Zitat „Braunschweig gewalttätig wie Neu-Mexiko…“

BerndHH

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Guten Morgen,
ich bin im Wikipedia-Artikel Geschichte der Stadt Braunschweig auf folgendes Zitat gestoßen:

Das Trio Klagges, Alpers und Jeckeln war für sein äußerst brutales Vorgehen gegen politische Gegner, Juden, Zeugen Jehovas und andere hauptverantwortlich und berüchtigt – selbst in Berliner NSDAP-Kreisen wurde in Bezug auf die Zustände in Braunschweig von „Neu-Mexiko“ gesprochen. Die Machtposition der SS war in Braunschweig zu dieser Zeit gefestigter und größer als im restlichen Reichsgebiet. (Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, S. 982–985)

Ich kann dieses Zitat überhaupt nicht richtig einordnen. Was genau war in Braunschweig passiert? Branschweig ist bekannt für den Aufmarsch der Harzburger Front 1931 aber für besondere Gewalttätigkeit?
Gibt es dafür andere Belege?

Was verband man in den 1930er Jahren mit Neu-Mexiko? Neu-Mexiko, USA. Krieg gegen die Apachen, Banditen und Schießereien? Der Film Schüsse in Neu Mexiko von 1933?

Ich frage deshalb, weil mir das Ganze recht ungewöhnlich vorkommt. Braunschweig als Stadt der Gesetzlosen?
Die Aussage, dass die Machtposition der SS dort besonders gefestigt war, ist offensichtlich. Schließlich wurde dort 1934 die SS-Führerschule und spätere SS-Junkerschule im Braunschweiger Schloß in Betrieb genommen.

Gruss,
BerndHH
 
War nicht in den 1930er Jahren Berlin und sein Kiez besonders gewalttätig und bekannt für seine Verbrechen? Aber eine mittelgroße niedersächsische Stadt. Macht für mich keinen Sinn.
 
Arbeitsvorlage_Architektur
Arbeitsvorlage_Architektur
Angesprochen sind vermutlich die Weidekriege, die insbesondere in New Mexico und Texas stattfanden, was auch in vielen modernen Western ein Thema ist: Die Verquickung von Landbesitz, der damit verbundenen Macht und der politischen und (pseudo)juristischen Kontrolle über ganze Regionen.
Der Terror eines Klagges - der im Übrigen auch nationalsozialistischer Geschichtsdidaktiker war - ist wohl von seiten einiger Parteigenossen so charakterisiert worden. Gesetzlosigkeit hast du selbst als Stichwort ganz richtig genannt.
 
War nicht in den 1930er Jahren Berlin und sein Kiez besonders gewalttätig und bekannt für seine Verbrechen? Aber eine mittelgroße niedersächsische Stadt. Macht für mich keinen Sinn.

Was schnell und sicher via I-net zu konstatieren ist, Braunschweig liegt bei dem Wahlergebnis im März 1933 bezüglich der NSDAP über dem Reichsdurchschnitt, 49% Braunschweig, 43,9% gesamtes Reich.

Vergl.:

Freistaat Braunschweig ? Wikipedia

Reichstagswahl März 1933 ? Wikipedia

Das besagt aber ersteinmal noch gar nichts in Bezug auf Deine Fragestellung.

Die SS war 1933 noch eine Unterorganisation der SA, ob die SS in Braunschweig besonders aktiv war und entsprechend in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, weiß ich nicht, da müßte man in den regionalen Archiven bzw. im Bundesarchiv (exBDC) bzw. des SS-Oberabschnittes "Mitte" "stöbern" (Sitz Braunschweig).

Der Bezug zu New-Mexiko ist mir rätselhaft, was nichts heißen muß. Ich schaue einmal, ob ich die Findbücher zu diesem SS-Oberabschnitt finde.

M.

O.T.

Der Freistaat Braunschweig hatte, und somit seine Protagonisten, eine ganz besondere persönliche Beziehung zu Hitler und der NSDAP.
 
Zuletzt bearbeitet:
Erst nocheinmal zu Deiner Fragestellung. Die Radikalität und Brutalität örtlicher Führer der NSDAP und ihren Gliederungen hing natürlich auch von Persönlichkeitsstrukturen und individualgeschichtlichem Hintergrund ab.

Das ist ein Allgemeinplatz und hilft auch nicht weiter.

In den Findbüchern des Bundesarchives, gibt es zwar Aktenbestände von SS-Oberabschnitten, aber nicht des SS-Oberabschnittes Mitte, Braunschweig.

