Du verstehst mich völlig falsch. Für mich - und zahlreiche andere - haben die Thesen von Rose, Marc Weiner, Jens Malte Fischer und anderen Publizisten Beweiskraft genug. Es ist somit sinnlos, darüber zu diskutieren, da dir das nicht ausreicht, mir aber schon.
Hier ein schöner Auszug aus der Rezension über Jens Malte Fischers Buch "Richard Wagner und das Judentum in der Musik":
...für dich haben also Thesen (also erst noch zu beweisende Behauptungen) Beweiskraft genug...
und du zitierst das hier:
Im Grunde, behauptet Fischer, gibt [recte: gäbe] es solche Indizien auf allen Ebenen und in allen Texten, sogar in seinen Regiebemerkungen und in den Partituren. Hass auf die Juden hier und da, bei bestimmten Figuren, in bestimmten Konstellationen, sei in sein Werk eingesickert, in Figuren wie Mime und Beckmesser seien die antijüdischen Ressentiments ihres Schöpfers deutlich zu erkennen.
Konjunktive, Behauptungen...
um es deutlich zu sagen: so lange innerhalb einer Partitur*) und innerhalb eines Librettos von Wagner keine antisemitischen Formulierungen nachgewiesen werden können, ist das alles nur modisches Blabla (welches davon lebt, ein Scheinargument von Adorno zu variieren: jenes von der Judenkarikatur, die darum so perfide sei, weil sie völlig unkenntlich ist)
...kommen wir aber jetzt zum problematischen Bereich:
Antisemitismus zu unterstellen ist ein sehr sensibles Thema, welches mit Bedacht und möglichst ohne großspuriges Tamtam behandelt werden sollte. Die unbewiesene, auch durch Wiederholung nicht richtiger werdende
Behauptung, dass rassistischer Antisemitismus eine der Grundlagen der Musikdramen Wagners sei, hat ärgerliche Konsequenzen: wer darauf beharrt, unterstellt, dass nicht nur landesweit antisemitische Machwerke gefeiert würden... Nicht anders ist es mit der Scheinfolgerung aus der erwähnten unbewiesenen Behauptung, dass
Wagner ein Vordenker des Holocaust gewesen sei. ...das legt nahe, man würde einen solchen Vordenker feiern; es impliziert auch, dass Interesse an Wagners Musik sozusagen antisemitisches Mitläufertum sei (was ein Blödsinn: sollte Barenboim ein antisemitischer Mitläufer sein???)
Zweifelsohne hatte und zeigte der Privatmensch Wagner antijüdische Ressentiments. Als er vorerst eher Insidern der Musikwelt bekannt war, publizierte er - übrigens nicht als erster! - sowas: das war 1850. Als er eine internationale Berühmtheit war, publizierte er das erneut und erweitert, und zwar unter dem Einfluß von Cosima von Bülow, geb. d´Agoult / Liszt, das war 1869. Die beiden Publizierungen von "das Judenthum in der Musik" schadeten ihrem Autor zu Lebzeiten mehr, als dass sie ihm irgendwie genutzt hätten. Was aus heutiger Sicht ins Feld geführt wird, ist Wagners Berühmtheit - aber macht die Berühmtheit einer Person deren Dummheiten relevanter? Es stellt sich in diesem Kontext eine andere Frage: kann man dieser Schrift und verschiedenen späteren Äußerungen Wagners nachweisen, dass sie direkt zu Hitler, zu Auschwitz, zum Holocaust führen? Nein, kann man nicht - vielmehr ist zu fragen, ob diese Schrift deutlicher als spätere (etwa Chamberlaine) zum nazionalsozialistischen Rassenwahn geführt hat ODER ob umgekehrt dieses Machwerk nicht als willkommene "kulturpolitische" Pseudolegitimierung von den Nazis verwendet wenn nicht missbraucht wurde. Zugleich ist abzuwägen, welchen Stellenwert diese Schrift im Gesamtwerk Wagners hat (einen eher geringen, denn sie wird weder weltweit aufgeführt noch vorgelesen...)
offensichtlich kommt man bei diesm Thema weder mit pauschalen Verurteilungen, noch mit Behauptungen und Mutmaßungen sonderlich weit - insofern ist vom Wagner- und Verdijahr zu hoffen, dass auch dieses Thema mit objektiver kritischer Distanz und nicht mit modischer 68er-Nachahmung behandelt wird.
wir haben im GF übrigens mehrere sehr interessante und lehrreiche Fäden zum Thema Antijudaismus - Antisemitismus - Rassismus am Ende des 19. Jhs.
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*) falls das nicht bekannt ist: die gängigen musikalischen Orientalismen des 19. Jhs. wurden für allerlei verwendet, mal islamisches (Balakirev, "Islamey"), mal biblisches (Saint-Saens "Samson et Dalilah"), mal indisches (Delibes, "Lakme"), mal ägyptisches (Verdi "Aida"), mal kretisches (Satie "Gnossienne"), mal zigeunerisches (Joh. Strauß "Zigeunerbaron") - kurzum die gängigen Orientalismen, die NICHT mit den späteren Exotismen bei Debussy verwechselt werden dürfen (!), eigneten sich für alles.
die Partitur von Mussorgskis tregisch-erschütterndem Bild "Samuel Goldenberg" (arm gegen reich) weist eine eigene, um 1875 sehr moderne Enharmonik auf, verwendet allerdings die typischen allgemeinen harmonischen und rhythmischen Orientalismen (s.o.) bei den Hauptthemen: das sind die alterierte Sekunde und Quarte nebst großer Septime der Mollskala sowie gegenläufige Punktierungen (Synkopen) - hier lügt (sic!) Weiner, indem er diese musikalischen Allerweltsmittel als typische Karikatur jüdischer Melismen und Prosodie behauptet!!
...und jetzt wird es kurios: der einzige Orientalismus dieser Art innerhalb der gesamten Ring-Partitur findet sich ausgerechnet in einem Orchesterritornell der Schmiedelieder Siegfrieds
, ist also der Figur Siegfried zugeordnet
eine alte Regel: wer Partituren erklären will, der sollte sich damit gefälligst auskennen. Ich bin gerne bereit, bei Interesse die entsprechenden Notenbeispiele vorzustellen und zu erläutern - aber ich bin nicht bereit, mich mit unsachlichen Behauptungen zu musikalischen Strukturen abzugeben.