Gronke und Timur
Na das ist natürlich eine Referenz! Frau Gronke handelt Timur auf 1½ Seiten ohne Quellenangaben ab, behauptet dabei, dass vor sämtlichen rebellischen Städten Schädelpyramiden der Einwohner aufgetürmt wurden.
Das ist wirklich tiefschürfend und ausgewogen.
Kürze und fehlende Quellenangaben sind hier aber nicht wissenschaftlicher Nachlässigkeit geschuldet, sondern dem Format der Veröffentlichung, die darauf abzielt, Laien einen gerafften Überblick über die iranische Geschichte zu vermitteln.
Zu den Schädelpyramiden fasst Gronke auch nur kurz Folgendes zusammen:
Alles in allem wurden Timurs Kampagnen, die bei seinen Zeitgenossen ebenso berüchtigt wie gefürchtet waren, mit ungezügelter Grausamkeit, ja Bestialität geführt. Als ihr Symbol dürfen die Schädelpyramiden gelten, die er vor den Toren rebellischer Städte aus den Köpfen der gefallenen Gegner und der männlichen wie weiblichen Einwohner aufschichten ließ. (Gronke, M. 2003. Geschichte Irans: Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck, S. 60.)
Mir ist nun schleierhaft, was man an der Darstellung nun aussetzten könnte. Das alles ist unspektakulär und
communis opinio. Und aus der Stelle herauslesen zu wollen, dass Gronke behaupte, »dass vor sämtlichen [sic!] rebellischen Städten Schädelpyramiden der Einwohner aufgetürmt wurden«, ist ausgesprochen suggestiv. Dazu kommt noch, dass Gronke es auch bei ihrer kurzen Darstellung nicht dabei belässt, Timur auf seine Brutalität zu reduzieren:
Die Bedeutung der Timuriden liegt daher kaum auf dem Gebiet des Militärs und der Staatskunst. Mehr als alles andere sind es die kulturellen und künstlerischen Leistungen, die den Ruhm Timurs und seiner Nachfolger begründeten. Neben Timurs Hauptstadt Samarkand, die er – hauptsächlich durch die von ihm aus den eroberten Gebieten verschleppten Handwerker und Künstler – nach persischen Vorbildern mit prachtvollen Bauten ausstattete, trat in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als zweites bedeutendes Kulturzentrum der Timuriden Herat. Die Herrscher und ihre Würdenträger waren bedeutende Mäzene von Literatur und Dichtung, Miniaturmalerei, Buchbindekunst und Kalligraphie. (Ebenda, S. 61f.)
Gronke sieht das wesentlichste Element in Timurs Herrschaft gar nicht in ausufernder Gewalt, sondern in der durch ihn geschaffenem Kultur. Grob verzehrend ist hier zunächst einmal allein Deine Wiedergabe Gronkes!
Nebenbei muss Dir eine andere, wissenschaftlichere Überblicksdarstellung Gronkes unbekannt sein: Gronke, M. 1998. Die mongolische Epoche (1250–1500). In:
Der islamische Orient: Grundzüge seiner Geschichte, A. Noth and J. Paul (Hrsg.), 255–332. Würzburg: Ergon.
Auch dort würdigt sie Timurs Kulturleistungen ebenso wie seine brutale Kriegsführung. Selbst wenn sie immer wieder einen Schwerpunkt auf seine Grausamkeiten legt, lässt sich nachvollziehen, inwiefern ihre Darstellung nicht ausgewogen sein sollte.
Endgültig unredlich halte ich die Art und Weise, wie Du Gronke attackierst:
Sie mag Expertin für Iranistik und Islam sein. Macht sie das auch zur Expertin für Usbeken, Kasachen, Mongolen und Turkvölker?
Was sagt das über ihr Wissen über Timur aus? Sie zitiert doch offensichtlich nur iranischen Quellen ohne weitere Untersuchung der Materie.
Wie gesagt, das von dir dazu zitierte Buch handelt Timur auf 1½ Seiten ab, was nicht für ein gründliches Befassen mit dem Thema spricht.
Gronke mag nicht nur Expertin für islamische und iranische Geschichte sein ‒ sie ist es auch. Das nimmt sie natürlich nicht von Kritik aus. Man darf aber wohl erwarten, dass diese argumentativ vorgetragen wird. Das fehlt bei Dir aber völlig. Du kennst offenkundig weder die Standardliteratur zum Thema, noch Gronkes eigenen Beschäftigungsschwerpunkt; sonst würdest Du Dich doch nicht auf diese eineinhalb Seiten versteifen. Worin besteht denn Deine Kritik? Warum muss man bei diesem Thema »Expertin für Usbeken, Kasachen, Mongolen und Turkvölker« sein? Welche usbekischen, kasachischen und mongolischen Quellen, die Gronke unbeachtet gelassen hat, existieren es denn? Vielleicht überhaupt keine? Der ganze Vorwurf ist doch nicht mehr als heiße Luft. Eher kommt man zu dem Eindruck, dass übermäßige Polemik und fehlendes Differenzierungsvermögen weniger Gronke als vielmehr Dich auszeichnet.
Noch etwas Methodisches:
Wenn man sich dann noch anschaut, dass in den Berichten immer die gleichen Topoi auftauchen - so sind zum Beispiel die "Schädelberge" in Isfahan schon genauso von der mongolischen Eroberung Bagdads überliefert - so werden die Zweifel nicht kleiner.
Was Du hier vorstellst ist methodisch untauglich. Selbst wenn die Assoziation der Mongolen mit Schädelpyramiden ein Topos wäre, macht das Quellen nicht grundsätzlich unbrauchbar, sondern mindert zunächst nur ihren narrativen Wert. Schon gar nicht darf man einfach bei der Behauptung stehen bleiben, dass hier eben nur ein Topos vorlege.
Wichtiger ist es aber sich zu fragen, was überhaupt ein Topos ist und woran man ihn erkennen kann und welche Tendenzen sich aus ihm ableiten lassen. Topoi sind zunächst stereotype Erzählmotive, die mitunter aus komplexen Handlungen bestehen. Vor allem Letzteres ist problematisch, da das nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist.
Formal lassen sich Topoi nur durch skrupulöse Textvergleiche identifizieren: indem man gemeinsame Motive und Handlungsbögen isoliert und herausarbeitet.
Dabei bestehen Topoi nicht singulär, sondern sind Teil einer gemeinsam geteilten Kultur, eines gemeinsamen Redaktionsprozesses o.ä. Das bedeutet auch, dass sich eine ganze Reihe mehr gemeinsame Topoi finden lassen sollten. Aus der Gesamtheit der Topoi mögen sich dann tatsächlich Tendenzen ableiten lassen. All das bist Du aber schuldig geblieben. Du hast keine persischen, arabischen oder syrischen Quellen verglichen. Um das einmal festzuhalten: Die Identifizierung von Topoi steht am Ende von Quellenkritik, nicht an deren Anfang!
Wenn heterogene Quellen unabhängig von Schädelbergen berichten, dann ist es am nächstliegendem eben nicht davon auszugehen, dass es sich dabei (nur?) um einen Topos handelt, sondern (auch?) um ein Faktum. Zumal solche Methoden der psychologischen Kriegsführung auch aus anderen Teilen der Welt und anderen Zeiten bekannt ist.