Bei dem ganzen Thread fallen mir diverse Schlagworte ein, aber das in eine zusammenhängende Form zu bringen...
"Dampfmaschinenzeit"
Technische Erfindungen sind praktisch nie aus dem Nichts kommende Ideen, die "plötzlich da waren". Sie bauen praktisch immer auf einer Entwicklung auf, die lange vorher begann und viele verschiedene Schritte benötigte, von denen dann oft einer (mehr oder minder zu Recht) glorifiziert wird.
Wer hat die Dampfmaschine erfunden? Nein, nicht Watt, der hat nur vorher benutzte Modelle wesentlich verbessert. War er ein genialer Erfinder, der durch seine Idee die Entwicklung der Technik revolutioniert hat wie sonst kaum einer? Ja, wenn man die reale Entwicklung betrachtet, in der seine Form der Dampfmaschine, zigtausendfach nachgebaut, der Industrialisierung die Energie gab. Nein, wenn man bedenkt, dass er in einer Zeit lebte, in der es a) schon Dampfmaschinen gab, b) der Bedarf nach besseren durchaus vorhanden war und c) als Konsequenz daraus vermutlich sehr viele Leute an den bestehnden Modellen herumwerkelten und nach Verbesserungsmöglichkeiten suchten. ME kann man annehmen, dass ohne Watt jemand anders seine Ideen gehabt, oder mit anderen Methoden eine ähnliche Effizienzsteigerung erreicht hätte.
Beispiele dafür:
Zeitgleich, aber weitgehend unabhängig von Darwin arbeitete Alfred Russel Wallace eine praktisch identische Evolutionstheorie aus; seine geringere Reputation als Wissenschaftler und Darwins umfangreiche, detailiert ausgearbeiteten Publikationen zum Thema verbanden Darwins Namen mit der Theorie, aber die Idee hatte min eine weitere Person.
Gottlieb Daimler und Carl Benz entwickleten bzw verbesserten parallel interne Verbrennunsmotoren, um damit Fahrzeuge anzutreiben. Ähnmlich wie bei der Dampofmaschine: Der Bedarf, das technische Potential und die notwendige Infrastruktur waren da, und mussten "nur" noch zusammengebracht werden.
Die Entwicklung des Telefons ist ebenfalls vielschrittig, aber manche Schritte waren zeitlich heiss umkämpft:
Nach etlichen Versuchen ließ Bell am 14. Februar 1876 den Prominentenanwalt Gardiner Greene Hubbard, dessen Tochter er zu heiraten gedachte, mit einem vage formulierten Patentantrag für ein Telefon zum Amt gehen. Nur zwei Stunden später versuchte der Lehrer, Erfinder und Unternehmer
Elisha Gray ebenfalls, ein Telefon anzumelden.
Erfindung des Telefons ? Wikipedia
Technische Erfindungen kommen nicht aus dem nichts. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die technische Enticklung mehr oder minder deterministisch ist und immer zu den gleichen Ergebinssen führen muss?
ME: Nein, da die Umstände nie (völlig) gleich sind. Interessant ist es hierfür besonders beim Thema Schwarzpulver, das als Thread-Aufhänger dient, der Vergleich mit China.
Um bei dem Beispiel Schießpulver zu bleiben: Wenn in der Welt bekannt wird, dass in Europa jemand eine Feuerwaffe entwickelt hat, die mit einem schwarzen Pulver betrieben wird, dann muss ein findiger Mensch in Asien nichtmal die genaue Rezeptur kennen. Die bloße Kenntnis, dass so ein Pulver gemischt werden kann, würde schon ausreichen, um danach zu forschen und irgendwann fündig zu werden.
Das Schwarpulver wurde zuerst in China benutzt, und vermutlich war auch die Entdeckung desselben in Europa nicht völlig unabhängig. Wenn ich das richtig erinnere: Die Rezeptur könnte von China bis nach Arabien und von da nach Europa gekommen sein, oder (umgekehrt wie Maelonn das vorschlägt), weil es in Asien schon bekannt war wurde die Entdekcung in Europa dupliziert.
