Gewalt - egal ob von Seiten der Revolutionäre oder der Regierung - kann kein Kriterium dafür sein, ob etwas das Prädikat Revolution verdient hat.
Ein Kriterium ist es nicht, häufig aber ein Merkmal. Ich beziehe mich auf die BPB-Definition, wonach Revolution ein grundlegender Wandel einer Gesellschaft ist, der schnell und "in der Regel gewaltsam" erfolgt. Ich persönlich habe auch Zweifel, ob man von einer "Revolution" sprechen kann, wenn sich ein Staat, eine Regierung, dem beabsichtigten Wandel gar nicht widersetzt sondern freiwillig fügt. War es eine "Revolution", dass im Mai 1949 ein Grundgesetz verabschiedet wurde, mit dem die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland völlig neu gestaltet wurden?
Ich bezog mich auch auf Deine Definition, dass eine Revolution nur dann legitim sein kann, wenn es keine anderen (im Rechtssystem vorgesehenen) Alternativen gibt. Also wendet sich Revolution per definitionem immer gegen ein bestehendes Rechtssystem - oder vollzieht sich zumindest unabhängig davon.
Entscheidend ist, dass das vorher bestehende System durch den Druck (von Teilen) der Bevölkerung durch ein neues ersetzt wird, bzw. diese Neuersetzung in Gang gebracht wird (kann ja auch wieder rückgängig gemacht werden, Konterrevolution, Restauration).
Das kann nicht das einzige Kriterium sein. Druck der Bevölkerung kann auch schlicht zu Reformen führen. Nicht jede Demonstration, die zu irgendwelchen politischen Änderungen führt, ist eine Revolution. Revolution ist der "worst case". Das letzte Mittel, zu dem Leute greifen, um Veränderungen zu erzwingen, wenn alle anderen Versuche, Reformen durchzusetzen, gescheitert oder von vornherein aussichtslos sind. Der Begriff "erzwingen" ist hier charakterisierend. Er besagt nämlich, dass es Widerstand des Staates, der Obrigkeit, der Machthaber gegen den Wunsch nach Veränderung geben muss. So definiere ich das jedenfalls.
Das Militär hat eine wichtige Rolle gespielt, das ist richtig, aber die Bevölkerung war aktiv beteiligt. Unter diesen Umständen müsste man auch den revolutionären Ereignissen von 1918 in Wilhelmshaven und Kiel, etc. der Bildung von Soldatenräten ihren Revolutionscharakter absprechen.
Wie eben geschildert: In Deutschland mussten die Soldatenräte den Widerstand des Staates brechen. Das ist eine andere Situation, als wenn es überhaupt keinen Widerstand gibt.
Sind denn "illegale Methoden" Kennzeichen einer Revolution? Handelt es sich nicht eher um in der Verfassung oder im Selbstverständnis der Herrschenden nicht vorgesehene Methoden der Machtübernahme und Strukturveränderung?
Ersetzen wir "illegal" durch "nicht legal". Tatsächlich werden revolutionäre Handlungen in aller Regel als "illegal" verurteilt, aber darauf will ich eigentlich nicht hinaus. Ich meine folgendes: Wenn eine Bevölkerung, die politische oder gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen will, dieses Ziel mit Hilfe des Instrumentariums erreichen kann, welches in der Verfassung oder der Rechtsordnung vorgesehen ist, dann kann man grundsätzlich nicht von Revolution reden. Dann haben wir es mit Reformen zu tun. Genau das ist der Zweck einer demokratischen Ordnung: Veränderungen möglich machen, ohne dass dazu ein "Umsturz" notwendig ist.
Hier liegt ja auch einer der Gründe, warum wir übereinstimmend der Meinung sind, dass die RAF-Leute Terroristen waren: Sie haben einen Kampf begonne, obwohl unsere Rechtsordnung andere Optionen geboten hätte, Reformen zu erreichen.
Und warum handelt es sich dabei deiner Auffassung nach nicht um vollwertige Revolutionen?
Eben weil die Veränderungen durch die Nutzung der verfassungsmäßigen Möglichkeiten (Wahlrecht) erreicht wurden. Das Problem lag ja nicht darin, dass die Verfassungen der Länder keine Demokratie zuließen. Das Problem war vielmehr, dass dort Leute an der Macht waren, die es mit der Demokratie nicht so genau nahmen. Diese Leute mussten durch Druck überzeugt werden, die Demokratie ernst zu nehmen. So ganz gelungen ist das übrigens vielerorts bis heute nicht. Auf jeden Fall führten diese "Revolutionen" nicht zu "grundlegenden Änderungen" der jeweiligen Gesellschaftsordnung.
Übrigens will ich diesen Bewegungen auf keinen Fall ihre Bedeutuung absprechen. Was sich in jener Zeit im ehemaligen Ostblock abspielte, hatte für die ganze Welt immense Bedeutung. Ich meine nur, dass die Bezeichnung "Revolution" nicht passt.
Vorsicht!
Wenn derartig verallgemeinert wird ("beliebige bestehende Ordnungen"), dann könnte man von der Missidee geritten werden, dass die Weimarer Republik durch eine Revolution der Nazis beendet wurde... mon dieu, die Nazis als Revolutionäre hast du gewiß nicht intendiert!
Ja. Erschreckende Vorstellung. Noch erschreckender ist: Unsere bisherigen Definitionen lassen das zu. Wenn wir bei diesen wertneutralen Definitionen bleiben, müssen wir den Taliban, die Mädchenschulen mit den Mädchen drin abfackeln, "revolutionären Geist" bescheinigen. Ich würde auch gern die "edlen Ziele" zum qualifizierenden Merkmal der Revolution ernennen. Nur wird dann alles noch komplizierter. Gab es mal eine Revolution, die ganz oder überwiegend "edel" war?
Elendes Problem!
MfG