Zeitzeugenbefragung/Oral History

Ein gelungenes Beispiel, das die Vorgehensweise, wie Ursi es beschreibt, dokumentiert und in Ergebnissen darstellt, ist die Arbeit von Merridale.

Iwans Krieg: die Rote Armee 1939 bis ... - Google Bücher

In ihrer Vorgehensweise kommt sie m.E. sehr nahe an die methodischen Anforderungen an die Oral History, wie sie beispielsweise D. Wierling (Geschichte, in: Handbuch Qualitative Sozialforschung Hrsg: Flick, Kardorff, Keupp, v. Rosenstiel, Wolff, 1995, S. 50) formuliert.

Die Notwendigkeit einer korrekten Einschätzung des Erzählten durch zusätzliche Methoden bzw. Quellen. Unter dieser Voraussetzung einer textimmanenten Deutungsarbeit ist es möglicht, eine angemessene analytische Distanz zur subjektiven Wirklichkeit des Probanden zu erhalten.

Ein Problem, das wir im Rahmen der Bewertung von Speers-Erinnerungen ja auch bereits kritisch diskutiert haben.

Unabhängig von allen anderen Problemen der Objektivität, der Reliabilität und der Validität, die auf unterschiedliche Weise alle Methoden betreffen und das Beschreiten des einen "Königsweg" nach wie vor nicht zulassen.

Wie sagte Feyerabend doch so zutreffend: Rien ne va plus, alles ist möglich. Und dieses sollte sich auch in der Methodenvielfalt der einzelnen empirischen Forschungsansätze niederschlagen, um eine angemesse "Kreuzvalidierung", sofern erforderlich, vorzunehmen.

Paul Feyerabend ? Wikipedia
 
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In ihrer Vorgehensweise kommt sie m.E. sehr nahe an die methodischen Anforderungen an die Oral History, wie sie beispielsweise D. Wierling (Geschichte, in: Handbuch Qualitative Sozialforschung Hrsg: Flick, Kardorff, Keupp, v. Rosenstiel, Wolff, 1995, S. 50) formuliert.
Danke! Damit ist meine Frage beantwortet :yes:
 
Das ist generell ein kompliziertes Thema, wie z.B. der Tieffliegerbeschuss auf den Elbwiesen 1945. Aber solange noch Zeitzeugen existieren, sollte man sie anhören und ernst nehmen.


Ähnlich wie die polnischen Staatsbürger, aus ihrer Erinnerung heraus, im September 39 sehr emotional und nicht gerade eben gerecht das Verhalten ihrer nationalen Minderheiten im damaligen Ostpolen beim Einmarsch der Roten Armee bewertet haben. Ein bis heute sehr emotionales und kompliziertes Thema.
 
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Genau darauf liegt gerade mein verschäftes Interesse. Sprich: wie wird die Ergebnisoffenheit und Verwendbarkeit sichergestellt bzw. was wird unternommen um die klassischen Interviewer- und Beobachterfehler auszublenden? Kann ich mir das in Richtung Biografieforschung und biografisch-narrative Gesprächsführung bzw. narratives Interview vorstellen? (Ich nehm auch nen Literaturtipp, wenn das gerade zu sehr ausufern würde...)

Die Ergebnisoffenheit ist m.E. nie gegeben oder eine idealtypische Annahme. Wenn man Zeitzeugen befragt ist man immer, die Juristen würden das eventuell als Befangenheit bezeichnen, voreingenommen.

Ich habe dieses nur einmal gemacht, klar es gab in diesen Kurzinterviews Tipps zur weiteren Recherche, bei denen sich herausstellte, daß die Protagonisten gefaked wurden, aber diesen fake schlußendlich nicht wahr haben wollten, weil, er hätte ihre "Lebensgeschichte" zerstört. Das wäre sogar justizabel gewesen, anfechtbarer =>"Uni-Abschluß". Aber nach 30 Jahren und weit und breit kein Geschädigter.

Will sagen, Zeitzeugenschaft im Alltagsleben, Alltagskultur yep. Zeitzeugenschaft bei historisch zuordenbaren Ereignissen, ist wie die Einschätzung einer Autobiographie.

M.
 
