Wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestossen?

Germanisches Vordringen in rechtsrheinische Keltike

Hallo allerseits,
haben hier ja schon mehrfach über das Vordringen germanischer Gruppen in die rechtsrheinische Keltike gesprochen, warum und wie dies abgelaufen sein könnte. Wir sind dabei nie auf eine zufrieden stellende Lösung gekommen, weil selbst die Wissenschaft bisher keine schlüssige Antwort gefunden hat.
Hab mich neulich mal an eine Diskussion hier im Forum erinnert, in der es um die Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen ging, die zur unterdrücking der britanno-romanischen Bevölkerung eine Art "Apartheid" eingeführt hätten.

Folgende Artikel befassen sich, wenn auch nur kurz und populärwissenschaftlich aufbereitet, mit dieser Thematik:

Spiegel-Artikel
Handelsblatt-Artikel

Mir stellt sich jetzt die Frage, ob nicht die Germanen in caesarischer und augusteischer Zeit ähnlich vorgegangen sind, um die keltischen bzw. keltisch geprägten Bewohner der rechtsrheinischen Mittelgebirgslandschaft zu beherrschen bzw. zu unterwefen bzw. in den eigenen Machtbereich einzugliedern? Großangelegte Kämpfe und darauffolgende Verwüstungen dieser Gebiete hat es wohl nicht gegeben, andernfalls würde man heute auf großflächige Zerstörungshorizonte treffen, die, wie erwähnt, so nicht existent sind.
 
Mir stellt sich jetzt die Frage, ob nicht die Germanen in caesarischer und augusteischer Zeit ähnlich vorgegangen sind, um die keltischen bzw. keltisch geprägten Bewohner der rechtsrheinischen Mittelgebirgslandschaft zu beherrschen bzw. zu unterwefen bzw. in den eigenen Machtbereich einzugliedern?
Für eine Unterwerfung müsste es doch eigentlich auch Indizien geben, so etwas wird nie wirklich Gewaltfrei ablaufen, aber mir sind keine großen Zerstörungshorizonte die durch "Germanen" zu erklären sind, in der Keltike, bekannt.

Interessant ist hier viel mehr der Hinweis auf die engen Verbindungen der Laténekultur zur Jastorfkultur, aber auch in die Przeworsk-Kultur.
Gerade Menschen die sich am Material, Bestattungssitten uvm. als Träger der Przeworsk-Kultur zu erkennen geben, sind schon ab dem 3 Jh. v.chr. in den nördlichen Teilen der Keltike festzustellen.
Von Machtbereichen kann im Falle der Germanen zu dieser Zeit eigentlich nicht wirklich sprechen, im Gegensatz zu den Kelten, die durch die Oppida und vor allem durch den Münzumlauf, gewisse Gebiete einem Einflussraum des jeweiligen Oppidas zuordnen. Das leidige Thema mit den Stämmen möchte hier bewusst aussparen.

Der relative schnelle Wechsel der materiellen Kultur von kelt. zu germ. würde ich eher aus dem Umstand erklären, dass:

  1. Durch den Zusammenbruch der Oppida der kulturelle Austausch zwischen den verschiedenen spätlaténezeitlichen Gruppen zum erliegen kam.
  2. Dadurch bedingt eben auch eine viel schnellere Aufnahme andere Sitten und Gebräuche stattfand
 
Für eine Unterwerfung müsste es doch eigentlich auch Indizien geben, so etwas wird nie wirklich Gewaltfrei ablaufen, aber mir sind keine großen Zerstörungshorizonte die durch "Germanen" zu erklären sind, in der Keltike, bekannt.

Um ein Oppidum einzunehmen, musste man es nicht unbedingt stürmen und niederbrennen.
 
