Was ist das 5. Evangelium?

Roxane schrieb:
Letztendlich ist Thomas aber ebenso ein Jünger Jesu, der lediglich die Worte seines MEisters aufgeschrieben hat und vielleicht auch vertreten hat.
Ist eigentlich der sog. "ungläubige Thomas" gemeint??? (Also derjenige, der nicht eher an die Auferstehung Jesu glaubte, bis er seine Wunden berührt hatte? - Joh 20, 24-30):grübel:
 
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Benjamin schrieb:
Ist eigentlich der sog. "ungläubige Thomas" gemeint??? (Also derjenige, der nicht eher an die Auferstehung Jesu glaubte, bis er seine Wunden berührt hatte? - Joh 20, 24-30):grübel:

Anscheinend ja. Der "ungläubige Thomas" wird im Johannesevangelium mit dem Beinamen "Didymus" (= "Zwilling") genannt; das Thomasevangelium beruft sich auf einen "Didymus Judas Thomas".
 
Die Gnosis ist mit dem Christentum gleichzeitig entstanden. Sie hatte ihre Wurzeln im platonischen Gedankengut, wurde aber mystisch aufgepeppt. Daher kann man ausschließen, dass sich Jesus bereits mit diesem Gedankengut befasst hat. Die Auseinandersetzung des Christentums mit der Gnosis begann erst gegen Ende des 1. Jh. Der Verfasser des Johannesevangeliums wird sie bereits gekannt haben, der Verfasser des Markusevangeliums wahrscheinlich noch nicht, jedenfalls weist nichts darauf hin. Das gleiche gilt für Paulus in seinen echten Briefen.
Das gilt auch, wenn man Simon den Magier aus der Apostelgeschichte als Gnostiker auffasst. Wegen eines Gnostikers macht man kein solch Gedöns, da muss das schon eine größere Bewegung sein. Und das braucht seine Zeit.
Die Gnosis war wohl überhaupt erst die Ursache für die Kanonbildung, damit klar bleibt, was Sache ist.
Das Judas-Evangelium das im 20. Jh. gefunden wurde, bringt übrigens nichts Neues. Der gnostische Dualismus Gut/Böse taucht auf, die Befreiung des Geistes Jesu aus dem Gefängnis des Körpers (dypisch gnostisch) durch die Anzeige des Judas im Auftrage Jesu (ein Weiterspinnen des Satzes Joh. 13, 27: "Was Du tun willst, das tue bald!").
Nun ist schätzungsweise nur die Hälfte erhalten. Aber die bereits weit fortgeschrittene Gnosis lässt mich persönlich auf eine relativ späte Abfassungszeit schließen.
Aber von einem darf man bis zum Beweis des Gegenteils ausgehen: Alle gnostische infizierten Evangelien sind lange nach den 3 Synoptikern geschrieben worden.
 
eden schrieb:
Na, soweit ich weiß ist man sich beim Thomasevangelium heute immer noch nicht sicher wie alt es wohl genau ist. Außerdem sollte man bedenken das der Entstehungszeitraum der 4 kanoischen Evangelien irgendwo zwischen 40-150 n Chr liegt. Das das die einzigen Evangelien waren die damals geschrieben wurden kann ich mir beim besten willen nicht vorstellen. Vieles ging aber verloren (ob absichtlich oder nicht sei mal dahingestellt) und so können wir das heute wohl nicht mehr mit 100% Sicherheit sagen.

[...] Wahrscheinlich weil das Johannes Evangelium das jüngste der 4 ist und das damals wohl nicht mehr so klar war (und anfangs wohl auch unerheblich).

Auch das ist denke ich nicht 100% sicher. Denk dran, alle die Schriften die wir haben stammen von Anhängern von ihm und die wollten sicher nicht, das ein schlechtes Licht auf ihn fällt. Wirklich objektives Material über den "Menschen" Jesus haben wir nicht. Wir wissen nur etwas über den "Christus Jesus" des christlichen Glaubens. Was wissen wir denn überhaupt sicher von ihm? :grübel:

eden

Es gibt nicht den geringsten positiven Beweis für die derzeit gängige Datierung (Mk ca 68, Mt 75, Lk 85 Jh 95). Vor 'zig Jahren schon hat mal einer ne hohe Belohnung dafür ausgesetzt, die bis heute noch erworben werden kann. Die ganze Spätdatierung ist nur ein Spinnwebengebilde ohne tragfähige Argumente. Hält sich freischwebend in der Luft. Erfunden im 19. Jh. um den Glauben vor der zersetzenden Kritik zu schützen, indem man den historischen Jesus vom Christus des Glaubens zunächst zeitlich, dann immer mehr inhaltlich separierte.

