Herkunft der Protobulgaren

Die Namen, die Titel, die Sprachreste, die Kultur – alles deutet darauf, dass die Protobulgaren eine einheitliche Ethnie waren – mit einer bestimmten Sprache und einem Staatssystem.
ich hatte die Vorbemerkung einer Dissertation verlinkt, dort wird mit guten Argumenten klargemacht, dass die Protobulgaren wie auch so viele andere völkerwanderungszeitliche und frühmittelalterliche gentes ein polyethnischer Verband waren. Übrigens wird dort (einfach anklicken und die pdf-Datei lesen) der Umstand, dass man protobulgarischerseits die griechische Schrift verwendete, als Indiz für die polyethnische Zusammensetzung betrachtet (man suchte eben eine Art "schriftliche lingua franca", mit der alle was anfangen konnten)
 
ich hatte die Vorbemerkung einer Dissertation verlinkt,
hier speziell die Vorbemerkung/Einführung mit referiertem Forschungsstand
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000003187/1_einleitung.pdf?hosts=

daraus: S.8:
Die Protobulgaren sind damit eines der rätselhaftesten Völker des frühen europäischen Mittelalters. Da die Frage nach ihrer geschichtlichen Entwicklung und der sich daraus ableitenden kulturellen Beziehungen und Einflüssen zu anderen ethnischen Schichten für das nachfolgend behandelte Thema von erstrangiger Bedeutung ist, soll ihr hier näheres Interesse bezeugt werden.
(die Hervorhebung habe ich mir gestattet)
S.17:
Allgemein wird die materielle Kultur des protobulgarischen Ethnos im 6. bis 7. Jh. in den südrussischen Steppen als Saltovo-Majazk-Kultur bezeichnet, die als Symbiose des Kulturaustauschs zwischen der in den Steppen Südrußlands ansässigen Protobulgaren und den iranischsprachigen Alanen, welche mit den Protobulgaren im Süden, im Gebiet des Nordkaukasus angrenzten, zustande kam. Die Alanen stellten einen Stamm der iranischen Sarmaten dar, der den Hunnenattacken standgehalten hatte. Der Kulturaustausch zwischen den Protobulgaren und den sarmatischen Alanen zu dieser Zeit war von erstrangiger Bedeutung für d as Formieren der
protobulgarischen Kunst und Kultur. Der starke Einfluß der sarmatischen Kultur und Kunst, die ihrem Ursprung nach iranisch war, auf die Protobulgaren, ist noch Jahrzehnte lang in den Erzeugnissen der Metallindustrie, der Skulptur und der Architektur nachweisbar.
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/s...derivate_000000003187/1_einleitung.pdf?hosts=
 
Zuletzt bearbeitet:
ich hatte die Vorbemerkung einer Dissertation verlinkt, dort wird mit guten Argumenten klargemacht, dass die Protobulgaren wie auch so viele andere völkerwanderungszeitliche und frühmittelalterliche gentes ein polyethnischer Verband waren. Übrigens wird dort (einfach anklicken und die pdf-Datei lesen) der Umstand, dass man protobulgarischerseits die griechische Schrift verwendete, als Indiz für die polyethnische Zusammensetzung betrachtet (man suchte eben eine Art "schriftliche lingua franca", mit der alle was anfangen konnten)
Die alten Germanen verwendeten die Lateinische Schrift. Bedeutet das, dass sie ein "polyethnischer Verband" waren?
 
Die alten Germanen verwendeten die Lateinische Schrift. Bedeutet das, dass sie ein "polyethnischer Verband" waren?

1.) Die alten Germanen verwendeten keine lateinische Schrift, sondern Runen allerdings nicht für Texte, sondern allenfalls magische Beschwörungen; die ersten germanischen Texte sind eine Bibelübersetzung, für die der Bischof Wulfila ein neues Alphabet schuf; dieses ist ein Mischsystem aus der germanischen Runenschrift und dem griechischen und lateinischen Alphabet:
̈ ̈ , , ̈ . , ̈ . , , ̈ ̈ , . .
Aus dem Wikipedia-Artikel Gotische Sprache in der gotischen Sprache.
????????? - Wikipedia - ?? ????? ?????????????
Soll nur zu Illustration dienen, wie gotische Schrift aussah.

2.) Was ist das Problem an der Aussage, dass die Protobulgaren ein polyethnischer Verband waren? Und ja, die Germanen der Völkerwanderungszeit waren polyethnische Verbände.
 
