Übergriffe und Gewalt sind vor allem in Fürsorgeanstalten vorgekommen, auch in solchen, die unter Kontrolle der evangelischen Kirche standen. Bei den Fällen von sexuellem Mißbrauch ging es ausschließlich um Fälle, die sich innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche ereignet haben. Wozu also diese Pauschalisierung wenn von den Kirchen gesprochen wird?
Das ist nicht ganz richtig.
Erstmal haben wir das Problem, dass im medialen Sprachgebrauch
Missbrauch nicht klar definiert ist. Zumindest habe ich jetzt schon mehrfach von Missbrauch gehört und gelesen, wo sexuelle Handlungen am Kind oder am Täter im Besein des Kindes oder durch das Kind keine Rolle spielten.
Für mich hat
Missbrauch von Menschen immer einer sexuelle Komponente. Davon abgrenzen würde ich
Misshandlung, die nicht sexuell motiviert ist, wo Gewalt gegen abhängige, wehrlose Menschen ausgeübt wird. Wie gesagt, medial wird das nicht immer sauber unterschieden.
Nun zu "das ist nicht ganz richtig": Auch in den evangelischen Kirchen hat es schon sexuellen Missbrauch von Kindern gegeben.
Bekannt geworden ist auch die Odenwaldschule, die ja lange als reformpädagogisches Musterbeispiel angesehen wurde. Interessanterweise griffen hier dieselben Vertuschungsmuster, wie bei der Katholischen Kirche.
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Der Missbrauchsskandal in der deutschen katholischen Kirche ist nebenbei von einem Pater ins Rollen gebracht worden, was vielen gar nicht bekannt ist bzw. immer wieder vergessen wird.
Das Problem bei der Katholischen Kirche ist das Sakrament der Beichte, bzw. anders gesgt, dass die Beichte ein Sakrament ist, wenn der Beichtvater das Beichtgeheimnis bricht, zieht das seine eigene Exkommunikation nach sich. Wenn also ein Priester zu seinem Bischof geht und ihm in der Beichte anvertraut, dass er Kinder sexuell missbraucht habe, dann kann der Bischof nichts anderes machen, als ihn (anderer Gründe wegen) zu versetzen. Er kann ihn nicht einmal vor ein kircheninternes Gericht ziehen, geschweige denn an die Behörden melden. Wenn er sich über das Sakrament der Beichte hinwegsetzt und damit seine Exkommunikation in Kauf nimmt, dann kann er auch gleich hinschmeißen, da er offensichtlich das ganze theologische Gebäude der Kirche nicht mehr ernst nimmt. Die Kirche ist an dieser Stelle in einem Glaubwürdigkeitsdilemma: Egal wie sie sich verhält, sie verhält sich falsch. Wünschenswert wäre natürlich, sie würde sich stets auf die Seite der Opfer - also hier der Opfer ihrer Funktionäre stellen. Aber nach herkömmlichen Kirchenrecht müsste der Beichtende sich den Behörden selber stellen bzw. sein Verbrechen selber öffentlich machen, da die Beichte nach katholischer Vorstellung keine Sache zwischen Beichtendem und Beichtvater ist, sondern zwischen Beichtendem und Gott.
[Achtung, unter großem Vorbehalt wahrzunehmen:] Ich weiß leider gerade nicht, ob das Fiktion ist, oder ob ich das tatsächlich in der Zeitung gelesen habe (da ich vor ca. zwei Jahren einen frz. Kinofilm über Missbrauch von Kindern durch einen Priester gesehen habe, kann sich da was vermischen): Als ein des Missbrauchs beschuldigter Priester (wegen Verjährung?) freigesprochen wurde, hat sein Bischof ihn versetzt. Als Seelsorger auf eine Gefängnisinsel.
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Ist der Zölibat das Problem?
Jein.
Sexueller Missbrauch kommt überall vor. In Erziehungsheimen, in Sportvereinen, in Internaten, in der eigenen Familie oder im unmittelbaren Umfeld.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war es aber für katholische Männer, die sexuell deviant waren (also nach früherer Lesung alle, die nicht in heteronormativen Beziehungen ihre Erfüllung fanden) eine Möglichkeit, ihre sexuelle Devianz zu verbergen, indem sie Priester wurden. Ich kenne z.B. einen P s y c h o l o g e n, der viel mit Priestern gearbeitet hat und sagte, dass insbesondere unter den älteren Semestern ein hoher Prozentsatz homosexuell sei, weitaus höher als gesamtgesellschaftlich. Seit den 1990er Jahren ist Homosexualität gesamtgesellschaftlich weitgehend anerkannt, homosexuelle Männer können ihre Neigung heute relativ offen ausleben.
Der Zölibat führt sicher nicht, wie es manchmal von Leuten angenommen wird, zu sexueller Devianz, sondern, umgekehrt, sexuelle Devianz bzw. der Wunsch, diese zu verbergen, macht den Zölibat in einer sexuell restriktiven Gesellschaft attraktiv.
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Ich kenne mich mit den Strukturen der großen Kirchen in Deutschland, gerade mit denen der Katholischen Kirche nicht besonders aus, deshalb stellt sich mir seit Beginn dieses Threads die Frage. Worin äußert sich der hier so gennannte "Staat im Staat", bzw. welche zusätzlichen Privilegien oder Rechte hat die Kirche, z.B. durch den Status Körperschaft des öffentlichen Rechts, die es erlauben hier von Parallelstrukturen zu sprechen?
Was betriebliche Kündigungen anbelangt, oder Tarifvertragsverhandlungen, da hat die Kirche schon weitgehende Rechte, die andere Arbeitgeber nicht haben.
Also beispielsweise die Kindergärtnerin, die ihren Job verliert, weil sie sich scheiden lässt ("Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen."). Das gehört zu unserer Lebenswelt heute, ist aus kirchlicher Sicht aber nicht tragbar. (Man müsste eine Ehe kirchlich annullieren lassen, wofür es durchaus Gründe gibt.)
Oder zum letzten Jahreswechsel die Tarifverhandlungen für die Altenpflege. Da haben Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) ein Veto eingelegt. Die Begründung habe ich nicht ganz verstanden, ver.di jedenfalls war sauer. Und medial kam das so rüber, als seien die Kirchen geizig, dabei bezahlen sowohl Caritas als auch Diakonie ihre Pflegekräfte übertariflich.
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