Rheinländer

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Ich habe gelesen, dass die Franzosen während des sogenannten "Sitzkrieges" einen kleineren Angriff auf die Saarregion oder so ähnlich gestartet haben, das ganze hieß "Saar-Offensive".


Was hat es damit auf sich?
 
Ich habe gelesen, dass die Franzosen während des sogenannten "Sitzkrieges" einen kleineren Angriff auf die Saarregion oder so ähnlich gestartet haben, das ganze hieß "Saar-Offensive".
Was hat es damit auf sich?
Nicht viel. Es gab - erfreulicherweise? - nur einige Scharmützel:
"Französische Spähtrupps stießen erstmals am 6.9. über die Reichsgrenze [...] vor. [...] Es blieb aber bei den geringfügigen Vorstößen im Bereich zwischen Saar und Hornbach und in Richtung auf Saarlouis. [...] Seit Mitte September gingen die Franzosen bereits zur Verteidigung über, beschränkten sich auf örtliche Einzelunternehmungen und zogen sich bis Mitte Oktober wieder zurück" (DRZW, Bd. 2, S. 271 f.)
Detailliertere Karte mit dem Frontverlauf Anfang Oktober 1939 in: Doris Seck, Unternehmen Westwall, 2. Aufl. 1981, S. 8/9.
 
Zusammenfassend also eine Art Alibi-Angriff.

Das ist schwer zu beurteilen. Der Vormarsch im Saarland hatte schon geographisch keine bzw. erschwerte operative Entfaltungsmöglichkeiten.

In der zweiten Septemberhälfte wurde der polnische Zusammenbruch sichtbar, die deutschen Meldungen sind sicherlich sorgfältig verfolgt worden.

Hinzu kommt, dass ab Ende September/Anfang Oktober bereits größere Teile der Luftwaffe sowie Panzerdivisionen aus Polen abgezogen und in den Westen verlegt wurden. Auch das wurde beobachtet, Mitte Oktober sprach zB Belgien die Versammlung der Panzerwaffe am Rhein diplomatisch an. In Frankreich wird das also auch bekannt gewesen sein.

Dazu fällt mir noch das Tagebuch Ritter v. Leeb ein. Bemerkenswerte Unruhe entstand - trotz der schwachen deutschen Sicherungen - in dieser Phase nicht, ich lese das nochmal nach.
 
Das ist schwer zu beurteilen. Der Vormarsch im Saarland hatte schon geographisch keine bzw. erschwerte operative Entfaltungsmöglichkeiten.

In der zweiten Septemberhälfte wurde der polnische Zusammenbruch sichtbar, die deutschen Meldungen sind sicherlich sorgfältig verfolgt worden.

Hinzu kommt, dass ab Ende September/Anfang Oktober bereits größere Teile der Luftwaffe sowie Panzerdivisionen aus Polen abgezogen und in den Westen verlegt wurden. Auch das wurde beobachtet, Mitte Oktober sprach zB Belgien die Versammlung der Panzerwaffe am Rhein diplomatisch an. In Frankreich wird das also auch bekannt gewesen sein.

Dazu fällt mir noch das Tagebuch Ritter v. Leeb ein. Bemerkenswerte Unruhe entstand - trotz der schwachen deutschen Sicherungen - in dieser Phase nicht, ich lese das nochmal nach.

Gerade dieser Bereich war ja einer der stärksten Abschnitte des Westwalls. Zusammen mit der schwierigen geographischen Lage, war es wohl ein denkbar ungeeigneter Ort für eine ernst gemeinte Offensive.
 
Der Vormarsch im Saarland hatte schon geographisch keine bzw. erschwerte operative Entfaltungsmöglichkeiten.
Gerade dieser Bereich war ja einer der stärksten Abschnitte des Westwalls. Zusammen mit der schwierigen geographischen Lage, war es wohl ein denkbar ungeeigneter Ort für eine ernst gemeinte Offensive.
Ich hoffe, es führt nicht zu weit weg vom Thema, aber: Der reale militärische Wert des "Westwalls" bei Kriegsbeginn ist durchaus umstritten.