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Die Ergebnisoffenheit ist m.E. nie gegeben oder eine idealtypische Annahme. Wenn man Zeitzeugen befragt ist man immer, die Juristen würden das eventuell als Befangenheit bezeichnen, voreingenommen.
So habe ich das nicht gemeint. Mir ist schon klar, dass es keine zu 100% objektiven Menschen gibt. Mir ging es mehr darum, dass aufgrund der Fragestellung nicht bereits das Ergebnis vorweggenommen wird, indem bewusst oder unbewusst die Antworten durch Suggestion etc. gelenkt werden. Gerade das passiert nämlich gerne, wenn man mit den entsprechenden Befragungsmethoden nicht vertraut ist, ohne dass es der Befragende wirklich will.
 
An dieser Stelle noch ein paar Literaturtipps:

Richtie, Donald A. (Hrg). The Oxford Handbook of Oral History. Oxford University Press. 2010

Charlton, Thomas et al. (Hrg.). Handbook of Oral History. Alta Press. 2006

Thompson, Paul. The Voice of the Past, Oral History. Oxford University Press. 2003

Robert Perks, Alistair Thomson (Hrg.). The Oral History Reader. Routledge. 2006

Assmann, Aleida. Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächnisses. Beck 1999

Dann noch ein paar Tipps wie die Endform von Oral History dann aussieht:

Ochs, Eva. "Heute kann ich das ja sagen". Lagererfahrungen von Insassen sowjetischer Speziallager in der SBZ/DDR. Köln 2006

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-118

Alexander von Plato. Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich. Böhlau. 2008
 
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Nachdem die Profis hier ausführlich die Techniken der "Oral History" beschrieben haben, was dem Laien einen Eindruck von der Ochsentour gegeben hat, auf die sich die Profis manchmal begeben müssen.

möchte ich mich als Hobbiest nochmal zu Wort melden.

Regionalgeschichtlich gibt es eine Zeit, über die es fast nichts gibt, außer eben "Oral History": die wilden Wochen 1945 kurz vor und nach der Besetzung durch die Alliierten.
Die "Erzähler" fast ausschließlich Frauen, männlich maximal Heranwachsende bis 14. (bezogen auf 1945, die sind heute 80)
Zu den wilden Stories (die oft äußerst interessant klingen) so gut wie nie Belege, weshalb die Profis gerne einen Bogen um die Zeit machen., wollen sich ja die Finger nicht verbrennen.

Aber für die "Heimatkundler" zumindest die in meinem Alter, eine Zeit die überaus interessiert.
Was macht man? Man hört sich die diversen Geschichten an,
"speichert" sie ab, vergleicht mit anderen Erzählungen,
kauft die ganze Regionalliteratur zusammen die man irgendwie erreichen kann
(meist winzig kleine Auflagen und Selbstverlag, man sollte nicht glauben welche Mengen Papier da zusammenkommen)
und manchmal hat man das Glück, dass man nach Jahrzehnten für das eine oder andere einen Nachweis findet.

Auch eine Ochsentour, aber spannender als jeder Krimi.
 
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Ja @Repo, es ist gut das du diese Geschichten sammelst. Von Marokkanern vergewaltigte Frauen und "Franzosenliebchen".

Da gib es noch viel tollere Stories.
Aber halt meist unbelegt.

Die tollste (belegte) im Sinne des Thread:
Ein Stadtarchivar hatte beschlossen sich dieser Zeit einmal anzunehmen.
Ursis Ausarbeitung und die der anderen Profis hier kannte er leider nicht:pfeif:
Jedenfalls hat ihm ein Zeitzeuge, 1945 9 Jahre alt, erzählt, wie die Franzosen 1945 den Ortsgruppenleiter erschossen hätten. In den Wiesen westlich der Stadt.
"Eigentlich ein anständiger Mann, der eine so schwere Bestrafung nicht verdient hatte"
Dieser Bericht wurde veröffentlicht.

Kein Wort wahr!
Es gab zwei Ortsgruppenleiter, (hätte ja eigentlich schon stutzig machen müssen) der eine, als Erschossener namentlich erwähnt, starb Ende der 50er in seinem Bett. Der andere hat tatsächlich die Internierung nicht überlebt, der war dem Zeitzeugen aber wohl überhaupt "entgangen".
"In den Wiesen westlich der Stadt" war aber in diesen Wochen ein Doppelmord geschehen, Streit um eine Wohnung, den der 9jährige Zeitzeuge wohl gänzlich falsch in Erinnerung behalten hatte.
 
