Nero war mit einem kleinen Jungen verheiratet!??

Barbie

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Ich dachte immer Nero wäre ein oft zu Unrecht so verurteilter Kaiser gewesen (zB denke ich nicht, dass heute noch jemand sagen würde er hätte Rom angezündet). Hab ihn eigentlich immer als jemanden gesehen, der nicht so wirklich am Regieren interessiert war und sich lieber mit Kunst , Musik und Schauspielerei, Auftritten und Sport beschäftigte.

Jetzt hab ich vorhin im Internet gelesen er wäre mit einem kleinen Jungen verheiratet gewesen?? Passt irgendwie nicht in mein (offentbar total falsches?^^) Nero-Bild. Hatte eine Vorlesung zu Nero und nie wurde darüber etwas erwähnt.

Wikipedia sagt:
"During their marriage, Nero made Sporus appear in public as his wife wearing the regalia that was customary for Roman empresses, and then took Sporus to Greece and back to Rome, making Calvia Crispinilla the "mistress of wardrobe" of Sporus, epitropeia ten peri estheta.Nero was already married to another freedman, Pythagoras, who played the role of husband to him, as Sporus played the role of a wife. In addition of other forms of address, Sporus was termed "Lady", "Empress", and "Mistress"."


Ist da was dran?

Danke für jede Antwort :)
 
Sueton berichtet davon. Damit dass ich Sueton für nicht vertrauenswürdig halte habe ich mich hier im Forum nicht durchsetzen können.
 
@ Barbie:
Die Geschichte von Neros "Ehe" mit Sporus wird von verschiedenen antiken Autoren erzählt und kann somit keinem ernsthaften Zweifel unterliegen. (Allerdings gibt es moderne Autoren und auch in diesem Forum Nutzer, die generell alles Negative, was antike Autoren über Nero geschrieben haben, als Märchen verwerfen.)

Ein "kleiner Junge" war Sporus wohl nicht mehr. Genaue Angaben zu seinem Alter machen die Quellen anscheinend nicht, aber Sueton nennt ihn "puer", ein Ausdruck, der heute zwar gerne mit "Knabe" übersetzt wird, aber auch für Teenager bis zur Volljährigkeit (mit ca. 17) gebraucht wurde.

Allerdings darf man die Geschichte auch nicht überbewerten. Die gleichgeschlechtliche Ehe war dem römischen Recht unbekannt, die Eheschließung Neros mit Sporus war also eine Farce. Vielleicht wollte Nero durch diese Hinwegsetzung über alle Traditionen bloß provozieren und die konservativen Kreise, die generell seinen Lebenswandel tadelten, verhöhnen. Seine Hochzeit und Ehe mit Sporus waren geradezu eine Parodie auf die römische Hochzeit und Ehe. Nero wusste, dass er sich fast alles erlauben konnte, und das wollte er wohl auskosten. Dass sich Nero wohl nicht wirklich als mit Sporus verheiratet betrachtete, sieht man auch daran, dass er ihn heiratete, obwohl er mit Statilia Messalina verheiratet war. Cassius Dio meint allerdings, dass Nero Sporus geheiratet habe, weil er ihn an Poppaea Sabina, Neros zweite Ehefrau, deren Tod er selbst verschuldet hatte, erinnerte.
 
Die halte ich für gegeben, z. B. weil Sueton und Cassius Dio die Geschichte unter verschiedenen Aspekten erzählen. Der frühere Sueton erzählt die Geschichte einfach als Beispiel für Neros sexuelle Ausschweifungen und Abartigkeiten. Der spätere Cassius Dio hingegen berichtet, dass Nero Sporus geheiratet habe, weil er ihn so an Poppaea Sabina erinnert habe, die Nero, obwohl er selbst ihren Tod verschuldet hatte, sehr vermisst haben soll. Weiters wird Sporus auch noch in der noch späteren Epitome de Caesaribus und von Aurelius Victor erwähnt.
 
