Diskussion um das Vorurteil "dunkles Mittelalter"

Plinius

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Liebe User!

Als leidgeplagter Geschichtsstudent mit baldigem Schwerpunkt Mittelalter habe ich natürlich wie alle Gleichgesinnten das Problem mit falschen Vorurteilen über das Mittelalter, die bei Laien immer wieder anzutreffen sind, konfrontiert zu werden.

Am häufigsten wird man leider mit dem sogenannten "dunklen Mittelalter" geplagt. Diese Wortzusammensetzung lässt sich irgendwie nicht ausrotten. Ständig hört man selbst von gebildeten Menschen Sätze wie "Hier gehts ja zu wie im Mittelalter", und immer wieder mit abwertendem Unterton.

Da frage ich mich immer wieder: Warum bleiben alle anderen Zeitalter eigentlich von so einer gnadenlosen Beurteilung verschont?
Immerhin hat uns die Zeitgeschichte die zwei großen Weltkriege gebracht, also noch gar nicht lange her.

Sicherlich war das Mittelalter zum Teil eine unruhige, grausame Zeit - aber das waren Antike, Frühe Neuzeit und ist die Zeitgeschichte bis heute auch.

Dabei ist das Mittelalter nebenbei eine sehr wichtige Zeit, wo großartige Errungenschaften und Prozesse in Gang gesetzt wurden, ohne die wir heute nicht da wären, wo wir heute sind.

Ich schätze jedoch, man führt hinsichtlich dieser Sache einen ausweglosen Kampf gegen unbezwingbare Vorurteile, die tief verankert im falschen Geschichtsverständnis sind.

Gruß
 
dasselbe erlebe ich mit dem "Türkenjoch" und anderem... unausrottbar...

oder Wiener Kaffeehäuser waren die ersten, und anderem Schmarrn... ;)

Ich merke aber auch, wie man leicht bei der Verteidigung seines Steckenpferd ein bisschen übers Ziel hinausschießen kann, und dazu neigt Einzelnes (Positives) zu verallgemeinert.

...cu
 
Hallo,

tja, Legendenbildung ist stärker als Faktenbildung. Kann man nichts dagegen machen. :grübel:

Nette Grüße
Plinius
 
Wo kommt den der Begriff Mittelalter "medium aevum" her?
Die Humanisten hatten andere Ideale.
 
Ich denke mit der Redewendung "dunkles Mittelalter" wird vielleicht die Zeit nach dem Untergang des Römischen Reiches bis ungefähr 1000 n. Chr. , also das "Frühe Mittelalter", gemeint.
 
Vieleicht vergleichen viele auch das Mittelalter mit der späten Antike. Als Kind wird einem ja schon durch allerhand Quatsch im Fernsehen beigebracht, dass es in Rom recht nobel zuging. Überall Marmor, imposante Gebäude, es wurde edler Wein gereicht und sehr viel Wert auf Reinlichkeit gelegt. Und nach dem Zusammenbruch Roms glich Europa einem Acker. In den Straßen herrschte Pestillenz und die Leute kippten ihren Abfall auf die Straße...
Ich hab ehrlich gesagt noch nie davon gehört, dass es in Rom gestunken hat.
Und so denken halt viele das es im Mittelalter viel "dunkler" zuging als in der Antike beispielsweise.
 
Die Bezeichnung "dunkel" ist wohl weniger auf unruhige oder grausame Handlungsweisen bezogen, denn diese gab es, wie ja bereits erwähnt, zu allen Zeiten.

Eher dürfte sich das Attribut auf kulturelle, wissenschaftliche und zivilsatorische Aspekte beziehen, auf den Bruch zwischen den Hochkulturen Griechenlands und Roms und der darauffolgenden Zeit bis zur Renaissance.

Hier ist das ganz gut beschrieben:

dunkles mittelalter

Die Zeit war im Übrigen nicht überall "dunkel", man muss nur mal Europa und den Orient vor 1000 Jahren miteinander vergleichen. Die Kreuzzüge waren für viele ein Kulturschock.

Gruß

Jacobum
 
Wo kommt den der Begriff Mittelalter "medium aevum" her?
Die Humanisten hatten andere Ideale.

