Menschenopfer auf Kreta und Griechenland?

Ich hätte jetzt in einem Roman kein Problem damit, wenn man bestimmte Orte mit Atlantis gleichsetzte. Da wir nicht wissen, ob es Atlantis gab und wenn, wo es lag, hat jede Theorie was für sich.

In einem Roman hast du ohnehin jede Freiheit - fragt sich nur, ob dir der Leser bei exotischen Verortungen folgen will. :grübel:
 
Die Frage ist eher, ob der durchschnittliche Leser genügend Hintergrundwissen hat, um das Fiktive im Roman zu erkennen und vom Fundierten unterscheiden zu können. Aber eine Diskussion über historische Korrektheit in Historienromanen hatten wir schon mal.
 
Die Frage ist eher, ob der durchschnittliche Leser genügend Hintergrundwissen hat, um das Fiktive im Roman zu erkennen und vom Fundierten unterscheiden zu können.

Na ja, Ravenik, dass Atlantis ein Fantasieprodukt ist, darüber werden sich die Leser eines solchen Fantasy-Romans wohl im klaren sein. Denn als "historischen Roman" wurde ich eine soche Geschichte nicht bezeichnen, da tut man den Historienschreibern Unrecht! :D
 
Ich hätte Probleme damit, wenn die Minoer z.B. Hosen trügen oder Kartoffeln anbauten, denn wir können zuverlässig vermuten, daß dem nicht so war.
Derartiges kommt aber leider vor. Im Roman "Heliogabal" von Louis Couperus werden Kakteen erwähnt, obwohl die meines Wissens ursprünglich nur in Amerika verbreitet waren, und in "Die Komödianten" vom selben Autor, in Rom unter Domitian spielend, werden gar Tomaten erwähnt.
 
Kartoffeln auf Thera?
nein, das ginge mir ebenfalls zu weit. Dennoch haben sich ein paar "Freiheiten" in die Story eingeschlichen, z.B. taucht der Seher Theresias auf, um die Bewohner zu warnen. Wegen ein paar "echter" Fehler habe ist trotzdem nun eine Revision bei Epidu beantragt. "Kanäle" habe ich jetzt in "Flüsse" umgewandelt, einmal Platon in Solon etc. Die aktuell seit gestern veröffentlichte Version bitte also wenn überhaupt, dann unter Vorbehalt lesen (oder ca.3 Wochen auf die Revision bei Epidu warten.) Ich hoffe aber auf tolerante Leser wie Dich, denn auf zu viel Spitzfindigkeit kann jeder Romanautor gern verzichten...
 
Menschenopfer auf Kreta

Ja, ja, ich weiß: In fast allen antiken Sagen und Geschichten, sowie auf Abbildungen und in Filmen wird der Minotaurus stets als wildes und menschenfressendes Monster dargestellt.
Aber gerade beim Minotauros (oder Minotaurus) handelt es sich vermutlich um die am allermeisten mißverstandene und mißgedeutete Gestalt aus der griechischen Mythologie, bzw. der minoischen Kultur auf Kreta.

[Zitat=Reinecke]Mir fällt dabei die Minotaurus-Sage. Jungendliche aus ganz Griechenland, die im Labyrinth (=Palast, Tempel) von einer Bestie gefressen werden...

Wenn da was dran ist hätte die Legende wohl einen ziemlich wahren Kern.
[/Zitat]
Der "wahre Kern" jeder Sage bezieht sich wahrscheinlich darauf, dass es eben eine Sage/Legende und keine dokumentierte und historisch gesicherte Überlieferung ist.
Noch dazu kommt es darauf an, von wem diese Legende stammt. Allein schon die griechiche Bezeichnung "Minotauros", bzw, die spätere, römische Bezeichnung "Minotaurus" dürfte sehr aussagekräftig sein, denn aus minoischer Überlieferung ist lediglich der Name "Minotaur" bekannt, was nichts anderes heißt als "Stier des Minos." Ob es sich dabei um einen Namen oder um einen Titel gehandelt hat, das ist nicht überliefert.
Vermutlich haben also die frühen Griechen, die in spätminoischer Zeit als Besatzer nach Kreta kamen, diese Mär mit dem Monster geschaffen. Da es keinen realen Nachweis dafür gibt, ob es jemals solche Mischwesen zwischen Mensch und Tier gegeben hat, ist wohl eher anzunehmen, dass es sich beim Minotaurus um einen minoischen Priester mit Stiermaske gehandelt hat. Immerhin war der religiöse Stierkult ein zentraler Bestandteil der minoischen Kultur.

[Zitat=Eumolp]offenbar gab es Menschenopfer, ja sogar Menschenfresserei in minoischer Zeit!
Der erste Beleg stammt von dem Ehepaar Sakellarakis, die einen Tempel in bzw bei Anemospilia ausgruben. Bemerkenswert ist dieser Fund vor allem, weil ein Erdbeben die Insassen in actu erwischt hatte und damit wie in Pompeji ein direktes Abbild des Lebens zu jener Zeit erhalten ist. Man fand also dort einen Raum mit 3 Skeletten: 2 stammen von Priestern, das 3. lag auf einem altarähnlichen Steinpodest, ihm war wohl eine Menge Blut abgezapft worden. Desweiteren befand sich ein riesiger Dolch auf seinem Körper: der Einsturz des Tempels bewahrte den jungen Mann vorm Opfertod, indem er von den herabfallenden Steinen erschlagen wurde.
[/Zitat]
Hier muss man die Frage stellen, aus welcher Zeit genau diese Funde stammen. Stammen sie wirklich noch aus minoischer Zeit oder vielmehr aus einer späteren Epoche? Vielleicht aus einer Zeit, als es die minoische Hochkultur schon längst nicht mehr gab.