Richtig, ich muß auch keine Oppidabewohner umbringen um das Land zu bekommen.
Düngung und Dreifelder Wirtschaft waren noch unbekannt , oder?
Also gebe ich unfruchtbar gewordenes Land auf und rode neues. Nach einiger Zeit stelle ich fest, das der viehzüchtende Nachbar auf meinem ehemaligen Acker sein Vieh weidet. Bevor ich da Ärger anfange, nehme ich doch das aufgegebene Land vom anderen Nachbarn unter den Pflug, denn der ist ja auch weg. Der letzte in der Reihe erobert dann Rom.
Was ich sagen möchte ist, die Kelten sind langsam brandrodend nach Süden gezogen und die Germanen haben die frei gewordenen Gebiete besiedelt und sie nicht zurück kehren lassen. Und die Kelten haben ihre Oppidakultur als "unpraktisch" aufgegeben.
Erst verschwindet die wirtschaftliche Grundlage,- der fruchtbare Acker-, dann die Ansiedlung. Eine neue in der alten Form zu bauen ist nicht nötig, das zeigen ja die germanischen Dörfer.
 
Interessant ist hier viel mehr der Hinweis auf die engen Verbindungen der Laténekultur zur Jastorfkultur, aber auch in die Przeworsk-Kultur.
Gerade Menschen die sich am Material, Bestattungssitten uvm. als Träger der Przeworsk-Kultur zu erkennen geben, sind schon ab dem 3 Jh. v.chr. in den nördlichen Teilen der Keltike festzustellen.

Hmm, d.h. wir müssen also mit einer friedlichen Koexistenz zwischen Kelten und einsickernden Ostgermanen (Przeworsk-Kultur) rechnen?


Der relative schnelle Wechsel der materiellen Kultur von kelt. zu germ. würde ich eher aus dem Umstand erklären, dass:
  1. Durch den Zusammenbruch der Oppida der kulturelle Austausch zwischen den verschiedenen spätlaténezeitlichen Gruppen zum erliegen kam.
  2. Dadurch bedingt eben auch eine viel schnellere Aufnahme andere Sitten und Gebräuche stattfand

Das hieße ja dann übertragen, dass sie spätlaténezeitlichen Gruppen sich hauptsächlich über Geldwirtschaft und Zugehörigkeit zu einer "Verwaltungszentrale" (Oppida) miteinander identifizierten oder auch voneinander abgrenzten. Aber spielen dabei nicht auch Sprache sowie kulturelle und religiöse Riten ein Rolle? Nur weil der jeweilige Zentralort nicht mehr bestand und keine einheitliche Währung mehr existierte, haben sich die vormaligen "Stammesbrüder" die gegenseitige Identifikation/Zugehörigkeit abgesprochen, oder? Abgesehen davon, dass wir jetzt wieder bei der Frage angekommen sind, dass "Stamm" ein problematischer Begriff für die Spätlaténe ist. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass Clans ihre Traditionen, Sitten und Gebräuche ohne weiteres aufgeben, nur weil der Zentralort nicht mehr besteht.

Gruß
 
Was ich sagen möchte ist, die Kelten sind langsam brandrodend nach Süden gezogen und die Germanen haben die frei gewordenen Gebiete besiedelt und sie nicht zurück kehren lassen. Und die Kelten haben ihre Oppidakultur als "unpraktisch" aufgegeben.

Um die fragliche Zeit gab es keine brandrodenden Wanderbauern mehr, wie das noch 5000 Jahre zuvor bei den nach Norden vordringenden neolithischen Kulturen der Fall war. Wenn die Kelten nach Süden zurückwichen, so taten sie das gewiss nicht freiwillig, sondern unter dem Druck germanischer Stämme und Bevölkerungsgruppen. Es lässt sich gut verdolgen, wie die Kelten zwischen 200 v. Chr. und dem Jahrhundert nach der Zeitenwende immer weiter nach Süden auswichen und an ihre Stelle Markomannen, Hermunduren, Quaden und Chatten rückten

Die Nordgrenze der Latènekultur lag während ihres Höhepunkts im 3./2. Jh. v. Chr. etwa 150 km nördlich der Mainlinie, was durch entsprechende Bodenfunde gut dokumentiert ist. Ab diesem Zeitpunkt rückten germanische Stämme unaufhaltsam nach Süden vor und zur Zeitenwende gibt es nördlich der Donau nur noch germanische Stämme und eine germanisch überschichtete keltische Restbevölkerung.
 