Ich würde hier gern mal provokativ meine Forschungsergebnisse dem mainstream entgegensetzen:
Markus ca. 43
Matthäus ca. 48
Johannes ca. 48-50
Lukas ca 55-58
Apostelgeschichte ca 58-60

Über Thomas bin ich mir nicht ganz klar, zumal eine gnostische Fortentwicklung der verschiedenen Versionen erkennbar scheint. Ich denke aber, solche Logiensammlungen deuten auf eine Frühform, wie sie Papias (um 130?9 für das Matthäusevangelium vorauszusetzen scheint. Tentativ könnte man Thomas und Proto-Matthäus (= "Q"?) noch in den Dreissigern ansiedeln.
 
So bin ich denn gleich in den Genuss eines roten Sterns gelangt, zusammen mit der rhetorischen Frage: "Forschungsergebnisse oder freischwebende Spekulationsergebnisse?"

Würde mir wünschen, solche Frage nicht rhetorisch gestellt zu bekommen und dass die Bewertung dann von der Antwort abhängig gemacht würde.

Also, Antwort an den der keine will: Forschungsergebnisse. Wer so vorgeht wie Du, nur nur seine Vorurteile bestätigt, der wird die Forschung nie voranbringen.

Ja, ja, ich weiss, der Bewertungsausheulthread ist anderswo.
 
so ich möchte auch mal meinen Senf zu dem Thema abgeben...:D
1. Nach den heutigen Datierungen für die Evangelien wurden sie lange nach der Lebenszeit von Jesu geschrieben. Dass muss man beachten, wenn man sich auf seine Lehre und sein Leben beziehen möchte, da die Geschichten sehr lange Zeit nur mündlich überliefert wurden. Daher könnte es auch Änderungen in den Zitaten etc. geben und daher ja auch die großen Unstimmigkeiten zwischen den Schriften.
2. Außerdem muss man beachten, dass die Kirche sehr lange Zeit die größte Macht darstellte und einen sehr großen Einfluss auf die Menschen hatte. Das wollten die Höchsten natürlich nicht ändern und sie befürchteten, dass sie diese Macht verlieren, wenn bekannt wird, dass die kirchliche Lehre falsch ist (siehe auch Galileo Galilei, seine Lehre wurde ja auch erst vor recht kurzer Zeit anerkannt und seine Strafe getilgt). Damit ist auch geklärt warum die Kirche diese Schriften jahrhundertelang geheim hielt und sich wehement weigerte ihre Existenz anzuerkennen (was heute ja eigentlich immernoch so ist).
3. Gebe ich hier noch mal wieder, was unsere Religionslehrerin, die viel Ahnung hat, uns erleuterte: Es wurden in das NT nur diese vier Evangelien aufgenommen, weil sie am besten das Bild von Jesu wiedergeben, dass die Kirche damals haben wollte (viele waren sehr fanatisch und wollten ihn nur positiv darstellen).

Des weitren würde ich mich freuen, wenn das Diskusionsklima bei diesem Thema ein wenig freundlicher wäre und nicht alles gleich wehement abgestritten wird. Die Bibel ist und bleibt leider ein Thema, bei dem viel spekuliert werden muss.
 
Morwena schrieb:
2. Außerdem muss man beachten, dass die Kirche sehr lange Zeit die größte Macht darstellte und einen sehr großen Einfluss auf die Menschen hatte. Das wollten die Höchsten natürlich nicht ändern und sie befürchteten, dass sie diese Macht verlieren, wenn bekannt wird, dass die kirchliche Lehre falsch ist (siehe auch Galileo Galilei, seine Lehre wurde ja auch erst vor recht kurzer Zeit anerkannt und seine Strafe getilgt). Damit ist auch geklärt warum die Kirche diese Schriften jahrhundertelang geheim hielt und sich wehement weigerte ihre Existenz anzuerkennen (was heute ja eigentlich immernoch so ist).

Erst einmal scheint aus diesen Zeilen ein etwas schiefes Geschichtsbild zu sprechen, das ich doch ein wenig zurechtrücken möchte:

Es gab zu keinem Zeitpunkt eine einheitliche Kirche, sondern eine große Zahl von sehr unterschiedlichen Kirchen. Man denke an die äthiopische Kirche oder an die Nestorianer, die bis nach China verbreitet waren.

