Festungsbau im 19. und 20. Jahrhundert

Ein Tip für alle Festungsfans :
solltet Ihr jemals nach Südostnorwegen kommen- da liegen gleich zwei komplett erhaltene Festungen nebeneinander -einmal Fredrikstad eine komplette Festungsstadt aus dem 16.Jahrhundert und dann Halden/Fredriksten ,die größte Festung Norwegens,wo man die Entwicklung von den Laufgräben des 17.Jahrhunderts bis zu den Panzerkuppeln des 20.Jahrhunderts studieren kann
 
die russische Festung Warschau 1832-1915

Seit neustem gibt es einen deutschsprachigen Wikipedia Artikel über die russische Festung Warschau.
Man merkt diesem an, dass mit etwas Ungeschick versucht wurde, polnische Fachliteratur zu übersetzen - leider entstehen dadurch manche kuriose Formulierungen: z.B. wird, was auf deutsch Zwischenwerk und auf polnisch punkt oporu heißt, mit "Hilfsfort" übersetzt...
Des weiteren sind teilweise falsche Baudaten und auch falsche Angaben über den Erhaltungszustand der einzelnen Bestandteile der Groß-Festung (doppelter Fortgürtel) zu finden: z.B. Fort P (Fort Bema) des inneren Fortgürtels ist im Gegensatz zum Artikel beinahe vollständig erhalten, auch Fort M (Fort Mokotow). Was ebenfalls nicht erwähnt wird, ist das Kuriosum, dass der äußere Fortgürtel älter ist als der innere.

Falls hier Interesse besteht, verlinke ich gerne polnische Quellen und Darstellungen dieser Festung, deren Bau genau in die Brisanzkrise fiel und interessante Reaktionen auf diese aufweist.
 
russ. Festung Warschau

sehr informativ, da auf dem neuestem Stand:
Projekt Parku Kulturowego XIX wiecznej Twierdzy Warszawa

zu jedem einzelnen der Objekte findet sich ein Plan (pdf Mapa), welcher in ein aktuelles Luftbild den Festungsplan einzeichnet, sowie eine Zusammenfassung über den Etrhaltungszustand (pdf Info) - - das ist zwar alles in polnischer Sprache, aber auch ohne diese zu beherrschen findet man unschwer die Baudaten etc.

wal miedzyfortowy = quasi die Enceinte, ein mit Glacis, Graben und gemauerter Kontereskarpe ausgestatteter Wall, der auf der Warschauer Seite die Forts des inneren Fortgürtels miteinander verbindet; dieser ist 1889/91 errichtet worden - ein gigantisches Projekt!

das Kuriose an der Festung Warschau:
ansonsten ist überall der innere Fortgürtel älter als der ausgelagerte/vorgeschobene äußere (als Reaktion auf die Reichweite der Artillerie, zum Schutz der Kernfestung) - in Warschau aber war der äußere Fortgürtel schon 1873 geplant.
1882 Bau des äußeren Fortgürtels weit ausgelagert, Fort I-X auf der Warschauer Seite (linkes Weichselufer)
1986-89 Bau des inneren Fortgürtels als Reaktion auf den "beschleunigten Angriff" und als Reaktion auf die Brisanzkrise (bzgl. letzterer kamen dann die Zwischenwerke (punkt oporu) aus Beton hinzu, außerdem verstärkte man die äußeren Forts mit Beton)

zudem äußern einige polnische Autoren, dass der nahezu geschlossene gewaltige Wall des inneren Gürtels auch einen weiteren Zweck hatte, nämlich die Warschauer Bevölkerung (also die Hauptstadtpolen) besser kontrollieren zu können (?!)

Ende des 19. Jh. bis 1907 fanden weitere Modernisierungen statt: die Außernforts erhielten teilweise betonierte Traditoren (Zwischenraumstreichen), sodaß diese quasi im Verbund mit dem inneren Fortgürtel ähnlich wie die Fortgruppen/Festen miteinander wirken konnten. Zudem wurde das ältere System der Trennung von Artillerie- und Infanteriewall aufgegeben, sodass sämtliche äußere Forts nurmehr einen sehr tiefen/breiten Frontwall erhielten, die Kaponieren/Grabenstreichen wurden neu gebaut aus Beton, teilweise wurden sie auch in die Kontereskarpe verlegt.

Der jüngste Bau ist das rautenförmige Zwischenwerk "Fort Slucewiec", dessen Hohlräume (Traditor, Kehlkaserne, Walltraversen/Unterstände, Spitzgrabenkaponiere in der Kontereskarpe) komplett aus Beton errichtet wurden.

@Moderation
jetzt bin ich gespannt, ob der Link bleiben darf oder gelöscht wird. Mir ist nicht bekannt, dass es sich bei der Präsentation des Projekts Kulturpark Festung Warschau um etwas kommerzielles oder Werbung handeln würde.
 