Die Begriffseinführung durch Humanisten, um sich von einer "dunklen Zeit" abzugrenzen, ist zwar für dieses Thema relevant, aber dein zweiter Einwand, wonach Humanisten andere Ideale hatten, ist nicht stichhaltig. Gewiss wollten die Humanisten antike Werte wieder hervorkramen, die Mechanismen der Renaissance ist uns beiden bekannt.

Doch so gut wie alle Humanisten waren gleichzeitig zutiefst mittelalterliche Menschen. Sie sind nicht in eine Zeitmaschine stiegen und haben sich in ein anderes Zeitalter katapultiert. Sie waren Kinder des Mittelalters, und waren mit den 3 großen kulturellen Gründzügen des Mittelalters - Gotik, Ritterum und Scholastik - vertraut gewesen.
Schon ein Blick in die Kunst genügt, um mittelalterliche Elemente im Renaissancestil zu erkennen. Antike Heldensagen wurden von neumodischen Ritterlegenden angepasst, gotische Elemente wurden mit antikem Baustil verbunden, Platon wurden mit scholastischen Augen betrachtet, etc. Ohne Mittelalter, keine Renaissance, und ohne Mittelalter, keine Humanisten. Siehe Peter Burkes Renaissancebücher.

Gute Nacht!
Plinius
 
Ich würde die Bezeichnung "Türkenjoch" auch eher dahingehend verwenden, dass in bestimmten Gegenden die türkische Herrschaft als Joch empfunden würde, während die Verwendung der Begrifflichkeit für eine heutige Darstellung der Zeit der türkischen Vorherrschaft auf dem Balkan eher wertend und polarisierend erscheinen muss.

Zum "dunklen Mittelalter": Ich finde man pauschalisiert eigentlich über jede Zeitepoche, sei es nun das Mittelalter, das Ancien Régime, die Römische Antike. Dabei vermochte eine Bezeichnung wie "Dunkles Mittelalter" aber nicht einmal gänzlich diese Epoche zu verunglimpfen. So wurden und werden kulturelle Meisterleistungen wie die Minnedichtung, die Baukunst, Buchmalerei etc. positiv bewertet, was einem Rundumschlag einer negativen Darstellung der Epoche den Wind aus den Segeln nimmt.
 
ist eine klischeehafte Plattitüde
OK, ich glaube zu verstehen, worauf Du hinauswillst (deswegen hatte ich erst einmal ganz neutral nachgefragt).

Und wie Brissotin denke ich auch, daß so ein wertender Begriff in einer wissenschaftlichen historischen Erörterung so fehl am Platze wäre wie das "finstere Mittelalter".

Wobei man m. E. trotzdem nicht vergessen darf, daß die Osmanenherrschaft für die Völker des Balkans durchaus ein "Joch" war - nicht umsonst haben diese sich mit Händen und Füßen gegen diese Eroberung gewehrt und auch sofort wieder versucht diese Herrschaft loszuwerden, als die Sultane schwächer wurden.

Insofern halte ich die verniedlichende Darstellung in Deinem Link doch für bedenklich. Da scheint es dem Autor doch eher darum zu gehen, passend zum Motto "Friedenstag auf dem Balkan" die positiven Aspekte nach vorne zu schieben.
Seine Beschreibung des Lebens der christlichen Untertanen erinnert mich doch etwas an "glückliche Hühner, die gerne im Käfig leben".

Ob diese nun wirklich den "starken Staat" der Osmanen vorzogen? Ob sie das wirklich so wenig belastend fanden, daß sie als Bürger zweiter Klasse alleinig die Steuern zahlen mußten und ihre Söhne an die Devschirme verloren?
Glaube ich persönlich eher nicht.

Und daß erst die Propaganda eines Zaren Peter die Religionsgegensätze zwischen Muslimen und Christen hervorgerufen hätten, das ist schon eine etwas absurde Behauptung.
 
Im Prinzip sind Schlagworte wie "Türkenjoch" oder "Finsteres Mittelalter" gut dafür, um Interesse zu wecken und zu hinterfragen, von wem und wann dieser Ausdruck als bezeichnend und richtig empfunden wurde.

Es ist ja legitim positive Aspekte hervorzusuchen, wenn man negative nicht unter den Tisch fallen lässt bzw. gar im Sinne einer durchweg positivistischen Darstellung bemäntelt.