Auch die Päpste der im Hochmittelalter relativ zentralistisch strukturierten römisch-katholischen Kirche übten zu keiner Zeit die "größte Macht" aus, obwohl einige in einem relativ knappen Zeitraum vom 11. bis 13. Jahrhundert relativ nahe dran waren.

Sodann scheint mir die These von der "Geheimhaltung" irgendwelcher Schriften sehr nach Verschwörungstheorie zu klingen.

Welche Schriften sollen denn wo und von wem geheimgehalten worden sein?

Und was soll "heute immer noch" so sein?

Glaubst Du etwa auch an den Panzerschrank in den Kellern des Vatikans, wo die Originalakten über Jesus lagern, deren Existenz beharrlich geleugnet wird?

Das ist nicht mehr so:

http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=157635&postcount=24

http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=157648&postcount=26
 
Morwena schrieb:
Des weitren würde ich mich freuen, wenn das Diskusionsklima bei diesem Thema ein wenig freundlicher wäre und nicht alles gleich wehement abgestritten wird.

Das liegt daran, daß Phantasievorstellungen als Tatsachen ausgegeben werden. Wir diskutieren hier nun einmal über Geschichte und nicht über Romanplots und Verschwörungstheorien.

Wenn alle auf dem Teppich blieben, ließe sich viel sachlicher diskutieren - und dann (von Tatsachen ausgehend) auch gerne einmal spekulieren.
 
Ich möchte aus aktuellem Anlass an erneut an all die Heiligen und die Figuren erinnern, welche durch die Kirche verehrt werden oder im Mittelalter verehrt wurden, die wir nur aus apokryphen Schriften kennen. Da wären u.a. Anna und Jochim, die Eltern Marias, oder auch Ochs und Esel im Stall und einige Geschichten, die etwa die Legenda Aurea aus anderen Evangelien übernimmt.

Was die Datierung der kanonischen Evangelien angeht, ich hab sie heute noch mal durchgeguckt: sie müssen, zumindest die Synoptiker in der heute bekannten Form nach 70 n. Chr. abgefasst worden sein, da in allen Evangelien die Zerstörung des Tempels vorausgesagt wird. Nun sind wir hier ein Geschichtsforum und kein theologisches Forum, wo man über die Weissagungsfähigkeiten Jesu spekulieren könnte, also muss man in der historischen Perspektive davon ausgehen, dass die kanonischen Evangleine entsprechend spät abgefasst wurden.
 
(A)
El Quijote schrieb:
Was die Datierung der kanonischen Evangelien angeht, ich hab sie heute noch mal durchgeguckt: sie müssen, zumindest die Synoptiker in der heute bekannten Form nach 70 n. Chr. abgefasst worden sein, da in allen Evangelien die Zerstörung des Tempels vorausgesagt wird.
Hier könnte es sich doch auch um nachträgliche Ergänzungen handeln. Wird nicht eh vermutet, dass hier und da auch nachträglich etwas ergänzt oder verändert wurde? Nicht nur bei der mündlichen Überlieferung kommt es doch im Laufe der Zeit zu Verformungen.

Die Frage soll nicht allzu "verschwörungstheoretisch" wirken *zwinker*, ebenso wenig wie die folgenden. Sie seien weniger als Unterstellungen, sondern bitte als ernstgemeinte Fragen verstanden.

(B)
Morwena schrieb:
Es wurden in das NT nur diese vier Evangelien aufgenommen, weil sie am besten das Bild von Jesu wiedergeben, dass die Kirche damals haben wollte
Dass dieser Selektionsprozess, der letztlich zu den vier kanonischen Evangelien führte, nicht sauber rückzuverfolgen ist, habe ich richtig abgespeichert. Oder? Kann man denn bei den Apokryphen unterscheiden zwischen solchen, die ausdrücklich für diesen Kanon geprüft, aber ausgeschlossen wurden, und solchen, die schlichtweg übersehen/unbekannt/unentdeckt waren?

