Machiavellis Fürst & Habsburger Realitäten

Thristan

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Hallo und Guten Tag

Vor einer Weile las ich Machiavellis Il Principe und Wedgwood´s Buch über den Dreißigjährigen Krieg und begann mich danach mit der Renaissance zu beschäftigen, woraufhin ich nochmals Il Principe las (1532 postum veröffentlicht).

Es ist eine Ironie der Geschichte, das Machiavelli genau vor den zwei Grundübeln warnt, die den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zu dieser verheerenden Maschinerie machten. Zum Einen die Söldnertruppen (und deren mehr oder weniger begabten Truppenführern), zum Anderen die Tatsache, dass man sich keine fremden Truppen ins Land holen solle.

Betrachtet man diese beiden Punkte genauer im Hinblick auf die historische Entwicklung in Mitteleuropa, so scheint es fast so, als würde die Habsburger Monarchie geradezu systematisch gegen Machiavellis Erkenntnisse verstoßen (Dreißigjähriger Krieg, Siebenjähriger Krieg). Woran liegt das?

War seine Rezeptionsgeschichte in der Neuzeit so dürftig? Oder...

...können politische Schriften wie Il Principe die Wirklichkeit nicht abbilden, sodass es unmöglich ist Machiavellis Leitlinien unter realistischen Gesichtspunkten zu folgen?

Meinungen?

Gruß Thristan
 
Da wird wohl der Sacco di Roma in die Überlegungen eingeflossen sein.

Aber sind es nicht eher die kurzfristigen Interessen, welche gegen jede Ratio verstoßen lassen? Sind wir klüger als die Menschen im 17. Jhdt.? Ich denke mal an Klimawandel und individuellem Stromverbrauch und Konsumdenken. Die Mehrheit von uns fürchtet den Klimawandel, aber die wenigsten tun etwas dagegen, was mit Stromsparen anfängt und mit Zurückhaltung beim Kauf hochenergetischer Konsumgüter noch nicht endet. Die Straßen werden immer voller, die Staus immer länger... - und das obwohl die Mehrheit sich über den individuellen ökologischen Fußabdruck sehr wohl im Klaren ist.
 
Man sollte Machiavelli auch nicht überbewerten; er hatte die Weisheit auch nicht mit dem Löffel gefressen. Nicht alles, was er in seinen Werken schrieb, hatte Hand und Fuß und war praxistauglich. Man muss auch die Hintergründe für seine Ablehnung von Söldnerheeren etwas genauer betrachten:
Machiavelli war von der antiken römischen Republik fasziniert. Seine negative Haltung zu Söldnern hatte auch damit zu tun, dass er die antiken republikanischen Bürgerheere der Griechen und Römer verherrlichte und als positives Gegenstück zu habgierigen landfremden Söldnerbanden sah. Seinem Geschichtsbild zufolge war das antike Rom groß gewesen, solange es noch ein Volksheer aus patriotischen freien Bürgern oder später zumindest ein aus Bürgern rekrutiertes Berufsheer besessen hatte, aber als die Römer dann begonnen hatten, barbarische Söldner anzuheuern, war das Reich zugrunde gegangen. Die spätantiken Verhältnisse (germanische Söldner und Söldnerführer, die sich auch in die römische Politik einmischten und auf römischem Gebiet eigene Herrschaftsbereiche errichteten) verglich er mit seiner eigenen Zeit, als Italien relativ hilflos landfremden Söldnerführern und ihren Banden, die davon lebten, dass häufig Krieg war und die Kriege lange dauerten, und die sich immer wieder neue Auftraggeber suchten, ausgeliefert war. Kritikwürdig fand Machiavelli auch, dass die Söldner seiner Zeit die Kriege oft in die Länge zogen, um lange kassieren und plündern zu können, Schlachten aber eher mieden. Die Lösung sah Machiavelli in der Aufstellung von Bürgerheeren, die der Kontrolle der heimischen Regierungen unterstehen und schnelle Entscheidungen suchen, sodass bald wieder Friede herrscht.
In Florenz konnte Machiavelli auch zusehen, wie seine Forderung in die Tat umgesetzt wurde; es wurde tatsächlich eine Bürgermiliz aufgestellt. Sie erlebte gegen die Söldner allerdings ein Debakel.
Die Praxistauglichkeit seiner Empfehlungen war also - wie es bei derartigen theoretischen Werken meist der Fall ist - begrenzt.


