Wie war es möglich, dass Großbritannien China im ersten Opiumkrieg besiegen konnte?
China hatte ja damals nicht nur viel mehr Einwohner, sondern war zu diesem Zeitpunkt noch wirtschaftlich überlegen.
Natürlich hatten die Briten bessere Waffen, aber die Chinesen hatten ja auch Gewehre (zwar etwas schlechtere) und waren Zahlenmäßig weit überlegen.
Wurde jemand bestochen oder gab es da eine Kriegslist?
Danke!
Eine interessante Frage, ueber die ich mir in letzter Zeit ein wenig Gedanken gemacht habe. Ich denke es ist etwas weit hergeholt, von "Niederlage" zu sprechen; in diesem Fall.
Es ist viel mehr so, dass das Qing-Reich auf die Friedensbedingungen der Englaender eingegangen ist und somit einen Praezedenzfall geschaffen hat, der im Folgenden ub der Etablierung des "Vertragshaefensystems" mundete.
Aber warum? Sicherlich waren die Briten technisch ueberlegen, aber ihr Einflussbereich beschraenkte sich auf die Kuestengewaesser und Flussmuendungen. Eine offene Feldschlacht oder gar Eroberungen von Teilen Chinas waren militaerisch und administrativ nicht zu bewaeltigen (China-affines Personal war immer knapp). Es bestand fuer China keine Notwendigkeit, den britischen Forderungen nachzugeben.
Meiner Auffassung nach liegen die Gruende dafuer im Staatsaufbau. Das Qing-Reich war von Anfang an kein zentral regiertes Gebilde, sondern eine Raum, indem eine sich selbst so wahrnehmende Zentralmacht im Gebiet um Peking und zahlreiche Provinzen - und innerhalb derer wiederum weitere, kleinere Gebieteseinheiten,
- um die Macht konkurrierten.
Deutlich wird das mit dem Fall des Kaiserreichs, als China in die Zeit der Kriegsherren eintrat; also nichts weiter als eine Zeit gepraegt von einem Flickenteppich lokaler Machtbereiche.
Viel mehr befand sich das Reich seit je her in einem Zustand fein ausbalancierter Machtverteilung. Der Thron, die Regierung (insbesondere das Board of Revenue, wie es so schoen heisst im Englischen) und die Provinzgouverneure rangen auf Staatsseite um die Macht. Gleichzeitig "rangen" die staatlichen Akteure schon immer mit privatem Adel, insbesondere der Klasse der Adelskaufleute und mit den Gilden, Kaufmannshaeusern und, im weitesten Sinne, Banken, um Zugestaendnisse. Denn das Reich war zu gross und zu inhomogen um es staatlicherseits zu regieren, dafuer fehlte es an allen Ecken und Enden an Geld und ausgebildetem Personal. Der Staat verliess sich bei der Aufrechterhaltung der Ordnung deshalb auf zuvor erwaehnte lokalen Eliten.
Nun haben wir aber zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Situation, dass Aufstaendische immer mehr fuer Aerger sorgen, was schliesslich in den Taping-Krieg muendet. Der Unmut der Bevoelkerung und die Staerkung der Rebbellen ist erstmals zu spueren. D.h. der Staat muss seine Ressourcen darauf konzentrieren, was wiederum bedeutet, dass die Zentralregierung den Provinzen und der Staat den privaten Gruppen Zugestaendnisse machen muss, damit diese weiterhin in seinem Sinne vor Ort aktiv sind. (Lokale Adelshaeuser uebernahmen etwa Funktionen wie Infrastrukturausbau, Arbeitslosenhilfe; Gilden und Kaufmannshaeuser kuemmerten sich um die Berechnung und Einsammlung von Steuern, Marktregulierung. Lokale Fuersten bekaempften mit soeldnerarmeen kleinere aufstaende etc.)
Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass China den Briten technologisch nicht gewachsen ist und auch wenn eine Niederlage fuer die Buerokraten (d.h. die Regierenden) gar nicht im Raum stand, so waere eine Aufrechterhaltung des Kriegszustands gegen die Barbaren sehr kostspielig geworden und zwar sowohl finanziell, als auch was die Reputation des Staates anging, denn Tote Landeskinder die in einem aus damaliger Sicht hoechstens sekundaer wichtigen Krieg gegen Europaer gefallen waeren, das haette nicht zur Harmonie im Reich beigetragen. Denn gleichzeitig gab es auch Anhaenger einer Oeffnung des Landes gen Westen, die sich Profit aus Handel und die Staerkung des Reiches durch westliche Technik und Wissenschaft versprachen.
Um das ganze zu verdeutlichen, eigentlich ging es in diesem Krieg um die Opiumeinfuhren englischer Haendler, die einerseits kostbares Silber, das als Waehrung bedeutend war, aus dem Land zog und andererseits die Bevoelkerung, vor allem in den Kuestenregionen, zu einer Bande unzuverlaessiger Abhaengiger machte. Ignoriert werden konnte das natuerlich nicht, aber es war nunmal nicht so wichtig, dass man einen ausgewachsenen Krieg gegen die Englaenger haette fuehren wollen.
Auch die Englaender hatten nicht auf einen langen Feldzug spekuliert, sondern geplant China mit einer Mischung aus Drohung und Blitschschlaegen zu beeindrucken, ein zweites Indien wuerde China nicht werden.
Im Nachhinein ist es selbstverstaendlich einfach zu urteilen, dass China sich besser nicht auf die britischen Bedingungen eingelassen haette. Aus damaliger Sicht, oder besser gesagt, das was ich mir als damalige Sicht zusammengelesen und -interpretiert habe, ist es durchaus nachvollziehbar gewesen.