Viel wichtiger für die technisch-militärische Entwicklung, sind aber die geeignteten Schießprügel und die zahlreichen Details, die diese zu effizienten Waffen machen, von der primitvsten Hakenbüchse bis zur heutigen Automatikkanone. Aus welchen Gründen ist dieser Entwicklungsweg in Europa (und angrenzenden Regionen, ich denke da bspow an das Osmanische Reich, dass sehr früh viel Wert auf die Artillerie legte) derart vehement beschritten worden, in China aber nicht? Die technischen Voraussetzungen waren eigentlich genauso gegeben wie in Europa, wenn nciht meh, und die Geschichte zeigt eigentlich, das an effizienten meistens ein bedarf besteht, oder?
Aber es gibt zahlreiche weitere Beispiele für technische Enticklungen, die in Europa gediehen und das Gesicht der europäischen Gesellschaften prägten, obwohl sie anderswo früher gemacht wurden (und evtl von dort nach Eruopa importiert wurden), und besonders China ist da ein interessantes Beispiel. Hier wurde die Druckkunst früher entdeckt, aber ohne die Folgen, die die Buchdruckerei in Europa hatte. Es gab mechanische Spinnmaschinen (wassergetrieben) ua hochentwicklte Manufaktur-Techniken, lange bevor in Europa die Indsutrialisierung begann. Die Seefahrt war auf einem hohen Stand, und es gab Handelskontakte nach Indien und Ostafrika. All dies führte nicht, wie später in Europa, zu einer Indstrialisierung, sondern wurde sogar nach und nach eingeschränkt und abgeschafft.
Die Gründe dafür könne nicht in der Technik selber liegen, sondern in den jeweiligen Gesellschaften. Ein Faktum könnte sein: China hatte lange vor Europa eine staatliche Zentralgewalt (die Europa ja heute noch nicht hat). Es gab auch in Europa immer wieder Versuche, bestimmte Waffen bzw militärische Entwicklung zu beschränken, meist mit max begrenztem Erfolg. Den kein Staat (oder wer oder was auch immer gerade über die militärische Gewalt verfügte) konnte es sich leisten, einen militärischen Vorteil nicht zu nutzen, wen der Nachbar und potentielle Konfliktgegner* diesen einzusetze gewillt war; selbst wenn der Papst das verlangte, am Ende konnten die Feinde ja Protestanten sein...
* Nachbar und potentielle Konfliktgegner: Ein benachbartes Land, gegen das "wir" den nächsten hundert Jahren vielleich und in den nächsten zweihundert Jahren ganz bestimmt Krieg führen werden.
Auch das geht anders, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen andere sind: In Japan wurde Schwarzpulver und Feuerwaffen im 16. Jh. eingeführt, und bestimmten bis Anfang des 17. Jh. das militärische Geschehen ausgesprochen schnell. Dann änderte sich das Umfeld: Das Tokugawa-Shogunat brachte (bzw erzwang) einen Frieden im Inneren, der ohne Feuerwaffen aufrecht erhalten werden konnte, und brach den Kontakt mit der Außenwelt weitgehend ab. Es bestand kein Bedarf an einer Weiterentwicklung der Waffentechnik mehr, ja ein solcher konnte sogar das Gewaltmonopol des Staates unterminieren, der wie gesagt selber keiner Schusswaffen bedurfte, solange er nicht damit angegriffen oder bedroht wurde. Den zweite Teil dieses Arangments wurde den Japaner spätestens 1853 von den Amerikanern demonstriert, was eine ziemlich schnelle Rückkehr der Feuerwaffen nach Japan einleitete; zusammen mit Kanonen, Dampfmaschine, Industrialisierung, neuen politischen System und dem ganzen anderen Kram, an dem ua die effiziente Nutzung eines schwarzen Pulvers als Waffe hängt.