1939 - Der Krieg der viele Väter hatte

sondern "nur" eine Wahrnehmung der "Optionen" für Kürze und Reichweite des Polenfeldzuges, die ein Eingreifen der Westalliierten verhindern sollte.
Es ist mir allerdings nicht so recht nachvollziehbar, wieso die Tatsache, dass der Polenfeldzug statt 6 Wochen, dann vielleicht nur 5 dauert, auf das Eingreifen der Westmächte einen Einfluß haben sollte.

Hast Du einen Literaturhinweis für den rüstungswirtschaftlichen Vasallenstaat Anfang 1939 und die Veränderungen ab April 1939?
Nein.

Die Besetzung Polen hätte nach meiner Meinung auch ohne die Rest-Tschechei, also in jedem Fall zum Krieg geführt, weil in der europäischen Machtverteilung nicht hinnehmbar. Der Besetzung der Rest-Tschechei den Charakter einer conditio sine qua non für die Beendigung des zarten französischen und des länger dauernden britischen Appeasements einzuräumen, übertreibt dessen Bedeutung. Es war eher ein Vorgang, der letzte Unklarheiten für die Westmächte beseitigt hat.
Da gehen unsere Einschätzungen ziemlich auseinander. Für mich stellt sich die Frage, warum Frankreich und GB dem Deutschen Reich das Sudentenland überhaupt zugespielt haben. Das macht ja nur Sinn, wenn sie davon ausgingen, dass sie um einen Krieg herumkommen würden, also dass Hitler sich mit den deutschsprachigen Gebieten zufriedengeben würde. Das Hitler die Situation Danzig und Korridor niemals hinnehmen würde, sollte auch klar gewesen sein. Also muß der Plan GBs und Frankreichs gewesen sein, ihm die "deutschpolnischen" Gebiete auch noch zuzuschustern, was durchaus dazu hätte führen können, dass die wutentbrannten Polen die Seite wechseln.
Hitler hat auch lautstark verkündet "er wolle gar keine Tschechen", es ginge ihm nur um die Deutschen. Er hat also wohl gewußt, worauf die Westmächte hoffen.

Dass die Tschechei (aus Hitlers Sicht) annektiert werden musste, ist ja klar. Falsch war lediglich der Zeitpunkt. Nachdem die Karte der Deutsch-Tschechen gespielt wurde, um die Tschechoslowakei auszuschalten, hätte erst die Karte der Deutsch-Polen gespielt werden müssen, um Polen auszuschalten, bevor die Resttschechei annektiert werden kann.
 
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Also können wir das streichen.

Da gehen unsere Einschätzungen ziemlich auseinander. Für mich stellt sich die Frage, warum Frankreich und GB dem Deutschen Reich das Sudentenland überhaupt zugespielt haben.
Eben ging es um die Besetzung der Rest-Tschechei, jetzt um München 1938?


Das macht ja nur Sinn, wenn sie davon ausgingen, dass sie um einen Krieg herumkommen würden, also dass Hitler sich mit diesen deutschsprachigen Gebieten zufriedengeben würde.
Genau. Keine weitere territoriale Forderung. Ein weiterer kleiner Hinweis: das französische Mini-Appeasement und das Vertragsangebot vom Dez. 1938.

Das Hitler die Situation Danzig und Korridor niemals hinnehmen würde, sollte auch klar gewesen sein.
Der Ablauf war jedenfalls ein anderer. Bis 1934-38 hatte Hitler mehrfach Bestandsgarantien für Polen abgegeben, zudem bestand der Nichtangriffspakt. Die Forderungen an Polen wurden nach München - erstmals seit 1933 - erhoben. Auch hier gab es sogar bis zum März 1939 noch eine den Polen kommunizierte Alternative: Vasallenstatus bei der Gebietsverteilung im Osten, zB Richtung Ukraine. Die wurde abgelehnt.