Eine gewisse Toleranz darf man der/den Kirche(n) ja definitiv bei der Auswahl dieses Kanons zugute halten, man hätte ja auch jegliche Widersprüche in den Vieren eleminieren können. Und gerade die machen die Sache doch bis heute so reizvoll. oder nicht? *zwinker*

(C) Und zuletzt: Es wird hier immer wieder spekuliert, wie nah die Evangelisten (ob nun kanonisch oder nicht) an Jesus selber dran waren, wie nah sie an der "Wahrheit" dran waren. Ich möchte mal etwas anders fragen (ein neuer Thread??): Gäbe es heute diese Evangelien, überhaupt eine Kirche ohne Paulus Wirken? Mir erscheint es so, als sei er der eigentliche "Religionsstifter" ohne dessen hartnäckige "Heidenmission" Jesus Lebensgeschichte & seine Lehre, die einer kleinen jüdischen Sekte geblieben wäre. Überschätze ich seine Rolle in diesem Spiel? Wenn nicht, dann war er vielleicht viel prägender als Jesus selbst, was das Christentum definiert, was es ausmacht. Und er ist als der dreizehnte (oder vierzehnte?) "Apostel", derjenige, der Jesus Wirken selbst gar nicht miterlebte, sondern nur aus Erzählungen kennen gelernt hatte. Natürlich ist Paulus deshalb nicht der Verfasser der oder eines der Evangelien, aber er hat vielleicht durch seine Art der mündlichen Überlieferung, seiner Briefe, Predigten, Reisen, Missionsarbeit deren Sichtweise auf Jesu Leben & Lehre maßgeblich beeinflusst und gelenkt. Hat er damit vielleicht die entscheidenden Weichen gestellt, was später kanonisch oder apokryph sein sollte?

Was sagen die Geschichtsforscher dazu?
 
alenga schrieb:
Dass dieser Selektionsprozess, der letztlich zu den vier kanonischen Evangelien führte, nicht sauber rückzuverfolgen ist, habe ich richtig abgespeichert. Oder? Kann man denn bei den Apokryphen unterscheiden zwischen solchen, die ausdrücklich für diesen Kanon geprüft, aber ausgeschlossen wurden, und solchen, die schlichtweg übersehen/unbekannt/unentdeckt waren?

Es gab kein Prüfungsverfahren. Welches Gremium oder welche Kirchenbehörde hätte denn so etwas in die Wege leiten sollen? Wir befinden uns, wohlgemerkt im 2. Jahrhundert, was die Kanonizität der vier Evangelien betrifft.

Der einzige namhafte Dissident war seinerzeit ein Herr namens Marcion, der nur eine zensierte Version des Lukasevangeliums gelten lassen wollte, sich aber damit nicht durchsetzen konnte.

alenga schrieb:
ist Paulus deshalb nicht der Verfasser der oder eines der Evangelien, aber er hat vielleicht durch seine Art der mündlichen Überlieferung, seiner Briefe, Predigten, Reisen, Missionsarbeit deren Sichtweise auf Jesu Leben & Lehre maßgeblich beeinflusst und gelenkt. Hat er damit vielleicht die entscheidenden Weichen gestellt, was später kanonisch oder apokryph sein sollte?

Das erinnert mich an eine Diskussion zwischen Kirlon und Fingalo vor einiger Zeit: http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=3898&page=3
 
hyokkose schrieb:
Es gab kein Prüfungsverfahren. Welches Gremium oder welche Kirchenbehörde hätte denn so etwas in die Wege leiten sollen? Wir befinden uns, wohlgemerkt im 2. Jahrhundert, was die Kanonizität der vier Evangelien betrifft.
Jaja, schon klar, dass es kein offizielles Entscheidungsgremium dereinst gab, hatte ich schon begriffen. Aber wie ist denn nun die genaue Position der sagen wir mal katholischen Kirche, um mich mal auf eine festzulegen,zu den Apokryphen? Werden/wurden alle über einen Kamm geschert?

Die Frage interessiert mich insoweit, weil für mich der Eindruck hier in der Diskussion entsteht, dass der kirchliche Kanon geschichtlich ein Stück "wahrer" ist als die Apokryphen, deren Inhalte schnell als gnostische Spinnereien oder ähnliches verlacht werden.

Wie differenziert die Kirche bei den Apokryphen? Oder differenziert sie gar nicht? Und wie - vor allem - differenziert der Historiker hier? Steht geschichtlich betracht der Kanon klar über den Apokryphen? Oder gibt es Apokryphen, die vielleicht mehr Historizität liefern könnten?
 
alenga schrieb:
Die Frage interessiert mich insoweit, weil für mich der Eindruck hier in der Diskussion entsteht, dass der kirchliche Kanon geschichtlich ein Stück "wahrer" ist als die Apokryphen, deren Inhalte schnell als gnostische Spinnereien oder ähnliches verlacht werden.

