Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Ich halte es nach Art der Aufzählung trotzdem für wahrscheinlicher, daß mit den sechs Kohorten Hilfstruppen gemeint sind.

(Die Meinung ist auch nicht neu, aber wo wir schon dabei sind, diesen herrlichen* Thread wieder zu neuem Leben zu erwecken - ich werde auch bald Gelegenheit haben, mir Kalkriese persönlich anzuschauen *freu*)

(*) nicht ganz ohne Ironie...
 
Am Samstag zeigt BR Alpha übrigens noch einmal die BR-Dokumentation zur Varusschlacht (mit Marcus Junkelmann). Sie ist meines Erachtens zumindest besser als die beiden ZDF- und ARD-Produktionen.

19:15 - 20:00 Uhr
Die Varusschlacht
Wie die Legionen untergingen

(2008)
 
Da ich die 1200 Beiträge nicht durchsehen kann und die Suchfunktion nichts hergab (ist aber vielleicht von Interesse):


Kalkriese und Arminiusschlacht [Elektronische Ressource] : eine geohistorische Betrachtung der Züge von Q. Germanicus / Rolf Badenhausen, 2009

http://d-nb.info/994619340/34
 
Das ist ein interessanter Text, insbesondere die Anregungen zu Idistaviso. Außerdem tauchen da auch meine Lieblingsthemen auf: die Frage Marsch / Lager, die evtl. verwechselten Flüsse bei Tacitus und der Angrivarierwall.
 
Das sind pseudoetymologische Herleitungen, auf die man nicht zu viel geben sollte.

Das ist mir zu einfach ! Ich wohne hier in einem Gebiet Übersichtskarte | Nationalpark Unteres Odertal (mal dichter ranzoomen, dann erhält man einige wenige Angaben), in dem ich mich ansatzweise mit alten Flur- und Gewässernamen, deren Ursprung und Überlieferung beschäftigen konnte. Da gibt es teilweise sehr kuriose Sachen.
Nun sind diese Bezeichnungen bei uns hauptsächlich erst nach dem Mittelalter entstanden und ein Vergleich zum altgermanischen Römergebiet kann nicht gezogen werden, zumal ja auch noch 1000 Jahre dazwischen liegen.
Dennoch sollte man solche Deutungsversuche (Wiedenbrück = pontes longi) nicht abwertend belächeln. Man muß sie genauso untersuchen, wie alle anderen Thesen, solange bis ein ultimativer Beweis (für oder wider) einer These vorliegt.
 
Gerade die Einfachheit der "etymologischen" Herleitungen ist es ja, die einen stutzig machen sollte. Und Du stellst zu Recht fest, dass die Ortsnamen in Deiner Region mittelalterlichen Ursprungs sind.
Was hier aber versucht wird, ist das Pferd von hinten aufzuzäumen.
 
Ich denke der Name Wiedenbrück ist (wie so häufig) mittelalterlichen Ursprungs. Das hat wohl mit den pontes longi nicht viel zu tun.

Aber nebenbei (an die Moderatoren):

Könnte man nicht diverse Beiträge in einen gesonderten (neuen) Thread (Kalkriese-Schlacht an den pontes longi?) verlegen?

Ich denke, daß dieses Thema durchaus interessant wäre!
 
Ein neues Argument: Die fehlende Niello-Verzierung

Im Band Konflikt zur Ausstellung Imperium - Konflikt - Mythos führen die Kalkrieser Archäologen Günther Moosbauer und Susanne Wilbers-Rost in ihrem Beitrag Kalkriese und die Varusschlacht. Multidisziplinäre Forschungen zu einem militärischem Konflikt (s. 56 - 67) ein neues Argument zugunsten der Interpretation, Kalkriese sei ein Ort der Varusschlacht, ein. Sie beziehen sich dabei auf Arbeiten von Eckhard Deschler-Erb zur Niello-Verzierung in der römischen Kaiserzeit von 2000 und inbesondere zum Verhältnis von Kalkriese und den Niello-Verzierungen von 2007:

S. 61 f. schrieb:
Anhand der Waffen scheint sich in jüngster Zeit druch die Arbeiten von Deschler-Erb ein zusätzlicher chronologischer Ansatzpunkt für das Geschehen in Kalkriese zu ergeben, das bisher nur über die Münzen datiert wurde. Besonders bei der Pferdeausrüstung und den Gürtelbeschlägen tritt in der frühen Römischen Kaiserzeit ab tiberischer bis in claudische Zeit Nielloverzierung auf. Auf rein augusteischen Fundplätzen fehlt dagegen diese Art der Verzierung mit Ausnahme eines Stückes vomspätaugusteischen Fundplat Augsburg-Oberhausen fast völlig. [...] Wäre das Fundmaterial von Kalkriese in tiberische zeit - also in die zeit des Germanicus - einzuordnen, müssten zumindest vereinzelt nielloverzierte Ausrüstungsggenstände im Fundmaterial vertreten sein. Deschler-Erb begründet das gehäufte Vorkommen von nielloverzierter Ausstattung römischer Truppen ab tiberischer Zeit sogar mit der Varusniederlage, die eine "Neuausrüstung der Armee" nötig machte.

