Interessant. Also macht die Unterscheidung zwischen den Kaiser von 800 bis 924 und denen ab Otto I. gar keinen Sinn?
Die Unterscheidung scheint mir einer ex-post-Betrachtung zu entspringen. Schließlich wurden ab Otto I. nur noch ostfränkische Könige Kaiser, außerdem lag vor Otto I. ein längeres Kaiserwürden-Interregnum (928-962). Ex post betrachtet ist also der Eindruck (vor allem aus deutscher Sicht) nachvollziehbar, dass Otto I. etwas Neues geschaffen habe und die Kaiserwürde gewissermaßen Richtung Ostfränkisches Reich "wanderte".
Ich bezweifle aber, dass die Zeitgenossen das auch schon so wahrnahmen. Die Kaiserwürde war bereits davor zwischen Herrschern, die ihren Schwerpunkt in Italien, Burgund, West- oder Ostfranken hatten, hin- und hergewandert, und auch im Interregnum hatte sich der König von Italien, Hugo, um die Kaiserwürde bemüht, wenn auch vergeblich. (Dass er scheiterte, lag daran, dass er Rom und somit den Papst nicht in seine Gewalt bekommen konnte. Die Kaiseridee an sich war aber nicht vorübergehend verschwunden.) Dass die Kaiserwürde dauerhaft auf die Könige des Ostfränkischen Reiches übergehen würde, war wohl kaum absehbar.
Otto I. selbst tat eigentlich auch nichts anderes als die meisten Kaiser vor ihm: Zum Kaiser gekrönt wurde, wer Italien und insbesondere Rom unter Kontrolle brachte und den Papst dazu motivierte (teils mit Druck, teils indem sich der Papst selbst etwas davon versprach). Hätte es nach Otto I. und Otto II. einen starken König im Westfränkischen Reich oder Burgund oder einen mächtigen Regionalfürsten in Italien (wenn sich z. B. Arduin von Ivrea, der letzte "heimische" König Italiens, zur Jahrtausendwende durchgesetzt hätte) gegeben, hätte die Geschichte durchaus anders verlaufen und die Kaiser aus dem Ostfränkischen Reich Episode bleiben können.
Natürlich unterschied sich das "Heilige Römische Reich" des fortgeschrittenen Mittelalters und erst recht der Neuzeit durch die Entwicklung einer festen Struktur und bestimmter Institutionen vom Kaisertum der Karolinger und der italienischen Regionalherrscher. Aber das war ein allmählicher Entwicklungsprozess und nicht Ergebnis einer bewussten "Neugründung" durch Otto I.
Doch, da die Kaiser der Karolinger gleichzeitig die Könige des gesamten Fränkischen Reiches waren, incl. von Norditalien. Ab Otto I. waren die Kaiser nur noch die Könige des Ost-Fränkischen Reiches, mit Reichsitalien.
Dass die Kaiser der Karolinger gleichzeitig die Könige des gesamten Fränkischen Reiches waren, traf doch eigentlich nur auf Karl I., Ludwig I. und Karl III. zu. Lothar I. regierte nur das Mittelreich (Lotharingien, Burgund und Italien), Ludwig II. nur Italien, Karl II. nur das Westfrankenreich und Italien, Arnulf nur das Ostfrankenreich und (zumindest nominell) Italien.