Man muß auch dazu sagen, daß die Beziehung zu Sporus wohl weit über dieses "Theater" hinausging, denn dieser Sporus war bei denen, die um nero in seiner letzten Stunde herum waren. Der Liebreiz des jungen Mannes verführte nach Neros Tod wohl auch einen Prätorianerpräfekten.

Unabhängig davon, ob man nun Sueton glauben mag oder nicht, wird man wohl zwei Dinge beachten müssen. Auf der einen Seite müssen sich die Kaiser keinerlei sexuellen Schranken auferlegen, und gerade ein junger Mann, der zu früh an die absolute Macht kommt, ist ihren Verlockungen besonders ausgeliefert.
Auf der anderen Seite kann man, wenn man sich die Geschichten über die römischen Kaiser anschaut, gewisse Stereotypen ausmachen, und die Schilderung sexueller Ausschweifungen, in der Regel bis hin zu den heiligsten Schranken der römischen Kultur, gehört zu Charakterisierung sogenannter schlechter Kaiser. Wenn man sich anschaut, wer da alles Vestalinnen geschändet hat, fällt das schon auf. Dazu kann man Demandts "Privatleben der römischen Kaiser" gut benutzen.
 
Wow, okay, vielen lieben Dank für eure Antworten!

Auf der anderen Seite kann man, wenn man sich die Geschichten über die römischen Kaiser anschaut, gewisse Stereotypen ausmachen, und die Schilderung sexueller Ausschweifungen, in der Regel bis hin zu den heiligsten Schranken der römischen Kultur, gehört zu Charakterisierung sogenannter schlechter Kaiser. Wenn man sich anschaut, wer da alles Vestalinnen geschändet hat, fällt das schon auf. Dazu kann man Demandts "Privatleben der römischen Kaiser" gut benutzen.

Meinst du damit, dass dies einfach "erfunden" wurde um die Schlechtigkeit der Kaiser zu zeigen?
 
Auf der anderen Seite kann man, wenn man sich die Geschichten über die römischen Kaiser anschaut, gewisse Stereotypen ausmachen, und die Schilderung sexueller Ausschweifungen, in der Regel bis hin zu den heiligsten Schranken der römischen Kultur, gehört zu Charakterisierung sogenannter schlechter Kaiser.
Wenn man Cassius Dio folgt, war Neros Ehe mit Sporus aber weniger eine sexuelle Ausschweifung, sondern mehr ein fehlgegangener Versuch, mit dem Verlust der geliebten Poppaea Sabina umzugehen, indem er sie "ersetzte". Ich weiß nicht, wie heutige Psychologen dieses Verhalten einstufen würden, aber den Römern wird es wohl am ehesten als eine Art von Verrücktheit erschienen sein.
Etwas relativiert wird diese Deutung freilich dadurch, dass Nero schon früher den Pythagoras "geheiratet" hatte, wobei Nero die Braut spielte.
 
Meinst du damit, dass dies einfach "erfunden" wurde um die Schlechtigkeit der Kaiser zu zeigen?

Nein, so war es sicher nicht. Wenn die Kaiser "schlecht" waren, dann gab es auch Gründe, die man nennen konnte. Wenn alles nur erfunden worden wäre, sie also in Wirklichkeit ganz anders, nämlich "gut" waren, hätte man ja nicht so ein Bild von ihnen erzeugen müssen, "gute" Kaiser wurden ja auch gelobt und verherrlicht.