Das liegt zum einen daran, dass die Anlage zu jener Zeit noch gar nicht fertig war; die Arbeiten liefen zunächst weiter bis ins Frühjahr 1940, und nach dem Beginn des Westfeldzugs blieb vieles unvollendet liegen.

Ein bekannter Autor wie Kurt von Tippelskirch schrieb: "Der Westwall, der bei weitem nicht die Stärke der Maginotlinie hatte und mit Teilen noch im Bau war, bedeutete für einen zum Angriff entschlossenen Gegner kein unüberwindliches Hindernis und konnte die Schwäche der [1939 dort] eingesetzten Kräfte nicht ausgleichen." Ähnlich hat sich auch Siegfried Westphal geäußert.

Es klingt vielleicht übertrieben, aber ich meine, dass die Schutzwirkung des Westwalls vor allem eine psychologische war; jedenfalls reichte sie aus, um die französische Militärführung unter Gamelin in ihrer defensiven Grundhaltung zu bestärken. - Aber andere mögen das anders sehen!
 
Ich hoffe, es führt nicht zu weit weg vom Thema, aber: Der reale militärische Wert des "Westwalls" bei Kriegsbeginn ist durchaus umstritten.

Ganz richtig,

hinzu kommt die schwache bis nicht vorhandene Besetzung im September 1939.

Mein Hinweis oben war tatsächlich nur geographisch gemeint, auf den "Westwall" war das nicht bezogen.
 
Mein Hinweis oben war tatsächlich nur geographisch gemeint, auf den "Westwall" war das nicht bezogen.
Da Du heute für unser Thema so früh aufgestanden bist, hier noch etwas "Futter".

1. Die Geographie ist sooo vertrackt nicht, als dass sich französischerseits nicht ein militärisch-psychologischer Erfolg hätte erzielen lassen - gewiss kein entscheidender, aber zur Besetzung des linken Saarufers auf der ganzen Länge hätte es schon gereicht, und rechts der Saar, in der damaligen bayerischen Rheinpfalz, stand auch der Fluss nicht im Wege.

2. Soweit ich sehe, ist die Frage, warum nichts dergleichen geschah, im Forum noch nicht ausführlich erörtert worden. (Ausnahme: http://www.geschichtsforum.de/f66/warum-wurde-hitler-nicht-gestoppt-11898/index2.html#post192057 und http://www.geschichtsforum.de/277132-post3.html). Aber vielleicht habe ich etwas übersehen. Mich würde interessieren, ob außer Gamelin noch weitere "Hauptschuldige" am Drôle de guerre in Frage kommen.

3. Meinen Hinweis auf die Psychologie kann ich noch anhand eines Buches vertiefen: Calculating credibility: how leaders ... - Google Bcher (zur Lage im Herbst 1939 --> S. 55 ff.). Ich möchte mir die dortigen Einschätzungen nicht vollständig zu eigen machen, insbesondere was die Bewertung des Westwalls betrifft, finde aber den Ansatz durchaus interessant.
 
Frankreich hat also aus einem Zustand innerer Schwäche und Kriegmüdigkeit und unter dem Eindruck einer angeblichen Stärke der deutschen Verteidigungsmaßnahmen nicht wirklich offensiv agieren wollen.


Was erhoffte man sich davon? Mit einem deutschen Angriff war doch eigentlich auf absehbare Zeit zu rechnen... wollte man diesem also ausschließlich defensiv begegnen?
 
1. Die Geographie ist sooo vertrackt nicht, als dass sich französischerseits nicht ein militärisch-psychologischer Erfolg hätte erzielen lassen - gewiss kein entscheidender, aber zur Besetzung des linken Saarufers auf der ganzen Länge hätte es schon gereicht, und rechts der Saar, in der damaligen bayerischen Rheinpfalz, stand auch der Fluss nicht im Wege.
So würde ich dass auch sehen;
durch dieses Dreieck bis zum Rhein, ist die Operation ohnehin begrenzt. Die deutsche Führung der Heeresgruppe sah den Vorstoß äußerst gelassen und operativ als nebensächlich.