Im Niedersächsischen Haupt- Staatsarchiv befinden sich Aktenbestände des NSDAP-Gaues und Gliederungen der NSDAP, auch der Allgemeinen SS. Wenn der Link funktionieren sollte, ab ca. S. 10ff. Gau Südhannover-Braunschweig. Findbuch Hann 310 I und dann die Unternummer.

http://aidaonline.niedersachsen.de/

Vllt. hilft es.

M.
 
Ich glaube nicht, dass wir hier mit Akten und Archivalien weiterkommen. Es dürfte sich mehr um eine Art (kritischem[?]) Bonmot gehandelt haben.
 
War nicht in den 1930er Jahren Berlin und sein Kiez besonders gewalttätig und bekannt für seine Verbrechen? Aber eine mittelgroße niedersächsische Stadt. Macht für mich keinen Sinn.

So ganz verstehe ich diese Frage über Berlin nicht. Meinst du die Verbrechen der Nationalsozialsiten, die Auseinandersetzungen der SA und der KPD oder Kapitalverbrechen?

Hast du da spezielle Quellen? Da ich gerade das Thema Berlin 1933 - 1945 erforsche (na ja nicht direkt die Stadtgeschichte) bin ich für jeden Hinweis auf Quellen oder Sekundärliteratur dankbar.

Zur Geschichte von Berlin während des Dritten Reiches kann ich dir folgende Bücher empfehlen:

Michael Wildt und Christoph Kreutzmüller (Hrsg.): Berlin 1933 -1945. Siedler Verlag. 2013

Darin geht es um die Geschichte der Stadt während dieser Zeit. Bei werden folgende Forschungsfragen gestellt und auch beantwortet. Wie haben die Nationalsozialisten die Macht im "roten Berlin" erobert und durchgesetzt? Wie reagierten die "Volksgenossen" auf die Ausgrenzung grosser Teile der Stadtbevölkerung.

Dieses Buch ist das erste umfassende Buch zur Geschichte Berlins während der NS-Zeit.


Wielland Giebel (Hrsg.) Das Braune Berlin. Adolf Hitlers Kampf um die Reichstadt. Verlin Story Verlag. 2012

Dies ist eine Quellenedition, darin wird erstmals anhand der Quellen der Kampf der NSDAP um die Stadt geschildert. Im Mittelpunkt sind Quellen von 1920 bis 1933 enthalten.

Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933 - 1945. Eine Chronologie der Behordenmassnahmen in der Reichshauptstadt. Stiftung Topographie des Terrors. 2009.

Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus. Band 27
Berlin im Nationalsozialismsu. Politik und Geselleschaft. 1933 -1945. Wallstein Verlag.

Dann gibt es zu jedem Bezirk noch spezielle Literatur, sei es zur jüdischen Geschichte oder zum Widerstand.
 
War nicht in den 1930er Jahren Berlin und sein Kiez besonders gewalttätig und bekannt für seine Verbrechen? Aber eine mittelgroße niedersächsische Stadt. Macht für mich keinen Sinn.

O.k. dann lag ich wohl schief, hatte aber auch sein gutes, ich kenne jetzt AIDA, die Archivdatenbank in Niedersachsen.

M. :winke:
 
Dieses zeitgenössische Buch könnte interessant sein:
Terror in Braunschweig ? Wikipedia

Zu Braunschweig gibt es eine lokalgeschichtliche Sammlung:
http://www.geschichtsforum.de/f66/sammlung-zur-lokalgeschichte-18480/

Angesprochen von @ashigaru sind da auch die Rieseberg-Morde, die bereits früh durch umlaufende Gerüchte recht viel Aufsehen erregten. Mglw. steht die Äußerung oben damit in Zusammenhang:
Rieseberg-Morde ? Wikipedia

Braunschweig war durch die Vorgänge um die Harzburger Front und durch die Einbürgerung Hitlers wegen der Reichspräsidentenwahl 1932, daneben durch die Wahlergebnisse der NsDAP in den Blickpunkt geraten. Neben diesen Vorgängen gab es allerdings schon vor 1933 - auch nach reichsweiten Maßstäben - schwere Krawalle zwischen NS- und KPD-Anhängern. Die NS-Spitze ist wohlmöglich auch in dem Zusammenhang auf Braunschweig/Niedersachen-Süd aufmerksam geworden, als die NS-Schlägertrupps hier bis 1932 außerordentliche Probleme bekamen, teilweise in Massenschlägereien den Kürzeren zogen.
Die Beziehungen zwischen der NSDAP-Zentrale und dem Gauverband Süd-Hannover ... - Hanna Behrend - Google Books
Die Brutalität unmittelbar nach der Machtübernahme richte sich gegen jede Menge "offener Rechnungen". Es kann durchaus sein, dass diese Racheakte und Gewalteskalationen selbst in Berlin Aufmerksamkeit hervorriefen.
 