[Zitat=Eumolp]... Eine Miniaturamphora war mit vier Doppelschilden bemalt. Im Westraum fand Warren neben 28 vollständigen Gefäßen, meist Kannen und Tassen, 218 menschliche Knochen mit Schabspuren, was als sicheres Zeichen für Anthropophagie (Menschenfresserei) angesehen wird. Die Skelettreste starnmten von Kindern im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren. Da keine Brandspuren beobachtet wurden, kam der Ausgräber zu dem Schluß, daß hier ein Zeugnis für den kultischen Rohverzehr (Omophagie) von Menschenfleisch vorliege. Warren verband diesen Ritus mit dem Kult des Dionysos Zagreus, der als Fruchtbarkeitsgott mit dem auf Kreta geborenem und sterbenden Zeus Kretagenes gleichzusetzen sei.[/Zitat]
Auch hier eine rein subjektive Vermutung von Peter Warren. Die Skelettreste und die Schabspuren deuten nicht zwangsläufig auf Kannibalismus hin. Sie können ihre Ursache ebenso gut in einem religiösen minoischen Bestattungskult aus der späten Bronzezeit haben.
Apropo Bestattungskult: Ich weiß ja nicht, wer von euch schon mal in Hallstatt war. Am dortigen Friedhof findet man massenhaft übereinander gestapelte Knochen mit Schabspuren und sogar bemalte Totenschädel. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, daß die bronzezeitliche Hallstattkultur irgend etwas mit Kannibalismus zu tun gehabt hätte. Die Schabspuren sind ganz einfach deshalb entstanden, weil die ausgegrabenen Knochen zuerst gereinigt (abgeschabt) werden mussten, bevor man sie im Gebeinehaus zur weiteren Lagerung aufschichtete.
Hier von Menschenopfern zu sprechen, ginge ziemlich an der Sache vorbei und ebenso dürfte es auch im minoischen Kreta sein. Immerhin gilt die minoische Kultur als die älteste Kultur Europas. Die Minoer verfügten bereits eine hochseetüchtige Flotte und sie haben damit nicht nur das gesamte östliche Mittelmeer beherrscht, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits Kontakte zu Nordeuropa und den britischen Inseln. Die dringend benötigten Zinnlieferungen aus Wales fallen mir dazu ein. Wer sonst - außer den Minoern - wäre zur damaligen Zeit dazu in der Lage gewesen?

[Zitat=Eumolp]- Dem Kronos wurden Menschenopfer dargebracht; er selbst verschlang seine Kinder, nur Zeus blieb mit Rhea's Hilfe verschont.

- Agamemnon opfert seine Tochter Iphigenie auf Anraten des Kalchas, wobei die Tochter allerdings von Artemis entrückt wurde (hat Jürgen schon gebracht)

- Polyxene, Tochter des Priamos, wurde am Grab des Achill geopfert, um ihm ins Schattenreich zu folgen.

- Beim Kampf des Herakles mit Cacus werden auch Menschenopfen des Stammer der Argei erwähnt. Überhaupt hat ja auch Herakles, von Hera mit Wahnsinn geschlagen, seine 6 Kinder getötet, weshalb er die berühmten 12 Arbeiten erledigen muss.

- auch die Minotaurus-Sage wurde schon von Reinecke erwähnt. Hier sind es 7 Jungs und 7 Mädchen. Theseus hat ihm die Blutsuppe versalzen.
... usw, usw...
[/Zitat]

[Zitat=balticbirdy]Laut Homer opferte Achilles 12 Gefangene am Grab des Patrokles. Es muss also zu minoischer Zeit so etwas gegeben haben.[/Zitat]
Trugschluss abgelehnt! Homer war kein Zeitzeuge der minoischen Kultur auf Kreta, er lebte viel, viel später.
Die Menschenopfer, die in der (späteren) griechischen Mythologie erwähnt werden, beziehen sich nicht auf die minoische, sondern auf die griechische Kultur. Nur zur Erinnerung: Zur Blütezeit der minoischen Kultur gab es auf dem griechischen Festland noch keine Hochkultur. Die dort lebenden Schafhirten wurden von den Minoern als Barbaren betrachtet und ihre Städte zu Tributleistungen (siehe Minotaurussage) verpflichtet.
Aber auch hier darf man die Sage mit den Menschenopfern nicht allzu wörtlich nehmen, denn König Minos dürfte kaum ein Interesse an menschlichem Futter für den Minotaurus gehabt haben, denn sonst hätten dafür auch Bauern und Schafhirten genügt. Vielmehr ging es ihm darum, die Kinder der attischen Oberschicht als Geiseln nach Kreta zu entführen, sie dort nach minoischen Grundsätzen zu erziehen und sie dann letztendlich in seine eigene Gesellschaft einzufügen. Dass von diesen Geiseln später keine in ihre Heimat zurückkehrte, das hat in Athen wahrscheinlich die Sage vom menschenfressenden Monster inspiriert. Außerdem dürfe eine Rückkehr (sogar dann, wenn sie gewollt gewesen wäre) an den technischen Möglichkeiten gescheitert sein. Kreta liegt weit entfernt vom griechischen Festland und die Minoer waren zur damaligen Zeit die einzigen, die über eine hochseetüchtige Flotte verfügten. Nicht einmal die (ebenso hoch entwickelten) Ägypter hatten so eine Flotte und das will etwas heißen.

