Freie Stadt Danzig - Warum?

Solwac

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Eine der folgen des ersten Weltkriegs war die Trennung Danzigs vom Deutschen Reich. Ich habe in etlichen Ecken gestöbert und nur die Beschreibung der Wiedererrichtung der freien Stadt gefunden. Warum aber kam es dazu? Weder die Deutschen noch die Polen wollten es.

Solwac
 
Zuletzt bearbeitet:
florian17160 schrieb:
Ja.
Der Versailler Vertrag verfügte mit seinem Inkrafttreten am 10. Januar in den Artikeln 100 bis 108 [2] die Abtretung von Kreisen und Kreisteilen der preußischen Provinz Westpreußen, Regierungsbezirk Danzig, an die Alliierten und assoziierten Hauptmächte zur Bildung der Freien Stadt Danzig.
Nachzulesen hier.
http://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Stadt_Danzig
Und zur Ergänzung
http://www.versailler-vertrag.de/vv3a.htm#311


Da steht auch etwas zur Idee und Motivation:

Die Abtrennung des Danziger Gebietes vom Deutschen Reich hatte ursprünglich als Begründung, dem neuen polnischen Staat einen gesicherten Zugang zum Meer zu verschaffen. Dem diente ein besonderer Hafenausschuss, der die widerstreitenden Interessen Danzigs und Polens ausgleichen sollte.
 
Der Versailler Vertrag folgte insoweit Wilsons 14-Punkte-Programm:
Wilsons 14-Punkte-Programm schrieb:
XIII. Es sollte ein unabhängiger polnischer Staat errichtet werden, der die von unbestritten polnischen Bevölkerungen bewohnten Gebiete einschließen sollte, dem ein freier und sicherer Zugang zum Meere zugesichert werden sollte und dessen politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit durch internationales Abkommen garantiert werden sollten.

Quelle: http://www.documentarchiv.de/in/1918/14-punkte-wilsons.html
Mit dem freien und sicheren Zugang zur Ostseee sollte der nach den polnischen Teilungen des 18. Jahrhunderts neugegründete polnische Staat freier und unabhängiger von Deutschland und Russland werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
danzig war die einzige in frage kommende hafenstadt, die den "freien zugang zum meer" erlaubt hat. die alliierten haben dieses konstrukt wohl gewählt, weil sie eine zu 97% deutsch besiedelte stadt (volkszählung 1910, quelle wiki) und sein umland schlecht ganz polen schlagen konnten.

das problem war, dass keine seite diesen kompromiss wollte. die polen haben mit gdingen eine konkurrenz aufgebaut, die deutschen wollten keine polnische einmischung und zurück in den reichsverband.
 
Solwac schrieb:
Eine der folgen des ersten Weltkriegs war die Trennung Danzigs vom Deutschen Reich. Ich habe in etlichen Ecken gestöbert und nur die Beschreibung der Wiedererrichtung der freien Stadt gefunden. Warum aber kam es dazu? Weder die Deutschen noch die Polen wollten es.

Solwac

Der Zankapfel Danzig ist viel älter als bisher angeklungen. Es begann vor fast 700 Jahren.

Danzig war um 1200 die Hauptstadt Pommerellens und gehörte kirchlich zum polnischen Erzbistum Gnesen.

Um 1308-1309 wurde der dt. Orden von Pommerellen gegen einen Einfall der Brandenburger zu Hilfe gerufen. Der dt. Orden begnügte sich aber nicht damit, die Brandenburger zu vertreiben, sondern er belagerte, eroberte und verwüstete auch zu großen Teilen die Stadt Danzig und vertrieb die polnische Besatzung der Danziger Burg.

Damit hatte der dt. Orden nach Kirchenrecht seine Kompetenzen überschritten und ein Unrecht begangen.

Aufgrund dieser Rechtslage gab Polen den Anspruch auf Danzig nie auf und bemühte die kirchliche Rechtsprechung um eine Verurteilung des dt. Ordens.

Es gab mehrere kirchliche Prozesse um die Eroberung Danzigs. Es kam sogar zur Exkommunizierung aller Ordensritter des dt. Ordens. Aber auch dies war nicht genug, um den dt. Orden zur Aufgabe seiner Positionen zu bewegen.

Trotz aller Streitigkeiten gehörte Danzig immer zum Erzbistum Gnesen und blieb auch immer im Gedächtnis Polens.

Im Verlaufe der Jahrhunderte geriet Danzig, mal unter polnische, mal unter deutsche Herrschaft.

