Zu gut für Kompost oder Tonne - Resteverwertung anno dazumal

auskochen ist mir gegenwärtig, bin damit aufgewachsen. Ich kenne es von Verwandschaftshöfen im Münsterland wie auch zuhaus in Münster.Gab keine Pommes bis in die 50er.Pferdefleisch nicht vergessen

Mein Vater erzählte, immer wenn es rheinischen Sauerbraten bei uns zuhause gab, dass in das Original-Rezept ein Gaul gehört. Das war aber nur der Aufhänger, die wirkliche Story mit Pointe war die Geschichte von einem Schulkameraden, der beim Sauerbraten immer die Portion seiner kleinen Schwester abstaubte, indem er ihr sehr blutrünstige Geschichten von edlen Trabern, die barbarischerweise ihre Laufbahn im Sauerbraten beendeten. Daraufhin haben ihm die Eltern verboten, seine Schwester mit so etwas zu belasten. Hat aber nicht viel genutzt, der Schulkamerad hat daraufhin beim Sauerbraten wie ein Gaul geprustet oder kurz mit dem Absatz aufgestampft, und das reichte, um der Schwester den Appetit zu verderben.

Meine Schwester und ich, wir waren aber in Punkto Tischgesprächen sehr abgehärtet. Unser Vater war Chirurg, und wir sind mit Tischgesprächen von Leberzirrhosen und Milzrissen aufgewachsen. Innereien aber gab es bei uns nur selten, und wenn, dann höchstens Leber.
Gut durchgebraten habe ich die aber eigentlich auch als Kind ganz gerne gegessen.

Die von Gans oder Ente galt als große Delikatesse bei uns. Meine Oma machte eine Füllung aus Semmeln, etwas durchwachsenem Speck, Rosinen und noch ein paar anderen Zutaten. Eigentlich gehörte die Gänseleber auch rein, aber wenn ich zu Ferien war, hat die nie den 1. Feiertag überstanden. Das war sozusagen das Stück des Erstgeborenen- und ich habe die Leber ganz alleine gefressen, gut durchgebraten mit Apfelringen, meine Cousins und meine Schwester haben mir das nie streitig gemacht. Ich musste nicht mal blutrünstige Geschichten erzählen.
 
Es ist keine Resteverwertung, aber mir fällt noch was zu anno dazumal ein:
damals, in der guten alten Zeit, als man noch Fahrkarten am Fahrkartenschalter statt Tickets in der App oder im Mobility-Center kaufte, damals in der guten alten Zeit, als die Züge noch D-Zug und Eilzug hießen und man ihre Fenster öffnen konnte, als die D-Züge noch pünktlich waren und der Slogan
alle Wetter, die Bahn
keine Satire war:
Damals konnte man auf jedem Bahnsteig als Zwischenmahlzeit folgendes erwerben: eine große heiße Bockwurst mit einem Klecks Senf auf einem rechteckigen Pappdeckel, dazu eine Scheibe Brot man kaufte sie aus einem Servierwagen, der einen Kessel heißes Wasser enthielt und vom Verkäufer auf dem Bahnsteig hin und her geschoben wurde (ich hatte auch erlebt, dass man die Bockwurst durchs geöffnete Zugfenster kaufen konnte) und der Aufenthalt des D-Zugs war lang genug, um auszusteigen und zum Bockwurstverkäufer zu gehen.

hier ist ein Bild zu finden von so einem Bockwurst-Wagen:

Entre nous: mir ist die Bockwurst anno dazumal lieber als der Fastfood-Fraß, der heutzutage in Bahnhöfen/Flughäfen/Fährhäfen erworben werden kann.
 
die Erinnerung ist süss.....und die Gegenwart wie beschrieben.Bockwurststand...in Münster auf dem Bahnsteig kleiner winziger Raum,Durchreiche, und das wars. Ich hatte auch nicht den Eindruck, daß ich mehr benötigte. Allerdings nicht wie heute eine Sauerländer Bockwurst, sondern eine Bockwurst undefinierter Genese,so long sausage of the youth:)
 
Zur Resteverwertung faellt mir noch das saarlaendische "Dibbelabbes" ein. Oma (bj 1933) hat an einem Tag Kartoffelpfannekuchen gemacht und am naechsten Tag, als die Mixtur schon richtig schoen gruen war, gab's Dibbelabbes mit Sahne. Es sah immer grauenhaft aus, vor allem mit schoener brauner Kruste obendrauf. Als mein Angetrauter (damals noch Freund) das zum ersten Mal vorgesetzt bekam wurde ihm beim Anblick ganz anders, aber er hat es tapfer gegessen und es hat ihm geschmeckt.

Meine Grosseltern, die ihres Zeichens Bauern waren, bis es sich nicht mehr gelohnt hat und sie das Land lieber verpachtet haben, hatten auch immer einen grossen Garten und Vieh, ebenso meine Eltern, und was habe ich das als Kind verflucht. Staendig musste irgendwas gemacht werden. Am meisten habe ich es verabscheut Kartoffeln von Hand haeufeln und ebenso ausgraben zu muessen. Bah! Staendig musste irgendwas umgegraben, gesaeht oder geerntet werden und da meine Grosseltern zuletzt mal in den spaeten 1950ern modernisiert hatten, ging vieles noch von Hand. Da musste ich dann helfen und auch alles lernen, denn laut ihnen musste ich das alles ja auch eines Tages koennen.

Wie gesagt hielt sich bei mir die Begeisterung in Grenzen, aber als Erwachsene finde ich es ganz gut zu wissen wieviel Arbeit darin steckt und verwerte Reste so gut ich kann, da ich ja als Kind jede Kartoffel vom bescheidenen Anfang bis zum unweigerlichen Ende als Dibbelabbes begleitete und mit meinem spaeteren Braten/Wurst allerzeit schon namentlich bekannt war.

An euch alle, die ihr in Bockwursterinnerungen schwelgt: Ich sage das liebevoll und mit schmunzeln - ihr habt keine Ahnung wie gut es euch auf deutschen Bahnhoefen heutzutage geht und jammert hier auf hohem Niveau. Frei nach der Devise, dass schlimmer immer geht, freue ich mich wenn es mich aus Schottland mal auf einen deutschen Bahnhof verschlaegt, wo ich fast das Manna der Goetter aka ein gescheites belegtes Brot kriege. Natuerlich moechte auch ich gerne eine Bockwurst mit scharfem Loewensenf und einer Scheibe Brot, aber ich freue mich ja schon wenn mein Brot nicht wie Kaugummi ist! Ihr wisst gar nicht wie gut ihr es habt! ;):)
 
Was kennt Ihr aus Eigenanschauung oder Wissen aus der Historie an (Reste-)Verwertungen die heutzutage weniger bis kaum noch eine Rolle spielen - so à la Spargelschäl auskochen?
Mir fällt aus Kindheitstagen noch ein:
- meine Mutter machte Kartoffelsuppe aus übrig gebliebenen Kartoffeln vom Vortag
- Sauerkraut, schlesisches Weisskraut und Bigos machte meine Mutter stets für 2-3 Tage, es schmeckte am zweiten/dritten Tag noch besser als am ersten
 
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