Warum Reichsgründung "zu spät"?

Lass uns nicht Haare spalten. Deutschland hat eine zentrale Regierung und Frankreich hat eine zentrale Regierung. Deutschland ist ein Bundesstaat, Frankreich nicht. Und das deutsche Reich mit einem Kaiser an der Spitze war auch kein Bundesstaat. Auch die Revolutionäre von 1848 hatten keinen Bundesstaat im Sinn. Dass es auch in zentral regierten und verwalteten Staaten irgend eine Art von regionaler Vertretung gibt, ändert daran nichts.

Nach welchen Kriterien würdest du denn gerne gehen? Ich gehe einfach mal die (Politik)wissenschafltichen Kriterien durch, die einen föderalen Staat ausmachen:

1. Aufteilung der exekutiven und legislativen Gewalt auf Bund und Gliedstaaten

War sowohl 1849 als auch 1871 eindeutig gegeben. Das Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung ist in verschiedenen Artikeln, besonders aber innerhalb des Abschnittes II der Paulskirchenversammlung festgeschrieben.

2.Vertretung der Gliedstaaten in einer Parlamentskammer auf Bundesebene

Ist im Staatenhaus der Paulskirchenverfassung und dem Bundesrat in beiden Verfassungen gegeben, wenn die Kammer auch 1871 überhaupt nicht demokratisch legitimiert war, das ist hier aber nicht gefragt.

3.Zentral-regionale Konfliktlösungsregelungen auf Verhandlungsbasis

Abs. II Art I. legt fest, dass die deutschen Bundesstaaten untereinander Verträge schließen konnten, während Art. 126 (Paulskirchenverfassung) die Funktion des Reichsgerichts als rechtliche Instanz beim Streit zwischen Bundesländern und dem Reich festlegt. In der Verfassung des Kaiserreichs übernahm der Bundesrat als Gremium diese Funktion der Bundesrat.

4.Verfassungsgerichtsbarkeit zur Streitentscheidung in Kompetenz- und Finanzfragen

Auch hier greift § 126 der Paulskirchenverfassung, während § 127 dies sogar der Entscheidung des RGs selbst überlässt. Dies ist das einzige Kritierium, dass im Kaiserreich nicht zu 100% zutrifft, da erst 1877 ein Reichsgericht, mit eingeschränkten Kompetenzen errichtet wurde.
 
Nach welchen Kriterien würdest du denn gerne gehen? Ich gehe einfach mal die (Politik)wissenschafltichen Kriterien durch, die einen föderalen Staat ausmachen:

1. Aufteilung der exekutiven und legislativen Gewalt auf Bund und Gliedstaaten

War sowohl 1849 als auch 1871 eindeutig gegeben. Das Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung ist in verschiedenen Artikeln, besonders aber innerhalb des Abschnittes II der Paulskirchenversammlung festgeschrieben.

2.Vertretung der Gliedstaaten in einer Parlamentskammer auf Bundesebene

Ist im Staatenhaus der Paulskirchenverfassung und dem Bundesrat in beiden Verfassungen gegeben, wenn die Kammer auch 1871 überhaupt nicht demokratisch legitimiert war, das ist hier aber nicht gefragt.

3.Zentral-regionale Konfliktlösungsregelungen auf Verhandlungsbasis

Abs. II Art I. legt fest, dass die deutschen Bundesstaaten untereinander Verträge schließen konnten, während Art. 126 (Paulskirchenverfassung) die Funktion des Reichsgerichts als rechtliche Instanz beim Streit zwischen Bundesländern und dem Reich festlegt. In der Verfassung des Kaiserreichs übernahm der Bundesrat als Gremium diese Funktion der Bundesrat.

4.Verfassungsgerichtsbarkeit zur Streitentscheidung in Kompetenz- und Finanzfragen

Auch hier greift § 126 der Paulskirchenverfassung, während § 127 dies sogar der Entscheidung des RGs selbst überlässt. Dies ist das einzige Kritierium, dass im Kaiserreich nicht zu 100% zutrifft, da erst 1877 ein Reichsgericht, mit eingeschränkten Kompetenzen errichtet wurde.