Dabei haben die Minoer immer schon herausragende Persönlichkeiten aus anderen Kulturen in ihre eigene Gesellschaft integriert. Erinnern wir und doch ganz einfach mal an den genialen Erfinder und Tüftler Daidalos und seinen Sohn, die ebenfalls keine Minoer, sondern attische Griechen waren. Ob sie freiwillig oder gezwungenermaßen auf Kreta lebten, das wissen wir nicht mit letzter Sicherheit, aber König Minos hat die Fähigkeiten Daidalos' für seine eigenen Zwecke zu nutzen gewusst, denn genau dies sicherte der minoischen Kultur den technischen Vorsprung gegenüber ihren Nachbarn in der östlichen Ägäis.
Warum also sollte man die kulturelle Elite eines feindlichen Volkes an ein blutrünstiges Monster verfüttern? Dafür gibt es keinerlei nachvollziehbare Gründe. Eher schon wurden diese Geiseln von einem minoischen Priester in den Gebräuchen der minoischen Kultur unterrichtet, was man natürlich ebenso als ein "Menschenopfer" ansehen könnte, wenn man das möchte.
Dass es in anderen, späteren Kulturen noch solche rituellen Menschenopfer gegeben hat, das steht völlig außer Frage. Ogrim hat es bereits sehr deutlich ausgedrückt, was davon zu halten ist.
[Zitat=Ogrim]Das ist eines meiner Lieblingsthemen: "Meine Kultur ist aber höher als deine".
Ich befürchte mal, dass du da einem Denkfehler aufsitzt: Alles, was jünger/näher an unserer Gegenwart ist, muss auch höher entwickelt sein.

Reine Kulturarroganz ist das.
[/Zitat]
Richtig! Genau derselben Ansicht bin auch ich.

[Zitat=Theresia]Habe einen Roman geschrieben über die minoische Eruption. Würde gerne folgendes wissen: Gab es die Blutopfer auch auf Thera? Bislang habe ich nur von Kreta gehört.[/Zitat]
Nun, in einem Roman ist so ziemlich alles erlaubt, was dem jeweiligen Autor gerade mal so durch den Kopf geht.
Wenn es aber ein historischer Roman werden sollte, so sollte er nicht nur in sich schlüssig sein, sondern historisch gesicherte Erkenntnisse weitestgehend richtig darstellen. Nur zu leicht kommt man sonst als Autor in den Verdacht des Realitätsverlustes und das kann für die weitere, schriftstellerische Karriere tödlich sein. Zumindest dann, wenn der Leser diese Widersprüche bemerkt und die meisten Leser sind nicht dumm.
Um zu Deiner Frage zurückzukommen: Nein, es gab zur Zeit der minoischen Hochkultur weder auf Thera (heute Santorin), noch auf Kreta solche "Blutopfer."
Zwei sehr treffende Beiträge zum Thema "historische Romane" kamen zum Beispiel von Dieter und Luziv.
[Zitat=Dieter]In einem Roman hast du ohnehin jede Freiheit - fragt sich nur, ob dir der Leser bei exotischen Verortungen folgen will.[/Zitat]
[Zitat=Luziv]Hoffentlich tragen die Leute in Deinem Roman keine Stiefel, Hemden, unter denen sie Survivaltaschen verstecken, und essen Tomaten, wie ich es in einem anderen Roman über den Vulkanausbruch auf Thera ca. 1620 v. Chr. (Datum umstritten) lesen durfte. Nach den Tomaten habe ich das Lesen eingestellt.[/Zitat]
Genau das meinte ich damit! :rofl:

Fazit: Es gibt keinerlei historisch gesicherte Indizien für Menschenopfer in der minoischen Kultur auf Kreta. Ja, schlimmer noch: es gibt nicht einmal in sich schlüssige Vermutungen, die eine solche Behauptung belegen könnten.

historisch "gesicherte" Grüße vom Mino. ;)
 
Noch dazu kommt es darauf an, von wem diese Legende stammt. Allein schon die griechiche Bezeichnung "Minotauros", bzw, die spätere, römische Bezeichnung "Minotaurus" dürfte sehr aussagekräftig sein, denn aus minoischer Überlieferung ist lediglich der Name "Minotaur" bekannt, was nichts anderes heißt als "Stier des Minos." Ob es sich dabei um einen Namen oder um einen Titel gehandelt hat, das ist nicht überliefert.
"Minotauros" ist ein griechisches Wort. ("Minotaur" ist nur die eingedeutschte Form.) Die Minoer sprachen kein Griechisch, von ihnen stammt die Bezeichnung bestimmt nicht.

Da es keinen realen Nachweis dafür gibt, ob es jemals solche Mischwesen zwischen Mensch und Tier gegeben hat
Das ziehst Du doch nicht ernsthaft in Betracht?

ist wohl eher anzunehmen, dass es sich beim Minotaurus um einen minoischen Priester mit Stiermaske gehandelt hat. Immerhin war der religiöse Stierkult ein zentraler Bestandteil der minoischen Kultur.
Das ist denkbar.

Die Minoer verfügten bereits eine hochseetüchtige Flotte und sie haben damit nicht nur das gesamte östliche Mittelmeer beherrscht,
Sie waren eine führende Handelsmacht, aber für eine politisch-militärische Expansion gibt es keine Hinweise.

sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits Kontakte zu Nordeuropa und den britischen Inseln.
Das ist pure Spekulation. Vermutlich erreichten erst die Phönizier um etwa 1000 v. Chr. diese Gefilde.

Die dringend benötigten Zinnlieferungen aus Wales fallen mir dazu ein. Wer sonst - außer den Minoern - wäre zur damaligen Zeit dazu in der Lage gewesen?
Zinnvorkommen gab es nicht nur in Britannien, sondern auch in Kleinasien.

Hier von Menschenopfern zu sprechen, ginge ziemlich an der Sache vorbei und ebenso dürfte es auch im minoischen Kreta sein. Immerhin gilt die minoische Kultur als die älteste Kultur Europas.
Die Azteken hatten auch eine hochentwickelte Kultur.

Dabei haben die Minoer immer schon herausragende Persönlichkeiten aus anderen Kulturen in ihre eigene Gesellschaft integriert.
Auch das ist eine Spekulation. So sichere Schlüsse kann man aus Mythen einer viel späteren Zeit nicht ziehen.