Übrigens wurde der "Fürst" schon vor dem Sacco di Roma verfasst.
 
Man muss dabei auch bedenken, dass Machiavelli sein Modell für einen Stadtstaat entwickelt hat und nich für ein großes Reich, wie das der Habsburger. Er war sich absolut bewusst, dass die Welt nicht in einem Modelll abgebildet werden kann und, dass sein Modell in einem großen Staatsgebiet nicht überlebensfähig ist. (Der Anachronismus "Staat" sei mir hier an dieser Stelle verziehen)

Grundlage seines Ideals von der Republik stellt ein gutes Heer und eine gute Verfassung dar. Ein weiterer zu den bereits oben genannten Gründen, wieso das Heer aus patriotischen Bürger bestehen sollte und nicht aus Söldner ist, dass dadurch die virtu in der Bürgerschaft gesteigert wird und so kein dittatore notwendig wird. Das steigt aber schon sehr in seine politische Theorie ein.
 
@El Quijote

Klüger als die Menschen des 17.Jahrhunderts sind wir nicht, denn was wir heute zu wissen glauben, beruht ja im Wesentlichen auf den Erkenntnissen anderer Leute (Naturwissenschaftler etc.), denen wir in gewisser Weise vertrauen müssen (und es auch weithin, mit Einschränkungen, können).

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Nein, ich denke der Mensch ist heute genauso anfällig für Denkfallen und Fehlschlüsse wie anno sonstwann... - ABER,

Die Bildung (im Speziellen die Schul-Ausbildung oder deren Potential) ist doch das Gut, das sich rein qualitätsmäßig von dem früherer Zeiten unterscheidet. Wir können heute ungleich mehr Wissen, als jemals zuvor - ob sich daraus nun eine Motivation zum Lernen ergibt oder nicht.

Ich denke das Machiavelli einfach zu sehr auf seine scheinbare Unmoral reduziert wurde und dessen eigentlichen Lehren kaum Berücksichtigungen fanden, weil seine scheinbaren Aussagen so sehr gegen das christliche Ideal des gerechten und gütigen Herrschers verstießen. Deshalb, so meine ich, stellen gerade die Habsburger (zumindest bis 1806) ein vorzügliches Beispiel der Fraktion "Herrscher von Gottes Gnaden" dar, denn sie gebrauchten den Papst als eine Art Legislative, die ihnen ins Amt (Kaiser) verhalf - (drei der sieben Kurfürsten waren geistlich).

Wenn man Il Principe im 17.Jahrhundert in Mitteleuropa in ganzer Form gekannt oder verstanden hätte (und so ganz unähnlich waren sich die "Deutsche" und "Italienische" Situation zu Zeiten Machiavellis dann doch nicht) hätte man doch die Schlüsse ziehen können. - Hat man aber nicht...

So denke ich, dass die schlechte (oder unzureichende) Ausbildung der künftigen Regenten, so sehr belastet und überladen von religiösen Aspekten, sich negativ auf das Handeln und Denken auswirkte. Das soll nicht etwa bedeuten, dass ich der Religion die alleinige Schuld für das Religionskriegsspektakel in Mitteleuropa geben möchte (immerhin ist sie auch die "Mutter" der Universität), auch wurden mit ihrer Hilfe pure Machtinteressen umhüllt.

Aber das letztlich die Vernunft über den Glauben triumphierte und die Religionskriege von denen der Nationalstaaten abgelöst wurden, machte die Republik zwar zum Sieger, doch die von Machiavellis erhoffte Überlegenheit gegenüber den Fürstentümern äußerte sich nicht in ihrer Friedfertigkeit. Was soll man tun?
 
War seine Rezeptionsgeschichte in der Neuzeit so dürftig? Oder...

...können politische Schriften wie Il Principe die Wirklichkeit nicht abbilden, sodass es unmöglich ist Machiavellis Leitlinien unter realistischen Gesichtspunkten zu folgen?

Die Schriften von ihm standen auf dem Index des Vatikan der verbotenen Schriften. Das erklärt teilweise, dass seine Rezeption im katholischen Mitteleuropa vermutlich erschwert wurde. Zumal die Revolutiion des Buchdrucks erst richtig im 18. Jahrhundert einsetzte.

