Ich beziehe mich auf folgende Sätze:
ElQ: "Das habe ich alles verstanden."
und
"Die Schilderung für die Emslandung AD 15 und für die Emslandung AD 16 sind völlig unterschiedlich."
Und genau hier habe ich Zweifel, besonders mit der ersten Aussage!
Die beiden Emslandungen 15 und 16 sind zwei völlig unterschiedliche Vorgänge. Die 16 ist in der Emsmündung, hier findet die katastrophale Überquerung der Ems statt, um dann weiter bis zur Weser zu ziehen.
Im Jahr 15 dagegen ist von einer Emsüberquerung nicht die Rede, stattdessen treffen sich drei Heeresteile (Germanicus, Pedo, Caecina).
Auch die Ziele sind völlig andere: 15 die Verwüstung des Gebietes zwischen Ems und Lippe, 16 die Säuberung des Ems-Weser-Gebietes ggf. mit Überquerung der Weser (die dann geschieht und zu den Schlachte von Idistaviso und am Angrivarierwall führt).
Kessler bezieht sich in dem von mir beschriebenen Teil nur auf das Jahr 16 und schreibt, dass hier für ein Geschehnis (Germanicus kommt an der Weser an) zwei Quellen vorlagen, die Tacitus irrtümlich doppelnd, beide in seinem Text verarbeitet hat und dadurch zwei Anlandungen/Überquerungen entstehen (Zuerst an der Ems - die es nach ihm nie gab in 16, dann an der Weser).
Was ist daran schwer zu verstehen?
Nichts ist daran schwer zu verstehen, ich habe das schon die ganze Zeit verstanden. Deshalb habe ich ja auch darauf hingewiesen, dass die Hypothese einer irrtümlichen Dopplung der Landung an der Ems nur bei einer sehr oberflächlichen Betrachtung Bestand haben kann, nicht aber, wenn man sich die Details anschaut.
Ich war letztes Jahr zwei Mal beruflich in den USA. Wenn jetzt mein Biograph berichtet, dass ich im Mai und im August in L.A. gelandet bin, ist das auch keine Dublette sondern eine Tatsache, denn das, was dann folgte, waren zwei ganz unterschiedliche Einsätze. Und genau so ist es mit Germanicus: Der ist zwei Mal mit der Flotte an der Ems gelandet. Was dann folgte, waren zwei ganz unterschiedliche Kriegszüge. Der eine führte in das Gebiet zwischen Ems und Lippe und der andere in das Gebiet zwischen Ems und Weser und darüber hinaus.
Germanicus kommt (in 16) an der mittleren Weser an, schifft in Ruhe und ungestört seine Leute und das Material linksseitig aus, sendet Stertinius gegen die Angrivarier, inzwischen trifft Arminius ein. Der muss auf Zeit spielen (hat noch nicht alle Truppen zusammen?), verhindert vorerst den Übergang der Legionen, nur die drei Reiterabteilungen werden bekämpft (dabei die Bataver fast vernichtet). Inzwischen sind fast alle Germanen am heiligen Hain angekommen, die Schlacht wird vorbereitet und die Weser freigegeben. Jetzt überquert Germanicus auf inzwischen errichtete Brücken den Fluss, kurze Zeit später geht die Schlacht los...
Das ist nicht das, was bei Tacitus steht. Dort steht, dass er am Fluss [Ems] landete,
dann verlustreich übersetzte,
dann an der Weser Arminius gegenüberstand,
dann die Weser überquerte.
Das ist alles kein Problem. Zum Problem wird es, wenn man aus der Ems die Weser macht. Dann hat Germanicus nämlich plötzlich nach Überquerung der Weser Arminius am gegenüberliegenden Ufer stehen. Dieses Problem löst du nun, indem du noch einmal in den Text eingreifst, nämlich indem du die Überquerung im Mündungsgebiet des Flusses einfach unterschlägst bzw. das ausdrücklich beschriebene Ertrinken von Einheiten der Bataver in der Ems bei explizit erwähntem Auflaufen der Flut (
nondum adcrescente unda) mit dem Scharmützel von Batavern gegen die Cherusker, bei dem Chariovalda im Kampf fällt, zu einem Ereignis verknüpfst. Abgesehen davon, dass - ich wies bereits darauf hin - von der
Mündung (ore!!!) der Ems die Rede ist und du daraus hier die
"mittlere Weser" machst. Wer zwingt dich zu all diesen Eingriffen?