So wie Du das schilderst, kann man tatsächlich annehmen, dass die "1848er" einen Bundesstaat errichten wollten. Die Verfassung trägt tatsächlich "föderale Züge". Nur waren diese Festlegungen schon deutlich weniger "föderal" als die Verhältnisse im deutschen Bund. Mit der Paulskirchenverfassung sollten in erheblichem Umfang Kompetenzen von den bis dahin souveränen Einzelstaaten auf das "Reich" verlagert werden. An der Stelle muss man sich fragen, ob eine solche Kompetenzverlagerung wirklich notwendig war oder ob man ein "Reich" nicht auch anders hätte schaffen können. Für die "Reichsgründung" wäre - meiner bescheidenen Meinung nach! - im Grunde nur der Abschnitt 4 (Grundrechte des deutschen Volkes) nötig gewesen.

Steckte hinter der Paulskirchenverfassung also der Wunsch nach bundesstaatlichen Regeln? Oder steckte dahinter der Wunsch nach Bildung einer starken Zentralgewalt, der nur durch die Erkenntnis gemäßigt wurde, dass sich die Regionalfürsten mit Klauen und Zähnen gegen eine Verfassung wehren würden, in der sie gar nicht mehr vorgesehen waren?

Die Paulskirchenverfassung lässt deutlich das Streben nach Schaffung einer starken zentralen Gewalt in Person des Kaisers erkennen. Der sollte das Recht haben, die Regierung zu ernennen. Gesetzesbeschlüsse des Reichstags sollten von der Zustimmung der Regierung abhängig sein, das Staatenhaus sollte hinsichtlich des Haushalts nur beratende Funktion haben, Beschlüsse des Reichstags erforderten übereinstimmende Beschlüsse von Staatenhaus und Volkhaus, der Kaiser konnte das Volkshaus auflösen etc... Und vor allem sollte der Kaiser mittels seiner Verantwortung für die "Wahrung des Reichsfriedens" sehr weitreichende Zugriffsrechte in die Staaten hinein haben. Bis hin zur "Anwendung bewaffneter Macht".

Das Reichsgericht hätte ein Korrektiv werden können. Die Verfassung sagt aber nichts darüber, wie dieses Reichsgericht ernannt werden sollte. Das sollte mit einem Reichsgesetz festgelegt werden. Und die Reichsgesetzgebung oblag der Reichsgewalt, in deren Rahmen der Kaiser Initiativrecht und das Recht zu einem aufschiebenden Veto hatte.

Ich behaupte mal zwei Dinge:

Erstens wollten die Revolutionäre die Macht des Adels schwächen und den Einfluss des Bürgertums stärken. Das wollten sie vor allem deshalb, weil die Eifersüchteleien der diversen Adelshäuser grenzüberschreitende Kontakte verhindert und sogar immer wieder blutige Konflikte heraufbeschworen haben. Das war der "innenpolitische" Ansatz.

Zweitens wollten sie eine "Nation" schaffen, die groß und stark genug war, um dem "Erbfeind Frankreich" auf Augenhöhe zu begegnen. Das war der "außenpolitische" Ansatz.

Und das zweite Ziel trägt bereits den Kern der Katastrophe in sich: Man wollte "Großmacht" sein, auch einen "Platz an der Sonne" haben, Deutschland in Konkurrenz zu Nachbarstaaten entwickeln. Deshalb wurde die "Kleinstaaterei" als Hindernis betrachtet.

MfG
 
So wie Du das schilderst, kann man tatsächlich annehmen, dass die "1848er" einen Bundesstaat errichten wollten. Die Verfassung trägt tatsächlich "föderale Züge". Nur waren diese Festlegungen schon deutlich weniger "föderal" als die Verhältnisse im deutschen Bund. Mit der Paulskirchenverfassung sollten in erheblichem Umfang Kompetenzen von den bis dahin souveränen Einzelstaaten auf das "Reich" verlagert werden. An der Stelle muss man sich fragen, ob eine solche Kompetenzverlagerung wirklich notwendig war oder ob man ein "Reich" nicht auch anders hätte schaffen können. Für die "Reichsgründung" wäre - meiner bescheidenen Meinung nach! - im Grunde nur der Abschnitt 4 (Grundrechte des deutschen Volkes) nötig gewesen.

Im Gegenteil. Das wäre weiterhin wie der Deutsche Bund ein Staatenbund (ohne eigene Staatlichkeit, also weniger als die EU heute) gewesen. Ein Reich, also ein gemeinsames Staatsgebilde lässt sich aber nur herstellen, wenn du eine Zentralregierung errichtest.


