Und die eigentlichen "Totengräber" der WR, waren überzeugte Republikaner.
Die These, der beiden Totengräber von links und von rechts möchte ich deutlich widersprechen. Sie ist m.E. aufgrund der historischen Fakten nicht haltbar und entlastet zudem den „Rechtsblock“ und vor allem Hitler in seinem Anteil am Zusammenbruch von Weimar. Eine rechnerische Mehrheit der beiden anti-demokratischen Parteien belegt lediglich, dass die Demokratie abgewählt wurde (7), aber sagt nichts über den Anteil der beiden Parteien am Zustandekommen des Zusammenbruchs der WR aus.
Am 20. Mai 1928 war die politische Welt der Weimarer Republik oberflächlich betrachtet relativ intakt. Die SPD, als eine der wichtigsten Garanten der WR, war mit 29,8 Prozent als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen (vgl. 6, S. 71) und insgesamt wurde dieser Wahl ein „Linksrutsch“ zugesprochen. Die NSDAP hatte lediglich einen Anteil von 2,6 Prozent und war politisch faktisch „tot“.
Die gesellschaftliche Situation, aus der Sicht eines Amerikaners, kann mit Shirer in ihren Oberflächenphänomenen gut beschrieben werden: „A wonderful ferment was working in Germany. Life seemed more free, more modern, more exciting than in any place I had ever see. …The old oppressive Prussian spirit seemed to be dead. Most Germans one met….struck you as being democratic, liberal, even pacifist.” (13, Loc 2882). In ähnlicher Weise beschreibt Mai die generelle Situation in der WR, die durch Fortschrittsoptimismus und radikale Kulturkritik geprägt war, begleitet durch die Auflösung von traditionellen Normen und Milieus (10, S. 18ff).
Zu diesem Zeitpunkt, 1928, gab es vermutlich niemanden, inklusive Hitler, der die Erosion der politischen Systems der WR bis 1933 prognostiziert hätte.
Auf den ersten Blick erhält die These von Melchior durch eine Aussage des langjährigen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun zusätzliche Evidenz, der auf die Frage nach den Ursachen der Scheiterns der WR sagte: „Versailles und Moskau“ (12, S. 256). Allerdings weist Möller sofort darauf hin, dass diese Antwort kaum der damaligen Situation gerecht wird.
Versucht man dennoch Faktoren zu benennen, dann wirken Faktorenbündel zu unterschiedlichen Phasen der WR, die aufeinander aufbauen und erst in bestimmten historischen Kontexten politisch relevant werden konnten.
Für die Übergangsphase vom Kaiserreiche zur WR (1918-1919) sind es zwei Faktoren, die bei Wehler auch als „strukturelle Belastungen“ thematisiert werden und die politische Kultur von Weimar prägen sollten
1.Der Zusammenbruch des wilhelminischen politischen Systems ohne eine umfassende Veränderung des politischen Systems. Und mit der Konsequenz, das die politische Machtbasis der ostelbischen, nicht selten aristokratischen, Großagrarier weitgehend intakt geblieben ist.
2.Der verlorene Krieg und seine vertragliche Festschreibung des Schuldeingeständnisses im VV inklusive der Formulierung der Dolchstoßlegende eines angeblich unbesiegten Heeres im Felde. Und der Möglichkeit zur innen- und außenpolitischen Instrumentalisierung.
Auf diese beiden hochgradig problematischen Ereignisse /Stichwort "Osthilfe etc.) wurde im GF schon hingewiesen.
Für die Gründungsphase der WR (1918-1923)sind es ebenfalls zwei Aspekte, die über ihren unmittelbaren zeitlichen Bezug für die WR Geltung gewinnen sollten und sich destabilisierend in der Schlussphase auswirken sollten.
3. Mit der Verfassung der WR wurde einem „jakobinischen, Parlamentarismus" der Riegel vorgeschoben, der die Legislative und die sie tragenden Parteien gegenüber anderen Organen der Verfassung schwächte. Verstärkt durch das tradierte wilhelmische Verhaltensmuster, das auf eine relativ starke Distanz zwischen den jeweiligen Vertretern der Parteien in der Regierung und ihren eigenen Parteien hinauslief (4, S. 500).
Dieses strukturelle Missverständnis des Parlamentarismus lief auf eine vertikale Trennung zwischen Exekutive und Legislative hinaus, anstatt die horizontale Trennung nach Regierungsparteien und Oppositionsparteien zu betonen. Die Konsequenz für die WR war, dass es die Formulierung eines übergreifenden, die Parteien bzw. ihre Vertreter im Reichstag bindenden Konsens deutlich erschwerte. Und stattdessen fast alle Parteien im Reichstag in sehr enger Anbindung an die Interessenstrukturen Ihrer Klientel agierten.