Und nochmal, wenn ich, natürlich spekulativ, davon ausgehe, dass im ganzen Text ein Irrtum vorliegt, nämlich die Deutung von Amisia und Lupia als Flüssen und nicht als Orte, gleichzeitig vermute, dies sei durch einen Fehler eines Kopisten entstanden, der den ihm hier (ihm sind die Orte Amisia und Lupia unbekannt) unverständlichen Text so richtigstellt (aus seiner Sicht), dass er mit kleinen Änderungen (Zusatz von flumen und amnis) auskommt und das Werk auch für ihn verständlicher wird,
dann entstelle ich erstens nicht den Sinn des Geschehens! Das läuft genauso ab, wie beschrieben, nur etwas weiter östlich. Geografisch verändert sich etwas, sonst nichts!
Doch veränderst sehr viel. Tacitus' Text ist klar. Er bezieht sich auf Ems und Lippe und mindestens die Ems ist bei ihm per Schiff befahrbar (ad Amisiam würde ja noch funktionieren, aber mit der Flotte per Amisiam zu fahren, funktiniert dann eben nicht mehr). Du machst aber bei aller Klarheit und Logik, aus den Flüssen, die wir ja nicht nur aus Tacitus sondern auch aus anderen Quellen kennen, Orte, die nur Ptolemaios kennt und der wiederum kennt eben auch diese Flüsse, die - nur zur Erinnerung - heute noch dieselben Namen tragen. Um das irgendwie zu rechtfertigen, streichst du dann die wiederholten Bezeichungen als Fluss (
flumen,
amnis) bzw. die geographische Bezeichung der Flussmündung,
ora. Das alles, ohne das Tacitus dich dazu zwingt.
Zweitens kann ich dann das "Argumentieren" mit Zitaten aus dem Text, wo Tacitus "ausdrücklich" von Fluss schreibt, nicht ganz nachvollziehen. das lese ich selber ganz gut, nur ist genau das der von mir angenommene Fehler (auch wenn er dreimal hintereinander vorkommt)!
Wenn du das doch selber liest, dann verstehe ich nicht, wie du aus klaren Angaben "dem Fluss Ems", "zwischen den beiden Flüssen Ems und Lippe", beständig einen Ort Amisiam an der mittleren Weser machen möchtest.
Danke für die Zeichnung!
Das Problem besteht darin, dass, ausgehend vom Treffpunkt an der mittleren Ems (hier melde ich Zweifel an) das Kalkriesefeld sich viel näher befindet als von den äußersten Brukterern.
Nein, denn der Wunsch, das Schlachtfeld zu besuchen, kam ja zumindest der taciteischen Darstellung nach erst dann auf, als das Bruktererland verheert worden war. Da wir nicht in Germanicus Schädel schauen können, und schon gar nicht 2000 Jahre später, müssen wir uns auf Tacitus verlassen oder es bleiben lassen und Tacitus ganz verwerfen. Tacitus zufolge war Germanicus an der Ems gelandet, hatte sich dort mit Caecina getroffen und dann das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstet. Dann ließ er Caecina vorausmarschieren, Wege anzulegen, damit die Legionen das Schlachtfeld erreichen konnten. Unlogisch würde - auch nur unter der Bedingung, dass die Brukterer den Römern nicht in den Rücken fielen - das nur dann sein, wenn Germanicus vorab das Varusschlachtfeld hätte besuchen wollen. Dagegen sprechen aber in der taciteischen Version, welche die einzige Überlieferung dieses Sachverhaltes ist, das
igitur cupido Caesarem invadit und ggf. auch die von den Brukterern befreiten Gefangenen. Jedenfalls ist hier, bei der Begehung des Schlachtfeldes von den
cladis superstites [...] vincula elapsi die Rede. Dass diese gerade erst von den Brukterern befreit wurden, steht bei Tacitus freilich nicht explizit.
Die vielen lila Richtungspfeile sind nicht nötig! Da, laut zeitgenössischen Quellen die Schlacht bei den Cheruskern stattfand, genügt eine grobe Richtung Ost bis Nordost.
Wo steht denn, dass die Schlacht bei den Cheruskern stattfand?
Aber lieber El Quijote, solange die Ems als Treffpunkt in 15 nicht in Zweifel gezogen wird, ist Kalkriese nicht Pontes Longi (obwohl alle Funde und die Geografie dort darauf genauso gut oder besser passen, als zur Varusschlacht)!
Welche Funde passen den besser zu pontes longi als zur Varusschlacht?
