"Eine Demokratie ohne Demokraten"
Da aus einem anderen Thread auf dieses Thema verwiesen wurde, noch einmal ein paar kritische Anmerkungen zur obigen These.
1. Bei Alfirin findet sich der Versuch, dieses Zitat zu kontextualisieren. Es wäre zu fragen, wer diesen "Allsatz" als Hypothese formuliert hat. Und es wäre nach dem subjektiven Interesse der Quelle zu fragen, um den Grad der Verzerrung der Aussage in Bezug auf die realen Verhältnisse zu bestimmen.
2. Dass dieser obige "Allsatz" - im Sinne einer kritisch rationalistischen Erkenntnistheorie - schnell zu "falsifizieren" wäre durch ein einziges Gegenbeispiel, sei zusätzlich erwähnt.
Und somit kann er erkenntnistheoretisch und auch inhaltlich als nicht brauchbarer Versuch einer differenzierten Beschreibung ad Acta gelegt wer
3. Es ist für obige These, also das "Explanandum" bisher auch kein halbwegs brauchbares "Explanans" angeführt worden, um sie als zutreffende Beschreibung akzeptabel zu machen.
Zudem: Obige These soll ja - dann als Explanandum - auch in einem deterministischen Geschichtsverständis eine kausale Erklärung für das Scheitern der Weimarer Republik anbieten und übersieht, dass es die radikalen politischen Parteien von Rechts waren, die die links-liberalen Demokraten erst einmal politisch bekämpfen und neutralisieren mußten, bevor sie erfolgreich waren.
Erst wurden diese Demokraten bekämpft und dann als erstes in die KZ eingewiesen, obwohl es sie laut obiger These eigentlich gar nicht gegeben hatte.
4. Vor diesem Hintergrund gehört obige These in den Bereich der Mythen- und Legendenbildung und kann in dieser undifferenzierten Form kaum als eine - wenn auch verkürzte Formel - zur Beschreibung der Situation der politischen Kultur in der WR herangezogen werden.
Die isolierte Publikation derartiger Zitate, die aus dem Kontext gerissen worden sind, fördert die verzerrte Darstellung einer extrem komplexen historischen Situation, die für die Weimarer Republik kennzeichnend ist.
Und es wirkt für mich persönlich befremdend, wenn angesichts einer neu entflammten politisch motivierten Diskussion über "gute" und "schlechte" deutsche Traditionsbestände eine einseitige und negative Beurteilung - als Narrativ - der Weimarer Republik vorgenommen wird, wie bei Jarausch und Geyer problematisiert.
Die politische Kultur in der Weimarer Republik wies Defizite auf, die als Erbe aus dem Kaiserreich die Zivilgesellschaft der Weimarer Republik noch stark beeinträchtigt haben, aber es gab auch eine demokratische bzw. radikaldemokratische Tradition aus der Revolution von 1848, die ebenfalls im linksliberalen und im sozialdemokratischen Milieu in der Weimarer Republik vital war, so auch der Verweis bei Almond und Verba (S. 36-37)
Und die Ausführungen von Almond und Verba zu unterschiedlichen Formen von demokratischen bzw. undemokratischen Zivilgesellschaften sind dann auch der analytische Ausgangspunkt für eine methodisch angemessene Beurteilung obiger "steiler" These.
Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney (1965): The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. An Analytic Study. Boston: Little, Brown.
Jarausch, Konrad Hugo; Geyer, Michael (2003): Shattered past. Reconstructing German histories. Princeton, N.J.: Princeton University Press.