Die Namen, die Titel, die Sprachreste, die Kultur – alles deutet darauf, dass die Protobulgaren eine einheitliche Ethnie waren – mit einer bestimmten Sprache und einem Staatssystem.

Bekanntlich waren alle Reitervölker, die Steppenreiche gründeten, Stammeskonföderationen. Das gilt für die Reiche der Awaren, der südrussischen Bulgaren, der Hunnen usw. Es gab allerdings jeweils einen Stammeskern, der die Richtung des ethnischen Konglomerats bestimmte und seine Sprache durchsetzte.

Was die turksprachigen Protobulgaren angeht, so hat die Forschung iranische Einflüsse ausgemacht. Falls das zutrifft, kann man sarmatische oder alanische Gruppen innerhalb des südrussischen Großbulgarischen Reichs vermuten. Ob und welche anderen ethnischen Elemente noch vertreten waren, lässt sich heute nicht mehr entscheiden. Man könnte noch an Petschenegen, Oghusen oder Magyaren denken, auch an Reste der Hunnen, doch ist das spekulativ.

Das war eine alte indoeuropaeische Sprache - geneologisch nicht weit entfernt von den alten und heutigen Germanischen Sprachen, aber selbst auch nicht Germanisch.

Es gibt nicht den geringsten Beleg dafür, dass die Protobulgaren eine indoeuropäische Sprache sprachen. Hierzu unsere alte Freundin Wiki:

Aufgrund dieser späten wolgabolgarischen Sprachzeugnisse und eines begrenzten Teils der Sprachzeugnisse der Donaubulgaren wird das Bolgarische dem oghurischen Zweig der Turksprachen zugerechnet, zu dem als einzige heute noch gesprochene Sprache auch das Tschuwaschische gehört.

Inwiefern neben der auf diesem Wege teilweise rekonstruierbaren Sprache bei den Protobulgaren noch andere Sprachformen im Gebrauch waren, und wenn ja welche, lässt sich auf der vorhandenen Quellengrundlage nicht abschließend klären.
Bolgarische Sprache ? Wikipedia

Die englische Wiki-Ausgabe präzisiert das noch ein wenig:

Mainstream scholarship place the Bulgar language among the "Lir" branch of Turkic languages referred to as Oghur-Turkic, Lir-Turkic, or, indeed, "Bulgar Turkic" as opposed to the "Shaz"-type of Common Turkic. The "Lir" branch is characterized by sound correspondences such as Oghuric r versus Common Turkic (or Shaz-Turkic) z and Oghuric l versus Common Turkic (Shaz-Turkic) š. As was stated by Al-Istakhri "the language of Bulgars resembles the language of Khazars".[12] The only surviving language from this linguistic group is the Chuvash.

Bulgar language - Wikipedia, the free encyclopedia

Was der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann dazu sagt, habe ich bereits weiter vorn zitiert:

Protobulgarisch wurde von den turksprachigen Bulgaren gesprochen ... Das Protobulgarische ist inschriftlich nicht überliefert. Es ist aber bekannt aus den zahlreichen Lehnwörtern, die es dem Ungarischen vermittelt hat. Vor ihrer Migration nach Westen in ihr heutiges Siedlungsgebiet waren die Ungarn die unmittelbaren Nachbarn der Protobulgaren in der südrussischen Steppe. Etwa 300 Ausdrücke aus Turksprachen sind ins Ungarische entlehnt worden, die meisten davon aus dem Protobulgarischen. Hierzu gehören u.a. kecske 'Ziege', kút 'Brunnen', balta 'Beil', nyár 'Sommer', béke 'Frieden'.

(Harald Haarmann, Lexikon der untergegangenen Sprachen, München 2002/2004, S. 170 f.)

Wann glaubst du das endlich?
 
Die alten Germanen verwendeten die Lateinische Schrift.
"die alten Germanen" schrieben recht wenig und noch weniger davon ist erhalten - wie sie zunächst schrieben, hat die ElQ recht deutlich gezeigt :winke: und weil dort ElQ dabei die gotische Schrift erwähnt, sei darauf verwiesen, dass H. Wolfram in seinem exzellenten Gotenbuch aufzeigt, dass und in welchem Ausmaß die Goten dito polyethnisch waren :)

Bedeutet das, dass sie ein "polyethnischer Verband" waren?
Diese Gegenfrage bezieht sich wohl auf meinen Beitrag - du hättest unschwer in der verlinkten Dissertation finden können, in welcher Weise die griech. Schrift der Protobulgaren als Indiz für deren poyethnische Struktur gedeutet wird. Das bedeutet noch lange nicht, dass dich das überzeugen muss - aber wenn du, wie hier http://www.geschichtsforum.de/691699-post520.html die steile These vorbringst, dass die Protobulgaren eine geschlossene Ethnie gewesen seien - ganz im Gegensatz zum derzeitigen Konsens in der Forschung! - dann versuche doch bitte, ein paar Argumente für deine These vorzubringen (möglichst überzeugende).