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... Mir ging es mehr darum, dass aufgrund der Fragestellung nicht bereits das Ergebnis vorweggenommen wird, indem bewusst oder unbewusst die Antworten durch Suggestion etc. gelenkt werden. Gerade das passiert nämlich gerne, wenn man mit den entsprechenden Befragungsmethoden nicht vertraut ist, ohne dass es der Befragende wirklich will.

@Lili

Genau so ist es. Das wissen Psychologen viel besser als Historiker. Verdrängung, Exculpationsmechanismen, Deutungsverschiebungen, Überlagerungen z.B. durch Literatur, Filterung der Info durch "Hörensagen" etc. Hinzu kommt eine eventuelle Involvierung des "Zeitzeugen".

M.
 
Genau so ist es. Das wissen Psychologen viel besser als Historiker.
Ich hoffe doch, dass es Historiker die Zeitzeugeninterviews führen, zumindest was die Praxis betrifft, genauso gut wissen. Daher auch mein dezidiertes Nachfragen zur angewandten Befragungsmethodik. ;)

Verdrängung, Exculpationsmechanismen, Deutungsverschiebungen, Überlagerungen z.B. durch Literatur, Filterung der Info durch "Hörensagen" etc. Hinzu kommt eine eventuelle Involvierung des "Zeitzeugen".
Soziale Erwünschtheit, Gruppendruck, Erwartungserfüllungzwang, Angstmechanismen,... die Liste lässt sich noch endlos fortsetzen, aber ich vermute auch hierzu, dass das Berücksichtigung in der quellenkritischen Auswertung der Zeitzeugeninterviews findet.
 
Wie das so bei neuen Methoden ist, müssen sie erst einmal reflektiert werden, damit sie sich entwickeln. Natürlich ist die Zeitzeugenbefragung inzwischen keine ganz neue Methode mehr, sie ist eine junge Methode, die sich etabliert hat.
Vor einigen Jahren hat der Essener Sozialpsychologe Harald Welzer ein ganz interessantes Buch herausgegeben, in dem er Familienerinnerung untersuchte. An Schulen wurden Schüler gefragt, ob sie nicht bereit wären, ihre Familien zu Zeitzeugeninterviews zu animieren. Bei diesen sollte es um den Nationalsozialismus gehen. Interessanterweise waren die Eltern meist die Bremsen, während die Großeltern recht bereitwillig Auskunft zu geben bereit waren. Untersuchungsgegenstand sollte also sein, wie das Familiengedächtnis funktionierte und so wurden Einzel- und Familienbefragungen durchgeführt und auch die Kinder, die bei der Familiebefragung anwesend waren wurden danach in Einzelgesprächen zur Rolle ihrer Großeltern im NS befragt und dabei kam dann heraus, dass die Kinder dazu neigten, die Rolle ihrer Großeltern zu bagatellisieren bzw. ganz neu und im Widerspruch zu den Selbstaussagen der Großeltern zu deuten. Die Studie wurde dann auch unter dem Titel "Opa war kein Nazi." Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis herausgegeben.
Nebenbei - und deshalb führe ich dieses Buch an dieser Stelle an - ist Welzer und seinen Mitautorinnen Tschugnall und Moller aufgefallen, dass die studentischen Hilfskräfte, welche die Befragungen durchführten, recht schnell eine Beziehung zu den Zeitzeugen aufbauten und begannen, ihre Fragen so zu stellen, dass die Befragten Auswege aus Schuldbekenntnisse bekamen, zum Teil sogar so, dass die Interviewer die Interviewten geradezu - natürlich unterbewusst - zu überreden versuchten, doch eine Distanz zum Nationalsozialismus gehabt zu haben.
 