Also muß der Plan GBs und Frankreichs gewesen sein, ihm die "deutschpolnischen" Gebiete auch noch zuzuschustern, was durchaus dazu hätte führen können, dass die wutentbrannten Polen die Seite wechseln.
Welcher Zeitpunkt soll für die Westmächte angesprochen sein? August 1939 gab es derartige Angebote, die man so interpretieren könnte, für den Fall der Verhandlung. Dass die Polen die Seite wechseln könnten, ist reine Spekulation. Hast Du dafür einen kleinen Hinweis - der März 1939 ist jedenfalls in der Bestandsgarantie konträr verlaufen?

...hätte erst die Karte der Deutsch-Polen gespielt werden müssen, um Polen auszuschalten, bevor die Resttschechei annektiert werden kann.
Da sind wir dann in der reinen Spekulation; zudem ist mE die Prämisse falsch, siehe vorstehend.

Abgesehen davon wäre die "Ausschaltung" Polens in Bezug auf die deutsche (Rest-)Minderheit nicht mit der Auswirkung der Sudetenregelung vergleichbar. Vielleicht schwebt Dir da noch die Ausgangslage 1919 vor, die deutsche Minderheit reduzierte sich bis 1939 auf rund ein Drittel. Da jede Karte im Sommer-Fieber 1939 untersucht und gespielt wurde: wann wurde seitens Hitler/Ribbentrop auf die Abtretung der Minderheitsgebiete hingewiesen?
 
Keine weitere territoriale Forderung.
Nicht gegen die Tschechei, deren "deutschen" Gebiete er damit eingesackt hatte.

Auch hier gab es sogar bis zum März 1939 noch eine den Polen kommunizierte Alternative: Vasallenstatus bei der Gebietsverteilung im Osten, zB Richtung Ukraine. Die wurde abgelehnt.
Ich meinte, das Hitler die Situation Danzig und Korridor niemals hinnehmen würde für den Fall, dass Polen mit Frankreich verbündet bleibt. Im Falle eines polnischen Seitenwechsels dann schon. Aber Frankreich und GB hatte wohl nicht die Absicht, Polen in die Arme Hitlers zu treiben. Sie wollten vielmehr einen Krieg vermeiden und Polen als Verbündeten behalten. Also entweder Polen dazu nötigen, die deutschsprachigen Gebiete gutwillig herauszugeben, oder Hitler durch Härte zwingen, sie bei Polen zu belassen. Und da sie im Falle der Tschechoslowakei schon geschwächelt hatten, lag der Verdacht nahe, dass sie im Falle Polens die gleiche Methode versuchen würden.
Dass die Polen die Seite wechseln könnten, ist reine Spekulation.
Klar, aber genau darauf hat Hitler doch spekuliert. Und ein Seitenwechsel wäre für Polen nur dann attraktiv gewesen, wenn sie hätten befürchten müssen, dass ihre Alliierten sie nötigen, die "deutschen" Gebiete herauszugeben. Und nach München war das zumindest nicht unwahrscheinlich.

Abgesehen davon wäre die "Ausschaltung" Polens in Bezug auf die deutsche (Rest-)Minderheit nicht mit der Auswirkung der Sudetenregelung vergleichbar.
Das natürlich nicht, aber sie hätte den Zusammenhalt der Westmächte mit Polen empfindlich geschwächt.

Da jede Karte im Sommer-Fieber 1939 untersucht und gespielt wurde: wann wurde seitens Hitler/Ribbentrop auf die Abtretung der Minderheitsgebiete hingewiesen?
Gar nicht. Darum gehts ja. Nach der Annexion der Resttschechei und der britischen Garantie für Polen war der Versuch, GB und Frankreich als Vermittler zur Aneignung der deutschpolnischen Gebiete zu benutzen, nicht mehr erfolgversprechend. Da verorte ich ja den strategischen Fehler.
 
silesia schrieb:
Zu den rüstungswirtschaftlichen Auswirkungen der Besetzung, die man mE garnicht hoch genug einschätzen kann, eine Betrachtung zur Panzerwaffe. Die unmittelbaren Auswirkungen:

1. waren für den Polenfeldzug noch relativ überschaubar. Bereits am 28.3.1939 wurde der Befehl zur Aufstellung der 10. Panzerdivision (Prag) gegeben (Anstieg von 5 auf 6). Zusätzlich rüsteten die tschechischen Panzer die 1. und 3. leichte Division bzgl. der Ausstattung auf.