Etwa der Münzhorizont mit den VARus-Gegenstempeln (vgl. den Münzhorizont von Germanicus Hauptlager Köln, der bereits 14 ein anderer ist)? Oder die Bestattungen von Toten, einige Jahre nach dem Schlachtgeschehen, wie es explizit für das Varusschlachtfeld beschrieben ist? Oder dass man keine Niello-Verzierungen gefunden hat, die doch eigentlich bei einer spätaugusteischen, frühtiberianischen Armee zu erwarten wäre?
Tacitus beschreibt ausdrücklich die Rückführung des Exercitus an die Ems und die dortige Trennung nebst Ermahnung an Caecina, sich zu beeilen. Wie kommt Caecina dann plötzlich in die Gegenrichtung? Wieso hat man in Kalkriese so viele Wertgegenstände verloren, wo doch der ausdrückliche Befehl ausgegeben worden war, nach der Erfahrung der Varusniederlage nur noch das notwendigste mit in Feindesland mitzunehmen und das Gepäck nach Unnötigem inspiziert wurde? Wieso finden sich bei Kalkriese Frauengegenstände, wo wir doch von Caecina dank einer überlieferten Senatsrede wissen, dass dieser absolut dagegen war, dass Frauen im Heereszug anwesend waren?
Nachtrag: Es ist nicht irrelevant, aus welchem Anlass Germanicus zum Varusfeld wollte, überhaupt nicht! Wenn dieser Entschluss bei ihm aufkam, weil er den Legionsadler sah, ist Deine Argumentation ok, dann war das vorher kein Thema und auch ein quasi Rückmarsch wäre vertretbar.
Wenn ihm dieser Entschluss aber überkam, weil er sich jetzt, bei den äußersten Brukterern (an der ungefähren Grenze zum Cheruskergebiet?) in der Nähe des Unglücksortes befand, dann mein Lieber, gibt es nur eine Richtung, in die er Caecina vorausgeschickt hat - Osten!
Da steht aber nichts von Osten. Tacitus gibt uns weder eine genaue Angabe, wo Germanicus sich befand, noch, in welcher Richtung von dort aus das Varusschlachtfeld zu suchen war.
Die Angrivarier lebten nicht östlich der Weser. Sie lebten auf beiden Seiten der Weser. Nur der Angrivarier-Wall soll nach gängiger Interpretation östlich der Weser liegen.
Das ist in der Argumentation von opteryx nicht weiter von Belang, östlich oder beiderseits. Wichtig ist das
a tergo. Hieraus ergibt sich bei Tacitus ein textimmanentes Problem, nämlich dass die Überquerung der Ems und ein Aufstand der Angrivarier im Rücken der Römer nicht passen können. Entweder ist die Angabe Ems falsch oder die Angabe Angrivarier. (Oder Tacitus hat hier einfach dramatisiert, indem er eine völlig unerhebliche Begebenheit durch das
a tergo zur ernstzunehmenden Gefahr aufgewertet hat.)
Statistisch gesehen, stehen drei explizite Erwähnungen der Ems, einer Erwähnung der Angrivarier in diesem Kontext gegenüber. Steht also 3:1 für die Ems und gegen die Angrivarier.
An der Ems lebten die Am(p)sivarier (das eingeschobene p ist phonetisch ein Gleitlaut, dier hier graphisch realisiert wird), die Emsleute.
Zwischen
Angrivariorum defectio und *
Ampsivariorum defectio besteht im Schriftbild ein nur minimaler Unterschied, hier kann leicht ein Fehler passieren.
Da aus den Schriftquellen nur das beiderseits der Weser zu erschließen ist, sich die andere Angabe auch im DDR-Handbuch findet, vermute ich, dass zu der Schlussfolgerung bezüglich der Hunte archäologische oder Siedlungsgeographische Gründe ausschlaggebend waren, wie sie dort sonst zusätzlich zu den schriftlichen Quellen angeführt werden. Allerdings habe ich nirgends eine Begründung gefunden. Daher ist auch eine bloße Vermutung, vielleicht sogar aufgrund der hier diskutierten Tacitusstellen, möglich.
Archäologisch ist man schon froh, dass man ein Einsickern elbgermanischer Sitten, Waren und Formen in den Gebieten westlich der Weser bis zum Rhein in der späten vorrömischen Eisenzeit nachweisen kann. Stämme lassen sich nicht unterscheiden.
In Wahrheit mag Germanicus gehofft haben, auch mit Arminius noch im Jahr 15 fertig zu werden. Das misslang wohl so gründlich, dass Tacitus über den weiteren Verlauf nichts verrät.
Naja, er fuhr zurück, versuchte es 16 erneut und wurde abberufen und bald darauf im Osten des Reiches ermordet.