Moin.
Dann schauen wir doch mal, was der Brockhaus (2007) zu den Thrakern sagt, und schauen dann, inwieweit sich die Thraker als "Ahnen" der heutigen Bulgaren eignen:
"Thraker,
lateinisch Thraces, indogermanisches Volk des Altertums in Südosteuropa und Vorderasien. Thraker und verwandte Stämme siedelten seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. außerhalb Thrakiens nördlich der unteren Donau, so die Daker und die Geten, auf vorgelagerten Inseln (besonders Thasos, Samothrake) und in Nordkleinasien (besonders Mysien, Bithynien). Die Thraker bildeten bis ins 6./7. Jahrhundert eine sprachliche, ethnische und kulturelle Einheit. Zahlreiche Grab- und Schatzfunde belegen eine hoch stehende Kultur.
Von der in frühbyzantinischer Zeit ausgestorbenen thrakischen Sprache sind nur spärliche Überreste bekannt.
"
Erstaunlich, wie gewisse Kreise es immer wieder schaffen, aus gewissen Sprachresten felsenfeste Rückschlüsse zu zimmer... unten dazu mehr:
"
Thraker: Eine »Randkultur« im Blickpunkt:
Unter dem historisch-geografischen Begriff Thrakien versteht man heute den nordöstlichen Landesteil Griechenlands, sodann das gesamte Staatsgebiet Bulgariens und, mit Einschränkungen, auch Südrumänien. Bis vor wenigen Jahrzehnten war die materielle Kultur des antiken Thrakien noch weitgehend unbekannt. Nicht nur die eingeschränkten Forschungs- und Präsentationsmöglichkeiten in den Ländern des Ostblocks waren hierfür die Ursache, sondern auch eine klassizistisch orientierte Archäologie und Geschichtswissenschaft, die Thrakien als eine relativ unbedeutende »Randkultur« ansah, die kaum besonderes Interesse verdiene. Dies hat sich inzwischen geändert: Sensationelle Schatz- und Grabfunde, die in Ausstellungen um die ganze Welt wandern, haben das antike Thrakien in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Siedlungsgrabungen und die sorgfältige Analyse von Bestattungsplätzen mit ihren reichen Funden ließen ein differenziertes Bild von Alltag und sozialer Gliederung der in der Antike hier ansässigen Menschen entstehen.
Damit aber stellt sich die Frage nach Identität und Kontinuität thrakischer Kultur und ihrer Träger. Wer war dieses »Volk«? Seit welcher Zeit und in welchem Sinne kann von Thrakern gesprochen werden?
Besonders die bulgarische Forschung - im Westen vermittelt vor allem durch Kataloge zu Ausstellungen -
hat in ihrem Bestreben, heutige nationale Identität historisch zu beglaubigen, durch philologische und archäologische Argumente eine thrakische Kultur zu rekonstruieren versucht, derenWurzeln angeblich bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen und
deren Fortdauer bis weit in die byzantinische Epoche, ja
bis in die Gegenwart behauptet wird. Demgegenüber ist jedoch die regionale und epochale Vielfalt, ja sogar
Diskontinuität dieses Kulturraums zu betonen, die unter dem Namen »thrakisch« nur hilfsweise zusammengefasst werden kann. Tatsächlich waren es weniger ethnische Abgrenzungen als vielmehr historische Ereignisse und Strukturen, die für eine gewisse Zeit eine spezifisch thrakische Kultur haben entstehen lassen. Verknüpft war dieser Vorgang offenbar mit der Herausbildung bestimmter sozialer Eliten am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., und
dementsprechend endet auch mit dem historischen Verschwinden dieser Eliten im späten Hellenismus eine archäologisch fassbare eigenständige thrakische Kultur.
"
weiter:
"Auch die thrakische
Sprache, die zur Familie der indogermanischen Sprachen gehört, ist trotz intensiver
Forschungen immer noch so gut wie unbekannt. In griechischen Buchstaben verfasste Inschriften geben lediglich Personennamen und Ortsbezeichnungen an, hinzu kommen einige wenige, meist verballhornte Wortzitate bei griechischen Autoren. Griechen und Ägypter kannten Thraker meist nur als Sklaven - besonders in den Bergwerken - und als Söldner, wie sie sich zu Tausenden in der gesamten östlichen Mittelmeerwelt verdingten. ...