Der Großteil der kanonischen Schriften liegt nun einmal zeitlich relativ früh. (Wie Fingalo bereits schrieb.) Es kommt ja nicht von ungefähr, daß die vier Evangelien und die Paulusbriefe schon im 2. Jahrhundert allgemein akzeptiert waren. Die späteren Schriften konnten dagegen nicht mehr ernsthaft konkurrieren.

Ein paar relativ späte Schriften sind trotzdem in den Kanon gelangt, z. B. war die Kanonizität der Apokalypse lange umstritten.
Andere Bücher waren im mainstream-Christentum sehr beliebt und wären 'fast' in den Kanon gekommen, z. B. der "Hirt des Hermas".
Manche Schriften hatten nie eine Chance, in den Kanon zu kommen, hatten aber dennoch einen Einfluß auf christliche Traditionen, so die Kindheitserzählungen (von El Quijote bereits angedeutet).
Manche Schriften befanden sich in einer Grauzone, wie etwa das Petrusevangelium. Es wurde nur zeitweise von einer kleinen Minderheit akzeptiert und konnte somit keinen größeren Einfluß ausüben. Die Chance auf eine Aufnahme in den Kanon hatte es wohl nie.


alenga schrieb:
Und wie - vor allem - differenziert der Historiker hier? Steht geschichtlich betracht der Kanon klar über den Apokryphen?

Man muß bereits innerhalb des Kanons differenzieren. Da gibt es Stellen in den Evangelien, die als nachträgliche Hinzufügungen erkannt worden sind, und da gibt es Briefe von Paulus u. a., die heute weitgehend nicht mehr als authentisch angesehen werden.
 
Thomas schrieb:
Es gibt nicht den geringsten positiven Beweis für die derzeit gängige Datierung (Mk ca 68, Mt 75, Lk 85 Jh 95). Vor 'zig Jahren schon hat mal einer ne hohe Belohnung dafür ausgesetzt, die bis heute noch erworben werden kann. Die ganze Spätdatierung ist nur ein Spinnwebengebilde ohne tragfähige Argumente. Hält sich freischwebend in der Luft. Erfunden im 19. Jh. um den Glauben vor der zersetzenden Kritik zu schützen, indem man den historischen Jesus vom Christus des Glaubens zunächst zeitlich, dann immer mehr inhaltlich separierte.

Ich würde hier gern mal provokativ meine Forschungsergebnisse dem mainstream entgegensetzen:
Markus ca. 43
Matthäus ca. 48
Johannes ca. 48-50
Lukas ca 55-58
Apostelgeschichte ca 58-60

Man darf mal davon ausgehen, dass der Mensch Jesus "in allem uns gleich ausser der Sünde" war, wie Paulus schreibt. Das bedeutet, dass er keineswegs über übersinnliche Fähigkeiten auf Erden verfügte. Die Wunderberichte sind ein literarischer Topos um bestimmte Intentionen Jesu (und des Evangelien-Verfassers) den Zeitgenossen klar zu machen (gibt's auch für Hillel, Schammai und viele andere).

Das hat zur Konsequenz, dass er auch nicht in die Zukunft sehen konnte. Das zeigt übrigens auch seine eigene ernsthafte Naherwartung, dass seine Zeitgenossen noch den Weltuntergang erleben würden, was ja nicht eintrat. Wenn er also seinen Jüngern sagte, dass von Jerusalem kein Stein auf dem anderen bleiben würde, dann muss das auf jeden Fall nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben worden sein. Das steht aber in allen Evangelien. Damit ist Deine Zeittafel auf jeden Fall widerlegt. Damit ist allerdings noch keine Datierung gelungen.
Wer die Spätdatierung für "freischwebend in der Luft" hält, kann also nicht viel geforscht haben. Und wieso eine Spätdatierung den Glauben vor zersetzender Kritik schützen sollte, erschliesst sich mir nicht.
 