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Europ%C3%A4ische_Produktion_von_gedruckten_B%C3%BCchern_ca._1450%E2%80%931800.png&filetimestamp=20111222031413

Und, sofern sie stattfand, wie prominent bei FdG, dann als "Anti-Machiavellismus" seinen Ausdruck fand. Es ist zudem fraglich, ob andere europäische Könighäuser (auch die Habsburger) in ihrem "royalen Selbstverständnis" und ihrem "Königtum von Gottes Gnaden" die Schriften von ihm durch ihre Rezeption "geadelt" hätten.

Antimachiavellismus ? Wikipedia

Anders gefragt, warum hätten sie es tun sollen. Zumal zu Beginn der 30 jährigen Krieges nicht abzusehen war, über welche Zeitspanne er sich erstreckt. In diesem Sinne steckt in der Fragestellung die "Attitüde", die hinterher immer alles besser weiss. Das ist keine Kritik, sondern der Verweis auf den Mechanismus.

Generell ist dabei zudem Machiavelli als "Politologe" vom "Militär" zu unterscheiden. Und sein Beitrag zur Militärgeschichte wird dabei ebenfalls ambivalent gesehen, genauso wie seine Aussagen als Politologe.

So hebt König in seinen Betrachtungen über ihn hervor, dass M. der erste Theoretiker ist, der die Bedeutung von "Volksheeren" deutlich ausspricht und seiner Zeit voraus ist. Seine Idee wird erst im Rahmen der Armeen der FR eingelöst.

Niccolò Machiavelli: zur Krisenanalyse einer Zeitenwende - René König - Google Books

Mit König und vor allem auch mit Delbrück (S. 131ff) ist jedoch der Militärtheoretiker auch aus der Sicht und dem Wissen der damaligen Zeit zu kritisieren. Problematisch ist dabei sein Verständnis der "Feldschlacht" in ihrer operativen Duchführung, die in einer völlig falschen Einschätzung der zunehmenden Bedeutung der Artillerie gipfelt.

Geschichte der Kriegskunst: die Neuzeit : vom Kriegswesen der Renaissance ... - Hans Delbrück, Otto Haintz - Google Books

Und die damaligen erfolgreichen Heere bildeten eine Mischung aus Söldner und "Bürger-Milizen". Insfern widersprach das real in der Schlacht erfolgreiche Heer der Renaissance den Forderungen von M. nach reinen "Milizen" im Stile der "Schweizer".

Gleichzeitig ist es auch M., der mit dem "virtu" des Principe das Führen von Kriegen als Zeichen der Stärke in die Begründung von staatlichem Handeln einführte. Und somit auch als Vordenker einer extremen "bellizistischen" Denkhaltung einer staatlichen Entwicklung zu benennen ist: Diese Sichtweise file vor allem auch im späteren Preußen auf einen fruchtbaren Boden, nicht zuletzt durch die Rezeption durch Clausewitz.

http://books.google.de/books?id=Xbp...page&q=30 jähriger krieg, machiavelli&f=false
 
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...
Gleichzeitig ist es auch M., der mit dem "virtu" des Principe das Führen von Kriegen als Zeichen der Stärke in die Begründung von staatlichem Handeln einführte. Und somit auch als Vordenker einer extremen "bellizistischen" Denkhaltung einer staatlichen Entwicklung zu benennen ist: Diese Sichtweise file vor allem auch im späteren Preußen auf einen fruchtbaren Boden, nicht zuletzt durch die Rezeption durch Clausewitz. ...

Bonaparte war vom Werk Machiavellis auch ganz angetan. Ich habe eine Edition von "Il Principe" mit Randnotizen und Kommentaren von Napoleon. Auf einer Seite liess er sich sogar vor Begeisterung hinreissen zu schreiben: "anch'io sono italiano!"
 
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Bonaparte war vom Werk Machiavellis auch ganz angetan.

Bei Tulard findet sich auch ein systematischer Hinweis zur Rezeption von M. durch N. und einer Empfehlung an Eugene (Vizekönig von Italien).

Und es findet sich der ergänzende Hinweis auf die Bedeutung der "Stärke" einer Regierung, die an den Virtu angelehnt ist (345).