2. Im Frankreichfeldzug bestanden bereits 3 (!) der 10 Divisionen mit Panzerregiment (1.-10. PD), nämlich 6. PD (PR 11), 7. PD ((PR 25), 8. PD (PR 10) aus tschechischen Panzern.

3. Im Rußlandfeldzug bestanden von den nun 17 eingesetzten Panzerdivisionen am 22.6.1941 erneut 30% aus tschechischen Panzern: 6. PD (PR 11, 155 Pz35t), 8. PD (PR 10, 118 Pz38t), 12. PD (PR 29, 109 Pz38t), 19. PD (PR 27, 110 Pz38t), 20. PD (PR 21, 121 Pz38t). Die Betrachtung in Zahlen für den 1.6.41 ergibt ebenfalls 30% ab den 1941 zählbaren PzIII aufwärts: 944 tschechische Panzer 35t und 38t, 1957 Pz. III+IV.

30% der deutschen Panzerwaffe in den "Blitzkriegen" waren somit tschechische Rüstungssubstanz. Das kann man für die Artillerie und die Luftwaffe noch ergänzend betrachten. Zahlen nach Jentz, Die deutsche Panzertruppe, Band 1, S. 48-105, 142ff., 186 ff.

Ich kann dir nur zustimmen!

Durch den Einmarsch deutscher Truppen in die "Rest-Tschchoslowakei verbesserte in sich die materielle Lage der Wehrmacht erheblich. Allein durch die Übernahme des Geräts und Materials der tschechoslowakischen Armee resultierte ein beachtlicher Kräftezuwachs.

So fiel, nach deutschen Angaben, folgendes Material in die Hände der Wehrmacht:

Flugzeuge: 1.582
Flakgeschütze: 501
Panzer: 469
Gewehre: 1.090.000
Pistolen: 114.000
Infanteriemunition: über 1 Milliarde (1)

Des Weiteren sind diverse technsiche Zeichnungen und Patente in deutsche Hände gelangt. Die Tschechoslowakische Nationalbank überwies 1939 an die Reichsbank 809.984 Unzen Gold.

Auch nicht ganz uninteressant waren die Metalle, die im Sinne deutschen Wehrwirtschaft verwendet wurden:

Kupfer: 18.500 t
Nickel: 1.000 t
Blei: 3.500 t
Aluminium: 1.500 t
Zink: 8.500 t
Zinn: 320 t (2)

Auch die Erzvorräte der Hüttenwerke waren nicht unbeträchtlich.


(1) DRZW, S.332, Stuttgart 1979

(2) DRZW, S.333, Stuttgart 1979
 
Neben der Quantitæt ist ja nun auch die Qualitæt entscheidend. Was kann man denn in dieser Hinsicht zu den tschechischen Panzern, Flugzeugen etc. sagen?
Schlechter oder besser als die deutschen "Gerætschaften"?

Gruss, muheijo
 
Von den tschechischen Panzer weiß ich, das diese an den Angriffsoperationen in Polen, Frankreich und in der Sowjetunion beteiligt waren. Ich bin aber kein Experte für Panzer oder Flugzeuge und kann daher zu der Qualität des Geräts der tschechoslowakischen Armee keine fundierten Auskünfte geben.

@silesia kann hier bestimmt weiterhelfen.:)
 
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Was kann man denn in dieser Hinsicht zu den tschechischen Panzern, Flugzeugen etc. sagen?

Die tschechischen 35t und 38t waren den deutschen Panzer I+II überlegen, kalibermäßig zunächst gleich mit dem frühen Panzer III (3,7cm). Die Fahrgestelle wurden im Verlauf des Krieges u.a. zur Montage von Panzerabwehrkanonen genutzt. Allerdings ist das nicht entscheidend, wichtig ist vielmehr, dass sie 1939-1941 einen wesentlichen Teil der Panzerwaffe für den Bewegungskrieg darstellten.