Deutlich wird das im rechten Spektrum, aber betrifft auch hochgradig die KPD und ihr Versagen bei der Bewertung der politischen Rahmenbedingen im Zuge der ersten Wahl von Hindenburg im Jahre 1925. Und an diesem Punkt wird dann ersichtlich, dass die Verweigerungshaltung der zentrale Aspekt ist, den man der KPD im Jahr 1925 im Besonderen und bis 1933 im Allgemeinen vorhalten kann. Und als Ursache wird man die völlig absurde Theorie des „Sozialfaschismus“ an die Adresse der SPD benennen können.
Dass in der Folge, auch aufgrund des Machtgewinns der Faschisten / Nationalsozialisten durch EKKI / KI das Eingehen von Volksfrontbündnissen in den dreißiger Jahren als opportun angesehen wird, beleuchtet erschreckend grell die politische Inkompetenz der KI.
Eine weitere problematische Entscheidung betraf die Position des Präsidenten und seiner direkten plebiszitären Legitimation. Die Verfassungsgeber räumten dem Präsidenten, in retrospektiver Huldigung des autokratischen Prinzips des Monarchen, eine sehr starke Position ein und verschoben die Gewichtung in Richtung Präsidialamt und weg vom Parlament. Auf die verheerende Rolle, die die Judikative in der Regel bei der Absicherung der Demokratie spielte, wie beispielsweise bei der Legalisierung des Absetzend der preußischen Regierung (MP Otto Braun) durch Papen , soll nicht eingegangen werden.
4. Über mehrere und letzlich erfolglose Versuche der KPD (bis 1923), die ökonomischen und somit die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland zu verändern, bedrohte primär die KPD die Existenz der WR und schuf somit primär für die Mittelschichten die Grundlage für ihre Politisierung, die sie aus der politischen Mitte in das rechte politische Spektrum treiben sollte (5, S. 415ff). Nach 1923 war die KP politisch weitgehend handlungsunfähig, trotz des Anwachsens ihres Wähleranteils Anfang der dreißiger Jahre.
Ihre wichtige politische Bedeutung erhielt die KPD primär für den „Rechtsblock“ und vor allem für Hitler als Projektionsfläche für die Gefahr einer „Sowjetisierung“ Deutschlands und der Gefahr eines Klassenkampfs, die den sozialen Abstieg der Mittelschicht noch zusätzlich dramatisierte. Die Rolle der KPD beschränkte sich somit eher auf die Bedeutung eines „politischen Akteurs in Being“, der hauptsächlich relevant war durch das was er hätte tun können, die revolutionäre Abschaffung der WR, und weniger durch das, was er realistisch hätte nach 1923 tun können. Die KP war das perfekte Feindbild, das zur Instrumentalisierung durch den Rechtsblock einlud.
Sofern durch Otto Braun bereits Versailles und Moskau benannt wurde wäre es notwendig auch Wall Street zu benennen, als Symbol für einen bereits etablierten globalen Finanz-Kapitalismus. Die wirtschaftliche Entwicklung bzw. auch Erholung der WR ging einher mit einer deutlich zunehmenden geographischen Mobilität der Bevölkerung. In Kombination mit der Inflation Anfang der zwanziger Jahre bedeutete sich insgesamt einen raschen sozialen Wandel in Kombination mit der Gefahr eines sozialen Abstiegs.
In diesem Sinne ergab sich in substantieller Weise in der Mittelschicht eine reale bzw. auch eine gezielt propagierte Bedrohung auf der einen Seite durch die Vereinnahmung durch den Klassenkampf der KPD und auf der anderen Seite durch die Angst vor einer krisenhaften Entwicklung der Wirtschaft und damit zusammenhängender Arbeitslosigkeit und dem unweigerlichen sozialen Abstieg.
Die Rahmenbedingungen für den finalen Akt der WR sind beschrieben und ermöglichen einen Blick auf die zentralen Ereignisse und die politische Strategie von politischen Legalisten (SPD), monarchischen Revisionisten (Hindenburg, Meissner, Brüning, Papen), politischen Zauberlehrlingen (Schleicher & Hammerstein) und radikalen Hazardeuren (Hitler).
Zur Verschärfung der innenpolitischen Situation nach 1928 haben eine Reihe von Ereignissen entscheidend beigetragen.