Für einen Laien wie mich, ist eure Historikerdiskussion zwar ein wenig theoretisch aber dennoch interessant und wichtig, um die eigene Erinnerung kritisch zu hinterfragen und einzuordnen.
Das Thema hat sich ja aus Tschernobyl ergeben. Für das Jahr 1986 ist wahrscheinlich fast jeder hier im GF irgendwie Zeitzeuge.
Meinen Zeitzeugenbericht habe ich letzte Woche spontan im entsprechenden "Salat"-Thread gepostet. Gestern habe ich meine Tochter (damals 6, wie Lili) befragt, an was sie sich erinnert und da kam das Spielplatzverbot und auch ein Gefühl der Angst, damit hatte ich gerechnet, das deckt sich mit meiner vermeintlichen Erinnerung, obwohl schon meine Tochter den Einschub machte, sie wüßte nicht genau, was davon sie später gelesen und erfahren hatte. Daraufhin habe ich unsere alten Fotoalben gesucht, die ich damals ausführlich kommentiert habe. Zu meiner großen Überraschung steht da kein Wort von Tschernobyl, aber jede Menge Schönwetteraktivitäten wie Waldspaziergänge und was man sonst so mit kleinen Kindern macht. Der Mai 86 ist im Album als besonders warm und schön dokumentiert. Ende Mai sind wir für 3 Wochen auf eine Nordseeinsel gefahren, woran ich mich gut erinnere, aber nicht, dass es kurz nach Tschernobyl war. Und ich weiß genau, dass wir die große Buddelkiste Strand ausgiebig genutzt haben. :still:

In einer Informationsgesellschaft wie heute vermischen sich beim gewöhnlichen Zeitzeugen ständig und unbewußt selbsterlebtes und fremdberichtetes und selbst bei den Bewertungen der Ereignisse läßt sich kaum eigenes Urteil vom allgemeinen Zeitgeist trennen.

Vor einigen Jahren hat der Essener Sozialpsychologe Harald Welzer ein ganz interessantes Buch herausgegeben, in dem er Familienerinnerung untersuchte. An Schulen wurden Schüler gefragt, ob sie nicht bereit wären, ihre Familien zu Zeitzeugeninterviews zu animieren. Bei diesen sollte es um den Nationalsozialismus gehen. Interessanterweise waren die Eltern meist die Bremsen, während die Großeltern recht bereitwillig Auskunft zu geben bereit waren. Untersuchungsgegenstand sollte also sein, wie das Familiengedächtnis funktionierte und so wurden Einzel- und Familienbefragungen durchgeführt und auch die Kinder, die bei der Familiebefragung anwesend waren wurden danach in Einzelgesprächen zur Rolle ihrer Großeltern im NS befragt und dabei kam dann heraus, dass die Kinder dazu neigten, die Rolle ihrer Großeltern zu bagatellisieren bzw. ganz neu und im Widerspruch zu den Selbstaussagen der Großeltern zu deuten. Die Studie wurde dann auch unter dem Titel "Opa war kein Nazi." Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis herausgegeben.
Nebenbei - und deshalb führe ich dieses Buch an dieser Stelle an - ist Welzer und seinen Mitautorinnen Tschugnall und Moller aufgefallen, dass die studentischen Hilfskräfte, welche die Befragungen durchführten, recht schnell eine Beziehung zu den Zeitzeugen aufbauten und begannen, ihre Fragen so zu stellen, dass die Befragten Auswege aus Schuldbekenntnisse bekamen, zum Teil sogar so, dass die Interviewer die Interviewten geradezu - natürlich unterbewusst - zu überreden versuchten, doch eine Distanz zum Nationalsozialismus gehabt zu haben.
Das ist mE ein ganz spannendes Thema, wie die Erinnerung der Zeitzeugen und die Bewertung ihres Verhaltens in Bezug auf die NS-Zeit sich durch Zeit und Generationenfolge geändert hat.
 
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In einer Informationsgesellschaft wie heute vermischen sich beim gewöhnlichen Zeitzeugen ständig und unbewußt selbsterlebtes und fremdberichtetes und selbst bei den Bewertungen der Ereignisse läßt sich kaum eigenes Urteil vom allgemeinen Zeitgeist trennen.

Ja, genau. Gesehenes/Gelesenes mischt sich stark in selbst tatsächliches Erlebtes.
 
Nebenbei - und deshalb führe ich dieses Buch an dieser Stelle an - ist Welzer und seinen Mitautorinnen Tschugnall und Moller aufgefallen, dass die studentischen Hilfskräfte, welche die Befragungen durchführten, recht schnell eine Beziehung zu den Zeitzeugen aufbauten und begannen, ihre Fragen so zu stellen, dass die Befragten Auswege aus Schuldbekenntnisse bekamen, zum Teil sogar so, dass die Interviewer die Interviewten geradezu - natürlich unterbewusst - zu überreden versuchten, doch eine Distanz zum Nationalsozialismus gehabt zu haben.