Steckte hinter der Paulskirchenverfassung also der Wunsch nach bundesstaatlichen Regeln? Oder steckte dahinter der Wunsch nach Bildung einer starken Zentralgewalt, der nur durch die Erkenntnis gemäßigt wurde, dass sich die Regionalfürsten mit Klauen und Zähnen gegen eine Verfassung wehren würden, in der sie gar nicht mehr vorgesehen waren?

Das ist Spekulation. Wir können nicht bewerten, welche Motive im endeffekt hinter der Verfassung standen, wenn wir dafür keine Belege haben. Die Verfassung war nunmal föderal und damit müssen wir arbeiten.


Die Paulskirchenverfassung lässt deutlich das Streben nach Schaffung einer starken zentralen Gewalt in Person des Kaisers erkennen. Der sollte das Recht haben, die Regierung zu ernennen. Gesetzesbeschlüsse des Reichstags sollten von der Zustimmung der Regierung abhängig sein, das Staatenhaus sollte hinsichtlich des Haushalts nur beratende Funktion haben, Beschlüsse des Reichstags erforderten übereinstimmende Beschlüsse von Staatenhaus und Volkhaus, der Kaiser konnte das Volkshaus auflösen etc... Und vor allem sollte der Kaiser mittels seiner Verantwortung für die "Wahrung des Reichsfriedens" sehr weitreichende Zugriffsrechte in die Staaten hinein haben. Bis hin zur "Anwendung bewaffneter Macht".

Nein, dominant war eindeutig das Parlament. Die Stellung des Monarchen war für die Zeit relativ schwach. Der perfekte Bikamerialismus spricht eher für den föderalen und dezentralen Charakter der Verfassung als für die starke Stellung des Monarchen. Die Notstandsmaßnahmen finden sich bis in die heutige Zeit in vielen Verfassungen.


Das Reichsgericht hätte ein Korrektiv werden können. Die Verfassung sagt aber nichts darüber, wie dieses Reichsgericht ernannt werden sollte. Das sollte mit einem Reichsgesetz festgelegt werden. Und die Reichsgesetzgebung oblag der Reichsgewalt, in deren Rahmen der Kaiser Initiativrecht und das Recht zu einem aufschiebenden Veto hatte.

Ein aufschiebendes Veto ist aber ein recht schwaches Mittel. Gleichzeitig ist es nicht die Aufgabe eines Reichsgerichts ein korrektiv zu sein. Das ist Aufgabe des Parlaments.


Erstens wollten die Revolutionäre die Macht des Adels schwächen und den Einfluss des Bürgertums stärken. Das wollten sie vor allem deshalb, weil die Eifersüchteleien der diversen Adelshäuser grenzüberschreitende Kontakte verhindert und sogar immer wieder blutige Konflikte heraufbeschworen haben. Das war der "innenpolitische" Ansatz.

Wenn du Adel als Fürsten der deutschen Kleinstaaten nimmst würde ich dir zustimmen. Die Revolution von 48/49 war nicht umsonst eine bürgerliche.


Zweitens wollten sie eine "Nation" schaffen, die groß und stark genug war, um dem "Erbfeind Frankreich" auf Augenhöhe zu begegnen. Das war der "außenpolitische" Ansatz.

Frankreich als Erbfeind war erst ab 1870 ein Thema. Es gab Ressentiments gegen Frankreich aufgrund der napoleonischen Zeit, aber die waren keine treibende kraft. Im Gegenteil, die Februarrevolution in Frankreich diente ja grade als Vorbild für die Revolution in Deutschland und gleichzeitig orientierte man sich bei den Grundrechten an Frankreich.

Und das zweite Ziel trägt bereits den Kern der Katastrophe in sich: Man wollte "Großmacht" sein, auch einen "Platz an der Sonne" haben, Deutschland in Konkurrenz zu Nachbarstaaten entwickeln. Deshalb wurde die "Kleinstaaterei" als Hindernis betrachtet.

Da verwechselt du endgültig das vorhaben der Revolutionäre mit den Entwicklungen die Deutschland nach 1871 nahm. Fakt ist, dass die Verfassung keineswegs einen solchen Kern hatte.

die Revolutionäre träumten davon aus der "Kulturnation" Deutschland nun endlich auch einen Nationalstaat zu machen. Da schwang natürlich Patriotismus mit, aber auch wirtschaftliche Interessen und die ließen sich im 19. Jahrhundert nunmal am besten mit einer starken Flotte und wegfallenden innerstaatlichen Zollgrenzen durchsetzen. Das Bürgertum wollte darüber hinaus mit der Konstitutionalisierung den eigenen Einfluss festschreiben. Du darfst nicht vergessen, dass die meisten deutschen Länder deutlich undemokratischere Verfassungen, wenn sie überhaupt welche hatten, besaßen. Diese Verfassung war kein Schritt zu einem Zentralstaat, den du hier postulierst sondern der Versuch ein demokratisches Gemeinwesen zu bilden, dass natürlich auf Regelungen und Institutionen basiert.
 
