Ob der Ptolemaios Koordinaten verwendete oder nicht ist gar nicht so wichtig. Denn Landkarten sind nie nur „genau“, sondern sie werden immer auch für andere Interessen missbraucht. Zum Beispiel werden eigene Ländereien gerne grösser dargestellt; fruchtbarer, wichtiger. Unbekannte Gebiete werden mit allerhand Vermutungen ausgeschmückt; usw.
Fragt sich, ob Ptolemaios schon an eine politische Verzerrung der Karten gedacht hat. So etwas ist doch eigentlich erst im Zeitalter des Alltagsgebrauchs von Karten wirklich denkbar.
Solches wurde nicht nur früher gemacht, dies kann man auch heute täglich beobachten! Zum Beispiel jeden Abend in der Tagesschau: Bei der Weltkarte im Hintergrund ist der Äquator nicht in der Mitte, sondern deutlich nach unten verschoben. So wirken die südlichen Länder kleiner und unsere Gegend mächtiger.
Das halte ich für ein Gerücht.
Oder der Kartenschnitt ist so gewählt, dass Europa zwischen Amerika und Asien liegt. Im Kalten Krieg war das eine wichtige Botschaft. Denn sonst hätte man denken können, sollen sich doch Amerika und die Sowjetunion an ihrer gemeinsamen Grenze bekriegen und nicht in Europa.
Nein, Europa in der Mitte der Welt zu zeigen, das hat lange Tradition, ausgehend von den Portolankarten des SpätMAs bzw. der FNZ (im MA war Jerusalem auf den Rad- bzw. OT-Karten Mittelpunkt der Welt). Ich würde hier, bei den Portolankarten auch eher von einer Entwicklung des Weltbildes von Europa geographisch ausgehend annehmen, als eine ideologische Begründung, wiewohl ich diese nicht ganz ausschließen möchte (Stichwort
Sendungsbewusstsein). Dabei ist gar nicht ausgeschlossen, dass diese Tradition im Kalten Krieg der NATO funktional entgegenkam.
Sehen wir uns Martin Waldseeemüllers Weltkarte an: Die hat schon unseren heutigen Aufbau, wiewohl der Iraq in der Mitte der Karte ist. Genauso die Weltkarte des Juan de la Cosa, die des Cantino, die des Abraham Ortelius, die des Gerhard Mercator, des Edward Wright, des Pierre Descelier oder die botanische Weltkarte von Hercule Nicolet aus dem 19. Jhdt.
Wenn Europa nicht in der Mitte der Welt gezeigt wird, dann wollen die Karten entweder Augenmerk auf etwas anderes legen, oder sie entstammen einer anderen Kartentradition, wie z.B. japanische Karten, die Japan in der Mitte positionieren, oder wie die australischen Upside-Down-Karten, die Australien außerdem meist in der Mitte positionieren. Diese Karten sind gesüdet.
Wenn nun versucht wird die Karte des Ptolemaios zu entzerren, besteht die Gefahr, dass man solche nicht geometrischen Verzerrungen nicht beachtet hat. Es ist nämlich gut möglich, dass man zu Beispiel damals eine Stadt bewusst auf der andern Flussseite einzeichnete, um sie dem eigenen Interessengebiet zu zuordnen. Dafür gibt es in der Geschichte der Kartographie einige Beispiele …
Wie gesagt, ich halte diese in der Protokarthographie für eher abwegig. S.o.