M.E. hat Napoléon wie seine Vorgänger bestehendes weiterentwickelt.
Zu dieser These ein Widerspruch, weil es die reale Veränderung unterschätzt! Und in Anlehnung an Scorpio eine andere Sicht.
Geschwindigkeit und das Überraschungsmoment sind die wichtigsten Faktoren in der Kriegskunst.
Die entgegengesetzte These zu Brissotin wäre, durch Napoleon wurde eine militärische Revolution ausgelöst (vgl. die generelle Darstellung bei Paret).
Diese radikale Entwicklung steht in der Tradition eines Marlborough bei Blenheim und setzt sich fort in den Planungen eines Moltkes d.Ä. bei Königgrätz. Im Kern steht ein revolutionäres Verständnis von Raum und Zeit in der Planung einer militärischen Kampagne. Das revolutionäre an Napoleons Verständnis von Krieg (Fuller, S.48ff) hat Fuller in einer Reihe von zentralen Punkten zusammengefaßt: 1.die „bedingungslose“ Offensive bei den Operationen, 2. Radikale Mobility durch Organisation und Geschwindigkeit, 3. Das Herbeiführen der „Überraschung“, 4. Die Konzentration seiner Streitkräft am Gravitationspunkt einer Schlacht und 5. das System der „Absicherung“ seiner Armee durch Aufklärung und Abschirmung.
Ihre Bedeutung erhalten die einzelnen Punkte allerdings erst durch ein optimales Zusammenwirkungen in konkreten historischen Situationen.
Mit Howard ist jedoch auch gleich einzuschränken: „But as the war continued and the quality of the conscripts deeriorated, Naploleonic tactics became litte more than slogging matches. The troops raised after 1806 were taught neither to mach nor to manoeuvre, barely even to fire their weapons. …At Aspern-Essling in 1809 Napoleon threw his columns into battel against the Austrians with minimal preparation, and suffered as a result a well-deserved defeat. (Howard, Pos. 1075)
In diesem Sinne können Aussagen über die Übereinstimmung der Prinzipien mit der realen Kriegsführung der napoleonische Kriegsführung bis 1806 „zutreffender“ sein und Aussagen über seine spätere Kriegsführung aufgrund anderer geostrategischer Bedingungen weniger zutreffen. Und man kann Napoleon mit Napoleon widerlegen, was allerdings nicht seinen – revolutionären - Beitrag zur Entwicklung der militärischen Theorie entwertet.
… Marengo. Er wäre beinahe an der Niederlage schuld gewesen. …Bei Ulm war Mack ein alter Esel, … Austerlitz zeichnet sich ja durch viel Misskalkulation der Alliierten aus, ….. Preußen gelähmt - von vornherein von Österreich nicht zu gewinnen ....während Napoléon vor Wut schäumte, wenn angeblich seine Untergebenen verbockten, dass der Feind nicht komplett gebrochen wurde.
Kurze Rekapitulation: Das war das Ausgangsbild, das von Napoleon gekennzeichnet worden ist. Es stand dort kein einziger Satz, der die militärischen Leistungen von ihm gewürdigt hätten. Und daran entzündete sich mein Widerspruch. In einem späteren Beitrag, nach meinem Widerspruch, hat Brissotin dann angemerkt, dass manche der Feldzüge von N. bemerkenswert waren.
Und wie man an den dann folgenden guten und konstruktiven Beiträgen von Scorpio und Brissotin sehen kann, war der Widerspruch produktiv. Die differenzierte Bewertung ist in den dann folgenden Beiträgen von Scorpio oder auch von Brissotin deutlich besser und zeichnet ein angemesseneres Bild der napoleonischen Kriegsführung. Und ich frage mich, was wohl unser sehr geschätzter „excideuil“ dazu gesagt haben würde.
Für die Vorbereitung von Austerlitz ist zu erkennen, dass Napoleon eine Reihe von Maßnahmen ergreift, die bemerkenswert sind.