So ist die Freie Stadt Danzig auch nur ein Mosaikstein in der Geschichte dieser Stadt.
 
Bisher komme ich nach den Beiträgen und Links zu dem Schluß, dass im Versailler Vertrag "einfach nur" der 13. Punkt Wilsons umgesetzt wurde.
collo schrieb:
das problem war, dass keine seite diesen kompromiss wollte.
Dieser Punkt scheint mir aber zentral zu sein. Warum hat Wilson seinen Punkt so formuliert und warum hätte z.B. ein Freihafen nicht gereicht?
Warum wurde die polnische Meinung in Versailles nicht berücksichtigt? Bezüglich Schlesien gab es ja Kontakte zwischen den Siegern und den Polen.

Solwac
 
Solwac schrieb:
Warum wurde die polnische Meinung in Versailles nicht berücksichtigt? Bezüglich Schlesien gab es ja Kontakte zwischen den Siegern und den Polen.

Solwac

als "neuer staat", der selbst nicht an den kämpfen im ersten weltkrieg beteiligt war, war die polnische position in versailles natürlich eine relativ schwache. dennoch ging man auf viele polnische forderungen ein: ganz posen, große teile westpreussens wurden ohne volksabstimmung polen zugeschlagen, obwohl zumindest in westpreussen eine ähnliche mischung herrschte wie in den abstimmungsgebieten in oberschlesien.

in oberschlesien gab es einen bedeutende polnischen bevölkerungsanteil, in danzig und seinem umland nicht, eine volksabstimmung hätte kein anderes ergebnis erwarten lassen, als den verbleib danzigs im deutschen reich.

eigentlich wäre ja mit der abtretung des küstenstreifens um gdingen die forderung wilsons erfüllt gewesen. weil aber dort kein seehafen vorhanden war, hat man diesen "kompromiss" über die köpfe aller beteiligten hinweg beschlossen.
 
Solwac schrieb:
Dieser Punkt scheint mir aber zentral zu sein. Warum hat Wilson seinen Punkt so formuliert und warum hätte z.B. ein Freihafen nicht gereicht?
Bei einem Freihafen kommt die Frage des Zugangs auf. Die Polen hätten ja über deutsches Gebiet transportieren müssen. Die bis dato in der Weltpolitik kaum erfahrenen US-Amerikaner versuchten dort ihre Ansichten von Ordnung und Gerechtigkeit anderen Völkern zu "verschreiben". Er meinte wohl, ein funktionierender Staat bräuchte einen Seehafen. Komisch, daß Österreich, Ungarn, die Slowakei oder Tschechien bestehen können...? :grübel:

Bezüglich Schlesien gab es ja Kontakte zwischen den Siegern und den Polen.
Du verwechselst das jetzt aber nicht mit dem Zweiten Weltkrieg?
Wenn du das System der Abstimmungsgebiete meinen solltest, kam das in Danzig nicht infrage, denn Danzig hatte (wie Collo schon schrieb) eine klar deutsche Bevölkerung. Eine Abstimmung hätte nicht das Ergebnis gebracht, das Wilson wollte, also wurde sie nicht gemacht und somit vorsätzlich der Wunsch der Bevölkerung ignoriert.
 
Arne schrieb:
Er meinte wohl, ein funktionierender Staat bräuchte einen Seehafen. Komisch, daß Österreich, Ungarn, die Slowakei oder Tschechien bestehen können...? :grübel:
In gewisser Weise hatte er für die damalige Zeit auch Recht. Die friedliche Koexistenz zweier Staaten war damals keineswegs selbstverständlich und so war auch der Handel über den Hafen eines Nachbarlandes nicht permanent sicher. Insbesondere Österreich und Ungarn waren alles andere als glücklich ihren Zugang zum Meer nach dem 1. Weltkrieg zu verlieren. Beide hatten immerhin eine jahrhundertelange maritime Tradition.
 
Nicht nur Danzig hatte eine klar deutsche Bevölkerung. Dasselbe gilt für die nördlicheren Teile Westpreußens. Und inweit die in Westpreußen lebenden Kaschuben polnisch werden wollten, ist auch eine Frage. Die Masuren zumindest, die ja gefragt wurden, haben klar verneint und für Deutschland gestimmt.

Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, dass Polen in Danzig Hafenrechte eingeräumt worden wären, ähnlich wie der CSR in Hamburg. Was anscheinend reibungslos funktioniert hat.
Es ging wohl den Siegermächten (insbesondere Frankreich) in der Hauptsache darum, als Ersatz für das zaristische Rußland ein starkes Polen als möglichen Bündnispartner zu schaffen.