Das hieße ja dann übertragen, dass sie spätlaténezeitlichen Gruppen sich hauptsächlich über Geldwirtschaft und Zugehörigkeit zu einer "Verwaltungszentrale" (Oppida) miteinander identifizierten oder auch voneinander abgrenzten. Aber spielen dabei nicht auch Sprache sowie kulturelle und religiöse Riten ein Rolle?
Die religiösen Riten als auch der kulturelle Habitus ist bei den spätlaténezeitlichen Gruppen recht einheitlich, aber es gibt regionale Unterschiede, die aber in der Summe doch eher zu vernachlässigen sind.
Die Oppida waren ja nicht nur "Verwaltungszentren" sondern auch z.T. religiöse Zentren (Manching -> das goldene Kultbäumchen als Indiz), bricht nun das ganze System zusammen, wie im Falle der Oppida, so fehlt die "kulturelle" Klammer die das ganze zusammenhält.
Die Spätlaténezeitlichen Gesellschaften waren ja schon recht stark stratifiziert und spezialisiert, so dass wenn der Überbau fehlt, das ganze System recht schnell auch wieder zusammenbrechen kann.

Das Thema ist und bleibt aber äußerst schwierig, die einen sprechen von Kontinuität, der andere Teil von Diskontinuität, für beides lassen sich archl. Belege finden.
 
Lieber Dieter,

nach der vorangegangenen Diskussion dürfte klar sein, dass die pauschale Aussage "um die Zeitenwende sassen nördlich der Donau nur noch..." einfach nicht mehr haltbar ist. Beziehungsweise, um genau zu sein, sie wäre inhaltlich mehr als schwierig zu erklären, wie sich hier zeigt.

Mein Lieblingsbeispiel ist das früheste germanische Grab eines "Vandalen" (also grob vom Gebiet der oben angeführten Przeworsk-Kultur stammenden) südlich der Lahn bei Lich-Muschenheim. Die nicht gerade reiche Grablegung mit Keramik im germanischen Verzierungsstil ist als Brandgrab in einen älteren, hallstattzeitlichen Grabhügel eingebracht. Sie datiert zwischen 20 vor und 20 nach Christus, steht aber vereinzelt neben mehreren Gräbern im keltischen Stil auf einem typischen keltischen Grabbezirk. Ausser der einen - wohl Kriegerbestattung - finden sich noch in einem zweiten Grab solche Scherben. Das Problem ist nun: Aus der gesamten Umgebung finden sich keine weiteren publizierten germanischen Stücke bzw. reichlich wenige.
Auch die Keramik aus Bad Nauheim weist erstmal weiter keltische Tradidition auf. Es findet sich eben kein Niederschlag von größeren Bevölkerungs- bzw. Traditionsbewegungen und auch keine Brandhorizonte, die von den "bedrängten" Kelten auf dem "Rückzug" stammen könnten. Da ist es doch wahrscheinlicher, dass uns unsere Geschichtsschreibung einen Streich spielt, oder?

Die Spätlaténezeitlichen Gesellschaften waren ja schon recht stark stratifiziert und spezialisiert, so dass wenn der Überbau fehlt, das ganze System recht schnell auch wieder zusammenbrechen kann.

Ich denke, das müssen wir konkretisieren um es zu verstehen. Die gesamte Anlage eines Oppidums erfordert nach unserer kommunis oppinio eine starke Zentralgewalt, die die Arbeiten koordiniert. Gleiches gilt für das Recht, das Zentralheiligtum und sein Personal auswählen bzw. ausüben zu dürfen. Ausserdem finden sich Hinweise in der Infrastruktur, in dem häufigen Vorhandensein einer "Akropolis" besonders bei früheren Anlagen, und so weiter.