Das Ende der thrakischen Kultur - Unter römischer Kontrolle:
Eine Welle von
Kelteneinfällen im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr., seit 188 v. Chr. auch Kämpfe mit römischen Verbänden, haben dem, was als
thrakische Kultur fassbar ist,
ein Ende gemacht. Damit allerdings stellt sich die Frage des archäologischen und historischen Blickpunkts.
Denn unter Kultur - hier unter thrakischer Kultur
- werden stets fast ausschließlich Hervorbringungen sozialer Eliten verstanden, und diese hörten hier wirklich auf zu bestehen. Menschen aber lebten auch weiterhin in jenen Gebieten, und mit ihnen bestanden ökonomische, soziale und kulturelle Strukturen fort. Diese allerdings gestalteten sich je nach Landesteil doch sehr unterschiedlich.
148 v. Chr. wurde Makedonien römische Provinz und damit Rom zum unmittelbaren Nachbarn der Thraker. Während die dakische Region nördlich der Donau noch durch Bildung eines Großreichs - unter den Königen Burebista (60-44 v. Chr.) und Decebalus (86-106 n. Chr.) - der neuen Macht trotzte, kam das thrakische Kernland 45/46 n. Chr. unter römische Kontrolle. Die Gebiete südöstlich der Linie Sofia -Plowdiw gehörten fortan zur Provinz Thracia, der Landstrich nördlich und westlich dieser Linie zur Provinz Moesia. In den Dakerkriegen unter Kaiser Trajan zu Beginn des 2. Jahrhunderts wurde schließlich auch das Gebiet nördlich der Donau als Provinz Dacia dem Römischen Reich einverleibt. Dakien, das heutige Rumänien, wurde kulturell und sprachlich weitgehend latinisiert; Thrakien behielt, von Rom kontrolliert, manche seiner alten sozialen und kulturellen Eigenheiten bei, vor allem seine traditionelle Verbindung zur griechischsprachigen südlichen Balkanhalbinsel. Auch nach der Teilung des römischen Imperiums gehörte Thrakien zum griechisch orientierten Byzantinischen (Oströmischen) Reich.
Hunneneinfälle im 5. Jahrhundert und die
slawische Ansiedelung im 6. Jahrhundert auf dem nördlichen Balkan aber setzten schließlich
jeder von der Antike herrührenden Kontinuität ein Ende. Zugleich markierten sie den Beginn einer neuen Tradition, die in Sprache und kultureller Ausrichtung Bulgariens bis in die Gegenwart nachwirkt.
Prof. Dr. Lambert Schneider
"
Hier die dreißig (!) Glossen und weitere Infos zur antiken Thrakischen Sprache:
http://www.uni-klu.ac.at/eeo/Thrakisch.pdf
Und hier die bulgarische Sprache:
http://www.uni-klu.ac.at/eeo/Bulgarisch.pdf
Das Aussterben der Thraker setzt also in etwa zu der Zeit endgültig ein, als die Slawisierung begann? Reichen ein paar Wörter zur Ahnenerklärung?
Dieter:
Insofern haben die Thraker eine starke Basis für sie späteren Bulgaren, Rumänen und wohl auch Albaner gebildet.
Einspruch: Die thrakische Bevölkerung wurde infolge von Angriffen, Epidemien und Kriegsdiensten unter Kaiser Justinian geschwächt und konnte sich nur in Berggebieten halten. Gänzlich marginalisiert wurden sie durch die Einwanderung der Protobulgaren und der später weitergehenden Slawisierung.
Tja, die Thraker eignen sich wohl ebenso wenig, wie die Proto-Bulgaren als ethnische Ahnen der heutigen Bulgaren.
Wer mal in Bulgarien war, wird aber feststellen, dass dort nicht selten die gleiche Mentalität wie in der benachbarten Türkei herrscht, würden sie nicht eine andere Sprache sprechen, könnte man manchmal gar nicht unterscheiden, ob man nun in einigen Gegenden der Türkei oder Bulgarien wäre... aber das hören Griechen und Bulgaren nicht gerne...