Die Brutalität unmittelbar nach der Machtübernahme richte sich gegen jede Menge "offener Rechnungen". Es kann durchaus sein, dass diese Racheakte und Gewalteskalationen selbst in Berlin Aufmerksamkeit hervorriefen.

Durch ihre frühe und kontinuierliche Regierungsbeteiligung hatten die Nationalsozialisten im Freistaat Braunschweig länger als anderswo Zeit, entscheidende Machtpositionen zu besetzen, den Rechtsstaat Schritt für Schritt auszuhöhlen und das Bürgertum für ihre Politik zu gewinnen. Bereits 1931 wurde der Nazi Dietrich Klagges Dietrich Klagges ? Wikipedia Innenminister, in dessen Folge es zu gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen kam. Im Mai 1933 wurde Klagges zum braunschweigischen Ministerpräsidenten ernannt und die restlose Zerstörung der Demokratie schritt hier rascher fort, als im Reich und in anderen Ländern.

Bereits in den ersten Tagen nach dem 30. Januar 1933 erließ die Regierung Versammlungs- und Zeitungsverbote. Es kam zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen von Kommunisten. Kennzeichnend für Braunschweig war die exzessive Auslegung der Notverordnung. Eine Hilfspolizei aus Angehörigen der SS, der SA und zunächst noch des Stahlhelms sorgte für massive Einschüchterung im Land.

Am 9. Mai 1933 stürmten SS-Leute das Volksfreundehaus, in dem sich die Geschäftsräume der SPD sowie eine Druckerei befanden, demolierten das Mobiliar, verbrannten Druckschriften, erschossen eine Person und drangsalierten die übrigen. In den folgenden Tagen wurde verhaftet und gefoltert. Gewerkschaftler wurden zu Tode geprügelt oder schwer misshandelt. Das Gebäude de AOK wurde besetzt und Reichsbannerleute, die sich dort versammelt hatten, brutal gefoltert und zusammengeschlagen. Hinfort diente das AOK-Gebäude als Haftlokal der NSDAP.

Als im Juli 1933 ein SS-Mann versehentlich von eigenen Leuten erschossen wurde, bezichtigte man Anhänger der KPD. Sie wurden in das AOK-Gebäude gebracht, tagelang festgehalten, geschlagen und gefoltert. Aus dem Kreis der Gefangenen suchte SS-Führer Jeckeln am 4. Juli neun kommunistische Arbeiter aus, ließ sie in das Gewerkschaftsheim "Pappelhof" beim Ort Rieseberg abtransportieren und am selben Abend zusammen mit einem Studenten von SS-Leuten ermorden. Rieseberg-Morde ? Wikipedia

In wenigen Monaten hatten die Nazis im Freistaat Braunschweig die Demokratie zerschlagen und zwar schneller und brutaler, als in anderen Regionen des Reichs. Dabei resultierte die außerordentliche Dynamik der NS-Machtdurchsetzung aus der Kombination von traditioneller Politik mittels Gesetzen und Verordnungen, von Massenmobilisierung und brutaler Gewaltanwendung. Dass das Innennministerium bereits seit 1931 (!) von einem Nationalsozialisten besetzt war, schuf die Grundlage für alle Exzesse.
 
Nabend,
das Bild über das damalige Braunschweig fügt sich dank Eurer detaillierten Informationen so nahtlos zusammen.
Klagges wollte also aus Braunschweig ein "Musterland im Sinne des NS" machen. Daher passt es auch, dass die SS-Junkerschule ausgerechnet dort...obwohl die Infrastruktur nicht mit Bad Tölz vergleichbar war.

In meinem Roman spielt ein Kapitel in Braunschweig des Jahres 1937 (setzt also viel später an) während des 3. SS-Junkerlehrgangs (Anwärterlehrgang).

Gruss,
Bernd
 
In meinem Roman spielt ein Kapitel in Braunschweig des Jahres 1937 (setzt also viel später an) während des 3. SS-Junkerlehrgangs (Anwärterlehrgang).