Bricht ein solcher, funktionsgewaltiger Zentralort weg, fällt die umwohnende Bevölkerung, sofern sie bleibt, natürlich auch in ein gesellschaftliches Vakuum. Wer nimmt denn die bislang gewohnten Funktionen von nun an ein? Die Traditionelle Historische Begründung sieht hier die Germanen in der Pflicht, die dann aber mit einem gemeinsamen Konzept eine Art "Germanisierung" der keltischen Bevölkerung in KÜRZESTER ZEIT vollbracht haben müsste. Und das, wo wir archäologisch gar keinen Niederschlag einer zahlenmässig ausreichenden germanischen Oberschicht, ja, regional gar keine "germanische" Schicht in der fraglichen Zeit finden.
Wohl gemerkt, die Unterscheidung nach Keramikstilen ist bei der Gebrauchskeramik dieser Zeit schwierig und sollte nicht alleine stehen, wie beim Grab von Muschenheim. Aber ich finde, die Diskussion läuft momentan viel mehr in Richtung auf die mentalen Prozesse, die ein solcher Umschwung auslösen müsste, und das finde ich auch eine der spannendsten Fragen hierbei.

Aber genau diese zentralen Fragen könnten weitere Forschungen in den Höhensiedlungen der Spätlatenezeit und rund um den Zentralort Lahnau-Waldgirmes lösen helfen. Für mich ist es immer noch wahrscheinlicher, dass wir in den römischen Begriffen für die germanischen Stämme mit zahlreichen nach unserer heutigen Definition weiterhin "keltischen" Stämmen rechnen müssen, die von Caesar absichtlich und plakativ zu den Germanen gezählt wurden, um seine Rheingrenze zu begründen.
 
... und zur Zeitenwende gibt es nördlich der Donau nur noch germanische Stämme und eine germanisch überschichtete keltische Restbevölkerung.

Nördlich der unteren Donau (vor allem Rumänien) gab es um die Zeitenwende vor allem dako-getisch-mysische Stämme. Sie sind auch dokumentiert.

Grüsse
 
Hallo zusammen,

jetzt habe ich mir mal die Mühe gemacht, diesen gesamten Thread (7 Seiten) "durchzuackern."
Die Ausgangsfrage war: Wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestoßen? aber ein sehr wichtiges Indiz für mögliche keltische Siedlungsgebiete wurde bisher nicht angesprochen: Ihre Sprache.
So wie sich nordisch-germanische Siedlungsgebiete oft auf die Namensendung "-ham" oder "heim" ( Hamburg, Mannheim, Ingelheim, Kehlheim, Trondheim, usw.) , slawische Siedlungsgebiete auf die Endung "-lehen", bzw. "-leben" oder "-itz", beziehen, ist es bei den Kelten ähnlich.

Keltische Siedlungen im östlichen Raum tragen meistens die Endung "-ing", so wie in Bayern zum Beispiel Manching, Eching, Pocking, Straubing, Ittling, usw, während sie im südwestlichen und westlichen Raum die Endung "-ingen" tragen. Sigmaringen, Nördlingen, Reutlingen, Überlingen, usw. sind nur einige bekannte Beispiele dafür.

Folgt man dieser "Spur der Kelten" weiter nach Norden, so braucht man eigentlich zunächst nur den Namen ihrer Siedlungen zu folgen. Leiningen, Groningen, Schneverdingen, usw.
So leicht ist das. :yes:
Hier eine Karte von keltischen/gallischen Siedlungsgebieten in Europa:
http://www.archaeologie-krefeld.de/Bilder/news/Keltenausstellung/Karte/KeltenKarte.jpg

Keltische Grüße vom Mino. :winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Wobei die -heim-Orte oftmals erst aus poströmischer und fränkischer Zeit stammen, also nicht unbedingt als Indiz für vorrömische Germanengebiete herangezogen werden können.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Namensgebung der römischen Städte am Rhein ,die oft keltische Wurzeln haben (Moguntiacum,Borbetomagnus)und bei denen die zugehörige civitas (z.B.civitas vangonium bei Borbetomagnus/Worms) nach "germanischen" Stämmen benannt sind, die allerdings nicht unbedingt tatsächlich Germanen gewesen sein müssen.
 
Kein wirklicher Ansatz

Nördlich der unteren Donau (vor allem Rumänien) gab es um die Zeitenwende vor allem dako-getisch-mysische Stämme. Sie sind auch dokumentiert.

