Meine two cents…
Das Bild des Ritters mit langem, wallendem Haar ist m.E.n. nicht korrekt und ein Produkt der viktorianischen Romantik. Wahr ist, dass kurzes Haar bis weit in die Neuzeit hinein mit niederen Ständen assoziiert wurde. Was erhob aber langes Haar in den Augen der Menschen über das kurze? Es sind dies zwei Dinge.
Bevor ich mich ihnen nähere, ein Hinweis: Es bietet sich hier wohl eine Analogie zur stereotypisch hellen Haut des Adels an. Adelsportraits des Mittelalters zeigen oft Menschen mit unnatürlich heller Hautfarbe. Niemand, der sich auch nur dann und wann unter freiem Himmel bewegte, hätte eine solche Hautfarbe besitzen können, erst recht nicht vor der ersten Blüte der modernen Kosmetik im elisabethanischen England (wo man sich veritabel zu vergiften begann, um schön bleich auszusehen). Wie kommt die schneeweiße Haut also auf die Portraits? Die Antwort lautet: durch künstlerische Freiheit. Der Maler schmeichelte dem Auftraggeber, da helle Haut insofern als ein Zeichen hoher Abkunft galt, als sie beweisen sollte, dass man für seinen Lebensunterhalt nicht arbeiten musste; daher ist des Künstlers Zeugnis vom Aussehen seines Brotherrn wenig verlässlich.
Aufschlussreicher sind m.E.n. Illuminationen und Illustrationen auf Landkarten, die niemandem schmeicheln sollen, Epitaphe und Totenbüsten bzw. -masken, darin das Antlitz des Verstorbenen im Moment seines Todes festgehalten wird; sie enthüllen uns wohl zutreffender, was der Künstler seinerzeit tatsächlich sah. Und hierbei fällt auf, dass in bestimmten Bereichen Darstellungen von recht kurzhaarigen Männern überwiegen.
Langes Haar stand erstens für einen hohen Stand, weil Leibeigene und Hörige regelmäßig bei der Übernahme durch einen neuen Herren zur Bekämpfung von Läusen geschoren wurden. Adelige wurden natürlich auch von Ungeziefer befallen, aber das brauchte ja niemand zu wissen. Der langhaarige Mann schien also einerseits kein Knecht zu sein, zweitens kein Schmutzfink.
Zweitens kennzeichnete langes Haar einen Mann, der andere für sich kämpfen lassen konnte und also Macht besaß, denn: langes Haar ist für den Herrn Ritter verflixt unpraktisch. Bei Wind nimmt es die Sicht, man kann äußerst schmerzhaft daran gezogen und immobilisiert werden, es verschlechtert den Sitz des Helmes ganz erheblich. Dänen, soll heißen, Wikinger banden sich das Haar deswegen zu einer Art Dutt auf, den Sachsen und Franken aber lächerlich fanden und nicht nachahmten. Die Magyaren und andere Völker des Ostens erfanden hingegen den Schopf an größtenteils geschorenem Kopf, ebenfalls ein Kompromiss zwischen Schein und Notwendigkeit.
In Westeuropa biss man in den sauren Apfel, und schnitt sich regelmäßig das Haar. Daher haben die Totenbildnisse vieler Herren, die im Kampf fielen, auffallenderweise kurzes Haar. Und ebendeswegen wurden Haar- und Kleiderordnungen erlassen: Um einer noch größeren optischen Vermischung der Stände vorzubeugen. Denn ein Handwerksgeselle oder Kesselflicker mit langem Haar hätte kaum den Eindruck hinterlassen, edelfrei zu sein. Wenn hingegen jedenfalls in Sachen Haaren kaum ein kleinster gemeinsamer Nenner besteht…