Grüße Repo
 
collo schrieb:
als "neuer staat", der selbst nicht an den kämpfen im ersten weltkrieg beteiligt war, war die polnische position in versailles natürlich eine relativ schwache. dennoch ging man auf viele polnische forderungen ein: ganz posen, große teile westpreussens wurden ohne volksabstimmung polen zugeschlagen, obwohl zumindest in westpreussen eine ähnliche mischung herrschte wie in den abstimmungsgebieten in oberschlesien.

in oberschlesien gab es einen bedeutende polnischen bevölkerungsanteil, in danzig und seinem umland nicht, eine volksabstimmung hätte kein anderes ergebnis erwarten lassen, als den verbleib danzigs im deutschen reich.

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Widerspruch, die Kaschuben in Westpreußen sind keine Polen! Die sind sowenig Polen wie die Litauer oder die Ukrainer.
Und auch in Oberschlesien ist das Abstimmungsergebnis deutlich besser als der tatsächliche Bevölkerungsanteil der deutschsprachigen.

Grüße Repo
 
ich habe nicht behauptet, die kaschuben seien polen (oder deutsche). ich wollte damit ausdrücken, dass es sich bei den abgetretenen gebieten westpreussens um eine ähnlich gemischt besiedelte gegend wie in oberschlesien handelte.
 
collo schrieb:
ich habe nicht behauptet, die kaschuben seien polen (oder deutsche). ich wollte damit ausdrücken, dass es sich bei den abgetretenen gebieten westpreussens um eine ähnlich gemischt besiedelte gegend wie in oberschlesien handelte.

OK. hast recht.
Wo hast Du Dich denn ewig rumgetrieben?
Die Quiz-Seiten haben förmlich nach collo geschrien.

Grüße Repo
 
Solwac schrieb:
Bisher komme ich nach den Beiträgen und Links zu dem Schluß, dass im Versailler Vertrag "einfach nur" der 13. Punkt Wilsons umgesetzt wurde. (...) Warum hat Wilson seinen Punkt so formuliert und warum hätte z.B. ein Freihafen nicht gereicht?
Bei Punkt 13 ging es um das Selbstbestimmungsrecht der Polen und auch darum, unter welchen Bedingungen diese künftig leben sollten.

Dass den Polen künftig ein eigener Nationalstaat zustand, war ja selbst dem Deutschen Reich klar geworden, als es im 1. WK – freilich aus eigennützigen Motiven (Ziel: Rekrutierung polnischer Männer) – das Königreich Polen proklamierte.

Doch in welchen Grenzen sollte der neue polnische Staat bestehen? Polen war 1918/19 ein Staat „ohne Grenzen“. Logischerweise brachen dann auch Kämpfe zwischen Polen und Deutschen um diese Grenzen aus. Die Polen wollten nach zwei Jahrhunderten der Fremdbestimmung die historische Chance für die Verwirklichung ihres Nationalstaates nutzen, um Polens Grenzen möglichst weit zu ziehen. Die Deutschen sahen sich als Verteidiger „ihrer Heimat“, auch wenn diese – vor langer Zeit – zum Alten Polen gehörte und mit Hilfe der preußischen Antipolen-Politik zuweilen rücksichtslos „germanisiert“ wurde.

Entsprechend dem vom Wilson proklamierten Selbstbestimmungsrecht der Völker sollten die deutsch-polnischen Grenzen grundsätzlich mit Hilfe von Volksabstimmungen gefunden werden. Diese Abstimmungen fanden in Ostpreußen und Oberschlesien dann auch statt. Gegenüber den Polen hatten diese Abstimmungen durchaus eine ungerechte Komponente: sie mussten auf Gebiete verzichten, die zwar einst zum Alten Polen gehörten, aber in den letzten 200 Jahren erfolgreich „germanisiert“ wurden.

Doch völlig konnte man DIE POLNISCHE GESCHICHTE nicht ignorieren. Das Alte Polen verlor zuerst große Teile seiner Ostseeküste und dann – als es von der Außenwelt abgeschnitten war - den Rest. Dem neuen polnischen Staat sollte die Wiederholung dieses Schicksals erspart bleiben. Er sollte sich notfalls mit internationaler Hilfe aus einem etwaigen deutsch-russischen Würgegriff befreien können. HIERZU benötigte das Neue Polen einen freien und SICHEREN Zugang zum Meer. Man kann also Wilson schlecht vorwerfen, die europäischen Verhältnisse zu wenig gekannt zu haben. Er kannte sie sehr gut. Deshalb forderte er ja in seinen Vierzehn-Punkten für Polen EINEN freien und sicheren Zugang zum Meer.

