Dieter:
Bezüglich der Thesen Istvan Bonas zu den hunnischen Namen ist ja schon im Attila-Strang recht lange diskutiert worden. Gerade die von Istvan Bona als türkischer sprache verorteten Namen werden von eigentlich allen anderen die sich mit den Hunnen intensiver beschäftigt haben gerade eben nicht als türkisch eingestuft. Das Bona sie als türkisch einordnet, hat ganz bestimmte Gründe, weil er damit andere Thesen von sich stützen will. Sowohl Doerfer wie auch Maenchen-Helfen (dessen Buch ich seite heute vormittag nun endlich habe) ordnen gerade beispielsweise: Attila, Bleda, Ruga usw als germanische Namen ein und belegen dies auch ganz klar. Stilicho hatte auch dazu einiges ausgeführt.
Aber ich will mich ja gerade eben von der Zuordnung des hunnischen Volkes über die Sprache lösen und dies eben nicht weiter verfolgen, sondern eine Zuordnung der Hunnen zu einem bestimmten Kulturraum über die materiellen Kulturgüter diskutieren.
Ob paläosibirische Völker einbezogen werden müssen, ist spekulativ, ganz abgesehen davon. dass auch sie entweder zu den Turkvölkern oder den Tungusen zählen.
Die Paläo-Sibirier sind gerade eben weder Turkvölker noch Tungusen.
Die Frage ist, ob es innerhalb der Stammeskonföderation einen ethnisch fest umrissenen hunnischen Traditionskern gab, oder ob wir es mit einer heterogenen nomadischen Gruppe zu tun habe.
Ich gehe aufgrund der sehr homogenen materiellen Kulturgüter die man ausgegraben hat (und die im Buch von Bona so schön mit Bildern illustriert aufgeführt sind) davon aus, dass es einen fest umrissenen hunnischen Traditionskern gab. War dies nicht ursprünglich auch deine Position?
Und dieser Traditionskern unterschied sich eben deutlich von allen damals im gleichen Zeitraum bestehenden Turkvölkern in Bezug auf die materiellen Kulturgüter. Meiner Meinung nach wird ein Volk nicht rein über die Sprache definiert. Dazu gehört schon mehr. Ich will ein praktisches Beispiel aus Zentralasien bringen:
Die Tuviner sprechen eine Turksprache. Sie sind aber keine Muslime. Sie gehören kulturell eindeutig zu den mongolischen Völkern was ihre materielle Kultur, Religion und Sozialkultur angeht. Das tuvinische und mongolische Schamenentum, die Bräuche, die Lebensweise, die Art und Weise der Viehhaltung, die materiellen Kulturgüter sind allesamt dem mongolischen Kulturraum zuzuordnen. Sind die Tuviner nun Türken, weil sie eine Turksprache sprechen? Die Sprache ist aber das einzige, was an diesem Volk türkisch ist, sonst ist rein gar nichts türkisch. Ich würde die Tuviner daher als Mongolen mit türkischer Sprache einordnen.
Die meisten Geschichtswissenschaftler sehen bei den Reiternomaden Zentralasiens nur die oberflächlichen Gemeinsamkeiten, nicht aber die gravierenden Unterschiede, welche die verschiedenen Völker klar trennen. So klar und scharf trennen, dass jeder der sich damit auskennt sofort sagen kann, zu welchem Volk eine bestimmte Person gehört. Die Trennung ist gerade in Zentralasien so scharf und eindeutig, dass es selbst heute noch so gut wie keine Vermischung zwischen den verschiedenen Steppenvölkern gibt. Das ist heute Fakt. Beispielsweise leben in der Westmongolei sowohl Kasachen wie auch Mongolen seit langer Zeit direkt nebeneinander. Ihr Lebensraum überschneidet sich sogar in bestimmten Ecken. Trotzdem gibt es selbst heute so gut wie gar keine gemischten Familien (ich habe zwei Jahre in der Ecke gelebt und nur eine einzige mongolisch-kasachische Familie kennen gelernt und deren kasachische Verwandte haben den Mann im Endeffekt verstoßen. Ebenso hat die Familie von anderen Mongolen nur Probleme wegen ihrer gemischten Herkunft).
Es ist meiner Meinung nach der Zeitgeist, insbesondere der deutsche Zeitgeist, der heute nur noch diffuse Vermischung kennen will und jede Form von Ethnie, und klar umrissender Kultur, ja jede Form von Volkstum leugnet.
Die archäologischen Überreste zeigen nomadische Steppenkrieger, deren Ausrüstung naturräumlich und nicht ethnisch bestimmt ist.
Das zentralasiatische Kultursyndrom wird gerade in Deutschland völlig falsch verstanden. Da reiten zwei völlig verschiedene Völker auf Pferden, schießen mit Bögen und leben in Zelten, und schon heißt es, die gesamte Kultur sei rein naturräumlich und über verschiedene Völker hinweg eigentlich überall die gleiche.