Grüsse

Hallo zusammen,

jetzt habe ich mir mal die Mühe gemacht, diesen gesamten Thread (7 Seiten) "durchzuackern."
Die Ausgangsfrage war: Wie weit sind die Kelten nach Norden vorgestoßen? aber ein sehr wichtiges Indiz für mögliche keltische Siedlungsgebiete wurde bisher nicht angesprochen: Ihre Sprache.
So wie sich nordisch-germanische Siedlungsgebiete oft auf die Namensendung "-ham" oder "heim" ( Hamburg, Mannheim, Ingelheim, Kehlheim, Trondheim, usw.) , slawische Siedlungsgebiete auf die Endung "-lehen", bzw. "-leben" oder "-itz", beziehen, ist es bei den Kelten ähnlich.

Keltische Siedlungen im östlichen Raum tragen meistens die Endung "-ing", so wie in Bayern zum Beispiel Manching, Eching, Pocking, Straubing, Ittling, usw, während sie im südwestlichen und westlichen Raum die Endung "-ingen" tragen. Sigmaringen, Nördlingen, Reutlingen, Überlingen, usw. sind nur einige bekannte Beispiele dafür.

Folgt man dieser "Spur der Kelten" weiter nach Norden, so braucht man eigentlich zunächst nur den Namen ihrer Siedlungen zu folgen. Leiningen, Groningen, Schneverdingen, usw.
So leicht ist das. :yes:
Hier eine Karte von keltischen/gallischen Siedlungsgebieten in Europa:
http://www.archaeologie-krefeld.de/Bilder/news/Keltenausstellung/Karte/KeltenKarte.jpg

Keltische Grüße vom Mino. :winke:
Hallo Mino,der Ansatz über die Sprache bringt uns bei der Suche nach den nördlichsten Siedlungsgebieten der Spätlatene-Kultur nicht eigentlich weiter,da wir ja real existierende Plätze mit zugehörigen archäologischen Funden suchen.Grüße,andrix
 
Keltische Siedlungen im östlichen Raum tragen meistens die Endung "-ing", so wie in Bayern zum Beispiel Manching, Eching, Pocking, Straubing, Ittling, usw, während sie im südwestlichen und westlichen Raum die Endung "-ingen" tragen. Sigmaringen, Nördlingen, Reutlingen, Überlingen, usw. sind nur einige bekannte Beispiele dafür.

Folgt man dieser "Spur der Kelten" weiter nach Norden, so braucht man eigentlich zunächst nur den Namen ihrer Siedlungen zu folgen. Leiningen, Groningen, Schneverdingen, usw.

Hallo, Mino.

es gibt aber auch die germanischen Ableitungen von "Thing", die ebenfalls auf "(t/d)ing" bzw. "(t/d)ingen" enden. Schneeverdingen, z.B. würde ich eher für einen germanischen denn für einen keltischen Ortsnamen halten, genauso wie Gelting (Flensburger Förde) oder St. Peter Ording. Auch die Einordnung von Tönning (Eiderstedt / Schleswig-Holstein) als keltisch fände ich, gelinde gesagt, etwas gewagt ..
 
ein sehr wichtiges Indiz für mögliche keltische Siedlungsgebiete wurde bisher nicht angesprochen: Ihre Sprache.
[...]

Keltische Siedlungen im östlichen Raum tragen meistens die Endung "-ing", so wie in Bayern zum Beispiel Manching, Eching, Pocking, Straubing, Ittling, usw, während sie im südwestlichen und westlichen Raum die Endung "-ingen" tragen. Sigmaringen, Nördlingen, Reutlingen, Überlingen, usw. sind nur einige bekannte Beispiele dafür.


Du hast zwar Recht, die Sprache ist tatsächlich ein Indiz für die Verbreitung der Kelten, jedoch gerade die Ortsnamen auf -ing, teilweise auch mit eine Pluralsuffix (-ingen) oder einem Diminutivsuffix (-ingel) versehen, sind nicht keltischen Ursprungs, auch wenn etwa das keltische Oppidum Manching hier zu einer solchen Hypothese verführt.
Für die Kelten sind Ortsnamenendungen auf -briga, -iacum, -dunum etc. interessant, z.B. Tolbiacum, das heutige Zülpich.