Wie kam man in Versailles ausgerechnet auf Danzig? Es wurde ein Ausschuss für polnische Angelegenheiten eingesetzt (12.2.1919) und dessen Wahl fiel auf Danzig. Der Rat der Zehn übernahm dann diese Empfehlung am 19.3.1919. Für ihn waren ausweislich des Protokolls folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: Danzig blieb nach der 1. Teilung Polens (1772) polnisch. Sein Besitz war für Polen eine Frage von Leben und Tod. Der im März 1919 zwischen Deutschland und den Alliierten aufgekommene Streit über die Heimführung polnischer Truppen, die in Frankreich auf deutscher Seite aufgestellt waren, wurde vom Rat als Hinweis für diese Bedeutung des Danziger Hafens gewertet (Deutschland befürchtete, die Polen würden bei ihrer Heimführung über Danzig versuchen, Danzig zu besetzen. Das Abkommen von Spa vom 4.4.1919 bestimmte schließlich den Transport des größten Teils der Truppen in Eisenbahnzügen quer durch Deutschland). Ohne Zugang zur Ostsee würde Polen erdrückt werden. Daneben bestanden, dem Rat zufolge, auch noch wirtschaftliche als auch militärische Gründe für die Entscheidung, Danzig dem polnischen Staat zuzuschreiben. Während seiner Annexion seitens Deutschlands, hat Danzig an Bedeutung verloren. Die meisten Stadtbewohner sind zwar Deutsche, aber die umliegende Bevölkerung war polnisch (vgl. Rat der Zehn, Protokoll vom 19.3.1919, in: Klaus Schwabe [Hrsg.], Quellen zum Friedensschluss von Versailles, 1997, Nr. 55, S. 137).
Solwac schrieb:
Warum wurde die polnische Meinung in Versailles nicht berücksichtigt? Bezüglich Schlesien gab es ja Kontakte zwischen den Siegern und den Polen.
Die Konstruktion der „Freien Stadt“ Danzig ist ein Beweis dafür, dass sich die Alliierten bei ihren internen Verhandlungen eben doch von Wilsons Vierzehn-Punkten und dem dort enthaltenen Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker leiten ließen.

Zur Absicherung des polnischen Selbstbestimmungsrechts bestimmten Sie, dass das Neue Polen einen Zugang zum Meer haben musste und mit diesem durch einen Korridor zu verbinden war. Ohne diese Absicherung erschien ihnen der gesamte polnische Staat nicht lebensfähig (wegen den genannten historischen Gründen).

Sie hätten es sich einfach machen und die Danziger zu Polen machen können. Auch diese Lösung wäre von Wilsons 13. Punkt gedeckt gewesen. Doch sie lehnten es ab, das Selbstbestimmungsrecht der Danziger zu ignorieren. Deshalb wählten sie die Konstruktion von der „Freien Stadt“. Gedankt haben es ihnen die deutschen Danziger freilich nicht. Die legten die Platte von der unerträglichen Fremdbestimmung auf, obwohl aus ihnen doch gar keine Polen gemacht wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Gandolf: Danke für den Überblick, insbesondere die Datumsangaben helfen ungemein.

Die Deutschen sahen sich als Verteidiger „ihrer Heimat“, auch wenn diese – vor langer Zeit – zum Alten Polen gehörte und mit Hilfe der preußischen Antipolen-Politik zuweilen rücksichtslos „germanisiert“ wurde.
Darüber sollten wir in einem anderen Strang weiterdiskutieren. Das sehe ich doch deutlich anders.

Die legten die Platte von der unerträglichen Fremdbestimmung auf, obwohl aus ihnen doch gar keine Polen gemacht wurden.
Aber ihnen wurde die Zugehörigkeit zu Deutschland genommen, das entspricht eben nicht dem Selbstbestimmungsrecht der Völker (wie gerade von Wilson proklamiert).