Aber auch hier darf man die Sage mit den Menschenopfern nicht allzu wörtlich nehmen, denn König Minos dürfte kaum ein Interesse an menschlichem Futter für den Minotaurus gehabt haben, denn sonst hätten dafür auch Bauern und Schafhirten genügt. Vielmehr ging es ihm darum, die Kinder der attischen Oberschicht als Geiseln nach Kreta zu entführen, sie dort nach minoischen Grundsätzen zu erziehen und sie dann letztendlich in seine eigene Gesellschaft einzufügen. Dass von diesen Geiseln später keine in ihre Heimat zurückkehrte, das hat in Athen wahrscheinlich die Sage vom menschenfressenden Monster inspiriert.
Möglich, aber: Siehe oben.
 
Die Minoer sprachen kein Griechisch, von ihnen stammt die Bezeichnung bestimmt nicht.
Ja, damit hast Du sicher recht. Über die minoische Sprache wissen wir bisher leider noch nichts und ihre Schrift (Linear A) konnte bisher nicht entschlüsselt werden.

Das ziehst Du doch nicht ernsthaft in Betracht?
Nein, ich ziehe solche Mischwesen sicher nicht ernsthaft in Betracht, obwohl sowohl die Mythologie, als auch religiöse Schriften weltweit davon nur so wimmeln. Tatsächliche Funde oder Nachweise fehlen bisher jedenfalls.

Sie waren eine führende Handelsmacht, aber für eine politisch-militärische Expansion gibt es keine Hinweise.
Ich habe nirgendwo von einer militärischen Expansion gesprochen, denn dazu war die minoische Kultur gar nicht ausgelegt. Eine Handelsmacht mit einer Hochseeflotte kann ebenso gut einen Wirtschaftsraum beherrschen wie eine militärische Streitmacht, vielleicht sogar noch viel effektiver. Außerdem: Handel ist auch Politik.
Das Fehlen einer Militärmacht war vermutlich sogar einer der Gründe für den Niedergang der minoischen Kultur auf Kreta. Der Vulkanausbruch auf Thera war es jedenfalls nicht. Oder zumindest nicht allein.


Das ist pure Spekulation. Vermutlich erreichten erst die Phönizier um etwa 1000 v. Chr. diese Gefilde.
Das wiederum halte ich für Spekulation. Zu dieser Zeit war der bronzezeitbedingte "Zinn-Boom" längst vorbei. Wir befinden uns bereits mitten in der Eisenzeit.
Hmmm, stammen nicht auch Bestandteile der Himmelsscheibe von Nebra von den britischen Inseln? Also nix mit Phöniziern erst um 1000 v. Chr.
Außerdem ist mir hier ein geographischer Fehler unterlaufen: Ich meinte nicht Wales, sondern Cornwall. *schäm*


Zinnvorkommen gab es nicht nur in Britannien, sondern auch in Kleinasien.
Ja, gewisse Zinnvorkommen gibt es wahrscheinlich auf der ganzen Welt, aber eben nicht in dem Ausmaß, wie sie eine hoch technologisierte, bronzezeitliche Handelsmacht wie die minoische benötigte.


Die Azteken hatten auch eine hochentwickelte Kultur.
Das besagt gar nichts. Die aztekische Kultur bestand in einer völlig anderen Zeit in einer völlig anderen Hemisphäre. Höchstwahrscheinlich sogar ohne jeglichen Zusammenhang mit der "Alten Welt", aber das wissen wir (noch) nicht.
Rituelle Menschenopfer der Azteken sind uns von den Spaniern überliefert, von Seiten der minoischen Kultur hingegen fehlen jegliche Beweise. Es gibt bislang nicht einmal logisch schlüssige Vermutungen dafür.

Auch das ist eine Spekulation. So sichere Schlüsse kann man aus Mythen einer viel späteren Zeit nicht ziehen.
Das ist prinzipiell richtig, aber logische Schlüsse zu ziehen sollte trotzdem erlaubt sein. Gerade dann, wenn archäologische Nachweise fehlen.

logisch-schlüssige Grüße vom Mino. ;)
 
Hmmm, stammen nicht auch Bestandteile der Himmelsscheibe von Nebra von den britischen Inseln? Also nix mit Phöniziern erst um 1000 v. Chr.
Norddeutschland ist nicht der östliche Mittelmeerraum, sondern liegt doch erheblich näher an Britannien.
Es stellt sich auch die Frage, ob die minoischen Schiffe überhaupt dem erheblich raueren Atlantik gewachsen gewesen wären.

Eine Handelsmacht mit einer Hochseeflotte kann ebenso gut einen Wirtschaftsraum beherrschen wie eine militärische Streitmacht, vielleicht sogar noch viel effektiver. Außerdem: Handel ist auch Politik.
Wirtschaftlich waren die Minoer bedeutend, ja. Ihre weitreichenden Kontakte werden auch durch Funde in Ägypten belegt. Aber das macht noch keinen politischen Einfluss. Auch die Phönizier hatten trotz ihres weitverzweigten Handelsnetzes und der Gründung von Kolonien keine über ihre Städte hinausreichende politische Macht, sondern standen im Gegenteil oft unter der Oberherrschaft anderer Reiche. Reale Macht bekam erst später Karthago, als es zur Militärmacht aufstieg.