Wie kommt es eigentlich, dass davon noch soviel erhalten ist?

Das ist eine ganz eigene Geschichte:
Bis 1907 wurde an der Festung modernisiert, es bestand auch der gewaltige Plan, die Festungen Modlin, Warschau und Zegrze zu einem gigantischen Festungsverbund zusammenzuschließen (siehe Anhang).
Aber dieser Plan wurde geändert (sehr zum Mißfallen der Militärs!), stattdessen wurde lediglich Modlin ab 1908 zur einer der stärksten russ. Festungen ausgebaut, Warschau wurde als Festung aufgegeben. Damit einher ging der Befehl, die Warschauer Festungsanlagen unbrauchbar zu machen. An 1909 folgte man diesem Befehl, allerdings nur sehr langsam und halbherzig (in der Hoffnung, dass dieser geändert würde) - insgesamt sprengte man teilweise die Grabenwehren des äußeren Fortgürtels, mehr geschah nicht. Aus diesem Grund sind auf der Warschauer Seite die Kehlkasernen der meisten Forts sowie die Gräben und Wälle erhalten.
1913 kam dann der Befehl, die Festung zu reaktivieren: jetzt baute man manche der Grabenwehren neu, verbesserte auch die Wälle - 1915 wurde dann vehement gesprengt (besonders die modernen Bestandteile), auch die Weichselbrücken.
Im inneren Fortgürtel und in der Zitadelle und ihren Forts wurde nahezu nichts zerstört (lediglich die Betonzwischenwerke) - kurzum: bei ihrem Abzug 1915 machten den Russen nur die modernsten/stärksten Bestandteile unbrauchbar.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren die meisten Forts im Besitz der poln. Armee, nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls - dann allerdings wurden diese Anlagen teilweise verkauft. Auf dem rechten Weichselufer wurde nahezu alles eingeebnet und überbaut, auf dem linken Weichselufer überdauerte das, was im Link aufgelistet ist.
 

Anhänge

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Nachtrag zur Karte:
Die Fortlinie von Warschau nach Zegrze wurde nicht realisiert: die Forts Maciolki und Pustelniki wurden nie gebaut, ebenso wurde das Fort Lomianki zwischen Warschau und Zegrze nie gebaut. Wie auf der Karte dargestellt hat also das Festungsdreieck "Warschauer Rayon" nie komplett existiert. Die Kommandantur dieses Festungsverbunds lag genau in der Mitte dieses Dreiecks in der Kleinstadt Legionowo, wo die russ. Militärbauten (Kasernen, Kommandantur etc) heute noch vorhanden sind.

Erstaunlicherweise aber baute das poln. Militär eine Bunkerlinie von Warschau nach Zegrze in den 20er Jahren des 20. Jh.

(warum die schematische Karte im Anhang schwarz wird, kann ich mir nicht erklären)
 
Das wäre dann eine frühe Maßnahme, in den 1930ern als "Plan Ost" bekannt, betreffend den Kriegsfall mit der UdSSR.
 
Das wäre dann eine frühe Maßnahme, in den 1930ern als "Plan Ost" bekannt, betreffend den Kriegsfall mit der UdSSR.
Ob diese 1920 projektierte, das "veraltete" Fort Beniaminow bei Zegrze integrierende Bunker/Unterstände-Linie auch in den 20er Jahren realisiert wurde? Ich glaube nicht, dass sie beim "Wunder von Warschau" schon vorhanden war (russ.-sowjet. Krieg), sondern später errichtet wurde.
 
Habe zwar die Quelle (wahrscheinlich Erickson) nicht, aber bin mir absolut sicher gelesen zu haben, dass Tuchatschewski (ich hasse diesen Namen, weil er in 10 Varianten existiert) gerne einen Krieg gegen Polen geführt hätte, als Revanche für "Warschau".

Das Politibüro hat ihn damals immer wieder "zurückgepfiffen. Aus dieser Zeit dürfte die Idee der Polen stammen, die Grenze zur SU zu befestigen.

Nach Westen war sie ja vergleichweise sicher bis 33.

Irgendwelche Fortifikationen haben im Konflikt zwischen der SU und Polen 1920 keine Rolle gespielt. Es war die nicht vorhandene linke Umfassung durch die 1. Kavallerie Armee, die den Polen die Möglichkeit gab, Tuchatschewki ihrerseits zu umfassen.

Diese Bewegung der Polen brachte die komplette Angriffsoperation des "rechten Umfassungsflügels" schlagartig zum stoppen.

Überraschender war für Tuchatscheski der Umstand, dass die polnischen "Proletarier" durchaus sich bewaffnet hatten, allerdings um dann auf die Rote Armee zu schießen.