...zuletzt bleibt noch die Frage, welches Interesse dahinter steht, einen polyethnischen Verband als einheitliches "Volk" zu deklarieren...
 
1.) Die alten Germanen verwendeten keine lateinische Schrift, sondern Runen allerdings nicht für Texte, sondern allenfalls magische Beschwörungen; die ersten germanischen Texte sind eine Bibelübersetzung, für die der Bischof Wulfila ein neues Alphabet schuf; dieses ist ein Mischsystem aus der germanischen Runenschrift und dem griechischen und lateinischen Alphabet:

Aus dem Wikipedia-Artikel Gotische Sprache in der gotischen Sprache.
????????? - Wikipedia - ?? ????? ?????????????
Soll nur zu Illustration dienen, wie gotische Schrift aussah.

2.) Was ist das Problem an der Aussage, dass die Protobulgaren ein polyethnischer Verband waren? Und ja, die Germanen der Völkerwanderungszeit waren polyethnische Verbände.

Unter dem Begriff "die alten Germanen" meinte ich auch die Franken und Sachsen, zum Beispiel.

Waren sie nicht Germanische Staemme? Welche Schrift verwendete der Frankische Staat im 7. Jahrhundert? Runen?
Wenn die Franken und Sachsen im 7. Jahrhundert "polyethnische Verbaende" waren, dann bin ich einverstanden - in diesem Sinne waren auch die Protobulgaren im 7. Jahrhundert ein polyethnischer Verband.
 
Unter dem Begriff "die alten Germanen" meinte ich auch die Franken und Sachsen, zum Beispiel.

Polyethnische Verbände sind typisch für nomadische Reitervölker in Steppengebieten. Das trifft auf Franken, Sachsen oder andere germanische Völker nicht zu.

Anders sieht das allerdings bei den germanischen Stämmen der Völkerwanderung aus. Das waren durchaus polyethnische Verbände, bei denen es allerdings einen Stammes- und Traditionskern gab. Der bestimmte bei den germanischen Reichen der Völkerwanderung die Sprache und nach einer gewissen Zeit auch die ethnische Identität.

... in diesem Sinne waren auch die Protobulgaren im 7. Jahrhundert ein polyethnischer Verband.

So muss man das sehen! :winke:
 
Wenn die Franken und Sachsen im 7. Jahrhundert "polyethnische Verbaende" waren, dann bin ich einverstanden - in diesem Sinne waren auch die Protobulgaren im 7. Jahrhundert ein polyethnischer Verband.

Die Logik verstehe ich nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Was soll denn "in diesem Sinne" bedeuten? Eine besondere Definition von polyethnisch?
 
Die Logik verstehe ich nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Was soll denn "in diesem Sinne" bedeuten? Eine besondere Definition von polyethnisch?
vielleicht ist in dieser Logik nicht der Stammesschwarm enthalten, aus welchem sich peu a peu die merowingischen Franken entwickelt hatten :rofl::rofl:...ich gebe offen zu, dass ich das so verstanden hatte: "die Protobulgaren sind genaus polyethnisch wie die Franken (und insgeheim: ätschi-bätschi, die Franken sind ja gar nicht polyethnisch)" - aber vielleicht täusche ich mich da auch
 
dass ich das so verstanden hatte: "die Protobulgaren sind genaus polyethnisch wie die Franken (und insgeheim: ätschi-bätschi, die Franken sind ja gar nicht polyethnisch)" - aber vielleicht täusche ich mich da auch

Immerhin ist es anerkennenswert, dass sich Kiprian zu der Einsicht durchgerungen hat, die Protobulgaren als polyethnischen Verband zu betrachten.

Das lässt hoffen! ;)
 
Polyethnische Verbände sind typisch für nomadische Reitervölker in Steppengebieten. Das trifft auf Franken, Sachsen oder andere germanische Völker nicht zu.

Anders sieht das allerdings bei den germanischen Stämmen der Völkerwanderung aus. Das waren durchaus polyethnische Verbände.....
Wir sprechen hier ueber die Sprache, mein Herr.