Mit Sunzi kann man zeigen, dass Napoleon in „meisterlicher“ Anwendung seiner Stratagems agiert hat: Eine wichtige Passage bei Sunzi fasst die zentralen Punkte zusammen, die die napoleonische militärische Revolution und speziell die Kampagne bei Austerlitz auszeichnen.
„
Jede Kriegführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, daß wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, daß wir nahe sind. Lege Köder aus, um den Feind zu verführen. Täusche Unordnung vor und zerschmettere ihn.
Wenn der Feind in allen Punkten sicher ist, dann sei auf ihn vorbereitet. Gib vor, schwach zu sein, damit er überheblich wird. Wenn er sich sammeln will, dann lasse ihm keine Ruhe.
Wenn seine Streitkräfte vereint sind, dann zersplittere sie. Greife ihn an, wo er unvorbereitet ist, tauche auf, wo du nicht erwartet wirst. …
Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an. Der General, der verliert, stellt vorher kaum Berechnungen an.“(Sunzi, S. 24)
Die Aussagen treffen auf napoleonische Kriegsführung im allgemeinen zu, wie noch anhand von Chandler zu zeigen wäre, und für Austerlitz, als Beispiel für das neue militärische Paradigma der Kriegsführung in der aufkommenden Zeit der National-Heeres.
Viele dieser bei Sunzi genannten Aspekte sind seit dem WW1, über den WW2 bis in die militärischen Planungen im Rahmen des Kalten Krieg berücksichtigt worden, wie Bailey ausführt, dennoch sind die taktischen Planungen für den Erfolg auf einem modernen „Battlefield“ nicht neu, sondern beziehen sich auf ihre historischen Vorbilder: „It was used by Alexander at Gaugamela in 331 BC, Marlborough in Blenheim in 1704, and Napoleon at Austerlitz in 1805.“ (Bailey, Pos. 1628)
Eine besonders kritische Sicht auf Napoleon hat Zoki55, indem er schreibt:
Auch frühere Siege von Napoleon sind eher der Dummheit der Gegner als seinem Geschick zu verdanken.
Das Urteil ist so nicht zutreffend, auch wenn seine Gegner Fehler gemacht haben, und geht am Verständnis der militärischen Planungen von Napoleon vorbei. Die Beurteilung einzelner Schlachten von Napoleon sollte einen Schritt vor den eigentlichen Feldzügen beginnen, da an diesem zeitlich vorgelagerten Punkt die Planungen für eine Schlacht bereits beginnen. So schreibt Clausewitz zutreffen: „
Das Kleine hängt stets vom Großen ab, das Unwichtige von dem Wichtigen, das Zufällige von dem Wesentlichen“. (S. 582). Unter dieser Sicht ist die Leistung von Napoleon auf dem Schlachtfeld bei Austerlitz, also im Kleinen, auch mit dem Urteil von Wellington über Napoleon als Staatsmann, also im Großen“ zu belegen: „
That country was constituted upon a military basis. All its institutions were framed for the purpose of forming and maintaining ist armies with a view to conquest.“(zitiert in Howard, Pos. 1052)
In dieser Darstellung wird deutlich, warum die napoleonische Kriegsführung als die Geburtsstunde des modernen „Totalen Krieges“ im Zeitalter des Nationalstaates verstanden werden kann. Folgt man Howard, dann gab es aus der Sicht von Napoleon ein hierarchisches System, indem die politischen Ziele die militärischen diktierten „and strategic planning was directed towards discerning the decisive point of the enemy position.“ (Howard, Pos. 1052)
In Bezug auf das Verständnis von komplexen militärischen Kampagnen stellt Howard Marlborough auf eine Stufe mit Napoleon und spricht ihnen die Fähigkeit zu, „to visualize a campaign“ as a whole instead of as a series of discrete sieges and battles.“ (Howard, Pos. 1052)
Diesen Aspekt konnte Napoleon durch sein Verständnis von Raum/Zeit, der Molilität und der Konzentration von Kräften von der strategischen Ebene auf die operative bzw. auch taktische Ebene herunterbrechen.