Das ist aber nichts, was wirklich überraschen kann.
Dass so eine Befragung wertlos ist, wenn es um die persönliche Rolle des Befragten geht, ist doch eigentlich klar.
Auch die Sympathie für die "Opa-Generation" ist nichts neues.

Nach meiner, natürlich völlig unmaßgeblichen Meinung, müssen solche Befragungen andere Zielsetzungen haben, und was da nebenbei in die genannte Richtung herauskommt, kann man getrost vernachlässigen.
 
Interessanterweise waren die Eltern meist die Bremsen, während die Großeltern recht bereitwillig Auskunft zu geben bereit waren.
Das finde ich nicht verwunderlich, die entsprechende Auskunftsbereitschaft ist ein Altersphänomen, genauso wie das Bedeckthalten insbesondere bei einer nicht so rühmlichen Familiengeschichte ein Phänomen des Erwachsenenalters ist.

Untersuchungsgegenstand sollte also sein, wie das Familiengedächtnis funktionierte und so wurden Einzel- und Familienbefragungen durchgeführt und auch die Kinder, die bei der Familiebefragung anwesend waren wurden danach in Einzelgesprächen zur Rolle ihrer Großeltern im NS befragt und dabei kam dann heraus, dass die Kinder dazu neigten, die Rolle ihrer Großeltern zu bagatellisieren bzw. ganz neu und im Widerspruch zu den Selbstaussagen der Großeltern zu deuten.
(Das ist ein Satz! :nono:) Zwei Gegenfragen dazu: wurde denn sicher gestellt, dass die Kinder die Geschichte der Großeltern in der gleichen Form kannten, wie die Befragenden? Wurden die Kinder auch befragt, welche Geschichten sie bereits aus Vorerzählungen kannten, wurden sie befragt, was die Großeltern in dem Zusammenhang genau erzählt haben und welches Bild sie dabei von sich und anderen vermittelt haben?

Nebenbei - und deshalb führe ich dieses Buch an dieser Stelle an - ist Welzer und seinen Mitautorinnen Tschugnall und Moller aufgefallen, dass die studentischen Hilfskräfte, welche die Befragungen durchführten, recht schnell eine Beziehung zu den Zeitzeugen aufbauten und begannen, ihre Fragen so zu stellen, dass die Befragten Auswege aus Schuldbekenntnisse bekamen, zum Teil sogar so, dass die Interviewer die Interviewten geradezu - natürlich unterbewusst - zu überreden versuchten, doch eine Distanz zum Nationalsozialismus gehabt zu haben.
Lass mich raten: die Hilfskräfte hatten nur ein (halb-)strukturiertes Interview in der Hand und waren neben ein paar wohlwollenden Hinweisen nicht weiter zur Gesprächsführung ausgebildet. Richtig? War das mit eine der Zeilsetzungen der Studie, oder war das nur ein Zufallsergebnis?
 
Das ist aber nichts, was wirklich überraschen kann.
Dass so eine Befragung wertlos ist, wenn es um die persönliche Rolle des Befragten geht, ist doch eigentlich klar.

Wieso wertlos? Ich habe das Buch nicht gelesen, wenn man jedoch die Umstände berücksichtigt, könnte man aus solchen Berichten viel über den jeweiligen Zeitgeist erfahren.
Nicht im Sinne eines historischen Faktenberichts über die Ereignisse, da hat der Historiker zum 3. Reich ohnehin eine große Quellenfülle zu verarbeiten, nehme ich an. Sondern mehr zu Motiven, Beweggründen und Bewertungen, auch als innerfamiliäre Aufarbeitung.


Auch die Sympathie für die "Opa-Generation" ist nichts neues.

Neu vielleicht nicht, in Bezug auf das 3. Reich so konkret jedoch hochspannend.
Und zur Einordnung dieser "Wissens"-Weitergabe von Großeltern an Enkel, gibt es Untersuchungen über andere Zeiten oder Weltgegenden abseits vom 3. Reich?
Kann man erfahren, wie ein Soldat am Rußlandfeldzug Napoleons seinen Nachkommen berichtet hat und welche persönlichen Wertungen er damit ins kollektive Gedächtnis einfließen ließ?

Nach meiner, natürlich völlig unmaßgeblichen Meinung, müssen solche Befragungen andere Zielsetzungen haben, und was da nebenbei in die genannte Richtung herauskommt, kann man getrost vernachlässigen.