Als unabhängige Randbedingung ist sicherlich die Weltwirtschaftkrise 1929/30 zu benennen, die die wirtschaftliche Deprivierung der Mittelschicht wieder massiv in den Vordergrund stellte und die Attraktivität einer völkischen Solidaritätsgesellschaft jenseits von Klassen verstärkte. Und einer der Gründe für die zunehmende Popularität von Hitler bildetete.
Bedeutsam ist jedoch vor allem der Schritt von Schleicher im Frühjahr 1929 (11, S. 343), Hindenburg davon zu überzeugen, Brüning als neuen Reichskanzler einzusetzen und die SPD von der weiteren Regierungsverantwortung auszuschließen (11, S. 349 und 9, S. 132 ff). An diesem Punkt treffen sich die Interessen der Vertreter des „alten Nationalismus“ (Monarchisten) und die des „völkischen Nationalismus“ (3).
Und es bilden sich politische Gravitationszentren, die teils ähnliche teils widersprechende politische Vorstellungen verfolgten. Dennoch kann man sicherlich als Übereinstimmung zwischen Brüning und der Kamarilla um Hindenburg einen starken monarchischen Revisionismus erkennen. Der noch deutlicher wird in seiner Bindung an die Interessen der ostelbischen Großagrarier und der Wiederherstellung ihrer ursprünglichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation bzw. Privilegien dienen sollte (vgl. 1 und 2).
Dass Schleicher dann Papen mit Hilfe einer „Bürgerkriegsstudie“ der RW entmachtet (4, S. 485) und sich selber via Hindenburg als Kanzler einsetzt und eine „Querfront“ verfolgt, die zum Entzug des Vertrauens durch Hindenburg führt, sei noch angeführt, um das intrigenhafte Spiel im Umfeld von Hindenburg zu beleuchten. Und es war auch ein Wehrkreiskommandeur, General v. Blomberg, der sich für die Absetzung Schleichers stark gemacht hatte. Wie insgesamt die Rolle der RW am Zusammenbruch der WR noch nicht ausreichend aufgearbeitet worden, wie Wehler konstatiert (15, S.582).
Und die letzte Phase zeigte ebenfalls die weitgehende Entmachtung des Parlaments und auch die völlig Ratlosigkeit der größten pro-republikanischen Kraft, der SPD, wie sie mit der Herausforderung durch Hitler umgehen sollte (14).
Ein Resümee soll in Anlehnung an Büttner und Wehler erfolgen: „ Die Weimarer Republik mußte in der kurzen Zeit ihres Bestehens mit enormen Schwierigkeiten fertig werden. Wegen ihrer großen strukturellen Vorbelastungen, der vielfältigen sozialen Spannungen, der Schwäche ihrer Eliten und der überzogenen Erwartungen ihrer Bürger war sie dafür schlecht gerüstet. Den letzten Stoß aber erhielt sie durch den revisionistischen Ehrgeiz einer konservativen politischen Führung, die seit der Ära Brüning inmitten einer dramatischen Wirtschafts- und Staatskrise danach strebte, die außen- und innenpolitische Niederlage von 1918 zu überwinden.“ (4, S. 509) und Wehler formuliert:“ Daher erwies es sich als Tragödie, dass das Berliner Machtkartell [gemeint ist Hindenburg und Umgebung], geblendet vom eigenen Interessenegoismus, es überhaupt unternommen hatte, mit Hitler und seiner Bewegung die Gegenrevolution gegen Weimar zu vollenden.“ (15, S. 593).
1.Bracher, K.D.: Die Auflösung der Weimarer Republik, 1984
2. Bracher, K.D.: Die deutsche Diktatur. 1996/1979
3.Breuer, S: Die radikale Rechte in Deutschland 1871-1945, 2010
4.Büttner, U. Weimar. Die überforderte Republik 1918 – 1933, 2008
5. Dahrendorf, R.: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1965
6.Falter, J., T. Lindenberger, S. Schumann: Wahlen und Abstimmung in der Weimarer Republik, 1986
7.Jesse, E.: Systemwechsel in Deutschland, 2010
8.Kluge, U.: Die Weimarer Republik, 2006
9.Kolb, E.: Die Weimarer Republik, 2009
10.Mai, G.: Europa 1918 – 1939, 2001
11.Mommsen, H. Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar, 2009
12.Möller, H. Die Weimarer Republik. 2004
13.Shirer, W.L: The Rise and the Fall of the Third Reich, 1961/2011
14.Smaldone, W. : Confronting Hitler: German Social Democrats in Defence oft he Weimarer Republic, 1929 – 1933, 2009
15.Wehler, H-U: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, 2008