Man darf allerdings antike Geschichtsschreibung nicht mit unseren Maßstäben messen, eine Objektivität im modernen Sinne war weder bekannt noch gewollt. Die Leute, die "Geschichte geschrieben" haben, entstammten meist bestimmten Kreisen der Oberschicht und hatten ein entsprechendes Weltbild, welches sie präsentierten. Quellenkritik, also die Methode, nicht einfach eins zu eins hinzunehmen, was ein antiker Autor geschrieben hat, heißt ja die Fragen zu stellen: Wer hat es geschrieben, aus welchem Grund, für welches Publikum und so weiter.
Und nun muß man noch fragen, aus welcher Sicht ein Kaiser beurteilt wurde. In der Regel war dies die Sicht der Senatsaristokratie, sie entschied über das Bild des Kaisers nach seinem Tode. Es ging also nicht danach, ob so ein Kaiser das Reich schlecht regiert hat oder ob die Bevölkerung unter seiner Tyrannei litt, sondern ob er dem Senat gegenüber ehrerbietig war und den Schein wahrte. Gerade die jüngeren Kaiser hatten in der Regel kein Gespür für die Finessen der Diplomatie, sondern ließen den Senat deutlich spüren, daß er keine politische Macht mehr besaß. Nicht umsonst sind es die Kaiser, die jung an die Macht kamen bzw. schon jung als Caesaren vorgesehen waren: Caligula, Nero, Domitian, später auch Commodus. Ausnahme: Marc Aurel.
Darum wurden dann ihre Ausschweifungen besonders vermerkt und beobachtet und später als Zeichen ihrer Despotie überliefert. Und da gehörte dann übermäßiges und "abnormes" Sexualverhalten genauso dazu wie zum Beispiel Völlerei. Auch da kann man sehr schön sehr sehen, wie Zurückhaltung und Übermaß beim Essen als Stereotypen verwendet werden bei der Charakterisierung.
 
Wenn man Cassius Dio folgt, war Neros Ehe mit Sporus aber weniger eine sexuelle Ausschweifung, sondern mehr ein fehlgegangener Versuch, mit dem Verlust der geliebten Poppaea Sabina umzugehen, indem er sie "ersetzte". Ich weiß nicht, wie heutige Psychologen dieses Verhalten einstufen würden, aber den Römern wird es wohl am ehesten als eine Art von Verrücktheit erschienen sein.
Etwas relativiert wird diese Deutung freilich dadurch, dass Nero schon früher den Pythagoras "geheiratet" hatte, wobei Nero die Braut spielte.

Auch bei Sueton klingt "er kleidete ihn ganz wie eine Kaiserin" schon merkwürdig. Aber da sind wir dann schon nah an der Stelle, wo man selbst in der Antike nicht mehr mit als bekannt geltendem Wissen umgehen konnte, denn solch innerste Motive, wie es der Umgang mit dem (selbstverschuldeten) Verlust einer geliebten Person ist, werden über den Zeitraum hinweg weder Sueton noch Dio haben nachvollziehen können.

Daß es den Römern wohl abnorm vorkam, ist keine Frage. INteressant wäre es zu erfahren, ob Nero auf der Suche nach Grenzen wirklich kein Maß mehr kannte oder ob er kühl kalkuliert nach dem Motto: "Jetzt erst recht", oder "wenn schon denn schon" handelte. Wenn immer wieder aus den Quellen herausgezogen wird, daß es ihm um Anerkennung und Liebe ging, fragt man sich, wie bewußt es ihm war, daß er sich dem gesellschaftlichen Konsens immer mehr entzog, was er aber in den Augen der Senatoren ja schon durch seine Bühnentätigkeiten getan hatte.
 
Und nun muß man noch fragen, aus welcher Sicht ein Kaiser beurteilt wurde. In der Regel war dies die Sicht der Senatsaristokratie, sie entschied über das Bild des Kaisers nach seinem Tode.
Interessant finde ich allerdings, mit welcher Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit allerhand Autoren anscheinend einfach pauschal den berüchtigten "senatorischen Geschichtsschreibern" zugeschlagen werden. Ich denke da vor allem an Sueton, der dem Ritterstand entstammte und sowohl von der Herkunft als auch von der eigenen Karriere her zu den Profiteuren des Prinzipats gehörte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, so war es sicher nicht. Wenn die Kaiser "schlecht" waren, dann gab es auch Gründe, die man nennen konnte. Wenn alles nur erfunden worden wäre, sie also in Wirklichkeit ganz anders, nämlich "gut" waren, hätte man ja nicht so ein Bild von ihnen erzeugen müssen, "gute" Kaiser wurden ja auch gelobt und verherrlicht.