Hallo, Mino.

es gibt aber auch die germanischen Ableitungen von "Thing", die ebenfalls auf "(t/d)ing" bzw. "(t/d)ingen" enden. Schneeverdingen, z.B. würde ich eher für einen germanischen denn für einen keltischen Ortsnamen halten, genauso wie Gelting (Flensburger Förde) oder St. Peter Ording. Auch die Einordnung von Tönning (Eiderstedt / Schleswig-Holstein) als keltisch fände ich, gelinde gesagt, etwas gewagt ..

In Deutschland sollte i.d.R. ein <d> dort stehen, wenn ein Ortsname von Thing abgeleitet ist. Was aber nicht heißt, dass alle Ortsnamen, die -ding in sich tragen so morphologisch richtig segmentiert sind (soll heißen, die meisten gehören wahrscheinlich trotzdem der -ing-Gruppe an.
 
EQ: schrieb:
gerade die Ortsnamen auf -ing, teilweise auch mit eine Pluralsuffix (-ingen) oder einem Diminutivsuffix (-ingel) versehen, sind nicht keltischen Ursprungs, auch wenn etwa das keltische Oppidum Manching hier zu einer solchen Hypothese verführt.
Dann ist die Zuordnung von keltischen Siedlungsgebieten nach den Endungen "-ing" oder "-ingen" also grundsätzlich falsch? :confused:
Es ist zwar mittlerweile weit über 40 Jahre her, aber ich kann mich noch recht gut daran erinnern, daß es damals im Geschichtsunterricht an unserer Schule genau so gelehrt wurde. Die von mir angeführten Orte waren nur einige Beispiele für diese These.
Leider kann ich meine ehemaligen Lehrer nicht mehr danach befragen, da inzwischen alle verstorben sind. :rip:
EQ: schrieb:
Für die Kelten sind Ortsnamenendungen auf -briga, -iacum, -dunum etc. interessant, z.B. Tolbiacum, das heutige Zülpich.
Die Endung "-um", "-dum", bzw, "-dunum" hingegen hatte ich bisher immer für römischischen Ursprungs gehalten (siehe Asterix).

Naive Frage: Könnte es nicht so sein, daß diese römisch klingenden Endungen (ebenso wie der Begriff "Oppidum") vielleicht entweder von römisch assimilierten Kelten oder gar von den Römern selbst stammen?
andrix8888: schrieb:
Hallo Mino,der Ansatz über die Sprache bringt uns bei der Suche nach den nördlichsten Siedlungsgebieten der Spätlatene-Kultur nicht eigentlich weiter,da wir ja real existierende Plätze mit zugehörigen archäologischen Funden suchen.Grüße,andrix
Daß das ehemals keltische Siedlungsgebiet auf dem europäischen Festland bis hinauf nach Groningen (Niederlande) reichte, das habe ich ja bereits in meiner verlinkten Karte der Uni Krefeld dargestellt. Ob es dort im Raum Groningen auch entsprechende Ausgrabungen gibt, das weiß ich leider nicht, ich hatte mich hierbei nur an den Namen der Siedlungen, bzw. an deren Endungen orientiert.

spatensuchende Grüße vom Mino. :inarbeit: ;)
 
EQ schrieb:
Für die Kelten sind Ortsnamenendungen auf -briga, -iacum, -dunum etc. interessant, z.B. Tolbiacum, das heutige Zülpich

Die Endung "-um", "-dum", bzw, "-dunum" hingegen hatte ich bisher immer für römischischen Ursprungs gehalten (siehe Asterix).

Korrekter wäre hier sicher -brigo (oder -brixo), -iaco und -dunon gewesen wie in Mogontiaco (->Mogontiacum->Mainz) oder Lugdunon (-> Lugdunum -> Lyon)
 
In Deutschland sollte i.d.R. ein <d> dort stehen, wenn ein Ortsname von Thing abgeleitet ist.

Ich vermute, dass die von mir angegebenen schleswig-holsteinischen Ortsnamen auf '-ting' auf die dänisch / jütischen Einwanderungen des frühen Mittelalters zurückgehen, und daher von den deutschen Lautverschiebungen unberührt blieben (als Ausnahme von der Regel).