Ich behaupte mal zwei Dinge:

Erstens wollten die Revolutionäre die Macht des Adels schwächen und den Einfluss des Bürgertums stärken. Das wollten sie vor allem deshalb, weil die Eifersüchteleien der diversen Adelshäuser grenzüberschreitende Kontakte verhindert und sogar immer wieder blutige Konflikte heraufbeschworen haben. Das war der "innenpolitische" Ansatz.

Zweitens wollten sie eine "Nation" schaffen, die groß und stark genug war, um dem "Erbfeind Frankreich" auf Augenhöhe zu begegnen. Das war der "außenpolitische" Ansatz.

Und das zweite Ziel trägt bereits den Kern der Katastrophe in sich: Man wollte "Großmacht" sein, auch einen "Platz an der Sonne" haben, Deutschland in Konkurrenz zu Nachbarstaaten entwickeln. Deshalb wurde die "Kleinstaaterei" als Hindernis betrachtet.
Ein sehr interessanter Ansatz! Deckt sich mit meiner Wahrnehmung.

Gehen wir zurück und betrachten das Jahr 1813, namentlich die Völkerschlacht von Leipzig, dann stellen wir fest, dass auf beiden Seiten deutsche Staaten kämpften. Namentlich der sächsischen Bevölkerung ist festzustellen, dass sie ihrem König sehr ergeben waren, auch wenn in der Schlacht Teile der sächsischen Armee zu den Alliierten überliefen.

Die sogenannten Befreiungskriege machen deutlich, dass von deutscher Nation keine Rede sein konnte, auch wenn dies in zeitgenössischer - sicherlich zum Sieg über Napoleon notwendiger - Propaganda von Arndt, Körner und Co. zum tragen kam und dies propagandistisch auch noch später genutzt wurde.

Die Revolutionäre träumten davon aus der "Kulturnation" Deutschland nun endlich auch einen Nationalstaat zu machen. Da schwang natürlich Patriotismus mit, aber auch wirtschaftliche Interessen und die ließen sich im 19. Jahrhundert nunmal am besten mit einer starken Flotte und wegfallenden innerstaatlichen Zollgrenzen durchsetzen. Das Bürgertum wollte darüber hinaus mit der Konstitutionalisierung den eigenen Einfluss festschreiben.
Das trifft es. Wobei ich die wirtschaftlichen Interessen an die erste Stelle setzen würde. Stichworte Industrialisierung, Eisenbahn ... Der deutsche Zollverein war die logische Konsequenz.
Nur was haben Wünsche (Träume) und vor allem wirtschaftliche Interessen des Bürgertums mit einer deutschen Nation zu tun? Sind da nicht eher viele deutsche Staaten zum einem Staat verschmolzen worden, um eine größere - wirtschaftliche und damit auch politische - Macht zu haben? Wo spielten da die Interessen - besser regionale Wurzeln - des normalen Friesen, Schlesiers oder Württemberger eine Rolle? Weil sie deutsch sprachen - auch wenn der eine vom anderen wenig bis gar nichts wusste und ihn teilweise nur mit Mühe verstand?

Ich habe in #18 vom internationalen Gleichgewicht gesprochen. Es ist für mich nicht glaubhaft, darzustellen, dass den Befürwortern eines deutschen Nationalstaates nicht klar war, was dies international bedeutete!

Grüße
excideuil
 
Im Gegenteil. Das wäre weiterhin wie der Deutsche Bund ein Staatenbund (ohne eigene Staatlichkeit, also weniger als die EU heute) gewesen. Ein Reich, also ein gemeinsames Staatsgebilde lässt sich aber nur herstellen, wenn du eine Zentralregierung errichtest.
Korrektur: Ich meinte den sechsten Abschnitt der Paulskirchenverfassung, nicht den vierten. Jedenfalls den, der mit "Grundrechte des deutschen Volkes" überschrieben ist. Dort wird jeder Staat verpflichtet, jeden Bürger jedes anderen Staats als seinen eigenen Bürger zu betrachten und zu behandeln. Dort wird also eine gesamtdeutsche Staatsbürgerschaft konstituiert. Meiner Ansicht nach ist das das zentrale Kriterium einer "eigenen Staatlichkeit" und nicht etwa eine Zentralregierung. Jedenfalls geht es weit über das hinaus, was in der EU vereinbart ist.