Wenn man bedenkt, dass es im 18.Jh. eine Aufklärung gab, wundert auch ein Begriff wie "finsteres Mittelalter" nicht. Man nahm sich also vor gegen diese, als dunkel empfundene Zeit und dessen Gedankenwelt anzukämpfen. Ob dies vielleicht manchmal ein Kampf gegen Windmühlen war, bzw. ob diese Streiter für ein Neues Zeitalter, so gebildet sie auch waren, überhaupt eine genügende Kenntnis vom Mittelalter hatten, um dieses kritisieren zu können, das ist schon wieder fast eine philosphische Frage.
 
Spielt in die Herabsetzung des Mittelalters nicht auch hinein, dass viele in unseren Augen große Erfindungen der Antike (die fast alle geistiger Natur waren) aufgegeben wurden. Keine Philosophen auf dem Marktplatz, kein Marmor für Regierende, keine schickuniformierten Legionen.
Dazu kommt, dass Antike etwas am Mittelmeer war. Urlaubsländer, Sonne, Strand,...
Mittelalter gehört nach Mitteleuropa. Wald, Regen,...
Wenn das Mittelalter etwas hervorbrachte war es banal (Windmühlen, Pflugscharen), grausam (böse Kreuzritter die trotz christlichen Glaubens töten) oder arabisch (Kultur, Wissenschaft, Hygiene) und damit nicht mehr echt mittelalterlich.
Kann sich jemand einen altgriechischen Bauer vorstellen? Wetten dass er ein hübsches Landhaus aus weißem Kalk hat und ein Hemd in hellen Farben? Im Mittelalter stellt man sich irgendetwas in graubraun vor (Haus, Kleidung vom Bauer, Bauer selbst). Der frühneuzeitliche Bauer sieht genauso aus. Bloß hat er Knöpfe an der Jacke.
Auf das Mittelalter lassen sich auch Klischees so gut projezieren, weil man nur Adel (die in Plattenrüstung oder Hermelin) und Bauer (Kleidung sieht aus wie gewendetes Hermelinfell). In der Antike gibt es Politiker und Volk, die aber irgendwie miteinander zu tun haben. Alle wohnen in einer Stadt, reden miteinander, besuchen den Circus und tragen weiß. Städte im Mittelalter soll es gegeben haben. In Arabien oder China. Eigentlich auch Rom. Muss ja irgendwo geblieben sein der ganze Marmor. Vermutlich vom finsteren Mittelalter verschmutzt, zerstört oder wer weiß was. Da sieht man's wieder. Alles machen die kaputt. bekommen soviel Schönes und dann das.
typisch Mittelalter.
 
Der frühneuzeitliche Bauer sieht genauso aus. Bloß hat er Knöpfe an der Jacke.
Nicht jeder.;)=)

Aber ansonsten absolut richtig.:yes:

Dass die Städte mangels gescheiter Entwässerung und anderer Einrichtungen noch im Zeitalter der Aufklärung stanken, davon will man nichts so leicht wissen. Bei der Aufklärung, denken wir doch an Voltaire im Morgenmantel am Schreibtisch oder wahlweise an parfümierte Adelige, welche angeblich das Gegenbild der Aufklärer waren, wir denken weniger an eine Gesellschaft, die eigentlich noch in vielem im Mittelalter verhaftet war, da die "Errungenschaften" der Aufklärung und also diese selbst, nur ganz langsam auch den Mann auf der Straße erreichte.
 
OK, ich glaube zu verstehen, worauf Du hinauswillst (deswegen hatte ich erst einmal ganz neutral nachgefragt).
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Wobei man m. E. trotzdem nicht vergessen darf, daß die Osmanenherrschaft für die Völker des Balkans durchaus ein "Joch" war - nicht umsonst haben |
diese sich mit Händen und Füßen gegen diese Eroberung gewehrt und auch sofort wieder versucht diese Herrschaft loszuwerden, als die Sultane schwächer wurden.