Mit einem deutschen Angriff war doch eigentlich auf absehbare Zeit zu rechnen... wollte man diesem also ausschließlich defensiv begegnen?

Der Fokus der Defensive lag tatsächlich auf Belgien. Hier verdichteten sich Ende September die Vermutungen über einen deutschen Angriff, der nach Abschluss der Kämpfe in Polen erwartet wurde. Auf alliierter Seite wurde darüber diskutiert, wie weit man mit dem deutschen Einmarsch in Belgien vorrücken sollte, um möglichst weit vorwärts zu verteidigen (Deyle-Linie etc.). Alternative Konzepte sahen das vorsichtiger und weiter rückwärts angesiedelt, mit dem Nachteil, dass dann auch Nordfrankreich einbezogen würde.

Aufgrund dieser Diskussionen und des Fokus auf Belgien war die Saar-Offensive tatsächlich ein Randereignis. Zum Umfeld:

Bereits in der Denkschrift Gamelins an Daladier vom 1.9.1939 wird betont, dass nur ein weiter nördlich (durch Belgien) anzusetzender Vormarsch Polen tatsächlich entlasten könne. Am 18.9.1939 brachte der britische Generalstab Überlegungen im Kabinett vor, dass ein deutscher Angriff durch das neutrale Belgien große und starke Teile der Maginot-Linie umgehen würde, so dass Deutschland schwere Verluste durch dieses Vorgehen vermeiden würde. Es müsse daher alliiertes Interesse sein, diesen deutschen Vormarsch noch in Belgien aufzuhalten. Wenn den belgischen Truppen die Verzögerung des Vormarsches gelänge, sollten die alliierten Truppen mit dem britischen Expeditionskorps auf dem linken Flügel die Maas-Linie von Givet bis Namur verteidigen. Gelänge dieses nicht, käme nur rückwärtig die Schelde-Linie in Frage.

Die Ergebnisse dieser Überlegungen wurden in Paris am 20.9.1939 zwischen den Kabinettsmitgliedern Hankey und Hore-Belisha auf englischer Seite, sowie Gamelin auf französischer Seite besprochen. Gamelin äußerte, eine Entscheidungsschlacht in den belgischen Ebenen vermeiden zu wollen, machte aber das Halten der Maas-Albert-Kanal-Linie von den frühzeitigen und ausreichenden Vorbereitungen einer alliierten Unterstützung abhängig. Gamelin war sich in seiner Lagebeurteilung sicher, dass ein belgisches Aushalten den Alliierten die Einnahme der Schelde-Linie und Sicherung der belgischen Häfen ermöglichen würde. Am 30.9.1939 sandte Gamelin an Lord Gort die Kopie zweier Instruktionen, gerichtet an General Georges vom 29. und 30.9.1939, die beide denkbare Fälle einer für die Besetzung der Linien rechtzeitigen (1.) und einem verspäteten belgischen „Einladung“ (2.) der alliierten Truppen bei einem deutschen Überfall behandelten. Sollte die belgische Anforderung zu spät kommen, würden die alliierten Truppen die rückwärtige Defensivlinie wählen.

Bereits Anfang Oktober äußerte Gamelin die starke Besorgnis, dass ein deutscher Angriff durch Belgien und die Niederlande erfolgen würde, dessen Vorbereitungen zwischen dem 22.10. und dem 10.11.1939 abgeschlossen sein würden. Bemerkenswert ist, dass diese vermuteten Daten mit der deutschen Bereitstellung zum Angriff (12.11.1939) nahezu übereinstimmten. Dennoch ergab sich keinerlei Änderung in der belgischen Grundhaltung gegenüber den Alliierten im Oktober 1939. Erst Ende Oktober kam eine vorsorgliche Anfrage des belgischen Außenministers Spaak an die französische Botschaft, welches die alliierte Reaktion auf einen deutschen Einmarsch in den Niederlanden sein würde und welche genauen alliierten Reaktionen für den Beistandsfall in Belgien erfolgen könnten (seit Mitte Oktober hatte man die Versammlung von Panzerverbänden um Köln erfaßt und als "Armee Reichenau" identifiziert).