Deshalb gleich ein historisches Zitat:
1878 in der bulgarischen Zeitung Marica ist das Dilemma abzulesen, die Identität zu (er-)finden:
"Wir gehören rechtmäßig der Kategorie der Europäer an,
in unseren Gewohnheiten hingegen sind wir Orientalen geworden. Und das ist nur natürlich, haben wir doch viele unserer Gepflogenheiten von unseren Tyrannen übernommen, vor allem in den Städten, wo die einzelnen Teile vermischt waren. Da uns diese äußerlichen Mängel an sich fremd sind, werden wir uns ohne Zweifel schnell von ihnen befreien, und wir werden ein ganz und gar europäisches Volk werden, mit christlichen Sitten und Bräuchen."
(B. Lory: Le Sort de l’héritage ottoman en Bulgarie. Istanbul 1985. S. 187).
Das Dilemma, wie sollte man mit dem importierten Nationalismus umgehen, mit der dadurch entfachten "Entosmanisierung" und mit den auf 500 Jahre osmanischen Einfluß zurückgehende "Verunreinigungen", die inzwischen längst integraler Bestandteil der Kultur geworden sind?
Die Lösung die sich durchsetzte war, alles osmanische/türkische zu negieren, ihm den scharzen Peter zuzuschieben.
Andere Stimmen setzten sich hingegen nicht durch:
Den Balkan als eurasischen Raum zu begreifen, der einen eigenen Kulturraum darstellt mit Reichen höchster Blüte (Byzanz), und zuletzt durch die osmanische Herrschaft eine eigene balkanische Zivilisation hervorgebracht hätte.
In diesem Sinne sah der rumänische Historiker
Nicolae Iorga das Osmanische Reich auch als "Byzanz nach Byzanz", ebenso wie ein Teil der griechischen Geschichtsschreibung das byzantinische Gepräge des osmanischen Systems und die Kontinuität zwischen den beiden Reichen hervorhebt.
Wie gesagt, diese etwas differenziertere Sicht hat sich gegen der Schwarz-Weiß-Sicht nicht durchsetzen können.
So können wir z.B. in der Rede zum 1300 Jahrestag der Gründung Bulgariens 1981 die Zwickmühle innerhalb der nationalistischen und kommunistischen Propaganda lesen:
http://www.uni-klu.ac.at/eeo/Zivkov_Rede
Neuerdings gibt es aber Bestrebungen in der Historiographie, sich von alten Zöpfen zu trennen, siehe hier:
"Zwei beliebig herausgegriffene Topoi der bulgarischen Historiografie lauten etwa: Über eine dezidiert bulgarische Bevölkerung ergoss sich eine Flut nomadischer türkischer Einwanderer bzw. große Teile der autochthonen Bevölkerung traten gezwungenermaßen zum Islam über und wurden osmanisiert oder gar türkisiert. Wie unsachgemäß solche Pauschalierungen sind, zeigt Zhelyazkova am Beispiel der Bergbevölkerung der Rhodopes.
Die Quellen, die einen unfreiwilligen Übertritt zum Islam suggerieren,
entpuppen sich als Fälschungen aus dem 19. Jahrhundert."
sehepunkte - Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften - 7 (2007), Nr. 3
Sehr interessant dürfte auch zu erwähnen sein, dass die Osmanen besonders in ihrer expansiven Phase die politische Strategie der Bevölkerungsverschiebungen angewendet haben. Sei es aus Gründen der Ökonomie, der strategischen Erfordernisse, der Kolonisierung von schwach besiedelten Gegenden, der Befriedung, durch Push- oder Pull-Faktoren, usw., es könnte sein, dass da einige, die ihre Wurzeln erforschen wollen, vielleicht aus gaaaanz anderen Gegenden stammen?
Siehe hier die sehr interessante Magisterarbeit:
Forced Population Transfers in early Ottoman Imperial Strategy:
a Comparative Approach
Letzte kurze etwas Offtopic-Bemerkung:
Wenn ein relativ aufgeklärter Türke seine "Ahnen" sowohl in Zentralasien, als auch in den antiken Anatoliern sieht, dann ist es vielleicht nicht so sehr merkwürdig, sondern zeugt von der Erkenntnis, dass er eine Mischung aus beidem ist, und es meist unmöglich festzustellen ist, ob eher das eine oder das andere bei ihm nun zutrifft.
So, denn mal [FONT=verdana, arial, helvetica]
[FONT=verdana, arial, helvetica]Salute[/FONT][/FONT], LG lynxxx