Insofern halte ich die verniedlichende Darstellung in Deinem Link doch für bedenklich. Da scheint es dem Autor doch eher darum zu gehen, passend zum Motto "Friedenstag auf dem Balkan" die positiven Aspekte nach vorne zu |
schieben.
Seine Beschreibung des Lebens der christlichen Untertanen erinnert mich doch etwas an "glückliche Hühner, die gerne im Käfig leben". |

Ob diese nun wirklich den "starken Staat" der Osmanen vorzogen? Ob sie das wirklich so wenig belastend fanden, daß sie als Bürger zweiter Klasse alleinig |
die Steuern zahlen mußten und ihre Söhne an die Devschirme verloren? |
Glaube ich persönlich eher nicht.

Und daß erst die Propaganda eines Zaren Peter die Religionsgegensätze zwischen Muslimen und Christen hervorgerufen hätten, das ist schon eine |
etwas absurde Behauptung.


Hallöchen R.A.,
ich wollt hier kein neues Fass aufmachen, deshalb hab ich nur mal kurz die Absätze markiert, die Veraltetes, falsch Gewichtetes, bisschen Falsches enthalten. Antworten findest du im Osm. Reich-Bereich, wo ich monatelang versuchte, eine differenziertere Sicht auf dem modernsten Stand darzustellen. (PS: Entweder schreibt Prof. Kieser Stuss, dann aber auch bei der Armenierfrage, oder er ist kompetent, dann aber auch bei der "Pax Ottomanica" und dem "Türken/Serben/Bulgaren/Albanerjoch")


PPS: Komisch, ich fand gar nichts im Netz, über den Ursprung der Bezeichnung "Türkenjoch"... Ist eh recht wenig im Netz verbreitet, auch im Brockhaus steht nichts, oder im Meyers, oder in wissen.de
Wahrscheinlich entstanden im Zuge des Philhellenismus?

Egal, weiter im Takt... :)
LG lynxxx
 
ich wollt hier kein neues Fass aufmachen,
Du hast recht, ich habe mich hier ziemlich ins "Off Topic" verirrt.

Im übrigen teile ich durchaus die Ansicht, daß das osmanische Reich gerade in seiner Blütezeit eine vergleichsweise erträgliche und moderne Herrschaft war.
Mir war nur die Darstellungsweise Kiesers in diesem Aufsatz zu einseitig positiv.

Egal, gehört nicht hierher, Danke für die Anmerkungen.
 
Vielleicht hat das Mittelalter nicht zuletzt auch im 17. und 18. Jahrhundert diese recht undifferenzierte Etikettierung als "finsteres Zeitalter" bekommen, weil sich Intellektuelle und Juristen gerne dieses Klischees bedienten, um die, durchaus noch bestehende Rechtspraxis grausamer Strafrituale, der exzessiven Anwendung der Folter und nicht zuletzt die des Hexenwahns anzuklagen.
 
Interessantes Thema.
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke wurde mir weder in der Schule, noch zuhause ein finsteres Bild des Mittelalters gezeichnet. Wir besuchten auch viele Burgen, Ausstellungen, Museen, auch mit der Familie. Da war kein Platz um das europäische Mittelalter (darum gehts grösstenteils hier nehme ich an?!) finster zu finden, im Gegenteil.
Dazu gabs natürlich die schönen bunten Hollywood-Ritterfilme...:scheinheilig:

Manchmal habe ich ja die moderne Filmindustrie in Verdacht, zwar werden Rüstungen, Kleidung, Burgen, Wappen usw. oftmals erfreulich authentischer, aber das Wetter immer schlechter, viel mehr Regen, Wagen stecken im Schlamm, eine schlimme Kirche, unterjochender Adel, Krankheiten, Vergewaltigungen, Säuglinge liegen in den Strassen...

Generell zum Thema Vorurteile. Die meisten von uns haben sich an einem gewissen Zeitalter "festgebissen", da ist es immer ärgerlich wenn Jemand mit Hollywoodhalbwissen oder Pseudoromanliteratur alles für bare Münze hält und eine Diskussion startet.
Als der Film "Die Mumie" rauskam oder Christian Jacq mit seinen Ramsesromanen hatte ich auch Probleme mit einigen Leuten mit denen ich mich unterhalten wollte/musste.
Daher denke ich daß man Vorurteile und Fehlinformationen überall bei geschichtlichen Themen finden kann.
Da nehme ich mich auch nicht ganz raus, es gibt auch bei mir das eine oder andere Bild im Kopf was z.B. die Azteken betrifft welches so gewiß nicht ganz richtig ist.
 
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