Daladier wies wie in der Vergangenheit in seiner Antwort auf die militärische Selbstverständlichkeit hin, dass die Stärke der alliierten Antwort auf einen deutschen Angriff wesentlich von der angemessenen Vorbereitung dafür abhängen würde, deren Qualität natürlich wiederum durch die belgische Zusammenarbeit bestimmt werden würde. Dieses konnte Belgien als klare Aufforderung für eine Zusammenarbeit zur Abwehr eines deutschen Angriffs verstehen. Sowohl die belgische als auch die niederländische Regierung befürchteten zu diesem Zeitpunkt einen deutschen Angriff am 11.11.1939, unter anderem aufgrund weiterer konkreter Geheimdienstinformationen. Tatsächlich war der Angriff inzwischen von Hitler ab dem 12.11.1939 angekündigt worden.


P.S. der Ablauf soll darlegen, dass der Saar-Vorstoß keine größere Rolle in den alliierten Planungen besaß und wohl eher der deutschen Beunruhigung dienen sollte (was auch nicht gelang). Irgendwelche Ambitionen waren damit - wie schon am 1.9.39 belegbar - nie verbunden.
 
Zuletzt bearbeitet:
P.S. der Ablauf soll darlegen, dass der Saar-Vorstoß keine größere Rolle in den alliierten Planungen besaß...
Das ist Dir gelungen, vielen Dank! Was auf jeden Fall bleibt, sind Fragen dieser Art: Wie kann es sein, dass Gamelin noch im Mai 1939 den Polen jedweden Beistand zusicherte ("he promise the Poles a bold French relief offensive within three weeks after a German attack") und sich dann, übetrieben formuliert, außerhalb der Schussweite der Deutschen hielt? Es gab offensichtlich gar keinen zureichenden Kriegsplan bzw. die Pläne, die existierten, legen die Assoziation vom "Krieg der Illusionen" nahe, angefangen von der polnischen Widerstandsfähigkeit bis hin zu Spekulationen über einen kommenden (abermaligen) Abnutzungskrieg.

Natürlich ist das kein militärisches Problem allein (vgl. The Republic in Danger: General ... - Google Bcher - werde ich mal lesen, wenn ich Zeit habe).
 
Wie kann es sein, dass Gamelin noch im Mai 1939 den Polen jedweden Beistand zusicherte ("he promise the Poles a bold French relief offensive within three weeks after a German attack") und sich dann, übetrieben formuliert, außerhalb der Schussweite der Deutschen hielt? Es gab offensichtlich gar keinen zureichenden Kriegsplan bzw. die Pläne, die existierten, legen die Assoziation vom "Krieg der Illusionen" nahe, angefangen von der polnischen Widerstandsfähigkeit bis hin zu Spekulationen über einen kommenden (abermaligen) Abnutzungskrieg.

Zunächst ist davon auszugehen, dass die "polnische Garantie" primär eine britische Sache war. Die militärischen Möglichkeiten Polens in einem Krieg mit Deutschland wurden zum Zeitpunkt der Garantieerklärung (März 1939) gerade vom Chieff of Staff untersucht, das Ergebnis wurde allerdings nicht abgewartet: die Studie lag Chamberlain selbst am 31.3.39 noch nicht vor. Die Entscheidung über die Garantie ist am 28.3.39 im Kabinett gefallen. Frankreich wurde erst nach der Rede Chamberlains in die diplomatischen Noten hinein gezogen.

Erst mit der ausgesprochenen Garantieerklärung der Westmächte ging man in die Maigespräche für den Kriegsfall und die alliierte-polnische Zusammenarbeit. Dabei wurden alte Strategien (Ostfesselung) aufgewärmt. Gemäß den polnischen Studien von 1936 - einige Jahre alt - ging man davon aus
a) das Deutschlands Kriegsbereitschaft nicht vor Mitte 1940 gegeben sei
b) Polen einige Monate durchhalten könne.