Die tschechischen Geschütze von Skoda besaßen einen sehr guten Ruf. Neben der Panzer- und Geschützfertigung war die Munitionsfertigung von besonderer Bedeutung.
 
Nicht gegen die Tschechei, deren "deutschen" Gebiete er damit eingesackt hatte.
Die Eingrenzung ist mir in Zusammenhang mit dem Münchener Abkommen völlig neu. :fs:

Aus welcher Quelle soll diese Eingrenzung der deutschen Seite (Hitlers) hervorgehen?

Ich meinte, das Hitler die Situation Danzig und Korridor niemals hinnehmen würde für den Fall, dass Polen mit Frankreich verbündet bleibt.
Die Konditionierung ist mir ebenfalls neu. Wodurch soll das belegt sein?

Von Ambitionen bzgl. Polen war bis Ende 1938 keine Rede in Hitlers außenpolitischer Programmatik (oder soll das eine Anspielung auf den Göring-Besuch in Warschau sein?). Das Gegenteil ist außenpolitisch dokumentiert seit dem Nichtangriffspakt 1934, bis hin zur Aufforderung an Polen und Ungarn aus dem Frühjahr 1938, sich bzgl. der Tschecheslowakei zu "bedienen".

Klar, aber genau darauf hat Hitler doch spekuliert.
Aus einem kurzen Tastversuch eine weiterreichende Spekulation zu konstruieren, überdehnt wohl die Deutung der Tastversuche und unterschätzt die militärische Option. Abgesehen davon stehen dem die Lageberichte aus Polen (Botschaft Warschau) diametral entgegen. Die militärische Lösung war vielmehr die Option, wie die Aufrüstung für die sicher erwarteten Auseinandersetzungen zeigt.

Im übrigen war im August 1939 ein Eingehen auf die neuen territorialen Forderungen aufgrund des britischen Angebots greifbar, von Göring bis zum AA nahegelegt. Allein das zeigt, dass es nicht um Korridor oder um Danzig ging.
 
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@silesia

Du meinst also, GB und Frankreich gingen davon aus, Hitler würde sich trotz der Tatsache, dass Polen ihr Verbündeter blieb, mit dem polnischen Grenzverlauf abfinden und es nicht wagen einen Krieg gegen Polen zu beginnen, oder andersherum, die Polen würden die fraglichen Gebiete gutwillig herausgeben und trotzdem Verbündeter der Westmächte bleiben.
Wogegen Hitler annahm, die Westmächte würden bei einem Angriff Deutschlands auf Polen aus Furcht sowieso passiv bleiben und er habe es daher nicht nötig, die "Deutsche Karte" zu spielen, also zu versuchen durch Ausspielen der deutschen Minderheit in Polen, das Bündnis Polens zu GB und Frankreich zu schwächen.
Illusionismus hier gegen Größenwahn dort.
 
@silesia
Du meinst also, GB und Frankreich gingen davon aus, Hitler würde sich trotz der Tatsache, dass Polen ihr Verbündeter blieb, mit dem polnischen Grenzverlauf abfinden und es nicht wagen einen Krieg gegen Polen zu beginnen, oder andersherum, die Polen würden die fraglichen Gebiete gutwillig herausgeben und trotzdem Verbündeter der Westmächte bleiben.

In der Folge richtig, aber nicht "trotz", sondern "wegen".

Das "Wagnis" der Krieges haben nicht einmal die Italiener bis zum 11.8.1939 für wahrscheinlich gehalten.

Die Bekräftigung der Garantie durch GB (und F) am 25.8.1939 hat jedenfalls ein nochmaliges Absagen des Angriffs bewirkt.

Ob die Polen bestimmte -begrenzte Gebiete nach Hitlers eigenen Eingrenzungen - herausgegeben hätten, wäre eine Frage des Bündnisdrucks gewesen. Das ist wohl kaum an der Reaktion von 10 Tagen zu messen.
 
Dann verstehe ich das Verhalten der Westmächte gegenüber der Tschechoslowakei nicht. Wenn sie der Meinung waren, Hitler von einem Krieg abschrecken zu können, warum haben sie ihm dann das Sudetenland quasi ausgehändigt? Vor "München" war Hitlers militärische Lage doch schlechter als danach, die Abschreckung also stärker.