Es geht nicht immer um die reine Lehre der historischen Wissenschaften.
 
Es geht nicht immer um die reine Lehre der historischen Wissenschaften.

Natürlich,
und für uns beide, als interessierte Amateure ja sowieso nicht.

Wieso wertlos? Ich habe das Buch nicht gelesen, wenn man jedoch die Umstände berücksichtigt, könnte man aus solchen Berichten viel über den jeweiligen Zeitgeist erfahren.
Nicht im Sinne eines historischen Faktenberichts über die Ereignisse, da hat der Historiker zum 3. Reich ohnehin eine große Quellenfülle zu verarbeiten, nehme ich an. Sondern mehr zu Motiven, Beweggründen und Bewertungen, auch als innerfamiliäre Aufarbeitung.

Das "wertlos" ist natürlich mehr "wissenschaftlich" gemeint.
Während unserer Jugend waren wir ja beide mehr oder weniger nur von Zeitzeugen der 12 Jahre umgeben.
Und, kannst Du Dich noch an die diversen Aussagen erinnern? Da war manches/vieles dabei was schlicht nicht sein konnte. Insbesondere das "nicht gewusst haben" hat mich manches mal richtig empört. Aber noch vor ein paar Jahren hat ein früherer Bundespräsident verkündet, dass er das Wort "Auschwitz" erstmals 1945 gehört hat. Vermutlich glaubt er es inzwischen selbst, aber ich habe große Zweifel.

Neu vielleicht nicht, in Bezug auf das 3. Reich so konkret jedoch hochspannend.

Zweifellos

Und zur Einordnung dieser "Wissens"-Weitergabe von Großeltern an Enkel, gibt es Untersuchungen über andere Zeiten oder Weltgegenden abseits vom 3. Reich?
Kann man erfahren, wie ein Soldat am Rußlandfeldzug Napoleons seinen Nachkommen berichtet hat und welche persönlichen Wertungen er damit ins kollektive Gedächtnis einfließen ließ?

Weiß ich nicht.
Es haben aber recht viele, bezogen auf die Zahl der Überlebenden, schriftliches hinterlassen.
 
Oral History ist sicherlich nur eine Quelle von mehreren und kann nur im Zusammenspiel und im stetigen Abgleich mit anderen Quellen nützlich und hilfreich sein.
Aber Oral History hat ,in breiter Streuung ausgewertet, gegenüber offiziellen Dokumenten,Urkunden,Berichten den Vorteil ein pluralistischeres Bild zu zeigen als die vorgenannten Quellen. Man hat halt nicht nur eine oder zwei offiziöse Sichtweisen eines Sachverhaltes sondern viele verschiedene und bei entsprechendem Abgleich und entsprechender Auswertung sehe ich das als Vorteil an.

Repo,was den Nationalsozialismus betrifft, war das natürlich durch das Kollektivschuldprinzip und den sich daraus ergebenden kollektiven Rechtfertigungszwang eine Sondersituation- wobei ich hier vermutlich das Glück hatte in einer Familie aufzuwachsen, in der vom ehemaligen SA-Mann überkonservative und bürgerlich-kirchliche Kreise bis zum kommunistisch geprägten Widerstandskämpfer alles vertreten war und ich somit auch die gesamte Bandbreite der Eindrücke mitbekam.

Ähnliches gilt für den ersten Weltkrieg, Auch hier hatte ich mehrere Zeitzeugen,darunter beide Großväter und deren Brüder zur Verfügung und hier ergab sich m.E. eine noch größere Diskrepanz zwischen den offiziellen Quellen (die das ganze Geschehen oft zu positiv beurteilten) und den oft weniger positiven, Erzählungen der Beteiligten

Und das gibt sim Vergleich zu den offiziellen und offiziösen Quellen schon ein etwas anderes, auch differenzierteres Bild.

Auch offizielle und offiziöse Quellen sind in der Regel nicht neutral sondernr verfolgen,m.E. sogar noch stärker als die oral history, eine wertende,oftmals sogar propagandistische Absicht.Man betrachte sich mal,als ganz frühe Beispiele Ramses Bericht über den Hethiterifeldzug, Caesars "bello gallico" oder das Geschreibsel von Tacitus. Da wird überall fabuliert,was das Zeug hält.
 
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