Betrachten wir die Bundesrepublik Deutschland: Es ist kein Naturgesetz, dass es einen Bundestag und einen Bundesrat geben muss. Alle Beschlüsse, die der Bundestag fasst, könnte auch der Bundesrat fassen. Oder betrachten wir die EU. Die kommt auch ohne zentrale Regierung aus. Es dauert alles etwas länger, aber es geht.

Das ist Spekulation. Wir können nicht bewerten, welche Motive im endeffekt hinter der Verfassung standen, wenn wir dafür keine Belege haben. Die Verfassung war nunmal föderal und damit müssen wir arbeiten.
Nein, das ist keine Spekulation. Es ist ein FAKT, dass den Ländern Befugnisse weggenommen und in einer neu zu schaffenden Institution (unspezifisch als "Reichsgewalt" bezeichnet) konzentriert werden sollten. Die Paulskirchenverfassung war nur deshalb "föderal", weil sie nicht sämtliche Befungnisse der Länder zentralisieren wollte.

Die Paulskirchenverfassung ist stark inspiriert gewesen von der französischen und der US-amerikanischen Verfassung. Da muss man es schon auffällig finden, dass ein Kaiser zum Staatsoberhaupt gemacht werden sollte. Insbesondere da die Kaiserwürde erblich sein sollte. Franzosen und Amerikaner hatten das anders geregelt. Es gab also Alternativen.

Nein, dominant war eindeutig das Parlament. Die Stellung des Monarchen war für die Zeit relativ schwach. Der perfekte Bikamerialismus spricht eher für den föderalen und dezentralen Charakter der Verfassung als für die starke Stellung des Monarchen.
Der Kaiser sollte die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstag ausüben. Hinzu kamen eigene Rechte, die er unabhängig vom Reichstag hatte, nicht zuletzt das Recht, die Regierung zu ernennen oder Krieg zu erklären und Frieden zu schließen. Ein dominantes Parlament sieht anders aus.

Ein aufschiebendes Veto ist aber ein recht schwaches Mittel. Gleichzeitig ist es nicht die Aufgabe eines Reichsgerichts ein korrektiv zu sein. Das ist Aufgabe des Parlaments.
Entschuldige, aber Du hattest das Reichsgericht als eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit angeführt.

Frankreich als Erbfeind war erst ab 1870 ein Thema. Es gab Ressentiments gegen Frankreich aufgrund der napoleonischen Zeit, aber die waren keine treibende kraft.
Zum Beispiel Josef Rovan sieht das anders. Der schreibt, dass es im Laufe von 500 Jahren 23 Kriege zwischen Frankreich und "Deutschland" gegeben hat. Rechnerisch ist das in jeder Generation einer.

Anders sah das wohl auch Ernst Moritz Arndt, der 1813 dichtete: "Das ist des Deutschen Vaterland, wo Zorn vertilgt den welschen Tand, wo jeder Franzmann heißet Feind, wo jeder Deutsche heißet Freund. Das soll es sein, das soll es sein. Das ganze Deutschland soll es sein!"

Oder lesen wir mal, was Heine so über das deutsch-französische Verhältnis schrieb. Ein Beispiel: "...ich rede von der Partei der sogenannten Vertreter der Nationalität in Deutschland, von jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht und die namentlich gegen Frankreich täglich ihre Galle ausgießen." Die Zeilen stammen aus dem Jahr 1855.

Die Feindschaft bestand und sie ist Jahrhunderte lang mit erheblicher Leidenschaft "gepflegt" worden.

Diese Verfassung war kein Schritt zu einem Zentralstaat, den du hier postulierst sondern der Versuch ein demokratisches Gemeinwesen zu bilden, dass natürlich auf Regelungen und Institutionen basiert.
Zum Thema Volkssouveränität habe ich was geschrieben. Das hat aber mit Föderalismus nichts zu tun. Ein Zentralstaat ist nicht zwingend undemokratisch und ein föderales Staatswesen ist nicht notwendigerweise demokratisch.