Bei der Diskussion im Kabinett äußerten dagegen mehrere Mitglieder, dass der gewünschte Abschreckungseffekt ohne die Einbeziehung der Sowjetunion nicht erreichbar sei. Grund: die Westalliierten könnten Rumänien und Polen mit keiner Waffengattung direkt (!) Unterstützung gewähren. Auch das war also vor dem 1.9.1939 zumindest angesprochen. Doch wo waren die Alternativen?

Der guten Ordnung halber muss man nun die polnische Aufstellung bei Beginn des Krieges hinzuziehen. Große Teile lagen im Osten, zB vor der litauischen Grenze. Fatal erwies sich die westliche Aufstellung, die zu den großen Kesseln westlich Warschau führte. Eine vorsichtige Aufstellung hinter den größeren Flüssen hätte sicher zu Verzögerungen geführt, aber doch umgehend das westliche polnische Territorium preisgegeben. Bei gleichen Armeestärken wurden die polnischen Kräfte in 14 Tagen ausmanöveriert und aus der Bewegung heraus umfaßt.

Schließlich: der nicht berücksichtigte Einmarsch der SU-Truppen von Osten. So sicher schien sich auch Stalin nicht gewesen zu sein, zögerte er dieses doch über eine Woche hinaus, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Die Westallierten hatten jedenfalls nicht auf der Rechnung.
 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die "polnische Garantie" primär eine britische Sache war. Die militärischen Möglichkeiten Polens in einem Krieg mit Deutschland wurden zum Zeitpunkt der Garantieerklärung (März 1939) gerade vom Chieff of Staff untersucht, das Ergebnis wurde allerdings nicht abgewartet: die Studie lag Chamberlain selbst am 31.3.39 noch nicht vor. Die Entscheidung über die Garantie ist am 28.3.39 im Kabinett gefallen. Frankreich wurde erst nach der Rede Chamberlains in die diplomatischen Noten hinein gezogen.

Erst mit der ausgesprochenen Garantieerklärung der Westmächte ging man in die Maigespräche für den Kriegsfall und die alliierte-polnische Zusammenarbeit. Dabei wurden alte Strategien (Ostfesselung) aufgewärmt. Gemäß den polnischen Studien von 1936 - einige Jahre alt - ging man davon aus
a) das Deutschlands Kriegsbereitschaft nicht vor Mitte 1940 gegeben sei
b) Polen einige Monate durchhalten könne.

Bei der Diskussion im Kabinett äußerten dagegen mehrere Mitglieder, dass der gewünschte Abschreckungseffekt ohne die Einbeziehung der Sowjetunion nicht erreichbar sei. Grund: die Westalliierten könnten Rumänien und Polen mit keiner Waffengattung direkt (!) Unterstützung gewähren. Auch das war also vor dem 1.9.1939 zumindest angesprochen. Doch wo waren die Alternativen?

Der guten Ordnung halber muss man nun die polnische Aufstellung bei Beginn des Krieges hinzuziehen. Große Teile lagen im Osten, zB vor der litauischen Grenze. Fatal erwies sich die westliche Aufstellung, die zu den großen Kesseln westlich Warschau führte. Eine vorsichtige Aufstellung hinter den größeren Flüssen hätte sicher zu Verzögerungen geführt, aber doch umgehend das westliche polnische Territorium preisgegeben. Bei gleichen Armeestärken wurden die polnischen Kräfte in 14 Tagen ausmanöveriert und aus der Bewegung heraus umfaßt.

Schließlich: der nicht berücksichtigte Einmarsch der SU-Truppen von Osten. So sicher schien sich auch Stalin nicht gewesen zu sein, zögerte er dieses doch über eine Woche hinaus, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Die Westallierten hatten jedenfalls nicht auf der Rechnung.

Interessante Abhandlung, was ist denn unter "Ostfesselung" zu verstehen`?
 
Interessante Abhandlung, was ist denn unter "Ostfesselung" zu verstehen`?

Die Darstellung stammen überwiegend aus Butler/Gibbs, Grand Strategy, Vol. I. Das umschreibt mE nur die Fähigkeit der polnischen Armee, mehrere Monate zu halten, bis die Lage im Westen den Friedensschluss erzwingt. Die Folgen waren nicht unrealistisch durchdacht. Ein Patt bis zum Herbst 1940 hätte das Deutsche Reich bei Treibstoffen, weiteren Engpaßrohstoffen und Munition in größte Schwierigkeiten gebracht.