Ich habe die Appeasementpolitik so verstanden, dass GB und Frankreich der Meinung waren, Hitler nicht von einem Krieg abschrecken zu können, es sei denn sie gaben ihm das was er wollte, was wie sie meinten, die deutsch besiedelten Gebiete waren.

Die Frage bei der britischen Garantie ist, warum GB Polens Grenze garantierte, die der Tschechoslowakei aber nicht. Es war ja sogar derselbe Politiker, der die Tschechen fallen ließ, aber Polen garantierte.
 
Dann verstehe ich das Verhalten der Westmächte gegenüber der Tschechoslowakei nicht. Wenn sie der Meinung waren, Hitler von einem Krieg abschrecken zu können, warum haben sie ihm dann das Sudetenland quasi ausgehändigt?

... weil sie als demokratisch verfasste Staaten mit partiell naziwohlwollenden Kräften größte Langmut zeigten!

Teile der Öffentlichkeit in Großbritannien und anderen westeuropäischen Staaten waren durchaus der Meinung, dass man Deutschland mit den Bestimmungen von Versailles Unrecht getan habe und Deutschland daher wegen der Angliederung deutschsprachiger Gebiete kaum zu kritisieren sei. So z.B. im Falle des Einmarschs in Österreich oder der Annexion des mehrheitlich deutsch besiedelten Sudetenlandes 1938.

Daher bildete der Einmarsch in die so genannte "Resttschechei" am 15. März 1939 einen Wendepunkt in der deutschen Außenpolitik, da erstmals Land annektiert wurde, das eine nicht-deutsche Bevölkerung bewohnte. Damit wurde offenbar, dass das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, mit dem Hitler territoriale Veränderungen begründete, nur der Verschleierung seiner wahren Absichten diente.

Insofern bildete die Annexion der Tschechei auch für die Westmächte einen entscheidenden Wendepunkt, sodass der Angriff auf Polen das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
 
Ich habe die Appeasementpolitik so verstanden, dass GB und Frankreich der Meinung waren, Hitler nicht von einem Krieg abschrecken zu können, es sei denn sie gaben ihm das was er wollte, was wie sie meinten, die deutsch besiedelten Gebiete waren.

Das wäre eine sehr merkwürdige Reduktion dieser komplexen Phasen und der verschiedenen Aspekte der Appeasement-Politik, die auch in den 30ern Abschreckung umfaßte - siehe als wichtiges Gebiet die britischen Reaktionen auf die deutsche Luftrüstung, die sehr wohl an Hitler adressiert wurden - weshalb wohl?. Wodurch soll ansonster dieser Eindruck oben entstehen? Gibt es Literatur, die eine solche Interpretation stützen würden oder vertritt?

Insofern hat Dieter eine sehr prägnante Zusammenfassung gegeben.
 
GB und Frankreich hätten also Hitler-Deutschland die Tschechoslowakei nicht aus Angst geopfert, sondern aus Sympathie und schlechtem Gewissen. Und durch die Annexion der Resttschechei hat Hitler diese Sympathien verspielt.
Ehrlich gesagt, die Idee ist mir noch gar nicht gekommen, es fällt schwer Hitler als Sympathieträger zu sehen. Seine Politik gegenüber den Westmächten war ja auch nicht direkt diplomatisch, gelinde gesagt.
 
Ehrlich gesagt, die Idee ist mir noch gar nicht gekommen, es fällt schwer Hitler als Sympathieträger zu sehen.

Der "Sympathie-"Bezug ist ungenau: nicht Hitler, sondern den Forderungen des Deutschen Reiches wurde Verständnis entgegengebracht. Ersteres wäre abseits faschistischer Lager auch absurd, letzteres ist durchaus plausibel und britische Politik für eineinhalb Jahrzehnte gewesen.

Das hat Wurzeln, die älter sind als das Dritte Reich und politisch-strategisch als langfristig unvermeidbare Entwicklungen mindestens seit 1930 so gesehen wurden. Appeasement-Politik kann man in die 20er zurück verfolgen.