Dem ist eben nicht so. Die archäologischen Überreste zeigen gerade eben eine ethnisch bestimmbare Ausrüstung. Ethnisch klar umrissene materielle Kulturgüter. Natürlich sind diese durch Nachbarkulturen beeinflusst, vermischen sich hier verschiedene Errungenschaften verschiedener Völker, aber gerade die Art und Weise wie sie dies tun, was verwendet wird und was nicht, was in welcher Kombination verwendet wird, ist zum ersten einzigartig, zum zweiten klar umrissen und zum dritten von allen anderen klar unterscheidbar.
Der gerade in Deutschland verbreitete Glaube, dem Zeitgeist geschuldet, dass alle Zentralasiatischen Steppenvölker sich immer und grundsätzlich so weit vermischten, dass keinerlei Trennung möglich ist, erscheint durch stete Wiederholung zwar vielleicht glaubhafter, wird aber nicht wahrer.
Die materillen Kulturgüter der Hunnen unterscheiden sich gerade in ihrer Gesamtheit, in ihrer Kombination deutlich von der anderer Steppenvölker dieser Zeit. Und sie weisen im Kern auf eine sibirische Abstammung hin. Und sie sind keineswegs rein naturraum-bedingt, sondern ethnisch klar umrissen.
Nur mal ein einziges Beispiel von sehr vielen die ich anführen könnte. Die Hunnen führten Lassos, die als aus geflochtenen Seilen hergestellt beschrieben werden. Alanen wie Goten übernahmen diese Lassos von den Hunnen. Nun schreibt Maenchen-Helfen, dass das Lasso keinem Kulturraum zugeorndet werden könne. Tatsächlich aber gab es in Zentralasien verschiedene formen von Lassos. Die für die Hunnen beschriebenen, geflochtenen Lassos (nur Seil) sind typisch für Sibirien und für Uralische Völker, sowie vor den Hunnen für die Sarmaten und Parther. Turkvölker aber wie Mongolen verwenden lange Stangen an deren vorderem Ende eine Schlinge befestigt ist, eine ganz andere Art von "Lasso". Lassos in der Art wie sie die Hunnen verwendeten, waren den Mongolen und Turkvölkern nicht bekannt bzw wurden (und werden bis heute) von ihnen nicht verwendet. Die Naturräumliche Anforderung einer Fangschlinge führte also in Zentralasien zu zumindest zwei völlig verschiedenen Formen dieser Schlinge, die sich nun klar bestimmten Völkern und Kulturräumen zuordnen lassen.
Stilicho:
Es ist doch hier wie in vielen dieser Diskussionen, dass die ethnische Komponente überbetont wird. Wir wissen nicht einmal, ob die Idee eines Volkes damals überhaupt existierte.
Wir wissen nicht sicher, ob die heutige Idee was ein Volk ist damals überhaupt existierte, ein Selbstverständnis der Leute damals aber, dass sie zu einer bestimmten, von anderen Gruppen unterscheidbaren Gruppe gehörten, gab es. Das eine Diskussion über die Frage, ob es eine hunnische Ethnie gab oder nicht überhaupt als problematisch wahrgenommen wird, ist doch nur dem Zeitgeist, speziell dem deutschen Zeitgeist geschuldet. Eine Überbetonung vermag ich hier nirgends zu erkennen. Für die Frage der Identität der hunnischen Konföderation ist zudem gerade eben die Frage der Existenz eines hunnischen Traditionskerns, bzw eines hunnischen Volkes dass diese Konföderation begründete absolut wesentlich.
In Zentralasien bildeten sich alle Konföderationen der Steppennomaden, die sich dann über mehrere, auch ganz verschiedene Völker erstreckten immer durch ein Ursprungs-Volk, dass dann Nachbarvölker unterwarf bzw dem sich im Zuge seiner Expansion solche unterstellten. Mir ist kein Beispiel bekannt, wo eine solche Konföderation ohne ein Ursprungsvolk entstanden wäre, dass dann mit seiner Kultur als herrschende Elite die Kultur der anderen Völker jeweils auch erheblich beeinflusst hat. Die Mongolen, im Beginn nur ein Clan bzw Unterstamm weiteten ihre spezielle Kultur, Sprache wie auch ihr Selbstverständnis als Volk durch die Herrschaft Chinggis Khans auf etliche Nachbarstämme aus, die vorher archäologisch klar von ihnen unterscheidbar sind, sich aber dann eben mongolisierten. Ebenso ist im Bereich der hunnischen Konföderation ja eine Hunnisierung diverser Völker, ja auch germanischer Stämme klar erkennbar. Was umgekehrt bedeutet, dass auch hier ein Hunnisches Volk als klar umrissene Ethnie am Beginn dieser Konföderation stand.