Napoleon, oder, Der Mythos des Retters: eine Biographie - Jean Tulard - Google Books

Bei Willms und auch bei Lefebvre finden sich dagegen keine Hinweise in ihren Biographien von N. auf M. (zumindest habe ich keine gefunden:cry:)
 
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Wenn man Il Principe im 17.Jahrhundert in Mitteleuropa in ganzer Form gekannt oder verstanden hätte (und so ganz unähnlich waren sich die "Deutsche" und "Italienische" Situation zu Zeiten Machiavellis dann doch nicht) hätte man doch die Schlüsse ziehen können. - Hat man aber nicht...
Welche Schlüsse hätte man denn ziehen sollen? Heere aus professionellen Söldnern waren nun einmal im Normalfall vorübergehend einberufenen Bürgermilizen überlegen (und das gerade in der frühen Neuzeit, als neue Waffengattungen entsprechende Spezialisten erforderten), und bei Bedarf angeheuerte Söldnerheere kamen vermutlich in der Regel billiger als der dauerhafte Unterhalt eines großen stehenden Heeres. (Gerade in der frühen Neuzeit waren viele Fürsten recht knapp bei Kasse und oft hochverschuldet.) Außerdem wären manche kleinere Staaten wohl auch von der Bevölkerungszahl her gar nicht in der Lage gewesen, aus der eigenen Bevölkerung genügend große Armeen aufzustellen, ohne durch die damit verbundene Bindung von Arbeitskräften die eigene Wirtschaft zu schwächen. (Ich denke da vor allem an Venedig und seine mit Söldnern geführten langwierigen und blutigen Kriege gegen die Osmanen auf Kreta und der Peloponnes.)
 
@Ravenik

Welche Schlüsse hätte man denn ziehen sollen?

Tja, vielleicht die naive und dennoch beste Vorstellung keinen Krieg zu beginnen, wenn man ihn nicht schnell führen und zu Ende bringen kann. Die Alternative wäre einen "Königsmörder" zu engagieren (vgl. Sunzi, über den Einsatz von Spionen), aber da sehe auch ich das Problem der Vendetta von anderen Mitgliedern der Dynastie...

@thanepower

Danke für die Literaturhinweise, da muss ich noch was nachholen... :)
 
@thanepower

Anders gefragt, warum hätten sie es tun sollen. Zumal zu Beginn der 30 jährigen Krieges nicht abzusehen war, über welche Zeitspanne er sich erstreckt. In diesem Sinne steckt in der Fragestellung die "Attitüde", die hinterher immer alles besser weiss. Das ist keine Kritik, sondern der Verweis auf den Mechanismus.

Es ist zwar richtig, dass man hinterher immer klüger ist, aber meinst du nicht, dass man vorher hätte abschätzen können, dass ein Feldzug unter den Bedingungen der 17. Jahrhunderts, noch dazu mit unzureichenden finanziellen Mitteln und einer Reformation, die sich mit Ausnahme von Polen, Italien, Spanien und Frankreich mehr oder weniger in weiten Teilen Europas durchgesetzt hatte, doch etwas länger als einen Sommer dauerte?

Sicher, es begann in Böhmen und war nur ein lokaler Brand. Aber diejenigen, die denken man kommt hinter eine einmal in die Welt gebrachte Idee zurück, nehmen billigend einen langen und schier aussichtslosen Kampf in Kauf. Hinzu die Verlockung, dass der Landesherr die Konfession seiner Untertanen entschied, machte den Dreißigjährigen Krieg zu einem Flächenbrand.

Wenn es unmöglich gewesen wäre das zu verhindern, würde ich mich damit abfinden, aber an dieser Stelle muss man sich fragen wie ein Kaiser sein Reich beherrscht, wenn er bereit ist den Reichsfrieden für religiöse Interessen zu opfern?

Gab es bei Machiavelli eigentlich eine Trennung von Kirche und Staat? Ich kenne leider nur sein Werk "Il Principe" und dort schreibt er sehr weltlich über die geistlichen Herrschaften.
 
Es ist zwar richtig, dass man hinterher immer klüger ist, aber meinst du nicht, dass man vorher hätte abschätzen können, dass ein Feldzug unter den Bedingungen der 17. Jahrhunderts, noch dazu mit unzureichenden finanziellen Mitteln und einer Reformation, die sich mit Ausnahme von Polen, Italien, Spanien und Frankreich mehr oder weniger in weiten Teilen Europas durchgesetzt hatte, doch etwas länger als einen Sommer dauerte?