MfG
 
Korrektur: Ich meinte den sechsten Abschnitt der Paulskirchenverfassung, nicht den vierten. Jedenfalls den, der mit "Grundrechte des deutschen Volkes" überschrieben ist. Dort wird jeder Staat verpflichtet, jeden Bürger jedes anderen Staats als seinen eigenen Bürger zu betrachten und zu behandeln. Dort wird also eine gesamtdeutsche Staatsbürgerschaft konstituiert. Meiner Ansicht nach ist das das zentrale Kriterium einer "eigenen Staatlichkeit" und nicht etwa eine Zentralregierung. Jedenfalls geht es weit über das hinaus, was in der EU vereinbart ist.

Wir können gerne darüber diskutieren was deiner Meinung nach definiert sein sollte, aber hier bemühe ich erneut die wissenschaftlich anerkannten Kriterien der Staatlichkeit:
1. Staatsvolk
2. Staatsgebiet
3. Staatsvolk
Bei einem Konstrukt, dass du als Bundesstaat sehen willst, wäre drittes nicht gegeben, weil die Staatsgewalt des gemeinsamen Staates nicht gegeben wäre.


Betrachten wir die Bundesrepublik Deutschland: Es ist kein Naturgesetz, dass es einen Bundestag und einen Bundesrat geben muss. Alle Beschlüsse, die der Bundestag fasst, könnte auch der Bundesrat fassen. Oder betrachten wir die EU. Die kommt auch ohne zentrale Regierung aus. Es dauert alles etwas länger, aber es geht.

Die EU hat mit der Kommission, dem Rat der EU und dem Europäischen Rat und dem Parlament gemeinsame Institutionen, die gemeinsam Entscheidungen treffen können. Darüber hinaus fehlen der EU um als Staat anerkannt zu werden im übrigen die Kriterien Staatsvolk und Staatsgebiet.

Nein, das ist keine Spekulation. Es ist ein FAKT, dass den Ländern Befugnisse weggenommen und in einer neu zu schaffenden Institution (unspezifisch als "Reichsgewalt" bezeichnet) konzentriert werden sollten. Die Paulskirchenverfassung war nur deshalb "föderal", weil sie nicht sämtliche Befungnisse der Länder zentralisieren wollte.

Etwas anderes habe ich nie behauptet. Das macht die Paulskirchenverfassung aber längst nicht zu einem antiföderalistischen Machwerk.

Die Paulskirchenverfassung ist stark inspiriert gewesen von der französischen und der US-amerikanischen Verfassung. Da muss man es schon auffällig finden, dass ein Kaiser zum Staatsoberhaupt gemacht werden sollte. Insbesondere da die Kaiserwürde erblich sein sollte. Franzosen und Amerikaner hatten das anders geregelt. Es gab also Alternativen.

Ich habe nie behauptet, dass die Paulskirchenverfassung alternativlos gewesen ist. Das würde ich von einem politischen oder historischen Prozess eh niemals behaupten.

Der Kaiser sollte die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstag ausüben. Hinzu kamen eigene Rechte, die er unabhängig vom Reichstag hatte, nicht zuletzt das Recht, die Regierung zu ernennen oder Krieg zu erklären und Frieden zu schließen. Ein dominantes Parlament sieht anders aus.

Wenn du dir den Kontext des 19. Jahrhunderts ansiehst und damals existierende Verfassungen, wirst du feststellen, dass das durchaus übliche Rechte für einen Monarchen waren. Die Ernennung der Regierung durch den Monarchen entsprach sogar in hohem Maße dem Prinzip der Gewaltenteilung, das später in seiner Reinform aufgegeben wurde.


Zum Beispiel Josef Rovan sieht das anders. Der schreibt, dass es im Laufe von 500 Jahren 23 Kriege zwischen Frankreich und "Deutschland" gegeben hat. Rechnerisch ist das in jeder Generation einer.

Anders sah das wohl auch Ernst Moritz Arndt, der 1813 dichtete: "Das ist des Deutschen Vaterland, wo Zorn vertilgt den welschen Tand, wo jeder Franzmann heißet Feind, wo jeder Deutsche heißet Freund. Das soll es sein, das soll es sein. Das ganze Deutschland soll es sein!"

Oder lesen wir mal, was Heine so über das deutsch-französische Verhältnis schrieb. Ein Beispiel: "...ich rede von der Partei der sogenannten Vertreter der Nationalität in Deutschland, von jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht und die namentlich gegen Frankreich täglich ihre Galle ausgießen." Die Zeilen stammen aus dem Jahr 1855.