Was meinten die Römer, wenn sie von den Hunnen redeten, was die Germanen? Hatten alle das gleiche Bild vor Augen? Eher wohl nicht.
Du meine Güte. Die Römer benannten die Hunnen anfangs einfach auch mal als Massageten, Skythen usw, einfach nur um ihre klassische Bildung damit hervor zu kehren. Die Frage sollte also nicht sein, was für ein Bild bestimmte spätantike Autoren erzeugen wollten, sondern was diese Autoren in Bezug auf die materielle Kultur und das Aussehen schreiben und ob diese Aussagen im Vergleich mit den archäologischen Funden Bestand haben oder nicht. Mir geht es doch nicht um ein Bild das Zeitgenossen auf eine bestimmte Weise malten, um damit ganz andere Dinge hervor zu kehren und zu betonen, sondern nur darum, meine Hypothese darzulegen, dass die Hunnische Konföderation sich um ein Hunnisches Volk herum gebildet hat und dieses als Ethnie bis auf die Frage der Sprache klar greifbar ist. Und dann im weiteren seine Herkunft und die Frage seiner Sprache so weit wie möglich einzugrenzen. Und da scheiden nun mal meiner Überzeugung nach Turksprachen eben so aus wie Tungusisch oder Mongolisch. Am wahrscheinlichsten ist eine Uralische Sprache oder eine heute ausgestorbene Sprache aus dem Sibirischen Raum, die damals im Südsibirischen Raum noch weitgehend verbreitet waren.
Welches dieser Bilder wollen wir betrachten?
Das der archäologischen Funde im Vergleich mit den archäologischen Funden in anderen Gebieten, in denen andere Steppenvölker lebten.
Auffällig gerade bei den Hunnen ist hier ein starker sarmatischer, sassanidischer Kultureinfluß schon am Beginn der Hunnenkonföderation. In der Gesamtheit aber ist die materielle Kultur der Hunnen klar greifbar und klar umrissen. Und auch die iranischen Kulturelemente wurden auf eine genuin einzigartige Weise integriert. Nur mal als zwei Beispiele die Frage der Bögen und Schwerter. Die hunnischen Bögen unterschieden sich absolut deutlich von denen der Skythen sowie von denen der Proto-Türken bzw Turkvölker in dieser Zeit. Sie waren eine Weiterentwicklung iranischer Bogentypen, wie sie zuerst bei den Parthern aufgetaucht waren. Die Bögen waren assymetrisch und die jeweils gefundenen Zahlen der Bein- und Hornstücke, die Länge der Bögen wie auch die auf eine bestimmte Weise geformten Bogenenden zeigen, dass sich hier eine ganz eigene Bogenform entwickelte, die sich von den Bögen im fernen Osten klar unterscheiden lässt. Die Schwerter waren sehr schlank und auffallend lang und stammten vom Typ her wiederum aus dem iranischen Raum. Die kurzen Parierstangen wie auch die Knäufe unterscheiden diese Schwerter aber von den sehr ähnlichen sassanidschen Schwertern, insbesondere durch die Scheideneinfassungen die vom Typ her chinesisch waren (solche chinesischen Scheideneinfassungen waren in ganz Zentralasien und Sibirien weit verbreitet) und ebenso von den Schwertern im Osten, die kürzer waren und ganz andere Knäufe hatten, sowie eben keine kurzen Parierstangen.
So könnte man nun Fund um Fund, materielles Kulturgut um materielles Kulturgut durchgehen. Und man findet dann eine ganze Menge solcher Güter, ja sogar aus den Grabfunden bestimmte Sitten und religiöse Ansschauungen. So wusste ich selbst beispielsweise noch nicht, dass in hunnischen Gräbern sehr große Mengen an Fleisch den Toten mit gegeben wurden. Die Gräber wurden vorzugsweise an Flüssen angelegt. Beides ist für Turkvölker dieser Zeit untypisch und für sibirische Völker typisch. usw usf
Hypothese:
Es gab ein Hunnisches Volk dass am Beginn der sich bildenden hunnischen Konföderation stand. Dieses Volk lässt sich aufgrund seiner materiellen Kulturgüter klar umreißen und von anderen Völkern unterscheiden. Die Frage der Sprache dieses Volkes ist nicht klärbar. Räumlich stammt dieses Volk aus dem südsibirischen bzw süduralischen Raum. Dieses Volk als greifbare Ethnie beeinflusste dann im weiteren die über ganz verschiedene Völker sich ausweitende Konföderation kulturell und bildete für die Elite dieser Konföderation die Leitkultur, wobei sich diese in Europa dann zunehmend germanisierte.