Zur Saarlinie, die deutsche Verteidigung am 9.9.1939 in der Linien zwischen Mosel und Rhein (Saarburg-Merzig-Saarlautern-Saarbrücken-Pirmasens-Bergzabern-Wörth) sah wie folgt aus:

Frontlinie:
86., 79., 34., 15., 62., 6. 36., 9., 71., 25., 33. ID in der Front (1. Armee, aufgeteilt auf 3 Armeekorps).

dazu in Reserve im Rückraum
75. ID um Eiweiler
214. ID zwischen Idar-Oberstein-St. Wendel,
231. ID an der Nahe südlich Sabernheim
223. ID um Bingen-Bad Kreuznach Ausgang Nahe-Tal
246. ID um Neustadt-Speyer
215. ID um Bruchsal

etwas weiter:
209. ID um Darmstadt
58. nördlich Mosel um Wittlich
76. ID Anmarsch um Koblenz
268. ID Anmarsch Wetzlar-Giessen

Das sind 21 Großverbände, zT allerdings nicht 1. Linie und mit verminderter Kampfkraft. Einem infanteristischen Vormarsch in diesem Gelände (geschützt durch die Luftwaffe) legen die sich monatelang quer. Ein Beispiel dafür gibt Großmann, Geschichte der rheinisch-westfälischen 6. Infanterie-Division. Dieses lag im Zentrum des frz. Vortastens. Viel ist dort nicht passiert, außer Vorhutgefechten und Sperren der Durchgangsstraßen. Die Grenzlinie wurde ab 17.10. wieder eingenommen.

Im Übrigen gab es laufende Verstärkungen, bis zum Monatsende September 1939 bereits ein Dutzend Divisionen. Die Masse ging zur 1. Armee wegen des frz. Vorrückens in die geräumten Abschnitte. Wenn man hier gewollt hätte und bei Ernst der Lage, wären noch mehr Verstärkungen möglich gewesen. Die vorstoßenden frz. Verbände waren übrigens recht genau erkannt worden.

Lagekarte 9.9.1939 aus Thies, Der Zweite Weltkrieg im Kartenbild, Band 3: Der Westfeldzug
 
Alexander: The Republic in Dangre: S. 324. Rivet, der französiche Canaris, berichtet, dass "Schmidt - einer der besten deutschen Spione - ihn am 08.09.39 brieflich gewarnt hat, dass die Deutschen Funksprüche aufgefangen haben, die die Saar-Offensive verraten haben. Gamelin, der davon unterrichtet wurde, nahm keinerlei Notiz davon.

Das unterstreicht m.E. die untergeordnete Bedeutung dieser Offensive.

Insgesamt macht das Buch die schwerwiegenden Probleme deutlich, die Frankreich zu meistern hatte vor dem WW2. Und es zeigt, den Ultrakonservatismus, den Egoismus und die beschränkte Mentalität vieler "Rüstungsexperten" (Militärs, Industrielle und Politiker).

Für mich wirft es die Frage auf, ob Frankreich den Erfordernissen Rechnung tragen konnte oder wollte, die "moderne Kriege", wie sie die Wehrmacht führen wollte, gewachsen war.

In 39/40 hatte es nicht die wirtschaftliche Infrastruktur, keine angemessene Effizienz bei der Entscheidung und Durchführung von Rüstungsprojekten und vor allem eine völlig rückständige Felddienstordnung in Kombination mit einer anachronistischen Organisation des Heers und der Luftwaffe.
 
Insgesamt macht das Buch die schwerwiegenden Probleme deutlich, die Frankreich zu meistern hatte vor dem WW2. ...
Für mich wirft es die Frage auf, ob Frankreich den Erfordernissen Rechnung tragen konnte oder wollte, die "moderne Kriege", wie sie die Wehrmacht führen wollte, gewachsen war.
In 39/40 hatte es nicht die wirtschaftliche Infrastruktur, keine angemessene Effizienz bei der Entscheidung und Durchführung von Rüstungsprojekten und vor allem eine völlig rückständige Felddienstordnung in Kombination mit einer anachronistischen Organisation des Heers und der Luftwaffe.

