Das sind ja alles schöne Gedankenspiele. Aber jetzt mal im Ernst.
Wenn ich beim LWL anrufe und sage "Ich habe in der Nähe von Haltern etwas gefunden", dann suchen die nicht in Kalkriese, oder?
Der LWL sowieso nicht, weil Kalkriese in Niedersachsen liegt
Warum wird dann aber dem Tacitus unterstellt er sei in dem Punkt unpräzise?
Tacitus ist ständig unpräzise, wahrscheinlich sogar absichtsvoll (er vermeidet es z.B: häufig, militärische Ränge korrekt zu benennen).
Schauen wir uns die gerade diskutierte Stelle mal etwas genauer darauf an, was sie aussagt: Germanicus kam, um das Lager zu entsetzen, woraufhin die Germanen verschwanden. Zuvor hatten sie (Plusquamperfekt, Wechsel in die Vorvergangenheit) den bzw. einen erst kürzlich aufgerichteten
tumulus etc. zerstört.
Wann ist diese Vorvergangenheit anzusetzen? Zwischen Nachricht der Ankunft des Germanicus und Abzug der Belagerer? Oder noch davor?[1]
Handelt es sich bei dem
tumulus wirklich um den Grabtumulus auf dem Schlachtfeld oder um einen zweiten
tumulus, der - ähnlich dem Kenotaph des Marcus Caelius - kein tatsächliches Grab anzeigte, sondern
nur der Erinnerung diente? Wir haben nämlich das Problem, dass es keinen bestimmten Artikel gibt, wie im Deutschen. Es wird immer in Übersetzungen dieser Stelle der bestimmte Artikel verwendet, im Original steht er dummerweise nicht. Insofern werden wir durch die druchaus sinnvolle Interpretation der Übersetzer in unserer Urteilsfähigkeit dieser Stelle getrübt.[2]
Germanicus schickt im Jahr 16 mal eben 6 Legionen kurzfristig nach Aliso(?). Das spricht, nach obigen Erkenntnissen über den Aufwand der Lippelogistik auch eher für Haltern als ein weiter aufwärts gelegenes Kastell. Dem gegenüber haben wir eine "gewaltige" Truppenkonzentration der Germanen. Wahrscheinlich ebenso gross, wie man sie zum Niederringen der Varuslegionen gebraucht hätte(!).
Über Aliso wissen wir, daß Varusschlachtüberlebende dort waren und daß der Tumulus in der Nähe war und hasserfüllt zerstört wurde. (zweiperiodige Gräber in Haltern). Diese Wut der Germanen ist umso erklärbarer wenn das Schlachtfeld durch das Kastell von Germanicus erneut "in Besitz" genommen wurde.
Da passen archäologische Erkenntnisse und schriftliche Überlieferung viel zu gut zusammen,so daß man den guten Tacitus da nicht grosszügig auslegen braucht, finde ich.
Und hier liegt genau das Problem: Haltern passt zwar wunderbar zu Aliso, aber überhaupt nicht zum Ort der Varusschlacht "zwischen Wäldern und Sümpfen", es sei denn, man wolle Florus ernst nehmen.
Man könnte ja den taciteischen Bericht und den des Florus mit der Lagerschlachttheorie verknüpfen, nur dann ergibt sich ein dickes Problem: die Wälle in der taciteischen Schlachtfeldbeschreibung sind eingefallen und zerstört bzw. deuten daraufhin, dass die Legionen, die sie errichteten längst dezimiert gewesen seien (Tac. ann. I, 61, 2). Das widerspricht aber der Beschreibung des Lagers Aliso durch Velleius Paterculus und Frontinus, wonach es nach der Varusschlacht noch intakt war (Vellius Pat. Hist. rom. II 120,4 u. Frontinus, Strat. II, 9,4; III, 15,4 u. IV, 7,8). Wenn wir Cassius Dio hinzu nehmen - ich selbst zweifele ja an seiner Glaubwürdigkeit - dann müssen wir außerdem annehmen, dass die Römer von der Weser in ihnen unbekanntes bzw. kaum bekanntes Gebiet lockten (56, 18, 5 ff.), also sicherlich nicht Richtung der Lipperoute mit Haltern/Aliso als mutmaßlichem Hauptlager, wo dann die Schlacht stattfand. Aber auch Tacitus berichtet ja von den Beschwernissen, das Varusschlachtfeld erstmal zu erreichen (Tac. ann. I, 61, 1). Das widerspräche auch der taciteischen Zuschreibung des Arminius in der Lagerschlacht nach dem zweiten Schlachttag bei den
pontes longi. Als Caecina und seine Truppen tagsüber im Sumpf feststecken, legt Tacitus dem Arminius die Worte in den Mund: Seht, Varus mit seinen Legionen, laufen uns genauso in die Falle, wie schon beim letzte Mal. (Tac. ann. I, 65, 4), als aber die Germanen das Römerlager angreifen wollen, rät Arminius - Tacitus zufolge - davon ab (Tac. ann. I, 68, 1). Bei dem morgendlichen Überfall der Germanen auf das Römerlager zieht Tacitus dann noch einen weiteren Vergleich heran: Die Römer rufen den Germanen zu: Non hic silvas nec paludes - hier sind keine Wälder und Sümpfe, ihr habt euren Vorteil aufgegeben (Tac. ann. I, 68, 3).
All das bietet keinen Anlass zu glauben, dass das Varusschlachtfeld in der Nähe des römischen Hauptlagers in Innergermanien - alos Haltern - gelegen haben könnte. Es gibt eine Reihe an Indizien, dass Aliso mit Haltern gleichzusetzen ist - andere Indizien sprechen leider wieder dagegen. Es bleibt unmöglich zu beantworten. Eine Weihinschrift für die gefallenen der Varusschlacht in Kalkriese oder eine Inschrift die das castellum Aliso nennen würde, das wären mal Zeugnisse, welche die Widersprüche der literarischen Quellen aufzuheben vermöchten.
[1] Ich gebe zu, kontextuell betrachtet, ist es am sinnigsten die Stelle so zu verstehen, dass die Germanen zwischen der Benachrichtung von der drohenden Ankunft des Germanicus und der Ankunft des Germanicus den
tumulus zerstörten. Zwingend ist diese Aufassung jedoch nicht.
[2] Ich glaube auch nicht wirklich, dass es sich hier um einen zweiten
tumulus handelt, ich würde jedenfalls in Beziehung zur Bestattung auf dem Schlachtfeld die Stelle von der Zerstörung auch mit
der tumulus und nicht mit
ein tumulus übersetzen. Das Problem bleibt aber grundsätzlich bestehen.