Hmm, aber kann es nicht vielleicht sein, dass es im Interesse der nachfolgenden Kaiser war, die vorherige Dynastie/Kaiser, die sie ablösten, eher schlecht zu machen? So nach dem Motto "Ich bin ein toller Kaiser, ihr habt Glück mit mir, denn schaut mal wie irre Nero und Caligula usw. waren"?

Danke übrigens für alle Antworten, das ist so interessant sie zu lesen. :)
 
Das kommt aber nicht nur auf die Interessen der Kaiser an, sondern auch darauf, welche Rücksichten sie zu nehmen hatten. Außerdem haben wir von den Kaisern selbst kaum Zeugnisse, und die Quellen, auf die wir uns stützen können, sind oft später entstanden.

Claudius zum Beispiel hat eine Damnatio seines Vorgängers verhindert. Caligula war sein Neffe, der Sohn seines beim Volk äußerst beliebten Bruders Germanicus. Da wäre eine Damnatio beim Volk nicht so gut angekommen, das heißt, er konnte sich nicht einfach auf dessen Kosten profilieren.

Claudius dagegen ist zwar nach seinem Tode vergöttlicht worden, dennoch kann eine Schrift wie die Verballhornung (die Apocolocyntosis) des Claudius durch Seneca nicht ohne das Wohlwollen Neros entstanden sein. Hier profiliert sich der nachfolger unterschwellig auf Kosten des Stiefvaters.

Die flavische Dynastie räumte mit Nero gründlich auf, das ist richtig. Die Domus Aurea wurde großflächig eingestampft. Schon Domitian aber setzte, zumindest im architektonischen, vieles fort, was unter Nero begonnen worden ist, und sein Bildnis gleicht auch wieder eher neronischen Anklängen als das seines Vaters Vespasian, der ja noch wie ein alter Republikaner dargestellt wurde.
Nach dem Tode Domitians dagegen konnte dies nicht so einfach mit einer Abrechnung beglichen werden, denn Domitian war bei den Prätorianern sehr beliebt gewesen. Man muß also immer fragen, welche Interessengruppen vom Tode und vom Andeknen des Kaisers betroffen waren.

In welchem Rahmen stand denn die Vorlesung über Nero?
 
Hmm, aber kann es nicht vielleicht sein, dass es im Interesse der nachfolgenden Kaiser war, die vorherige Dynastie/Kaiser, die sie ablösten, eher schlecht zu machen? So nach dem Motto "Ich bin ein toller Kaiser, ihr habt Glück mit mir, denn schaut mal wie irre Nero und Caligula usw. waren"?

Danke übrigens für alle Antworten, das ist so interessant sie zu lesen. :)


Bei der flavischen Dynastie kann man durchaus davon sprechen, dass sie versuchte, sich positiv von Nero abzusetzen, nicht zuletzt durch das große Bestechungsgeschenk, das Flavische Amphitheater, finanziert aus Beute aus dm Tempelschatz von Jerusalem, das Vespaian auf dem Areal der Domus Aurea Neros errichten ließ, für die Nero Enteignungen hatte vornehmen lassen. Wie weit das den Flaviern gelang, ist eine andere Frage. Vespasian stammte nicht aus dem stadtrömischen Patriziat, und Titus hatte vor seiner Regentschaft einen schlechten Ruf und galt als zweiter Nero.

Nach dem Tode Neros dauerte der Bürgerkrieg nicht lange, während es nach Commodus Ermordung zu Exzessen kam, Städte, die sich gegen den schließlich erfolgreichen Septimius Severus wendeten, wurden geplündert, geschleift und ihrer Privilegien beraubt. Septimius Severus, der aus Leptis Magna stammte und die Dynastie der Severer begründete, ging einen ganz anderen Weg, nämlich den der fiktiven Adoption durch die Antoninische Dynastie. Septimius Severus nannte sich Sohn des Marc Aurel und Bruder des Commodus, der keiner Damnatio Memoriae verfiel wie Domitian, sondern konssekriert wurde.
 
