Zur These vom Präventivkrieg im Osten (Resümee):
Nach dieser These hat Hitler-Deutschland am 22.Juni 1941 die Sowjetunion nicht überfallen, sondern wollte mit einer vorbeugenden Militäraktion einem vermuteten bevorstehenden Angriff der Roten Armee zuvorkommen. Die wichtigsten Vertreter dieser Behauptung sind Joachim Hoffmann, 1995 pensionierter Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr ("Stalins Vernichtungskrieg"), Ernst Topitsch, emeritierter Sozialphilosoph an der Universität Graz ("Stalins Krieg") und "Viktor Suworow" ("Der Eisbrecher"), hinter dessen Pseudonym sich der 1983 in den Westen übergelaufene Geheimdienstoffizier Wladimir Resun verbirgt. Dazu kommen noch etliche Pamphlete von Kriegsveteranen (zuletzt 1997 Gerhard Baumfalk "Überfall oder Präventivschlag") und eindeutig rechtsradikalen Autoren (zuletzt 1998 Wolfgang Strauss "Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit"). Über Jahrzehnte großen Einfluss hatte und hat Paul Carells Bestseller "Unternehmen Barbarossa" (seit 1963 in immer neuen Auflagen) , dessen Darstellung mit einem zweiseitigen Zitat aus Hitlers Tagesbefehl zum Angriff beginnt, der die Behauptung vom bevorstehenden Überfall der Roten Armee propagiert. Bis heute ist auch unter Historikern wenig bekannt, dass es sich bei dem Pseudonym "Paul Carell" um einen der einflussreichsten Presselenker des NS-Staates handelt, nämlich um den SS-Obersturmbannführer und Pressesprecher Außenminister Ribbentrops, Paul Karl Schmidt. Das "Unternehmen Barbarossa" des SS-Obersturmbannführers und Pressesprechers Paul Karl Schmidt alias des Bestsellerautors Paul Carell hat das Bild des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion geprägt: Es war ein sauberer, notwendiger und kameradschaftlicher Krieg. Die SS war nichts anderes als eine kämpfende Truppe, nur einmal, auf Seite 439, gibt es eine SS, die fanatisch und grausam ist: "Stalins SS...".
Neben dem unter 4.vorgstellten Forschungsbericht setzen sich seriös zwei Sammelbände mit der Präventivkriegsthese auseinander:
Gerd R. Ueberschär / Lev A. Bezymenskij (Hg.): Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Wissenschaftliche Buchgesellschaft / Primus Verlag, Darmstadt 1998
Bianka Pietrow-Ennker (Hg.): Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M.2000
Die deutsch-russischen Historikerteams kommen zu dem Schluss, dass die Präventivkriegsvertreter keine Beweise für ihre These vorbringen können und neben vielen anderen Fakten den historischen Tatbestand vernachlässigen, dass Hitler den Entschluß zum Überfall schon im Juli 1940(!) fasste (Tagebücher Generaloberst Halder, 31.7.1940), die eigene Feindaufklärung (vgl. Akten der Abteilung Fremde Heere Ost, Bundesarchiv-Militärarchiv, RH 19 III/722 u. RH 2/1983) den Aufmarsch der Roten Armee als Reaktion auf den deutschen Aufmarsch und im wesentlichen als defensiv analysierte und Goebbels in seinem Tagebucheintrag vom 16.6(!) 1941 triumphierte: "Der Führer schätzt die Aktion auf etwa 4 Monate, ich schätze auf weniger. Wir stehen vor einem Siegeszug ohnegleichen." Die NS-Führung hatte nicht die geringste Angst vor einem angeblich drohenden sowjetischen Angriff. Unter dieser historischen Beweislast fällt die Präventivkriegsthese in sich zusammen. Es war nicht "Stalins Krieg" (Topitsch) oder "Stalins Vernichtungskrieg" (Hoffmann), sondern der Vernichtungskrieg Hitlers und der deutschen Wehrmacht auf russischem Territorium.
Noch ein Hinweis zur Behandlung des Themas im Unterricht: Wigbert Benz: Die Lüge vom deutschen Präventivkrieg 1941. In: Geschichte Lernen (FRIEDRICH-Verlag in Verb. mit KLETT),H.52/1996, S.54-59. Dieser Unterrichtsentwurf ist mit aktualisierten Literaturhinweisen seit Ende Oktober 2000 auch im "Sammelband Nationalsozialismus" (S.67-72) des gleichen Verlages verfügbar.