In der Zeit war SS-Stbf. Hans-Friedemann Goetze der Leiter der Junkerschule (ab 1.10.36), der dann im Juli 1938 die SS-Heimwehr Danzig übernahm, und danach zur SS-Totenkopfdivision wechselte.
Hans Friedemann Götze - Wikipedia, the free encyclopedia

Im Jahrgang 1937 befand sich als Anwärter auch Hugo Krass, der später bei der LSSAH und dann letzter Divisionskommandeuer der 12. SS-Panzerdivision "Hitlerjugend" war.

Die Bezeichnung SS-Junkerschule soll erst ab 1.5.1937 verwendet worden sein, zuvor SS-Führerschule. Ausbilder im Jahr 1937 (ab Juli) war u.a. Franz Augsberger. Franz Augsberger ? Wikipedia

Das nur als Beispiele, bezogen auf 1937. Wahrscheinlich kann man durchaus von einem "Geist von Braunschweig" sprechen, analog Bad Tölz. Zahlreiche SS-Anwärter in Braunschweig legten danach eine "Karriere" hin, Verwicklungen wie bei LeParadis, Tulle und Oradour, und im Osten sind massenhaft zu finden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Guten Morgen Silesia,
Deine Detailkenntnis verblüfft mich immer wieder.
Ich ging immer davon aus, dass Paul Hausser während dieser Zeit noch Leiter der Junkerschule war aber vielleicht bin ich nicht richtig informiert.
Es gibt auch eine Dissertation zum Thema SS-Junkerschule Braunschweig. Die Schule verfügte lange Zeit über keine eigenen Sport- und Reitanlagen und musste diese in der Salzdahlener Str. anmieten.
Die Infrastruktur in Bad Tölz war sicherlich um einiges besser auch was die Nähe zu Gelände, Schießplätze, etc. angeht.

Gruss,
Bernd
 
Goetze war seit 25.5.1936 (Hausser wurde Chef des Führungsamtes im SS-Hauptamt) mit der vorläufigen Führung beauftragt,
Absolon IV, S. 79.

Hausser blieb aber Inspekteur der Schulen von Braunschweig und Bad Tölz, dürfte sich dort also weiter umgeschaut haben. Vielleicht gab es Besuche.
 
Könnte "Neu-Mexiko" nicht auch eine Anspielung auf die Mexikanische Revolution von 1910 bis Ende der 20er Jahre sein? Diese verlief sehr blutig und mündete in einer jahrzehntelangen Einparteienherrschaft der PRI (Partido Revolucionario Institucional, Partei der Institutionalisierten Revolution), damals noch als PNR.

Der "Stahlhelm-Putsch" kann insofern mit der mexikanischen Revolution verglichen werden, als dass SA und Stahlhelm in der Harzburger Front sich zusammen gegen die Weimarer Republik stellten. Nach der "Machtergreifung" war für die SA der Stahlhelm der neue Gegner.
In Mexiko bekriegten beispielsweise Zapata, Villa und Caranza gemeinsam Präsident Huerta. Nach ihrem Sieg über Huerta bekämpfte der neue Präsident Caranza seine alten Weggefährten Zapata und Pancho Villa.
 
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Das glaube ich eher nicht. Wie gesagt Neu-Mexiko oder New Mexico ist ein Bundesstaat der USA. Die rohe Gewalt der Apachen- oder Weidekriege wird hier angesprochen, keine Revolutionsgelüste, wiewohl du Recht hast, dass es in Teilen der NSDAP durchaus "revolutionäre" Gesinnungen gab. In den 30ern kursierte sogar ein Heftchen zur Ergänzung des Schulgeschichtsbuches (welches noch aus Weimarer Zeit stammte) mit dem Titel Die nationalsozialistische Revolution, von Walther Gehl. Nichtsdestotrotz war der Vergleich, obwohl er von Seiten von Parteikameraden kam, durchaus nicht wohlwollend gemeint.
 
@ ElQ

Wenn ich mich richtig erinnere, war ein Grund für die "Ausschaltung" der SA 1934 im sog. Röhm-Putsch, dass Teile der SA (angeblich) eine zweite nationalsozialistische Revolution planten. (Die Revolution frisst ihre Kinder.)
Die mexikanische Revolution liegt zeitlich näher an den Vorgängen in Braunschweig als die Apachenkriege, die im Großen und Ganzen doch gegen 1886 mit der Kapitulation Geronimos ein Ende gefunden haben.
 
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