Interessant finde ich allerdings, mit welcher Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit allerhand Autoren anscheinend einfach pauschal den berüchtigten "senatorischen Geschichtsschreibern" zugeschlagen werden. Ich denke da vor allem an Sueton, der dem Ritterstand entstammte und sowohl von der Herkunft als auch von der eigenen Karriere her zu den Profiteuren des Prinzipats gehörte.


Man wird auch, wenn man die Werke der "berüchtigten senatatorischen Geschichtsschreiber liest, feststellen, dass sie nicht ganz objektiv- und welcher Historiker ist es nicht- waren, aber keineswegs einseitig negativ urteilten. Sueton erwähnt in seinen Caesarenbiographien auch bei ausgesprochenen "bad guys" positive Eigenschaften und Verdienste. So betont Sueton Caligulas rhetorisches Talent und Claudius Bildung. Tiberius bizarre Perversionen werden nicht als Tatsachen, sondern als Gerüchte präsentiert, bei denen er einwendet, "man mag es kaum glauben". an anderer Stelle betont er Tiberius altrömische Gesinnung, seine Rücksicht auf Provinzen und deren Besteuerung ("Zitat Tiberius: "ein guter Hirte schert seine Schafe, zieht ihnen aber nicht das Fell über die Ohren. Domitian, der insgesamt negativ beschrieben wird, lobt er für seinen Versuch, die Korruption zu bekämpfen und stellt fest, dass er in der Rechtspflege lange Zeit gerecht war.

Tacitus, sozusagen der Repräsentant senatorischer Historiographie wollte bekanntlich "sine ira et studio" -ohne Gunst und Hass berichten. Wie weit er diesem Anspruch gerecht wird, ist eine andere Frage. Dennoch wird man Tacitus durchaus zubilligen, zu differenzieren. Er gibt z. B. beim katastrophalen Brand der Stadt Rom Nero nicht die Schuld und lässt die Frage offen, wie es zu dieser Katastrophe kam. Tacitus spart in seiner Kritik den Senat nicht aus und kritisiert vor allem Senatoren, die in vorauseilendem Gehorsam Majestätsprozesse anzettelten und so die Gewaltherrschaft Sejans, die Terrorexzesse Caligulas und Neros erst ermöglichten.

Mit der Biographie seines Schwiegervaters Agricola wurde Tacitus zu einem Opponenten Domitians, dem er unterstellte aus Eifersucht habe dieser Agricola aus Britannien abberufen. Er selbst hatte unter Domitian allerdings wenig zu befürchten und konnte unangefochten Karriere machen. Er organisierte die Saekularspiele Domitians.
 
Septimius Severus, der aus Leptis Magna stammte und die Dynastie der Severer begründete, ging einen ganz anderen Weg, nämlich den der fiktiven Adoption durch die Antoninische Dynastie. Septimius Severus nannte sich Sohn des Marc Aurel und Bruder des Commodus, der keiner Damnatio Memoriae verfiel wie Domitian, sondern konssekriert wurde.
Commodus ist ein schönes Beispiel dafür, dass es zu kurz gegriffen ist, das schlechte Image eines Herrschers einfach der Propaganda der Nachfolgedynastie anzulasten: Commodus hat seinen schlechten Ruf, obwohl er von Septimius Severus rehabilitiert wurde. Umgekehrt war Othos Ruf eher durchwachsen, obwohl Vespasian für sich in Anspruch nahm, Othos legitimer Erbe und Rächer zu sein.