Das besagt gar nichts. Die aztekische Kultur bestand in einer völlig anderen Zeit in einer völlig anderen Hemisphäre. Höchstwahrscheinlich sogar ohne jeglichen Zusammenhang mit der "Alten Welt", aber das wissen wir (noch) nicht.
Von einem Zusammenhang habe ich auch nicht gesprochen, den kann man seriöserweise ausschließen.
Mir ging es nur darum zu zeigen, dass "Kultur" und Menschenopfer kein Widerspruch sind. Auch die Römer brachten im Zweiten Punischen Krieg noch Menschenopfer dar, und auch die Gladiatorenspiele waren anfangs vermutlich eine Art von selbstdarbringendem Menschenopfer. Auch in Griechenland gab es vereinzelt noch in klassischer Zeit Menschenopfer. Bei den Phöniziern waren sie sogar relativ häufig.

Das ist prinzipiell richtig, aber logische Schlüsse zu ziehen sollte trotzdem erlaubt sein. Gerade dann, wenn archäologische Nachweise fehlen.
Nur darf man diese Schlüsse dann nicht als Fakten hinstellen, denn sie bleiben mangels schriftlicher und archäologischer Belege Spekulationen.
 
Menschenopfer auf Kreta



...
[Zitat=Eumolp]offenbar gab es Menschenopfer, ja sogar Menschenfresserei in minoischer Zeit!
Der erste Beleg stammt von dem Ehepaar Sakellarakis, die einen Tempel in bzw bei Anemospilia ausgruben. Bemerkenswert ist dieser Fund vor allem, weil ein Erdbeben die Insassen in actu erwischt hatte und damit wie in Pompeji ein direktes Abbild des Lebens zu jener Zeit erhalten ist. Man fand also dort einen Raum mit 3 Skeletten: 2 stammen von Priestern, das 3. lag auf einem altarähnlichen Steinpodest, ihm war wohl eine Menge Blut abgezapft worden. Desweiteren befand sich ein riesiger Dolch auf seinem Körper: der Einsturz des Tempels bewahrte den jungen Mann vorm Opfertod, indem er von den herabfallenden Steinen erschlagen wurde.[/Zitat]
Hier muss man die Frage stellen, aus welcher Zeit genau diese Funde stammen. Stammen sie wirklich noch aus minoischer Zeit oder vielmehr aus einer späteren Epoche? Vielleicht aus einer Zeit, als es die minoische Hochkultur schon längst nicht mehr gab.
...

Bezüglich Kenntnissen des minoischen Kreta bin ich zugegebenermaßen etwas unterbelichtet. Aus dem einzigen einigermaßen ernsthaften Buch, was ich zu den Minoern habe (J. Lesley Fitton, Die Minoer), ergibt sich, daß die Ausgräber die Funde zu den vier Skeletten von Anemospilia (unidentifizierbares Skelett, Frau um die 30, Mann Ende 40 und ein Junge von ca. 18 Jahren, letzterer wahrscheinlich gefesselt, auf ihm lag quer eine Lanzenspitze) anhand der ebenfalls vorhandenen ca. 150 Keramiken auf die Periode MM IIB bis MM IIIA datieren, also in die frühe Späte Palastzeit von ca. 1700 bis 1600 v. Chr., sozusagen eine minoische Hochzeit. Dieser Zeit entspricht in Griechenland die Periode MH (mittelhelladisch), in Ägypten die XIII. und XIV. Dynastie.

Aus dem Fundzusammenhang läßt sich eigentlich auf kaum etwas anderes schließen als ein Menschenopfer. Der junge Mann war vor seinem Tod bei guter Gesundheit, genauso wie die Frau und der Mann. Vermutlich war der Junge schon tot, als das Gebäude einstürzte. Das Ereignis, ein singulärer Fund, könnte mit Naturkatastrophen in dieser Zeit zu tun haben, z.B. als ultimatives Opfer eines Jünglings (vielleicht besonders geschätzt als Typus, ähnlich wie später Jünglinge in Griechenland?) an die Götter zur Abwehrhilfe.



[Zitat=Eumolp]... Eine Miniaturamphora war mit vier Doppelschilden bemalt. Im Westraum fand Warren neben 28 vollständigen Gefäßen, meist Kannen und Tassen, 218 menschliche Knochen mit Schabspuren, was als sicheres Zeichen für Anthropophagie (Menschenfresserei) angesehen wird. Die Skelettreste starnmten von Kindern im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren. Da keine Brandspuren beobachtet wurden, kam der Ausgräber zu dem Schluß, daß hier ein Zeugnis für den kultischen Rohverzehr (Omophagie) von Menschenfleisch vorliege. Warren verband diesen Ritus mit dem Kult des Dionysos Zagreus, der als Fruchtbarkeitsgott mit dem auf Kreta geborenem und sterbenden Zeus Kretagenes gleichzusetzen sei.[/Zitat]
Auch hier eine rein subjektive Vermutung von Peter Warren. Die Skelettreste und die Schabspuren deuten nicht zwangsläufig auf Kannibalismus hin. Sie können ihre Ursache ebenso gut in einem religiösen minoischen Bestattungskult aus der späten Bronzezeit haben.
Apropo Bestattungskult: Ich weiß ja nicht, wer von euch schon mal in Hallstatt war. Am dortigen Friedhof findet man massenhaft übereinander gestapelte Knochen mit Schabspuren und sogar bemalte Totenschädel. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, daß die bronzezeitliche Hallstattkultur irgend etwas mit Kannibalismus zu tun gehabt hätte. Die Schabspuren sind ganz einfach deshalb entstanden, weil die ausgegrabenen Knochen zuerst gereinigt (abgeschabt) werden mussten, bevor man sie im Gebeinehaus zur weiteren Lagerung aufschichtete.
Hier von Menschenopfern zu sprechen, ginge ziemlich an der Sache vorbei und ebenso dürfte es auch im minoischen Kreta sein. Immerhin gilt die minoische Kultur als die älteste Kultur Europas. Die Minoer verfügten bereits eine hochseetüchtige Flotte und sie haben damit nicht nur das gesamte östliche Mittelmeer beherrscht, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits Kontakte zu Nordeuropa und den britischen Inseln. Die dringend benötigten Zinnlieferungen aus Wales fallen mir dazu ein. Wer sonst - außer den Minoern - wäre zur damaligen Zeit dazu in der Lage gewesen?
...