Die Feindschaft bestand und sie ist Jahrhunderte lang mit erheblicher Leidenschaft "gepflegt" worden.

1813 war in den Befreiungskriegen - das ist nun nicht wirklich ein eindeutiger Beweis. Heines Zitat zeigt ja eigentlich, dass es verschiedene Strömungen gab, die unterschiedlich zu Frankreich standen. Unter den 23 Kriegen sind wahrscheinlich auch solche wie der 30-Jährige Krieg, der 7-Jährige Krieg und die napoleonischen, bei denen die Fronten oft genug innerhalb von Deutschland verliefen. Das ist kein Beweis für eine Erbfeindschaft. Natürlich gab es Kriege zwischen Deutschland und Frankreich, aber genau die gab es auch zwischen Frankreich und jedem anderen größeren europäischen Staat in der frühen Neuzeit. Brisant wurde diese "Erbfeindschaft" erst mit dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Kampf um Elsaß-Lothringen.

Zum Thema Volkssouveränität habe ich was geschrieben. Das hat aber mit Föderalismus nichts zu tun. Ein Zentralstaat ist nicht zwingend undemokratisch und ein föderales Staatswesen ist nicht notwendigerweise demokratisch.

Habe ich auch nicht behauptet. Ich habe nur angedeutet, dass du Elemente, die der Volkssouveränität dienten als antiföderalistisch umgedeutet hast.
 
Wir können gerne darüber diskutieren was deiner Meinung nach definiert sein sollte, aber hier bemühe ich erneut die wissenschaftlich anerkannten Kriterien der Staatlichkeit:
1. Staatsvolk
2. Staatsgebiet
3. Staatsvolk
Bei einem Konstrukt, dass du als Bundesstaat sehen willst, wäre drittes nicht gegeben, weil die Staatsgewalt des gemeinsamen Staates nicht gegeben wäre.
Zwei Bemerkungen vorweg:

Erstens ist Dein Punkt 1 genau das, was ich unter dem Stichwort Staatsbürgerschaft angesprochen habe.

Zweitens ist Dir bei Punkt 3 ein Fehler unterlaufen. Staatsvolk hattest Du bereits unter 1. erwähnt. Ich vermute, Du meinst etwas wie Machtausübung/Regierung. In diesem Sinne werde ich antworten.

Zum Thema: Dass es sich bei den drei von Dir genannten Kriterien um "die wissenschaftlich anerkannte" Definition von Staatlichkeit handelt, ist eine sehr mutige Behauptung. Tatsächlich handelt es sich um Jellineks "Drei-Elemente-Lehre". Hier geht es um den Staatsbegriff in völkerrechtlichem Sinn. Es gibt daneben jede Menge anderer Definitionen, die ebenso "wissenschaftlich" sind. Soziologische, ethnoligische, philosophische...

Zudem beschreibt Jellinek Kriterien von bestehenden und in sich handlungsfähigen Staaten. Er sagt keineswegs, dass zum Beispiel die Kriterien "Staatsgebiet" und "Staatsgewalt" unerlässlich sind, um eine Gesellschaft als "Nation" ansprechen zu können. Drei Beispiele:

Deutschland: Zwischen 1937 und 1945 gab es dramatische Veränderungen des Staatsgebiets. 1945 hatte es keine Regierung, kein eigenes Staatsgebiet mehr und sogar die Staatsbürgerschaft war zweifelhaft geworden. Eine Nation blieb es trotzdem.

Irland: 900 Jahre lang gab es kein irisches Staatsgebiet, die Regierung war nicht irisch sondern "britisch", die Herrschenden haben sogar die Existenz eines irischen Volkes geleugnet. Trotzdem hörte Irland nie auf zu bestehen.

Afrika: An dem, was sich aus vielen ehemaligen europäischen Kolonien entwickelt hat, sieht man deutlich, wie wenig zwingend Jellineks Definitionen sind. Stichwort "failed States". Da gibt es klar abgegrenzte Staatsgebiete, zentrale Regierungen und formal eindeutig definierte Staatsbürgerschaften - und trotzdem keine Nationen/Staaten.