Sie erkannten die Falle nicht, glaubten Napoleon endlich da zu haben, wo man ihn haben wollte.
Und genau an diesem Punkt kann man die abstrakten Kriterien von Sunzi an einen „guten General“ auf die konkrete Situation bei Austerlitz herunterbrechen.
Sunzi sagt: „
Wer also das Geschick besitzt, den Feind in Atem zu halten, baut Täuschungen auf, die den Feind zum Handeln veranlassen.“ (Sunzi, S. 52)
Folgt man der Darstellung der Austerlitz-Kampagne bei Chandler (Pos 3420 ff) dann beschreibt er, wie die Absicherung des „Theaters“ sehr großräumig erfolgte. Zum einen um die Absichten zu verschleiern, die eigenen Informations- und Versorgungswege zu sichern und gleichzeitig die eigene Aufklärung sicher zu stellen. „Napoleon was Master of deception“ (Chandler, Pos. 3429) und dazu zählte die permanente Reorganisation und Verlagerung der Armee bzw. seiner geographischen Operationsausrichtung.
Zu diesem Zweck setzte er einen „moving curtain“ seiner Kavallerieeinheiten ein, die seinen eigenen Aufmarsch sicherten (vgl. Karte Chandler, Pos. 3456). Der anrückenden österreichisch-russischen Armee, von Olmütz kommend, war ein französischer Kavallerieschirm vorgelagert und deckte den Versammlungsraum bei Austerlitz. Dieser Schirm deckte den Anmarsch von Bernadotte von Iglau kommend, und deckte den Gewaltmarsch von Davout, aus Wien kommend.(Chandler, Pos. 3456).
Dieser Gewaltmarsch des III. Korps von Davout erfolgte über eine Distanz von 140 km in ca. 48 Stunden. Im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld von Austerlitz erfolgte dann eine deutliche Erhöhung der Geschwindigkeit des Konzentrationsprozesses. Mit der Konsequenz, dass die alliierte Führung von falschen Informationen ausgingen und eine deutliche numerische Überlegenheit bei Austerlitz annahmen.
So resümiert Chandler die Sicht bei Napoleon, dass „Geschwindigkeit“ „was the element that could transform danger into oportunity, defeat into victory.“ (Chandler, Pos.3470). Und genau diese Beherrschung von Zeit im Verhältnis zum Raum ermöglichte die optimale Versammlung seiner Streitkräfte in Austerlitz. So formulierte Napoleon: „…space we can recover, time never.“ Und fährt fort: „I may lose a battle, but I shall never loose a minute“. (Chandler, Pos. 3474).
Die hohe Mobilität in der operativen Ausrichtung – die „line of operations“ – war ein weiterer Aspekt, an dem man diese „revolutionäre Veränderung“ erkennen kann. Wichtig war dabei das Konzept der „battaillion carree“ Aufstellung, die die Position von Korps (!!!!) zueinander. (vgl. Grafiken bei Chandler, Pos. 3539) Eine sinnvolle grafische Darstellung findet sich hier: (leicht runterscrollen, gleich am Anfang)
Napoleon's Strategy and Tactics
Die neue Art der Organisation und die forcierte Mobilität der napoleonischen Armeen sind ein wichtiger Aspekt zur Entwicklung der Militärtheorie. So resümiert Chandler: „In this way Napoleon fused battle with maneuver, and thus made possible his greatest contribution to the art of war.“ (ebd. Pos. 3556)
Die Koalition wurde bereits durch vorgetäuschte Truppenstärken bei Brünn / Austerlitz zur Offensive verleitet. Diese Form der Täuschung wurde durch N. konsequent fortgesetzt:
- Am 29. 11. mußte Soult / IV Krops den Pratzen räumen
- Nahe bei Austerlitz stehende Trupenteile mußten kurzfristig sich Richtung Brünn zurück ziehen.