Sicher, es begann in Böhmen und war nur ein lokaler Brand. Aber diejenigen, die denken man kommt hinter eine einmal in die Welt gebrachte Idee zurück, nehmen billigend einen langen und schier aussichtslosen Kampf in Kauf. Hinzu die Verlockung, dass der Landesherr die Konfession seiner Untertanen entschied, machte den Dreißigjährigen Krieg zu einem Flächenbrand.
Es war doch nicht so, dass der Kaiser einen großen Feldzug gegen alle Protestanten im Reich plante und sie alle niederwerfen wollte. Zu Beginn wollte er doch nur den Aufstand in Böhmen niederwerfen. Was hatte er denn für eine Alternative? Sollte er einfach akzeptieren, dass Böhmen abfiel und einen anderen zum König wählte? Klar, wenn man Pazifist und/oder Demokrat ist, kann man natürlich sagen, er hätte das hinnehmen sollen, aber das ist eine Denkweise, die einem Landesherrn des 17. Jhdts. fremd war.
Anfangs sah es dann ja auch so aus, als könnte der Krieg im regionalen Rahmen (Böhmen und Kurpfalz) gehalten werden, indem es der kaiserlichen Diplomatie gelang, die meisten protestantischen Reichsfürsten zur Neutralität zu bewegen. Mit der Niederwerfung Böhmens und der Kurpfalz wäre die Angelegenheit eigentlich auch schon erledigt gewesen, wenn dann nicht Dänemark eingegriffen hätte.

Wenn es unmöglich gewesen wäre das zu verhindern, würde ich mich damit abfinden, aber an dieser Stelle muss man sich fragen wie ein Kaiser sein Reich beherrscht, wenn er bereit ist den Reichsfrieden für religiöse Interessen zu opfern?
Das ist zu modern gedacht. Man darf nicht vergessen, dass der Kaiser nicht einfach nur das Staatsoberhaupt des HRR war. Auch wenn seit Karl V. kein Kaiser mehr vom Papst gekrönt worden war, hatte das Kaisertum dennoch immer noch auch einen sakralen Charakter als weltliche Schutzmacht der (katholischen) Christenheit. Es war geradezu die Pflicht des Kaisers, gegen die "Ketzerei" im Reich vorzugehen. Wenn man diese Denkweise zugrunde legt, beherrschte der Kaiser sein Reich also eher schlecht, indem er den Protestantismus duldete.
 
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Das ist zu modern gedacht. Man darf nicht vergessen, dass der Kaiser nicht einfach nur das Staatsoberhaupt des HRR war. Auch wenn seit Karl V. kein Kaiser mehr vom Papst gekrönt worden war, hatte das Kaisertum dennoch immer noch auch einen sakralen Charakter als weltliche Schutzmacht der (katholischen) Christenheit. Es war geradezu die Pflicht des Kaisers, gegen die "Ketzerei" im Reich vorzugehen. Wenn man diese Denkweise zugrunde legt, beherrschte der Kaiser sein Reich also eher schlecht, indem er den Protestantismus duldete.

:red: Ich gebe zu, dass ich manchmal etwas Schwierigkeiten habe, mich (da ich persönlich eher zum Agnostizismus neige) gedanklich in die damalige Zeit zu versetzen, denn die moralische Richtschnur (Bibel) existierte ja schon (...wenn dich einer schlägt, dann halte auch noch die andere Wange hin...), aber diese wurde unerhört mit den Füßen getreten, obschon die "Fürsten" alle fromme Leute waren (oder es vorgaben).
 
Wie oben schon angesprochen bezogen sich Macchiavellis Schriften primär auf die anarchistische Situation zwischen den Staaten im Italien der Renaissance und dort herrschten bereits damals völlig andere Verhältnisse als jenseits der Alpen.
Im Gegensatz zu Italien waren die Verhältnisse im HRR vergleichsweise geordnet.
Es gab mit dem Reichsfrieden, den Reichstagen,dem Reichskammergericht und der Reichsexecution übergeordnete Institutionen,die genau solchen Verhältnissen vorbeugten.
Dies war selbst noch nach der Reformation so, als protestantische und katholischhe Reichsstände im Reichstag verhandelten.
Vor diesem Hintergrund waren Macchiavellis Thesen,die in Wien und Madrid sicherlich bekannt waren, aus Sicht der damaligen Realpolitiker eher wenig praktikable Theorien,weil sie auf Grundlagen beruhten,die im Reich so nicht gegeben waren.