Solwac
 
Sie hätten es sich einfach machen und die Danziger zu Polen machen können. Auch diese Lösung wäre von Wilsons 13. Punkt gedeckt gewesen. Doch sie lehnten es ab, das Selbstbestimmungsrecht der Danziger zu ignorieren. Deshalb wählten sie die Konstruktion von der „Freien Stadt“. Gedankt haben es ihnen die deutschen Danziger freilich nicht. Die legten die Platte von der unerträglichen Fremdbestimmung auf, obwohl aus ihnen doch gar keine Polen gemacht wurden.

einspruch, wieso sollten die danziger dankbar dafür sein, dass ihre stadt (und das umland) entgegen ihrem, in den wahlen zum ausdruck kommenden willen nicht mehr bestandteil des deutschen reiches sein sollte?

wieso sollten sie dankbar sein, wenn polen mit enormen aufwand in gdingen einen neuen hafen anlegten, der den danziger schon bald überflügelte?

wieso sollten sie dankbar sein, dass die wirtschaft der freien stadt von den deutschen nachbarn durch zollgrenzen abgeschnitten wurde?

wieso sollten sie dankbar sein, wenn sie sich nicht selbst im ausland vertreten durften?

auch wenn die entscheidung durch die 14-punkte wilsons gedeckt sein mochte, ist es doch verständlich, wenn sich die unterlegene seite den artikel herauspickt, welche ihr meisten bringen würde, die freie selbstbestimmung. und ist es verwunderlich, dass man enttäuscht war, wenn man feststellen musste, dass dieses recht in den meisten fällen für deutsche nicht galt?
 
Die Freie Stadt Danzig ist eine Schöpfung der Pariser Friedenskonferenz und verdankt ihre Entstehung dem hartnäckigen Widerstand des britischen Premierministers Lloyd George gegen die Einverleibung einer zu großen Zahl von Deutschen in den neuen polnischen Staat, von der er den Keim eines künftigen Krieges befürchtete.

Es kam darüber zu scharfen Auseinandersetzungen auf der Konferenz zwischen Lloyd George und Wilson, der schon in seinen Vierzehn Punkten Polen einen Zugang zum Meer zugesagt hatte und diesen Gesichtspunkt höher stellen wollte als das ethnografische Prinzip. Gegenüber Lloyd Georges Drängen lenkte er schließlich ein und nahm den Kompromissvorschlag des britischen Premierministers an, aus Danzig eine Freie Stadt zu machen, die von einem Hohem Kommissar des Völkerbundes kontrolliert und in besondere Beziehungen zu Polen gestellt werden sollte. Der Rat der Vier auf der Konferenz erhob diesen Vorschlag am 1.4.1919 zum Beschluss.

Ob und inwieweit bei dem Gedanken einer Freien Stadt Erinnerungen an historische Vorbilder in der Vergangenheit Danzigs während der Zeit der Zugehörigkeit zu Polen und in der Ära Napoleons eine Rolle gespielt haben, ist nicht nachzuweisen. Ausschlaggebend war die Möglichkeit, einen Mittelweg zwischen den Interessen Polens und der Rücksicht auf die deutsche Bevölkerung der Stadt zu finden, ohne dass man sich für die volle Anwendung des nationalen Selbstbestimmungsprinzips der deutschen Bevölkerung zu entschließen brauchte. In den Artikeln 100-108 des Versailler Vertrags wurde die Begründung der Freien Stadt Danzig mit einem Territorium von 1893 qkm (ohne den Haffanteil von 58 qkm) und 366 730, zu 96% deutschsprachigen Einwohnern im Jahr 1923 festgelegt.

Die Artikel 100-108 des Versailler Vertrags verfügten die Begrenzung des Gebiets der zu gründenden Freien Stadt, den Schutz des Völkerbunds für diese und die Einsetzung eines Hohen Kommissars des Völkerbunds, der bei der Ausarbeitung der Verfassung mitwirken und alle zwischen Polen und der Freien Stadt Danzig auftretenden Streitigkeiten erstinstanzlich entscheiden sollte. Danzig sollte zum polnischen Zollgebiet gehören und von Polen in den auswärtigern Angelegenheiten vertreten werden. Polen sollte eine Freihandelszone sowie die Verwaltung des ganzen Eisenbahnnetztes und freie Benutzung der Wasserstraßen, Docks usw. sowie das Recht zu deren Ausbau erhalten.

Die künftigen Konflikte waren sowohl durch die unterschiedlichen Einstellungen wie durch die Konstruktion der Freien Stadt gegeben: Während Volkstag und Senat die Erhahltung des Deutschtums der Freien Stadt als wichtigste Aufgabe betrachteten und deren Existenz nur als Provisorium ansahen, war Polen bestrebt, die Stadt zu polonisieren und politischen wie wirtschaftlichen Druck auszuüben. Die durchaus vorhandene Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Interessen kam wegen der nationalen Gegensätze nicht zu voller Geltung.
 
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