Ist das nicht zu einseitig unter dem Eindruck des Zusammenbruches im Frühjahr 1940 beurteilt?

Die Ausgangslage für diesen Krieg - ohne die planerischen Fehler den Beistand Belgiens betreffend - war nicht einmal schlecht, natürlich aus der Sicht und der Papierlage Oktober 1939:

- rüstungsseitig und wirtschaftlich konnte das Deutsche Reich stillstehende Fronten im Westen keine 12 Monate durchhalten (Munitions- und Treibstoffkrise 1940) - die Genese des Manstein-Planes läßt vielerlei Deutung zu, dass dieser fast einer "letzten Chance" (so auch in Mansteins eigener Sicht: "wir haben nur einen Schuss"), jedenfalls einer einzigen Chance gleichkam. Von daher war die Strategie der Westallierten nicht schlecht: die vorsichtigeren Planungen haben die weitgehende Preisgabe Belgiens vorgesehen, und eine Umfassung ausgeschlossen. Das Festlaufen der deutschen Offensive in Ostbelgien und Nordfrankreich wäre eine gedachte Folge.

- der tatsächlich geführte Bewegungskrieg 1940 läßt keine Rückschlüsse darauf zu, welche Durchbruchsqualitäten die Wehrmacht 1940 tatsächlich aufzuweisen hatte - ich würde die als sehr gering einschätzen. "Fall Rot" - die 2. Phase ab Juni 1940 - ist für die Einschätzung jedenfalls aufgrund der geschwächten frz. Armee mE ungeeignet, ebenso wenig der Verlauf der Kämpfe in Belgien und den Niederlanden. In diesem Fall wäre auch die weit zurückgezogene frz. Luftwaffe anders aufgetreten, das hätte andere Proportionen in der Luft ergeben.

- die frz. Luftwaffe und die Panzerwaffe befanden sich a) im Umbruch, b) im starken Aufbau, zB hier:
http://www.geschichtsforum.de/f68/franz-sische-luftwaffe-1940-a-19971/
Die Auswirkungen der Produktion mit einem weiteren Zeitfenster von 3-6 Monaten kann man durchdenken. Jedenfalls hätten die neueren Typen und die großen Stückzahlen der Luftwaffe erhebliche Probleme bereitet. Gleiches gilt mE für die frz. Panzerwaffe.


Im übrigen wäre es eine interessante Überlegung, den operativen Fehler im Westen mit "scandinavian adventure" der Westallierten zu kombinieren: wie wäre die militärische Lage zu beurteilen, wären beide deutschen Operationen als Fehlschläge geendet: Festlaufen in Flandern, Verlust der nordeuropäischen Erzzufuhr und in der Folge nebenbei kein rumänisches Öl und kein italienischer Kriegseintritt ab Juni 1940? Dieser "seidene Faden" zieht sich durch das Jahr 1940.
 
Im übrigen wäre es eine interessante Überlegung, den operativen Fehler im Westen mit "scandinavian adventure" der Westallierten zu kombinieren: wie wäre die militärische Lage zu beurteilen, wären beide deutschen Operationen als Fehlschläge geendet: Festlaufen in Flandern, Verlust der nordeuropäischen Erzzufuhr und in der Folge nebenbei kein rumänisches Öl und kein italienischer Kriegseintritt ab Juni 1940? Dieser "seidene Faden" zieht sich durch das Jahr 1940.

Dann wäre doch wohl Ende gewesen!?
 
Dazu fällt mir noch das Tagebuch Ritter v. Leeb ein. Bemerkenswerte Unruhe entstand - trotz der schwachen deutschen Sicherungen - in dieser Phase nicht, ich lese das nochmal nach.

Unter dem Datum des 08.09.1939 heisst es bei Leeb: Ruhig. An einzelnen Stellen drückt der Franzose über die Grenze. Fünf Gefangene. Kleinere Schießereien. Führer befürchtet "blitzartige Überfälle." Ordnet Verstärkung der Oberrheinfront an.