Einige der Kinderknochen wurden zusammen mit eßbaren Schnecken in einem Topf gefunden, was mit zu der Vermutung Kannibalismus beitrug. Allerdings ist die Fundsituation hier nicht so eindeutig, es wäre auch eine Erklärung, wie Du sie oben gibst, möglich.
 
Zuletzt bearbeitet:
luziv: schrieb:
anhand der ebenfalls vorhandenen ca. 150 Keramiken auf die Periode MM IIB bis MM IIIA datieren, also in die frühe Späte Palastzeit von ca. 1700 bis 1600 v. Chr., sozusagen eine minoische Hochzeit.
Na ja, die minoische Hoch-Zeit würde ich aber wesentlich früher datieren. Immerhin bestand die minoische Kultur bereits seit ca. 2100 v. Chr. Um 1600 v. Chr. ging dort bereits alles drunter und drüber.

Grundsätzlich sind gefundene Keramiken im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis eine eher unzuverlässige Datierungsgrundlage. Sie besagen zwar, daß ein bestimmtes Ereignis nicht früher als deren Produktion stattgefunden haben kann, aber sie besagen nicht, wie viele Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später es stattgefunden hat. Das ist ungefähr so, wie wenn heutzutage neben einer frischen Leiche eine Tageszeitung von 1951 liegt (ja, ich weiß: ein etwas sarkastischer Vergleich). :D
Datiert man den Vulkanausbruch auf Thera und die dadurch entstandenen Flutwellen, Erdbeben und Nachbeben auf Kreta auf das Jahr +/- 1630 v. Chr. was von den meisten Historikern und Wissenschaftlern heute anerkannt wird, so ergibt sich daraus, dass die Zeitangabe des vermuteten (oder tatsächlichen?) Menschenopfers in Anemospilia so in etwa hinkommen dürfte.
Jannis und Efi Sakellaraki: schrieb:
Für das minoische Kreta sind Tieropfer, mit dem Stieropfer als dem bedeutendsten, bekannt. Da das spezielle Gefäss für Blut mit dem Bild eines Stieres geschmückt war, kann man davon ausgehen, dass diese auch in Anemospilia üblicherweise vollzogen wurden. Aber auch hier gehen die Menschen für das Wohl der Allgemeinheit, zur Rettung vor der drohenden Katastrophe, bis zum Äussersten. Zu dem Zeitpunkt, als die Bewohner die Häuser verlassen, um der Erdbebenkatastrophe zu entkommen, verbleibt die Priesterschaft im Tempel, um das Menschenopfer zu vollziehen; die äusserste, wenn auch vergebliche Opfergabe.
Sicherlich stellt das Menschenopfer von Archanes keine gewöhnliche Praxis im minoischen Kreta dar, sondern eine seltene Zeremonie. Zudem fand es nicht öffentlich, unter freiem Himmel statt, sondern im Geheimen. Und darum zerstört das Menschenopfer in Anemospilia auch nicht das bekannte Bild natürlicher Ordnung und Ruhe Ordnung und Ruhe, das im minoischen Kreta geherrscht hat.

Aus Jannis Sakellarakis und Efi Sakellaraki: Ausgrabung in Archanes, Athen 1991


Daraus ist zu schließen, daß dieses Menschenopfer eben KEIN natürlicher Bestandteil der minoischen Kultur, sondern eine absolute Ausnahmeerscheinung war.
Ja, mehr noch: Es deutet sogar darauf hin, dass es nicht die reguläre minoische Priesterschaft war, die dieses blutige Inszenario veranstaltet hatte, sondern möglicherweise eine religiöse Sekte, die ihr Opferwerk im Geheimen verrichtete.
Die Religionsgeschichte (auch die neuzeitliche) ist voll von solchen Spinnern.

Die Beweggründe dafür wurden bereits genannt, wenngleich das Blutopfer selbst letztendlich auch vergebens war. Alle daran beteiligten Personen wurden von den einstürzenden Mauern des Tempels begraben.
Daraus jetzt ganz generell die Praxis vom Menschenopfern in der minoischen Kultur abzuleiten halte ich - gelinde gesagt - für eine ziemlich abenteuerliche These, die ziemlich schwer zu belegen sein dürfte.


Ohnehin sind die tatsächlichen Hintergründe für den Zusammenbruch der minoischen Hochkultur bis heute nicht eindeutig geklärt. Dass dafür nicht allein der Vulkanausbruch auf Thera verantwortlich war, darin sind sich die meisten Wissenschaftler inzwischen einig.
Eher werden innere Unruhen und/oder Rebellionen in Erwägung gezogen, denn weder die Götter, noch der König oder die Priesterschaft konnte das Volk vor den Folgen dieser Katastrophe schützen. Ein immenser Vertrauensverlust in die religiöse Führungsschicht dürfte die natürliche Folge gewesen sein, was auch die Entstehung von religiösen Sekten in spätminoischer Zeit erklären würde.

erklärbärenhafte Grüße vom Mino. ;)
 