Die Endung "-um", "-dum", bzw, "-dunum" hingegen hatte ich bisher immer für römischischen Ursprungs gehalten (siehe Asterix).

Auch mit dem reinen "-um" wäre ich vorsichtig - dass ist genauso eine tyüische friesische Endung (Keitum, Amrum, Borkum, etc.).

Um zum eigentlichen Thena zurückzukommen: Wenn ich es richtig verstanden habe, lagen keltische 'oppida' typischerweise auf Hügel- bzw. Bergkuppen mit guter Kontrolle des Umlands (ich denke da immer an Städte wie Orvieto in Umbrien oder Montepulciano in der Toskana). Germanische Siedlungen dagegen entstanden eher an verkehrsgünstigen Plätzen (Furt, Landungsplätz / Wiek, Straßenkreuzungen etc.), also an Flüssen und/ oder am Rand von Höhenzügen, und sind auch zeitlich deutlich später einzuordnen.


Jetzt gucke ich mal, wo es in Deutschland Orte mit eher "toskanischer" denn "deutscher" Anmutung gibt - verstanden als Orte, deren historisches "Zentrum" (Markt, Kirche, Residenz) nicht direkt an den Verkehrswegen, sondern etwas abseits davon auf einer deutlichen Erhebung liegt. Da finde ich u.a.:
  • Marburg
  • Hornburg (zwischen Bad Harzburg und Wolfenbüttel)
  • Quedlinburg
  • Bernburg / Saale (mit Vorbehalt)
In den beiden letzgenannten Orten tut man sich naturgemäß mit Tiefengrabungen etwas schwer. Eine kürzliche Grabung im Bernburger Schlosshof scheint auf die frühmittelalterlichen Horizonte berschränkt gewesen zu sein.
In Isingerode, 2km westlich von Hornburg, ist allerdings eine bronzezeitliche Befestigungsanlage ergraben wurden, deren Einordnung offensichtlich Mühe macht - sie wird sowohl der Urnenfelderkultur Phase A1 bis Hallstattkultur C1 [nach südmitteleuropäischer Chronologie] als auch der Nordischen Kultur P IIIB bis V [nach nordmitteleuropäischer Chronologie]) zugeordnet. Funde belegen Handelsbeziehungen nach Süddeutschland und nach Ungarn. Für die Zeit um 700 v.Chr. ist Brandzerstörung und darauffolgende Aufgabe der Siedlung nachgewiesen, die generell als Grenzbefestigung gen Nordwesten interpretiert wird.Freunde der Archäologie im Braunschweiger Land - FABL e.V.

Interpretiere ich das ganze jetzt mal im Kontext mit der weiter oben im Diskussionsfaden erwähnten keltischen Besiedlung Nordthüringens bis zum Leipziger Raum, so scheint mir eine proto-keltische Ausbreitung bis ins nördliche Harzvorland denkbar, die dann ab 700 v.Chr. unter zunehmenden germanischen Druck geraten ist.
 
Ich vermute, dass die von mir angegebenen schleswig-holsteinischen Ortsnamen auf '-ting' auf die dänisch / jütischen Einwanderungen des frühen Mittelalters zurückgehen, und daher von den deutschen Lautverschiebungen unberührt blieben (als Ausnahme von der Regel).

Jetzt weiß ich nicht, wie das germanische thorn sich im Dänischen gewandelt hat, im Deutschen ist es regelmäßig zum /d/ geworden. Es müsste dann im Dänischen regelmäßig zu /t/ geworden sein, um aus dem Thing einen Ting werden zu lassen.


Auch mit dem reinen "-um" wäre ich vorsichtig - dass ist genauso eine typische friesische Endung (Keitum, Amrum, Borkum, etc.).

Zumal die Endungen von vor 2000 Jahren nicht mehr mit denen von heute übereinstimmen.
Im Übrigen weiß ich nicht, ob es sich bei -um um eine typisch friesische Endung handelt, man findet sie auch im Rheinland und in Westfalen: Stürum, Dutum, Mesum, Walsum
 
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