Auch eine Forderung auf die sudetendeutschen Gebiete ist sachlogisch hier bereits inkludiert, da viel weitreichendere Aspekte akzeptiert und als unausweichlich hingenommen wurden:
http://www.geschichtsforum.de/288270-post7.html


Im übrigen wurde in München nicht die "Tschecheslowakei" geopfert. Richtig ist, dass der Rest nach der Abtrennung der Sudetengebiete und vor Abspaltung der Slowakei nur auf Basis des abgesprochenen Status Quo politisch überlebensfähig war. Wie die Monate danach zeigen, gingen die Westmächte tatsächlich von pacta sunt servanda aus, der Vorwurf der Lächerlichkeit kann wohl nur ex post formuliert werden (wenn man Hitlers Weisung auf Besetzung der Rest-Tschechei wenige Tage nach München kennt).

Die Wahrnehmung der politischen Realitäten und Ziele ab Oktober 1938 war indes kurzzeitig eine andere: wie sonst ist zB der zaghafte französische Appeasementansatz ab November 1938 gegenüber dem Deutschen Reich zu erklären? Der Schock, auch bei den Briten, war im März 1939 umso größer und übersteigerte sich in den akuten Befürchtungen über deutsche territoriale Ansprüche bis nach Rumänien. Die britischerseits forcierte Garantieerklärung (Polen, Rumänien) - in wenigen Stunden besprochen, beschlossen und verkündet - war ein Novum, eine Zäsur der britischen Außenpolitik. Zugleich und überraschend bedeutete sie keine vollständige (!) Kassation der Politik, die früher so gradlinig im Vansittart-Memorandum formuliert wurde: allenfalls wurde aus "starker" Abänderung (IV.) der dt.-poln. Grenzen ein "angemessen", der Rest aus dem Memo von 1930 war ohnehin bereits Fakt.
 
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Aber lässt sich das denn so trennen: Hitler und die Forderungen Hitlers? Ja, er ist ein machtgieriger, verbrecherischer Diktator, aber in diesem einen Punkt ist er im Recht, verschaffen wir ihm also das Sudetenland? Zur Zeit des von dir genannten Memorandums war Deutschland eben noch eine Demokratie. Den im Sudetenland ansässigen Juden wurde dann vermutlich britischerseits nicht soviel Verständnis entgegengebracht, wie den berechtigten Forderungen der Deutschen.

Ich habe die Briten immer für knallharte Realpolitiker gehalten, diese Art von "Verständnispolitik" hätte ich ev. den Amis zugetraut, aber nicht den Engländern.
 
Aber lässt sich das denn so trennen: Hitler und die Forderungen Hitlers?
Dazu solltest Du Dir zunächst verdeutlichen, dass Teile der Forderungen Hitlers nicht neu waren, sondern Bestandteil der Revisionspolitik seit 1919, zB:
- Wegfall der Rüstungsbeschränkungen und Wehrpflicht
- Rheinland
- Saarland
- Status Danzig
- polnische Westgrenze

Die britische Perzeption der Machtübernahme war 1933-1938 neben der Sorge betr. die Radikalität Hitlers zugleich dadurch geprägt, dass man die Nationalsozialisten als deutsche Radikalisierung der Revisionsforderungen, also als reaktiv begriff. Neben den internen politischen Dokumenten (DBP) kommt das in den zeitgenössischen Publikationen klar zum Ausdruck. Eine Folge in der logischen Annahme: die Eindämmung der Reaktion, die Mäßigung müsse doch erfolgen, wenn der Grund entfallen sei.

...aber in diesem einen Punkt ist er im Recht, verschaffen wir ihm also das Sudetenland? Zur Zeit des von dir genannten Memorandums war Deutschland eben noch eine Demokratie.
In der Kategorie "Recht" wird man das nicht messen müssen, eher als "Billigkeit" und verständliche Forderung. Die britische Haltung änderte sich in der Tat nicht wesentlich, warum sollte sie auch (siehe zB Hitlers Nichtangriffspakt mit Polen, Flottenabkommen, etc.)? Das Rheinland und die Kündigung der Locarno-Verträge waren ein erster Schock, ein erster Einschnitt. Dennoch stand Frankreich bzgl. einer möglichen Reaktion allein. Schau Dir mal die britischen Reaktionen dazu an, bzw. deren Analysen der deutschen Botschaft in London.