alenga schrieb:
Wie differenziert die Kirche bei den Apokryphen? Oder differenziert sie gar nicht? Und wie - vor allem - differenziert der Historiker hier? Steht geschichtlich betracht der Kanon klar über den Apokryphen? Oder gibt es Apokryphen, die vielleicht mehr Historizität liefern könnten?
Was heisst "differenziert"? Liturgisch differenziert sie nicht. Die einen werden im Gottesdienst verwendet, die anderen nicht. Punkt.
Aber in der Forschung spielen die Apokryphen eine durchaus beachtliche Rolle, um das kirchkliche Leben, Denken und die damaligen Auseinandersetzungen zuermitteln. Da die Apokryphen durchweg nach den Evangelien geschrieben wurden, ist deren Intention ja nicht, anderweitig Vergessenes für die Zukunft aufzubewahren, also Ergänzung von Authentischem, sondern dem Bedürfnis der Leserschaft Rechnung zu tragen, oder eigenen philosophischen Überlegungen höhere Weihen zu verleihen. Fürs erste stehen Kindhetsevangelien, fürs zweite der "Hirt des Hermas".
 
fingalo schrieb:
Man darf mal davon ausgehen, dass der Mensch Jesus "in allem uns gleich ausser der Sünde" war, wie Paulus schreibt. Das bedeutet, dass er keineswegs über übersinnliche Fähigkeiten auf Erden verfügte. Die Wunderberichte sind ein literarischer Topos um bestimmte Intentionen Jesu (und des Evangelien-Verfassers) den Zeitgenossen klar zu machen (gibt's auch für Hillel, Schammai und viele andere).

Das hat zur Konsequenz, dass er auch nicht in die Zukunft sehen konnte. Das zeigt übrigens auch seine eigene ernsthafte Naherwartung, dass seine Zeitgenossen noch den Weltuntergang erleben würden, was ja nicht eintrat. Wenn er also seinen Jüngern sagte, dass von Jerusalem kein Stein auf dem anderen bleiben würde, dann muss das auf jeden Fall nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben worden sein. Das steht aber in allen Evangelien. Damit ist Deine Zeittafel auf jeden Fall widerlegt. Damit ist allerdings noch keine Datierung gelungen.
Wer die Spätdatierung für "freischwebend in der Luft" hält, kann also nicht viel geforscht haben. Und wieso eine Spätdatierung den Glauben vor zersetzender Kritik schützen sollte, erschliesst sich mir nicht.

Bei sehr vielen Aussprüchen der Jünger, auch bei denen, in denen sie sich auf Jesus beziehen, muss man sicher beachten, dass immer wieder auf die hebräische Bibel zurückgegriffen wurde. So ist sehr vieles von Jesaja in die späteren Evangelien eingeflossen u. hat sich mit dem, was die Autoren der Bibel versuchten, allen verständlich zu machen, miteinander vermischt. Wenn man sich mit diesen älteren Texten beschäftigt, entsteht eher der Eindruck, dass durch die Autoren des NT ein Wiederbeleben, Erinnern und Stärken diesen alten Glaubens erreicht werden sollte, mit dem neuen und von der altjüdischen Vorstellung abweichenden Ziel, diesen Glauben der ganzen Welt zu vermitteln und ihn nicht mehr allein auf das Judentum zu beschränken.
Die Zerstörung Israels als das Volk Gottes in dem Sinne (Jerusalem), auch der Begriff Messias, immer wieder von den Jüngern gebraucht, stammt von den jüdischen Propheten. Auch Szenen aus dem Leben Jesus erscheinen wie nachgestellt, denn auch sie sind in den altjüdischen Schriften zu finden. Besonders zu den Passagen zum Auftreten des Messias.
Der Ausspruch Jesus, dass Jerusalem bis auf den letzten Stein zerstört werde, im Zusammenhang zu seinem Ausspruch gesehen, er könne das Haus seines Vaters (Tempel) zerstören und in drei Tagen wieder aufbauen, muss man vielleicht eher bildlich sehen, dass damit gesagt werden sollte, das "Gefäß des jüdischen Glaubens", was ja dann auch eintrat, denn aus den Lehren Jesus entstand das Christentum und verbreitete sich über die ganze Welt.
 
Zuletzt bearbeitet:
fingalo schrieb:
Was heisst "differenziert"? Liturgisch differenziert sie nicht. Die einen werden im Gottesdienst verwendet, die anderen nicht. Punkt.
bei der Ausstattung der Gotteshäuser nahm man es aber nicht immer so eng. Da ist doch oft der Hang zum Legendenhaften vorzufinden. oder täuscht mein zugegeben oberflächlicher Eindruck?
 
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