Dem letzten Satz kann ich allerdings nicht viel abgewinnen. Einerseits wissen wir zwar dank sich überlagernder Besitzerinschriften auf Ausrüstungsgegenständen, dass diese hin und wieder ihre Eigentümer wechselten, und durch den Verlust der drei Legionen, sechs Alen und Kohorten dürfte so natürlich eine ganze Menge Buntmetall aus dem Kreislauf der Weitergabe entnommen worden sein; andererseits fehlte es aber auch genau an diesen 12 - 20.000 Männern, welche die Ausrüstungsgegenstände hätten gebrauchen sollen. Daher erscheint mir das Argument der Neuausrüstung der Armee - die übrigen Legionen liefen ja vorher nicht ungerüstet herum - nicht ganz stichhaltig zu sein, was aber der eigentlichen Feststellung keinen Abbruch tut.
 
Ich will Herr Deschler-Erb nicht wiedersprechen, allerdings wäre bei der Argumentation doch sicherlich interessant, wie sich der Gesamtbefund, insbesondere in Anzahl und Fundort, aufgliedert. Schlachtfelder sind meines Wissens nach sehr rar gesäht und sollten Lager und Stadtbefunde mit in dieser Auswertung aufgegriffen sein, so würde es mich wundern, wenn große und vor allem wertvolle Stücke verlustig gegangen sind. Pferdegeschirr und Gürtelbeschläge verliert man eben nicht einfach so.

Was die "Neuausstattung" betrifft, so denke ich, wird eher der Bezug zu einem rituellen und psychologischen Neubeginn zu erwarten sein, als die praktische Neuaufstellung von Legionen. Ähnlich verhält es sich ja auch mit Legionen die schmachvolle Niederlagen oder andere Verfehlungen durchlebt haben. Sie wurden meistens aufgelöst oder auf andere Legionen aufgeteilt. Wirklich stichhaltig ist die Argumentation sicherlich nicht.
 
Dem letzten Satz kann ich allerdings nicht viel abgewinnen.

Richtig. Mir geht´s übrigens mit den übrigen Sätzen ebenso.
Die Datierung über Ausrüstungsgegenstände ist noch weitaus ungenauer, als eine numismatische.
Man denke nur an das Fragment einer Segmentata aus Kalkriese, die nun so gar nicht in die augusteische Zeit passt.

Gruß Nicole
 
Verstehe ich jetzt nicht: Warum passt die Segmentata nicht in die augusteische Zeit? Nur weil Kalkriese der wahrscheinlich früheste Nachweis für eine römische Segmentata ist?
 
Verstehe ich jetzt nicht: Warum passt die Segmentata nicht in die augusteische Zeit? Nur weil Kalkriese der wahrscheinlich früheste Nachweis für eine römische Segmentata ist?


Zum einen heißt es von Deschler-Erb oben, nach der Varusniederlage bzw. in frühtiberischer Zeit fand eine Neuausrüstung des Militärs statt.
Die Existenz einer in Kalkriese gefundenen Segmentata, die in diese Argumentation trefflich passen würde, wird dabei nicht erwähnt.
Stattdessen wird die (fehlende) Niello-Verzierung zur Argumentation herangezogen.
Etwas einseitig und tendenziös, diese Art der Argumentation.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Die Argumentation mit der Niello-Verzierung ist sowieso ein "Schuss in den Ofen".
Man müsste schon einen Fundplatz in Germanien vorweisen, der nielloverzierte Objekte vorweisen kann, die eindeutig den Germanicuslegionen zuzuschreiben sind. Diese Objekte könnte man dann mit dem Fundspektrum von Kalkriese vergleichen.
Einen solchen Fundplatz gibt es aber nicht. Gäbe es ihn, so hätten wir auch den ersehnten numismatischen Germanicushorizont, der weitaus präzisere chronologische Aussagen zuließe.
 
Der Schienenpanzer ist eben kein Argument für eine Neuausrüstung nach der Varusniederlage.
Die ältesten Funde solcher Rüstungen sind aus Dangstetten, dieses Lager war von 15 v. Chr. bis 9 v. Chr. belegt.
Vermutlich liegen noch etliche Stücke unbeachtet, weil als Blechstück unklarer Nutzung aussortiert, in den archäologischen Depots.
 
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