwar keine armen Schlucker, aber auch nicht nur Angehörige der Oberschicht, die Euripides-Lektüre scheint also in Athen weit verbreitet gewesen zu sein.
 
Danke für die Info. Die hohe Popularität von Lesungen in der Antike hatte ich gar nicht bedacht. Manches Werk wurde wohl auch erst durch den hörbaren akzentuierten Vortrag eines perfekten Redners, der nicht notwendigerweise immer der Autor gewesen sein muss, so richtig populär. Gab es solche Lesungen auch in den großen Theatern, oder wurden dort nur Schauspiele diverser Art aufgeführt? Ich meine jetzt weniger die Belästigungen eines Neros mit Anwesenheitspflicht.

Kann man sagen, daß in der Antike deutlich mehr kopiert wurde als im Mittelalter? Oder kann man das nicht vergleichen? Klar waren die bevorzugten Werke Andere, da ein Monopol der Mönche. Obwohl, ausgerechnet das "Militärhandbuch" des Vegetius soll sich ja noch über das Mittelalter hinaus großer Beliebtheit erfreut haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann man sagen, daß in der Antike deutlich mehr kopiert wurde als im Mittelalter? Oder kann man das nicht vergleichen?

Wohl schwer zu vergleichen.
Allerdings wurde in der Antike sicherlich viel kopiert, bzw. abgeschrieben. Wie hätte Tacitus, der nie in Germanien war sonst seine Germania verfassen können. Wichtig waren hier für ihn wohl die Werke von Plinius d.Ä.
Allerdings gab es auch wohl viele mündliche Berichte von z.B. Händlern die in Germanien unterwegs waren. Vieleicht sind da auch so etwas wie "Interviews" geführt worden.

Das mit den Lesungen habe ich auch nicht bedacht. Sehr interessanter Aspekt.
 
Sorry, ich war unpräzise. Mit "kopieren" meinte ich verfielfältigen; vollkommen wertfrei. Drucken kannte man ja noch nicht.
 
Gab es solche Lesungen auch in den großen Theatern, oder wurden dort nur Schauspiele diverser Art aufgeführt?
Ja, Lesungen in Theatern gab es, allerdings wurden dort eher fremde Texte gelesen. Autoren wie Nero, die im Theater eigene Werke vortrugen, waren die Ausnahme.

Kann man sagen, daß in der Antike deutlich mehr kopiert wurde als im Mittelalter? Oder kann man das nicht vergleichen?
Wie schon erwähnt, ist kaum etwas über Auflagenzahlen bekannt. Die potentielle Leserschaft war in der Antike allerdings deutlich größer, weil viel mehr Menschen des Lesens kundig waren. Durch die Verwendung von Papyrus waren auch die Materialkosten für Bücher niedriger als in späteren Zeiten, in denen man hauptsächlich auf Pergament angewiesen war. Raubkopien waren ein verbreitetes Übel.
Anmerken möchte ich noch, dass es auch in der Antike nicht nur "hohe" Literatur gab, sondern bereits Groschenromane, die sich wohl durchaus auch an eine breitere Leserschaft gerichtet haben werden.
 
Ich habe mich noch einmal mit dem Thema Buchpreise in der Antike beschäftigt. Anscheinend hing der Preis von Büchern in erster Linie vom verwendeten Material und der Verarbeitungsqualität ab, denn die Preise variierten beachtlich, sogar bei Büchern desselben Autors, sodass die Schwankungen nicht einfach darauf zurückgeführt werden können, dass eben manche Autoren gefragter waren als andere.
Wie schon geschrieben, hat Martial einmal erwähnt, dass der erste Band seiner "Epigramme" im Buchladen von Atrectus 5 Denare kostete. Andererseits kosteten seine "Xenien" (die allerdings dünner waren) bei Tryphon nur 4 Sesterzen, wobei Martial schreibt, dass Tryphon sogar dann noch Gewinn machen würde, wenn er sie um 2 Sesterzen verkaufen würde (1 Denar = 4 Sesterzen). Wenn man bedenkt, dass nicht nur das Material etwas kostete, sondern auch der Schreibsklave ernährt werden musste (vom Wiederhereinbringen seiner Anschaffungskosten mal ganz zu schweigen), ist das eigentlich ziemlich billig. Dass Papyrus (zumindest von minderer Qualität) nicht allzu teuer gewesen sein kann, sieht man schon daran, dass das Papier alter Bücher auch zum Verpacken von Fischen und Weihrauch verwendet wurde. Andererseits verfügten manche Bücher über eine recht prachtvolle Aufmachung mit echter Purpurfarbe etc., sodass die Materialkosten allein schon ein paar Sesterzen ausmachen konnten.
 
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