Den im Sudetenland ansässigen Juden wurde dann vermutlich britischerseits nicht soviel Verständnis entgegengebracht, wie den berechtigten Forderungen der Deutschen.
Die haben dabei keine ersichtliche Rolle gespielt. Im übrigen wurde die Unterdrückung in Deutschland bis zum November 1938 sicher als barbarisch und bedrohlich, aber nicht in der Konsequenz des Genozids bedacht, vgl. Chamberlains Standpunkt:
http://www.geschichtsforum.de/232215-post15.html

Ich habe die Briten immer für knallharte Realpolitiker gehalten, diese Art von "Verständnispolitik" hätte ich ev. den Amis zugetraut, aber nicht den Engländern.
Abgesehen davon, dass man auch eine Appeasementpolitik der USA und Frankreichs identifizieren kann (vgl. die Beiträge dazu in den VfZ): wieso sollte "Verständnispolitik" = Verständigungspolitik keine Realpolitik sein, ich halte sie sogar für sehr real in der Abwägung der Kriegesfolgen. Auch hier sollte man, Verweis auf die (für GB objektiv falschen, aber subjektiv zu Grunde gelegten) Bombenkriegsszenarien für 1938/39, die Abwägung der Alternativen beobachten. Abgesehen davon halte ich solche "Grundannahmen" bzw. Pauschalierungen für die Politik generell für falsch. Politik ist situativ geprägt, geht möglw. von falschen Annahmen und begrenzten Informationen aus und erscheint insoweit irrational, wie man 1919-1939 beobachten kann.

Die Bewertung des Appeasement unterlag krassen Schwankungen in den Nachkriegsjahren, von Verdammung bis Verständnis.
 
Die Appeasement Politik Großbritanniens und Frankreichs muß man auch vor dem Hintergrund der isolationistischen Neutralitätsgesetzgebung in den USA sehen. Des Weiteren war Großbritannien gegenüber der Sowjetunions Stalins zutiefst mißtrauisch, Frankreich war geschwächt und mit Italien war die Beziehungen auch nicht gerade freundschaftlicher Natur.
 
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Eine Folge in der logischen Annahme: die Eindämmung der Reaktion, die Mäßigung müsse doch erfolgen, wenn der Grund entfallen sei.
Das läuft ja in etwa auf meine Interpretation der brit. Absicht hinaus: Hitler das verschaffen was er will, die deutschsprachigen Gebiete, damit er von einem Krieg absieht.

Wieso sollte "Verständnispolitik" = Verständigungspolitik keine Realpolitik sein, ich halte sie sogar für sehr real in der Abwägung der Kriegesfolgen.
Mit Verständnispolitik meinte ich moralische Politik im Gegensatz zu Interessenpolitik/Realpolitik, bei der moralische Aspekte keine Rolle spielen. Verständigungspolitik kann natürlich Realpolitik sein, wenn sie dem Eigeninteresse dient, etwa der Kriegsvermeidung.
Als Beispiel für Realpolitik sehe ich das Verhalten GBs in der Abessinien-Krise. Die "Billigkeit" sprach klar gegen Mussolini, trotzdem hat GB ihm Abessinien überlassen. Eine falsche Entscheidung aber auf Eigenintresse basierend. Das Verhalten GBs in Sachen Tschechoslowakei interpretiere ich genauso. Also nicht irrational sondern schon rational, nur auf einer falschen Einschätzung Hitlers beruhend.
 
Hmm. Mir hat man gesagt der Autor hätte sich hauptsächlich auf Originaldokumente aus der Zeit gestützt. Ich habe das Buch nicht gelesen und kann deshalb dazu nichts sagen.
Wie schauts also aus?
 
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