Tja, Köbis, gute Frage, was will ich damit eigentlich beweisen? Wenn ich was beweisen will, dann wohl mir selbst, ob ich alles glaube, was mir aufgetischt wird, oder ob ich auch unter Risiko des Außenseitertums bereit bin, die rezipierten Thesen zu hinterfragen. Papier und Internet-Foren sind nun mal geduldig, die letzteren vielleicht etwas weniger. Ich habe angefangen, mir ein meiner gutgläubigen Persönlichkeit eigentlich widersprechendes Grundmisstrauen anzutrainieren. Wenn Du beispielsweise Behauptungen aufstellst, nur der Verlierer hätte zu lernen und die Anzahl der hypothetischen Möglichkeiten ist stets unendlich, braucht man das nicht stehen zu lassen. Der Sieger einer Schlacht ist gut beraten zu analysieren, ob der Erfolg auf seiner eigenen Leistung beruht oder ob der Gegner sich selbst ins Knie oder sonstwohin geschossen hat. Und je mehr Detailkenntnis angehäuft wird, umso mehr irreale Möglichkeiten können ausgeschlossen werden. Ein ganz eindeutiges Ergebnis braucht bei der kontrafaktischen Geschichtsschreibung nicht herauszuschauen, schließlich sind wir hier nicht bei Sherlock Holmes ("wenn alle unmöglichen Möglichkeiten ausgeschlossen sind, bleibt die einzig richtige Lösung übrig"). Einer Abschätzung der realistischen Möglichkeiten kann man also durchaus näher kommen.
Wenn man als Ende der Schlacht von Smolensk den 5. August annimmt, die Entfernung von Smolensk nach Moskau tatsächlich 350 km beträgt, und, wie Rauh sagt, die deutsche Infanterie am Tag 25 km zurücklegen kann, dann hätte sie diese Strecke innerhalb von 14 Tagen geschafft, wäre also am 19. August vor Moskau gestanden! Die Prämisse dabei ist: es stehen eigentlich keine Sowjettruppen im Weg!
Die sehr gut ausgebauten Vereidigungstellungen der Roten Armee hätten der Heeresgruppe eigentlich ein deutlicher Fingerzeig sein müssen, das die ruind 350 Kilometer nach Moskau ganz gewisse kein Zuckerschlecken werden würden; und dann eben noch als zusätzliche Schwierigkeit dieses überaus knapp bemessene Zeitfenster.
Die Zeit war nach Rauh/Halder der alles entscheidende Faktor. Wir wissen alle: Die Rote Armee kann sich auch nach schwersten Niederlagen reorganisieren. Dazu braucht sie allerdings eins: etwas Zeit, und die hat sie nach dem o.a. Szenario nicht! "Gut ausgebaute Verteidigungsstellungen". Was heißt das eigentlich? Waren diese Stellungen überhaupt ausreichend besetzt? Waren sie nicht, wenn nicht sehr schnell einzunehmen, vielleicht umgehbar? Hätte die Rote Armee den deutschen Vormarsch
im August also aufhalten oder entscheidend verzögern können?
Um nochmal auf Köbis' Frage zurückzukommen: es geht für mich doch darum, was ich mir eigentlich für Aussagen gefallen lasse. Diese gebetsmühlenartige Behauptung von vielen Seiten ("die Kräfte reichten hinten und vorne nicht"), man wäre gegen die Sowjetunion sozusagen sehenden Auges in den Untergang gestolpert? Oder die Nachkriegs-Behauptung der Generäle, Hitler hätte sie an der effektiven Kriegführung gehindert, wie sie wohl von Rauh im Spezialfall Halder wiederholt wird?
Ich habe mir gedacht, ich lasse das nicht auf sich beruhen, sondern stelle die Problematik lieber mal ins Geschichtsforum.
Grüße, Holger