Mit der Biographie seines Schwiegervaters Agricola wurde Tacitus zu einem Opponenten Domitians, dem er unterstellte aus Eifersucht habe dieser Agricola aus Britannien abberufen. Er selbst hatte unter Domitian allerdings wenig zu befürchten und konnte unangefochten Karriere machen. Er organisierte die Saekularspiele Domitians.
Nicht nur er. Auch der jüngere Plinius legte etliche wichtige Stationen seiner Karriere unter Domitian zurück - trotzdem behauptete er später, unter Domitian gelitten zu haben und ein Oppositioneller, ja geradezu ein Widerstandskämpfer, gewesen zu sein. (So ein Verhalten kennt man ja auch aus anderen Zeiten ...)
Viele Schriftsteller der Kaiserzeit waren entweder selbst Aufsteiger oder stammten zumindest von Aufsteigern ab, die ihre Karriere der Förderung durch die Kaiser verdankten. Viele hätten in einer vom Senat beherrschten Republik kaum ihre Karriere gemacht.
 
Nach dem Tode Domitians dagegen konnte dies nicht so einfach mit einer Abrechnung beglichen werden, denn Domitian war bei den Prätorianern sehr beliebt gewesen. Man muß also immer fragen, welche Interessengruppen vom Tode und vom Andenken des Kaisers betroffen waren.


Der Ordo Equester hat von Domitian wohl am meisten profitiert, wobei sich die Tendenz wichtige Stellungen mit Rittern zu bewsetzen unter Trajan und Hadrian fortsetzte. Domitians Ermordung durch eine Palastintrige wurde in weiten Teilen der Armee mit Erbitterung aufgenommen, wobei einzelne Truppen laut Sueton, sogar seinen Tod rächen wollten. Der Nachfolger Nerva entging nur knapp dem Schicksal, das später Helvius Pertinax traf, ein General Marc Aurels, der von den Prätorianern ermordet wurde. Nerva war ein Interimskandidat, ein Favorit des Senats, aus dessen Reihen noch in der Soldatenkaiserzeit Kandidaten wie Clodius Puppienus und Balbinus hervorgingen, den die Prätorianer und die Armee aber nur akzeptierten, weil er Trajan adoptierte, der die Rheinarmee kommandierte.
 
Commodus ist ein schönes Beispiel dafür, dass es zu kurz gegriffen ist, das schlechte Image eines Herrschers einfach der Propaganda der Nachfolgedynastie anzulasten: Commodus hat seinen schlechten Ruf, obwohl er von Septimius Severus rehabilitiert wurde. Umgekehrt war Othos Ruf eher durchwachsen, obwohl Vespasian für sich in Anspruch nahm, Othos legitimer Erbe und Rächer zu sein.


Du hast dieses Beispiel, wenn ich mich recht erinnere, selbst kürzlich aufgeführt: Nämlich Hadrian, der nach seinem Tode beinahe der Damnatio Memoriae verfiel. Zu Beginn seiner Karriere wurden einige verdiente Generale Trajans exekutiert, und in seinen letzten Lebensjahren witterte er offenbar eine Art "Fronde" innerhalb des Senats, die ebenfalls hingerichtet wurden. Insgesamt wurde Hadrian bis zur Jahrtausendwende überwiegend positiv bewertet als Philhellene, Reformkaiser und Philosoph auf dem Thron. Vor dem Hintergrund des Wettrüstens der Supermächte wurde häufig von einem "Friedenspolitiker" gesprochen, der die Annexionen Trajans auf Kosten des Partherreichs rückgängig machte. Eine Ausstellung im Britischen Museum 2008 oder 2009 betonte allerdings auch "dunklere Seiten" Hadrians, der mit seiner Neugründung Jerusalems als Colonia Aelia Capitolina nach Ansicht vieler Historiker die Reaktion des Judentums völlig falsch einschätzte, was zum verheerendsten jüdischen Krieg und schließlich zur Diaspora führte, die erst mit der Gründung des Staates Israel endete. Laut Cassius Dio wurden mehr als 1/2 Millionen Menschen getötet und mehr als 50 Städte und Dörfer zerstört.
 
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