- Maßnahmen wurden ergriffen, vor dem 29.11, dem Tag an dem Prinz Dolgorouky – ein Günstling des Zaren – die – harten - Forderungen des Zaren im Lager von N. direkt – wohl sehr anmaßen - präsentierte
Und Gates formuliert als Ergebnis des Treffens: „…and this young man …returned full of the notion that the French army was on the eve of ist doom.“ (ebd. Pos. 913)
Der Ablauf der Schlacht entsprach der von N. antizipierten Entwicklung. Die Koalition hatte den Pratzen besetzt und wollte durch einen eigenen starken linken Flügel, den rechten Flügel von N. schlagen und die Armee von „hinten“ aufrollen. (vgl. Karte mit der Planung bei Duffy, S. 119).
Dass die von N. so antizipierte Entwicklung dann auch entsprechend eintrat, kommentierte N. dann wie folgt: „It is a shamful movement….They must think me a greenhorn.“ (Segur in Memoires, II, p. 464, zitiert in: Gates, Pos. 932)
Durch die Verstärkung des linken Flügel der Koalition wurde das Zentrum auf dem Pratzen geschwächt. Das ermöglichte N. den erfolgreichen Vormarsch auf das gegnerische Zentrum und das Zerschlagen der russischen Garde-Regimenter.
Dass es bereits nach 9.15, spätestens nach 11.00 morgens, mit dem Erscheinen von N auf dem Pratzen kein funktionsfähige zentrale Führung durch den Zar oder andere hohe Offiziere mehr gab, beschleunigte den Zusammenbruch des linken Flügel der Koalition.
Austerlitz ist sicherlich das „Meisterwerk“ des napoleonischen Verständnisses von Kriegsführung. Und macht deutlich, wie komplex bereits im Jahr 1805 die Kriegsführung war und wie nur das reibungslose und synergetische Ineinandergreifen von makro-politischen und ökonomischen Prozessen bis hin zu operativen bzw. auch taktischen Entscheidungen auf dem Schlachtfeld den finalen Erfolg hat sicher stellen können.
Dieser Glaube an das Planbare wurde dann im Rahmen der napoleonischen Hybris des Russland-Feldzuges an seine Grenze geführt und letztlich durch die Überforderung aller Ressourcen ad absurdum.
Bailey, Jonathan B.A. (2001): The First World War and the birth of modern warfare. In: MacGregor Knox und Williamson Murray (Hg.): The dynamics of military revolution, 1300-2050. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, S. 132–152.
Chandler, David G. (1995): The campaigns of Napoleon. New York, NY: Scribner (Volume I).
Clausewitz, Carl von; 1992): Vom Kriege. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Duffy, Christopher (1979): Die Schlacht bei Austerlitz. Napoleons größter Sieg. München: Heyne (Heyne-Geschichte, 30).
Esdaile, Charles J. (2001): The French Wars, 1792-1815. London, New York: Routledge
Esdaile, Charles J. (2007): Napoleon's wars. An international history, 1803-1815. Unter Mitarbeit von Simon Prebble. London: Penguin Books.
Fuller, J. F. C. (1992): The conduct of war, 1789-1961. A study of the impact of the French, industrial, and Russian revolutions on war and its conduct. New York: Da Capo Press.
Gates, David (2003): The Napoleonic wars 1803-1815. London: Pimlico
Howard, Michael (2009): War in European history. New York, NY: Oxford University Press.
Paret, Peter (1986): Napoleon and the Revolution in War. In: Peter Paret, Gordon A. Craig und Felix Gilbert (Hg.): Makers of modern strategy. From Machiavelli to the nuclear age. Princeton, N.J.: Princeton University Press, S. 123–142.
MacGregor Knox (2001): Mass Politics and nationalism as military revolution: The French Revolution and after. In: MacGregor Knox und Williamson Murray (Hg.): The dynamics of military revolution, 1300-2050. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, S. 57–73.
Sunzi (1988): Die Kunst des Krieges. Herausgegeben und mit einem Vorwort von James Clavell. München: Droemer Knaur.