Hab leider vergessen, in meinem letzten Beitrag auf ein weiteres Argument bezüglich unterstelltem Kannibalismus einzugehen.
luziv: schrieb:
Einige der Kinderknochen wurden zusammen mit eßbaren Schnecken in einem Topf gefunden, was mit zu der Vermutung Kannibalismus beitrug.
Das ist eine reine Interpretationssache. Je nachdem, was man damit "beweisen" möchte. Zwar hab ich keine Ahnung, unter welchen Umständen eßbare Schnecken (also Weichtiere ohne Skelett oder Chitinpanzer) einen Zeitraum von ca. 3500 Jahren überdauern können, aber falls dieser Fund tatsächlich stimmen sollte, so würde er aus meiner Sicht eher das genaue Gegenteil von Kannibalismus beweisen.
In einem meiner vorhergehenden Beiträge hatte ich ja bereits die abgeschabten Knochen in Verbindung mit einer bronzezeitlichen Sekundärbestattung (siehe Hallstattkultur) angesprochen. Das heißt im Klartext, daß der Körper des Toten vorerst mal "ganz normal" bestattet wird, bis das Fleisch verwest ist. Dann werden die Knochen ausgegraben, gereinigt (abgeschabt) und entweder in einer Knochenhalle aufgeschichtet oder in einer Urne ein zweites mal "endgültig" bestattet. Die eßbaren Schnecken (sind nicht alle Schnecken eßbar?) sind also lediglich als Grabbeigaben für die "lange Reise" des Toten zu verstehen, denn wozu sonst sollte man noch Speisen zu den Knochen werfen, wenn man das Fleisch des Toten bereits aufgefressen hat.
Alles klar? ;)

Ja, ich weiß natürlich, daß wir uns mit all diesen Argumenten und Gegenargumenten nicht auf der Basis von historisch gesicherten Erkenntnissen bewegen, aber solange es keine hieb- und stichfesten archäologischen Beweise gibt, müssen wir uns wohl oder übel mit einer - wenigstens einigermaßen - schlüssigen Logik begnügen. Wilde Spekulationen über angeblichen Kannibalismus, noch dazu anhand unseres heutigen Weltbildes, sind hier wenig hilfreich.

Mino, der noch gar niemals nie nicht keine Jungfrauen nicht gefressen hat. :nono: *schwör!* :scheinheilig:
 
Ich weiß ja nicht, wer von euch schon mal in Hallstatt war. Am dortigen Friedhof findet man massenhaft übereinander gestapelte Knochen mit Schabspuren und sogar bemalte Totenschädel. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, daß die bronzezeitliche Hallstattkultur irgend etwas mit Kannibalismus zu tun gehabt hätte.
Nur für den Fall, dass hier ein Missverständnis vorliegt: Die Knochen im Hallstätter Karner stammen natürlich nicht aus der Hallstattzeit, sondern aus der Neuzeit.
 
Nur für den Fall, dass hier ein Missverständnis vorliegt: Die Knochen im Hallstätter Karner stammen natürlich nicht aus der Hallstattzeit, sondern aus der Neuzeit.
Ja, schon klar, sie sind ja auch alle sehr "christlich" bemalt und außerdem hängt sogar noch ein Kreuz darüber. Wer den Hallstätter Friedhof (und seine äußerst beengten Platzverhältnisse) kennt, der weiß auch, wo die Ursache für diese Art von Bestattung liegt.
Mir ging es bei diesem Vergleich eher darum, daß man aus solchen Knochenfunden nicht automatisch Kannibalismus ableiten kann.
Mißverständnis bereinigt?
 
Von meiner Seite her gab es keines, ich wollte nur sicherstellen, dass es von Deiner Seite her keines gab.
 
Na ja, die minoische Hoch-Zeit würde ich aber wesentlich früher datieren. Immerhin bestand die minoische Kultur bereits seit ca. 2100 v. Chr. Um 1600 v. Chr. ging dort bereits alles drunter und drüber.

Grundsätzlich sind gefundene Keramiken im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis eine eher unzuverlässige Datierungsgrundlage. Sie besagen zwar, daß ein bestimmtes Ereignis nicht früher als deren Produktion stattgefunden haben kann, aber sie besagen nicht, wie viele Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später es stattgefunden hat. Das ist ungefähr so, wie wenn heutzutage neben einer frischen Leiche eine Tageszeitung von 1951 liegt (ja, ich weiß: ein etwas sarkastischer Vergleich). :D
Datiert man den Vulkanausbruch auf Thera und die dadurch entstandenen Flutwellen, Erdbeben und Nachbeben auf Kreta auf das Jahr +/- 1630 v. Chr. was von den meisten Historikern und Wissenschaftlern heute anerkannt wird, so ergibt sich daraus, dass die Zeitangabe des vermuteten (oder tatsächlichen?) Menschenopfers in Anemospilia so in etwa hinkommen dürfte.


Aus Jannis Sakellarakis und Efi Sakellaraki: Ausgrabung in Archanes, Athen 1991


Daraus ist zu schließen, daß dieses Menschenopfer eben KEIN natürlicher Bestandteil der minoischen Kultur, sondern eine absolute Ausnahmeerscheinung war.
Ja, mehr noch: Es deutet sogar darauf hin, dass es nicht die reguläre minoische Priesterschaft war, die dieses blutige Inszenario veranstaltet hatte, sondern möglicherweise eine religiöse Sekte, die ihr Opferwerk im Geheimen verrichtete.
Die Religionsgeschichte (auch die neuzeitliche) ist voll von solchen Spinnern.

Die Beweggründe dafür wurden bereits genannt, wenngleich das Blutopfer selbst letztendlich auch vergebens war. Alle daran beteiligten Personen wurden von den einstürzenden Mauern des Tempels begraben.
Daraus jetzt ganz generell die Praxis vom Menschenopfern in der minoischen Kultur abzuleiten halte ich - gelinde gesagt - für eine ziemlich abenteuerliche These, die ziemlich schwer zu belegen sein dürfte.