Auch der 30jährige Krieg ist m.E. nicht mit Macchiavelli zu erklären, weil wir auch hier eine völlig andere Ausgangssituation haben.
Am Anfang stand ein lokaler, religiös und autonomistisch geprägter Konflikt in einem wesentlichen Teilstaat der größten miteleuropäischen Hegemonialmacht, den die pfälzischen Wittelsbacher in Fortsetzung des alten Gegensatzes zu Habsburg ausnutzen wollten , um die eigene Position zu stärken.
Aus deren Niederlage ergab sich die Gefahr einer übermächtigen Habsburger Hegemonie im Reich ,mit der bestehende die Macht- und Rechtebalance im Reich und in ganz Mitteleuropa in Frage gestellt wurde und die den Eintritt Dänemarks, Frankeichs und Schwedens in den 30jährigen Krieg und dessen Internationalisierung nach sich zog.
Hätte Habsburg seine Politik an Macchiavellis Theorien ausgerichtet, hätte das also auch keine anderen Folgen gehabt.
 
Aber dann frage ich anders...

Wie lässt sich Maria Theresias Verhalten erklären, die (als faktische Kaiserin) Franzosen und Russen in ihr Reich hineinzog um Friedrich II. das umkämpfte Schlesien wieder abzujagen? - Ich gehe mal davon aus, dass sie Machiavelli kannte...

Vgl. Situation von Venedig, die die Franzosen nach Italien riefen und die Franzosen, die ihrerseits die Spanier nach Neapel ließen.

O-Ton Machiavelli (in meiner Ausgabe von "Der Fürst"):

"...Und nun konnten die Venezianer schon einsehen, wie unbedacht sie gehandelt hatten, als sie, um zwei Orte in der Lombardei zu gewinnen, ihn [Karl VIII.] zum Herrn von zwei Dritteln Italiens gemacht hatten..."

Doch auch die Franzosen machten Fehler (nach Machiavelli); unter anderem:


- die Vernichtung der Mindermächtigen (die sich um die Schutzmacht Frankreich scharen wollten, aber sich durch die Romagna-Aktion abwanden)
- Machtvermehrung eines Mächtigen (Papst); Balance of Power ausgehebelt
- die Zulassung des Zuzugs eines fremden Mächtigen ins Land (Spanien)


Klingt irgendwie sehr modern und eher wie eine direkte (allgemeine) Handlungsanweisung, statt einer unwirklichen politischen Theorie.
 
Wie lässt sich Maria Theresias Verhalten erklären, die (als faktische Kaiserin) Franzosen und Russen in ihr Reich hineinzog um Friedrich II. das umkämpfte Schlesien wieder abzujagen? - Ich gehe mal davon aus, dass sie Machiavelli kannte...
Wo siehst Du da das große Problem? Auch beim Siebenjährigen Krieg handelte es sich, trotz seiner langen Dauer und seiner weltweiten Kriegsschauplätze, von der Konzeption her letztlich nur um einen der "Kabinettskriege" dieser Zeit, also einen Krieg mit begrenzten Zielen. Weder wollte Maria Theresia das gesamte Reichsgebiet unterwerfen noch wollte Russland das HRR erobern, und Frankreich richtete sich in erster Linie gegen Großbritannien. Die Situation war also nicht vergleichbar mit Italien im 15./16. Jhdt., als Franzosen und Spanier die unmittelbare Herrschaft über das Königreich Neapel und das Herzogtum Mailand, also wesentliche Teile Italiens, anstrebten. Die Machtbalance im HRR und in Europa sollte nur zugunsten Österreichs und Frankreichs etwas verschoben, aber nicht komplett umgeworfen werden.
 
Wie lässt sich Maria Theresias Verhalten erklären, die (als faktische Kaiserin) Franzosen und Russen in ihr Reich hineinzog um Friedrich II. das umkämpfte Schlesien wieder abzujagen? - Ich gehe mal davon aus, dass sie Machiavelli kannte...