Freitag 09.09.1939: Morgens an einzelnen Stellen Feind weiter vorgerückt. Artillerie-Feuer bei Weißenburg. Ein feindliches Flugzeug abgeschosse, ein Oberst gefangen...............
Gegner beiderseits Saarbrücken über deutsche Grenze, in Warndt eingedrungen. Anscheinend Spähtrupps.

Sonntag 10.09.39:
Vor Front Saarbrücken vier feindliche Divisionen festgestellt. Befehl zur Vorbereitung der Verstärkung der Front der Armee-Abtielung A, der 5. und der 1.Armee gegeben.

Mittags mit O.B.H gesprochen:
1.Freigabe der Abwehr gegn auf deutsches Gebiet vorgedrungen Gegner erbeten. O.B.H. grundsätzlich einverstanden, muß Entscheid des Führers einholen.

2. Div. 3 und 4.Welle für Großkampf nicht zu gebrauchen, daher baldmöglichst mit ihren Ersatz durch Div. aus dem Osten beginnen. O.B.H. meint in zwei tagen wäre es so weit, daß die eine oder andere Div. für den Westen freigegeben werden kann.

Nachmittags Besprechung mit general von Witzleben:
1. Feuer frei gegen Feind auf deutschen Boden.
2. Um der 1.Armee Möglichkeit zur Verstärkung der Front und zur Bildung von korpreserven zu geben, erhält er ein Gen.Kdo und zwei Div. (XXX.Hartmann, 212,223).
3.Hohe Alarmbereitschaft bei 52.Div.

Dienstag 12.09.39:
Aus den gestrigen Abendmeldungen ergibt sich, daß der Gegener in breiter Front in dem gelände südlich Saarbrücken-Zweibrücken weiter vorrückt. Er ist jetzt nur noch eine Höhenwelle ab bis zu den Höhen, dier er braucht für Artillerie und Inf.Bereitstellung. Über diese Auffassung erneut mit OB 1.Armee General v.Witzleben gesprochen, der angibt, daß die befehle zur Verstärkung der Front und Hereinschieben von Reserven bereits gegeben seien.
Da abends zweifel auftauchn, ob tatsächlich etwas geschehen ist, wird der vorbereitete Befehl für Erhöhung der Alarmbereitschaft bei 1.Armee ausgegeben. Mittag mit halder gesprochen, daß vor allem Artillerie und Flieger benötigt sind. Halder sagt, daß es vom ersten Tag ab seine Sorge gewesen sei, alles was im Osten entbehrlich sei, nach dem Westen zu schicken. Art. würde schon dauernd heraugezogen.zweiter Sohn Adam gefallen. Tag anscheinend ruhig verlaufen.

Mittwoch 13.09.39:
Gegner hat gestern nur Birnberg genommen 8südostwärts Saarbrücken). Da dies für ihn wichtige Beobachtungsmöglichkeit, wurde der Berg wieder genommen. Heute drängt er bei 6. und 9. Div weiter vor. Nachmittags kam O.B.H., sprach über die Zuführung in den nächsten Tagen und Wochen, zunächst 62. und 3.Geb.Div, gegen Ende des Monats vier Generalkommandos mit etwa acht Divisionen.

Donnerstag 14.09.39:
Gegner nicht weiter vor. Abends trifft fernschreiben des OKH ein, das Erhöhung der Abwehrbereitschaft der 1.Armee anordnet.

Samstag 16.09.39:
Ruhe. Nachmittags bei Gernal v. Witzleben AOK 1Kreuznach:
1. Maßnahmen für Erhöhung der Abwehrbereitschaft.
2. Ausbau des Hauptkampffeldes
3. Neugliederung für Dauerzustand

Dienstag 19.09.39:
Feindliches Unternehmen gegen 325 südl.Ormesheim wurde abgewiesen.

Leeb, Tagebuchaufzeichnungen und Lagebeurteilungen aus zwei Weltkriegen, S.175ff, Stuttgart 1976
 
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