Ohnehin sind die tatsächlichen Hintergründe für den Zusammenbruch der minoischen Hochkultur bis heute nicht eindeutig geklärt. Dass dafür nicht allein der Vulkanausbruch auf Thera verantwortlich war, darin sind sich die meisten Wissenschaftler inzwischen einig.
Eher werden innere Unruhen und/oder Rebellionen in Erwägung gezogen, denn weder die Götter, noch der König oder die Priesterschaft konnte das Volk vor den Folgen dieser Katastrophe schützen. Ein immenser Vertrauensverlust in die religiöse Führungsschicht dürfte die natürliche Folge gewesen sein, was auch die Entstehung von religiösen Sekten in spätminoischer Zeit erklären würde.

erklärbärenhafte Grüße vom Mino. ;)

Es gab mehrere minoische Hochzeiten, genauso wie Krisenzeiten. Der Fund des geopferten Jünglings ist ja einzigartig, daher schließt auch keiner auf eine übliche minoische Praxis. Man kann sie aber auch nicht ausschließen.

Ich finde, man muß sich nicht unbedingt engagieren, den Vorwurf des Menschenopfers von der minoischen Zivilisation abzuwaschen, um deren kulturelle Leistungen zu retten. :winke: Aus unserer Sicht grausame oder unvertretbare Praktiken gab es auch in anderen antiken Hochkulturen zu Hauf, wie Karthargo oder Rom oder Griechenland oder bei den Kelten, man sollte sich irgendwelcher moralischer Urteile dazu enthalten. Aus der Zeit heraus besehen werden die Praktiken oft verständlich, mehr kann man eigentlich nicht erwarten.
 
Es gab mehrere minoische Hochzeiten, genauso wie Krisenzeiten. Der Fund des geopferten Jünglings ist ja einzigartig, daher schließt auch keiner auf eine übliche minoische Praxis. Man kann sie aber auch nicht ausschließen.

Ich finde, man muß sich nicht unbedingt engagieren, den Vorwurf des Menschenopfers von der minoischen Zivilisation abzuwaschen, um deren kulturelle Leistungen zu retten. :winke: Aus unserer Sicht grausame oder unvertretbare Praktiken gab es auch in anderen antiken Hochkulturen zu Hauf, wie Karthargo oder Rom oder Griechenland oder bei den Kelten, man sollte sich irgendwelcher moralischer Urteile dazu enthalten. Aus der Zeit heraus besehen werden die Praktiken oft verständlich, mehr kann man eigentlich nicht erwarten.

Man kann immer zwei Urteile fällen, und das machst du eigentlich auch: Ein Sachurteil, welches den historischen Sachverhalt aus seiner Zeit heraus beurteilt und ein Werturteil, welches denselben Sachverhalt nach heutigen Wertmaßstäben betrachtet.

Folgende Beispiele sind bewusst plakativ:
Sachurteil: Die Kreter vollzogen Menschenopfer, weil sie offenbar glaubten auf diese Weise Unglück abwenden und größere Opfer vermeiden zu können.
Werturteil: Die grausame Praxis des Menschenopfers, welches die Kreter vollzogen, offenbart ihren niedrigen ethischen Stand.
 
Aus dem Fundzusammenhang läßt sich eigentlich auf kaum etwas anderes schließen als ein Menschenopfer.

Menschenopfer sind auf Kreta nicht belegt und diesbezügliche Hypothesen ohne Rückhalt.

Während die blutigen (Tier)opfer sehr gut bezeugt sind, denn es wurden auf den Altären Kälber, Stiere, Ziegen und Hirsche geopfert, findet man weder auf den Bildern noch auf den Ausgrabungsfeldern jemals eine Spur von Menschenopfern.

(Paul Faure, Kreta. Das Leben im Reich des Minos, Stuttgart 1986, S. 376, Reclam)

Eine andere Aussage fasst das so zusammen:

Sicherlich stellt das Menschenopfer von Archanes keine gewöhnliche Praxis im minoischen Kreta dar, sondern eine seltene Zeremonie. Zudem fand es nicht öffentlich, unter freiem Himmel statt, sondern im Geheimen. Und darum zerstört das Menschenopfer in Anemospilia auch nicht das bekannte Bild natürlicher Ordnung und Ruhe Ordnung und Ruhe, das im minoischen Kreta geherrscht hat.

Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass sich die Archäologen hinsichtlich möglicher Menschenopfer auf Kreta stark zurückhalten, was angesichte vieldeutiger Interpretationsmöglichkeiten der Funde verständlich ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ El Quichote: Sicherlich bewertet auch jeder. Ich mag z.B. manche antiken Gesellschaften lieber als andere, ganz unwissenschaftlich. Das Werturteil ist aber eigentlich kein sonderlich historisches Thema.

@ Dieter: Du widersprichst Dir eigentlich selbst. Denn auch die zitierten Quellen, die über die Verbreitung von Menschenopfern auf Kreta spekulieren (mehr ist das ja nicht), behaupten nicht, daß es sich beim Fund von Anemospilia um kein Menschenopfer handelt. Daß der Fund singulär ist, habe ich erwähnt. Daß man solche relativ eindeutigen Funde wohl selten erwarten kann, ist ein anderes Thema. Wie hätte man z.B. erschließen sollen, daß der Junge geopfert wurde, wenn er danach ordentlich bestattet worden wäre?
 
@ Dieter: Du widersprichst Dir eigentlich selbst. Denn auch die zitierten Quellen, die über die Verbreitung von Menschenopfern auf Kreta spekulieren (mehr ist das ja nicht), behaupten nicht, daß es sich beim Fund von Anemospilia um kein Menschenopfer handelt.

Aus den Sekundärquellen der Althistoriker in verschiedenen Publikationen und der archäologischen Sachlage lässt sich der Schluss ziehen, dass Menschenopfer auf Kreta unbekannt waren. Die wenigen Fälle, wo das möglicherweise zweifelhaft ist, sind Ausnahmen bzw. singulär.

Alles weitere zu diesem Thema ist Spekulation und Kaffesatzleserei.
 
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