Das war im ideologisch "abgesicherten" Drehbuch für die Eroberung Polens anders geplant.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dass man sich nach dem "Wunder an der Weichsel" die nach Osten gerichteten Verteidigungsanlagen verstärkt, ist doch eigentlich nicht überraschend.

Wie hatten hier im Forum mal die polnischen "Kriegsplanungen". Der Schwerpunkt der Verteidigungsüberlegungen lag während Weimar und dann wegen des Nichtangriffspaktes mit Hitler im Osten.
 
Dass man sich nach dem "Wunder an der Weichsel" die nach Osten gerichteten Verteidigungsanlagen verstärkt, ist doch eigentlich nicht überraschend.
nein, das ist es wirklich nicht - - erstaunlich ist die Bunkerlinie von Warschau nach Zegrze aber dennoch, weil sie recht weit weg von der russ. Grenze ist.
 
nicht so ganz:
1.08.1920 Eroberung der Festung Brest-Litowsk durch die Russen
im Kontext mit dem "Wunder von Warschau" spielte auch die Festung Modlin eine Rolle
Nicht nur das. Die Polen haben sich eine Zeitlang in den deutschen Schützengrabenanlagen aus dem 1. WK festgesetzt. Das ist zwar keine "Festung" im strengsten Sinne, spielten in diesem Konflikt aber eine ähnliche Rolle.
 
....es gibt zwar in der SU eine relativ umfangreiche und hoch emotionalisierte Literatur zu den Gründen des Scheiterns vor Warschau, dass Festungsanlagen oder Schützengräber als relevante Erklärung bzw. Begründung herangezogen worden wären, wäre mir doch neu. :grübel:

Entscheidend war die "Befehlverweigerung" von Budjenny, Woroschilow und Stalin, die zum fluchtartigen Rückzug von Tuchatschwewski vor Warschau geführt hat. Es war die selbstverschuldete Schwäche der RKKA, dass die Polen überhaupt wieder eine Chance hatten, offensive Stärke zu zeigen.

Zu dem Aspekt der Entfernung von der russischen Grenze. Die plausibelste Erklärung, die mir einfallen würde, ist der Versuch der Polen eine maximale Distanz zwischen dem russischen Endbahnhof für die Logistik und dem voraussichtlichen Kampfort für entscheidende Gefechte zu erreichen.

Die Erfahrung des WW1 gingen in die Richtung, dass ein Vormarsch jenseits von ca. 120 km Distanz zum Endbahnhof aus logistischen Gründen nicht möglich war.

Insofern wollte man die Russen vor der projektierten polnischen Bunkerlinie vermutlich maximal unterversorgt kämpfen lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
....es gibt zwar in der SU eine relativ umfangreiche und hoch emotionalisierte Literatur zu den Gründen des Scheiterns vor Warschau, dass Festungsanlagen oder Schützengräber als relevante Erklärung bzw. Begründung herangezogen worden wären, wäre mir doch neu. :grübel:
Das mit den Schützengräben war nicht bei Warschau sondern vorher, nördlich der Pripjet-Sümpfe, vor Pinsk.

Entscheidend war die "Befehlverweigerung" von Budjenny, Woroschilow und Stalin, die zum fluchtartigen Rückzug von Tuchatschwewski vor Warschau geführt hat.
Das war gewiss ein Faktor. Die Sowjets waren aber sehr ausgelaugt und völlig überdehnt. Das wunder war eigentlich nicht ein solches sondern fast eine militärische Notwendigkeit. Das Wunder liegt eigentlich eher in der Tatsache dass die Sowjets 1920 in der Lage waren bis nach Warschau zu kommen.
 
Es wäre nett, wenn Du mir sagen könntest, auf welche Quellen, Literatur etc. sich diese Beurteilung stützt, denn mindestens Erickson und Ziemke widersprechen Deiner Darstellung.

Quellen liefere ich nach.
 
Irgendwelche Fortifikationen haben im Konflikt zwischen der SU und Polen 1920 keine Rolle gespielt.

....es gibt zwar in der SU eine relativ umfangreiche und hoch emotionalisierte Literatur zu den Gründen des Scheiterns vor Warschau, dass Festungsanlagen oder Schützengräber als relevante Erklärung bzw. Begründung herangezogen worden wären, wäre mir doch neu. :grübel:

jetzt komme ich nicht mehr mit: was meinst Du denn nun? Den gesamten poln.-sowjet. Krieg oder nur die Schlacht von Warschau? Im ersteren Fall waren ein paar Festungen beteiligt, im letzteren diente Modlin als feste Position (allerdings entschied keine der Festungen den Kriegsverlauf)

was die der Neugründung Polens nach 1918 zur Verfügung stehenden unzerstörten vormals russ. Festungen betrifft, so wurden diese weiterhin verwendet und teilweise modernisiert (z.B. Moldin)
 
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