Mir ist zwar nicht geläufig, ob und welche Form von "Theorie" bzw. Philosophie die damalige Außenpolitik der unterschiedlichen Herrscherhäuser bestimmt hat, aber dennoch ein paar Vermutungen.

Man kann vermutlich generell sagen, dass es noch keine "wissenschaftliche" Form des Verständnisses der Politik der Staaten oder der Außenpolitik zum damaligen Zeitpunkt gab.

Vermutlich waren es eher pragmatisch gewonnene "Glaubenssätze", die das "Weltbild" der Königshäuser und ihre höchsten Eliten in der Diplomatie und im Militär auszeichneten.

In diesem Sinne folgte die Entscheidung zum Krieg noch vergleichsweise simplen Kriterien. Sie zielten auf militärische "Ehre" als Feldherr, auf die Gewinnung von ökonomischem Kapital, auf die Verbesserung der Position der Dynastien und ihr eingebundensein in die Netzwerke (Verwandschaft etc.) und natürlich auf die generelle Steigerung von "Macht" bzw. das Begrenzen für andere.

Im Gegensatz dazu erfolgte die systematische Fundierung der Außenpolitik erst nach dem WW1. Das 14 Punkte Programm von Wilson ist noch sehr stark durch den "Idealismus" geprägt, wie Carr es retrospektiv kritisiert.

Und dieses Defizit erklärt zumindest teilweise das krasse Versagen der pre-WW1-Diplomatie der europäischen Staatsmänner, da es noch keine systematische Unterstützung durch eine Verwissenschaftlichung der Außenpolitik gab.

Eine erste Fundierung wurde im Rahmen des "Realismus" in den 30er Jahren gelegt.

Realismus (Internationale Beziehungen) ? Wikipedia

Insofern ist es eigentlich nicht zulässig nach einer Rezeption und Anwendung von M. durch die damalige zeitgenössische Außen- und Militärpolitik zu fragen.
 
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@Ravenik

Wo siehst Du da das große Problem?

Das Problem sehe ich darin, dass Maria Theresia als Schirmherrin des HRR Allianzen mit "fremden Mächten" schloss um ihre eigene Hausmacht im Reich gegen Friedrich II. zu behaupten. Dabei ging sie eben das nicht unbeträchtliche (waghalsige) Risiko ein, dass die generelle Macht des HRR (und somit ihre eigene Macht) im europäischen Kontext in Frage gestellt werden würde.

Gut, ich vermag es nicht abzuschätzen, wie das Bewusstsein in der Neuzeit ausgeprägt war hinsichtlich der Forderung aus der Geschichte zu lernen, aber so ganz spurlos scheint Machiavelli trotz aller Publikationsbeschränkungen dann doch nicht an der herrschenden Schicht vorrübergegangen zu sein (Friedrich II.).

Schließlich kann man eben doch einige Forderungen Machiavellis als Vorbild nehmen, wenn man beispielsweise Bismarcks Umgang mit der KuK-Monarchie im Deutschen Bund hundert Jahre später betrachtet (Preußen hat sich mit niemanden außerhalb des Deutschen Bundes gegen Österreich-Ungarn verbündet - weil es keine Partner finden konnte(?) oder weil er weitsichtig genug war zu Wissen das fremde Mächte einen begrenzten Konflikt durch eigene Interessen verkomplizieren und erheblich erweitern).

Ich denke jemand wie Bismarck hätte sich nicht zu solchen Risiken wie den Siebenjährigen- oder Dreißigjährigen Krieg verleiten lassen (aber das bleibt meine ganz persönliche Spekulation), nicht weil er risikoscheu war (das war er wohl eher nicht), sondern weil er von den Fehlern anderer lernte - und vermutlich Machiavelli bei ihm keine Gute-Nacht-Lektüre war.
 