Warum erzähle ich das? Wir reden über eine Phase der deutschen Geschichte, in der sich eine übergreifende Staatlichkeit erst herausbildete. Letztlich reden wir sogar über die Frage, was anders verlaufen wäre, wenn der Prozess früher oder später abgelaufen wäre. Mit all dem will ich darauf hiinaus, dass es ganz viele verschiedene mögliche Wege gab, eine "deutsche Nation" aufzubauen. Man hat damals den einen Weg beschritten, der nach Deiner auf Jellinek gestützten Definition "alternativlos" ist: "zentrale" Regierung für das ganze Staatsgebiet. Es wäre aber auch anders gegangen.

Denkbar wäre zum Beispiel eine Bundesrepublik Deutschland, die keine Bundesregierung und keinen Bundestag hat. Die Bundesländer könnten durch Verträge verbindlich eine gemeinsame Staatsbürgerschaft herstellen, verbindliche Regeln für jede Art von zwischenstaatlichem Verkehr schaffen, innerhalb ihrer jeweiligen Gebiete alle Regelungen unabhängig und autonom vornehmen und die staatsübergreifenden Fragen im Bundesrat und auf Verwaltungsebene regeln - zum Beispiel in einer Art "Ministerrat", so wie das gegenwärtig in der EU abläuft.

Im Grunde war es das, was die "ursprünglichen Revolutionäre" in Deutschland wollten. Keine (Zoll-)Grenzen mehr zwischen den Staaten, keine willkürlich erzeugten Rivalitäten mehr zwischen den Staaten, Freizügigkeit, gleiche Bürgerrechte in allen Staaten. Dazu musste man die kleinen Fürsten entmachten. Genau das wollten zum Beispiel die Studenten, die einen wichtigen Kern der "revolutionären Bewegung" bildeten. Sie studierten oft an Universitäten in "fremden Staaten" und stellten dann regelmäßig fest, dass die dort lebenden Menschen im Grunde Landsleute waren, dass aber die herrschenden Fürsten die anderen Staaten zum "Ausland" erklärt hatten. Im Extremfall zum "feindlichen Ausland".

Das ursprüngliche revolutionäre Ziel war es, diese Verhältnisse abzuschaffen. Die Umsetzung des Ziels zeigte dann allerdings, dass noch andere Absichten hinzukamen. Sichtbaren Ausdruck fanden diese anderen Absichten in der Einsetzung eines deutschen Kaisers.

Etwas anderes habe ich nie behauptet. Das macht die Paulskirchenverfassung aber längst nicht zu einem antiföderalistischen Machwerk.
Ich habe auch nicht behauptet, dass die Paulskirchenverfassung "antiföderalistisch" sein sollte. Ich habe behauptet, dass es den Verfassungsschöpfern nicht um Föderalismus ging sondern um etwas anderes.

Die Ernennung der Regierung durch den Monarchen entsprach sogar in hohem Maße dem Prinzip der Gewaltenteilung, das später in seiner Reinform aufgegeben wurde.
Ich habe keine Ahnung, wie Du das meinst. Was soll das mit Gewaltenteilung zu tun haben?

1813 war in den Befreiungskriegen - das ist nun nicht wirklich ein eindeutiger Beweis. Heines Zitat zeigt ja eigentlich, dass es verschiedene Strömungen gab, die unterschiedlich zu Frankreich standen.
Heines Zitat zeigt in erster Linie, dass es den Befürwortern der Reichsgründung vor allem um ein Reich ging, das in Konkurrenz zu den Nachbarnationen treten sollte.

Unter den 23 Kriegen sind wahrscheinlich auch solche wie der 30-Jährige Krieg, der 7-Jährige Krieg und die napoleonischen, bei denen die Fronten oft genug innerhalb von Deutschland verliefen. Das ist kein Beweis für eine Erbfeindschaft.
Die Erbfeindschaft ist eigentlich nicht unser Thema. Deshalb nur so viel: Das deutsche Reich ist im Jahr 1871 nach einem gewonnenen Krieg gegen Frankreich gegründet worden. Glaubst Du ernsthaft, dass es ein Zufall war, dass das Reich ausgerechnet in Versailles ausgerufen wurde?

Ich habe nur angedeutet, dass du Elemente, die der Volkssouveränität dienten als antiföderalistisch umgedeutet hast.
Das ist - mit Verlaub - Unsinn. Ich habe behauptet, dass Volkssouveränität eines der Ziele war und dass ein expansiver Nationalismus als zweites Ziel daneben trat und mit der Zeit dominant wurde. Mit dem Ergebnis, dass die Deutschen nicht Bürger wurden sondern Untertanen blieben.

MfG
 
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