Das Problem sehe ich darin, dass Maria Theresia als Schirmherrin des HRR Allianzen mit "fremden Mächten" schloss um ihre eigene Hausmacht im Reich gegen Friedrich II. zu behaupten. Dabei ging sie eben das nicht unbeträchtliche (waghalsige) Risiko ein, dass die generelle Macht des HRR (und somit ihre eigene Macht) im europäischen Kontext in Frage gestellt werden würde.
Maria Theresia hat ihre Politik aber nicht an den Interessen des HRR ausgerichtet und nicht als Schirmherrin für etwas agiert, über das zuerst ihr Gatte und dann ihr Sohn faktisch nur noch dem Namen nach herrschten, sondern an den Interessen ihrer eigenen Länder. Ihre eigene Macht wurde in erster Linie nicht etwa durch Russland und auch nicht durch Frankreich infrage gestellt, sondern durch Preußen - vor allem auch im Rahmen des HRR. Preußen war es, das ihr eines ihrer wertvollsten Länder weggenommen hatte und zur rivalisierenden Macht im HRR aufgestiegen war. Preußen war es auch, das die herrschende Ordnung im HRR (Österreich als "Großmacht", dazu einige Mittelmächte wie Preußen, Sachsen und Bayern) kippte und allmählich zu einem Dualismus Österreich vs. Preußen umbaute, wobei vor allem Sachsen (mit dem Österreich, von Ausnahmen wie dem Österreichischen Erbfolgekrieg abgesehen, meist gute Beziehungen hatte und das es früher als Gegengewicht gegen Brandenburg/Preußen verwenden konnte) zunehmend unter die Räder kam. Das HRR an und für sich war mangels gemeinsamen geschlossenen Auftretens nach außen ohnehin kein Machtfaktor mehr, sondern nur einige seiner Bestandteile. Wenn Maria Theresia also die alte Ordnung mit Österreich als Hegemonialmacht (und nur solange Österreich Hegemonialmacht war, konnte der habsburgisch(-lothringisch)e Kaiser zumindest ansatzweise so etwas wie Macht im HRR ausüben) im HRR wahren wollte, musste sie in erster Linie Preußen in die Schranken weisen. Um ihre eigene Macht zu sichern, war es also geradezu naheliegend, gegen Preußen vorzugehen und sich dafür mit Mächten zusammenzutun, die keine so intensiven eigenen Interessen im HRR verfolgten wie Preußen.

Schließlich kann man eben doch einige Forderungen Machiavellis als Vorbild nehmen, wenn man beispielsweise Bismarcks Umgang mit der KuK-Monarchie im Deutschen Bund hundert Jahre später betrachtet (Preußen hat sich mit niemanden außerhalb des Deutschen Bundes gegen Österreich-Ungarn verbündet - weil es keine Partner finden konnte(?) oder weil er weitsichtig genug war zu Wissen das fremde Mächte einen begrenzten Konflikt durch eigene Interessen verkomplizieren und erheblich erweitern).
Bismarcks Preußen hat sich mit Italien zusammengetan.
 
@Ravenik
Bismarcks Preußen hat sich mit Italien zusammengetan.

Das ist richtig, aber ich unterstelle Bismarck einfach mal, dass er das begrentze Militärpotential Italiens kannte. Auf dem Papier sahen die sicher stark aus, aber waren für Preußen wohl nur eine Spielkarte und eine Möglichkeit Österreichs Militärkräfte zu zersplittern.

Die Großmächte (FRA,ENG,RUS,OSM) hielt er raus...

Warum hielt er das Osmanische Reich (gut, die waren pleite) und Russland (gerade das expansive Russland) raus? Ich denke weil er wusste, dass er damit Österreich zu sehr ans Leder ging und damit die Lage in Europa zu sehr destabilisieren würde.
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Die Habsburger Hegemonie im HRR ist ja auch nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer langen Entwicklung. Schließlich wurde Preußen aber als der Räuber Schlesiens gesehen, wobei die Frage nach Böhmen ebenso gestattet sein darf. War es nicht etwa Habsburg, das sich "schmollend" nach 1648 langsam aber beständig der Reichsidee abwandte und Preußens Avancen nichts weiter als die Befüllung des entstandenen, hinterlassenen Machtvakuums waren?


So gesehen war Maria Theresias Politik der Ausdruck von einem Interessenkonflikt ihrerselbst (Übergang vom HRR zum Nationalstaat), wenn das HRR überhaupt noch (auf dem Papier) existierte. Dennoch darf die Frage gestattet sein, ob sich ein HRR unter preussischer Führung denken ließe (1871 ist es ja mit der kleindeutschen Lösung teilverwirklicht worden) oder dieses an einer völligen Unvereinbarkeit ausgeschlossen werden könnte?
 
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