Welche Sprache benutzten die Sachsen im 7. Jahrhundert als einen Germanischen Stamm aus der Zeit der Voelkerwanderung und als einen polyethnischen Verband?

Vielleich, Polyethnisch?
Wie war auf Polyethnisch "Guten Tag"?
 
Vielleich, Polyethnisch?
Wie war auf Polyethnisch "Guten Tag"?

Du willst uns absichtlich missverstehen?

Das Großbulgarische Reich wurde von einer Stammeskonföderation getragen, die verschiedene Ethnien vereinigte.

Es gab allerdings einen Stammeskern, der von den Protobulgaren repräsentiert wurde. Dieser Stammeskern sprach eine Turksprache.

Also lässt sich vermuten (!) dass zusammen mit den turksprachigen Protobulgaren noch iranische oder petschenegische oder oghusische Gruppen an die Donau wanderten. Dominant waren dabei allerdings die Bulgaren, die auch ihre bolgarische Turksprache durchsetzten.
 
Was der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann dazu sagt, habe ich bereits weiter vorn zitiert
es kann nicht schaden, ein weiteres Haarmann-Zitat anzufügen:
Das Wolgabulgarische gehört zum Kreis der ausgestorbenen Turksprachen Europas. Sprecher dieser Sprache lebten seit etwa 700 n. Chr. an der mittleren Wolga, wo sie ein Reich mit der Hauptstadt Bulgar gründeten. Die türkischen Bulgaren (Protobulgaren) hatten sich schon früher staatlich organisiert, und zwar im Gebiet des Azovschen Meers. Dorthin hatte sich die hunnische Restbevölkerung im 5. Jh. zurückgezogen. Zusammen mit bulgarischen Stammesverbänden schufen sie das erste Bulgarische Reich, das unter Khan Kuvrat im 7. Jh. seine Blüte erlebte. Das Reich der Bulgaren wurde 679 von den Chasaren zerstört, die ihre Machtsphäre nördlich des Kaukasus erweiterten. Ein Teil der Bulgaren migrierte nach Westen und gründete im Gebiet des heutigen Bulgarien einen neuen Staat. Andere bulgarische Stammesverbände zogen nach Norden bis zum großen Wolgabogen. Die Bulgaren, die dort sesshaft wurden, nennt man Wolgabulgaren. Auch dort konnten sich die Bulgaren dem Einfluss der Chasaren nicht endgültig entziehen. Das Reich an der Wolga war jahrhundertelang den Machthabern des Südens tributpflichtig. Die Situation änderte sich erst, nachdem Svjatoslav von Kiev die Zentren des Chasarenkhanats (Sarkel 965, Itil 969) erobert und damit dessen Macht gebrochen hatte
aus http://wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Wolgabulgarisch.pdf
 
Du willst uns absichtlich missverstehen?

Das Großbulgarische Reich wurde von einer Stammeskonföderation getragen, die verschiedene Ethnien vereinigte.

Es gab allerdings einen Stammeskern, der von den Protobulgaren repräsentiert wurde. Dieser Stammeskern sprach eine Turksprache.

Also lässt sich vermuten (!) dass zusammen mit den turksprachigen Protobulgaren noch iranische oder petschenegische oder oghusische Gruppen an die Donau wanderten. Dominant waren dabei allerdings die Bulgaren, die auch ihre bolgarische Turksprache durchsetzten.
Sprachwissenschaftliche Beweise? Irgendwelche?
Die Meinung von Herrn Haarmann oder Dieter ist kein Beweis. Nicht wahr?

Kannst Du ein eniziges Protobulgarisches Wort aus den Steininschriften (Anfang des 9. Jahrhunderts) sprachwissenschaftlich analysieren?
 
Kannst Du ein eniziges Protobulgarisches Wort aus den Steininschriften (Anfang des 9. Jahrhunderts) sprachwissenschaftlich analysieren?

Kannst Du dazu kurz einen Überblick über die vorhandenen Steininschriften geben, insbesondere zur Sprachverteilung der Inschriften und zur regionalen Verteilung der Fundstellen?
 
Sprachwissenschaftliche Beweise? Irgendwelche?
Die Meinung von Herrn Haarmann oder Dieter ist kein Beweis. Nicht wahr?

Richtig.

Der Herr Haarmann weiß noch nicht einmal, dass es protobulgarische Inschriften gibt.


Was der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann dazu sagt, habe ich bereits weiter vorn zitiert:

...
Das Protobulgarische ist inschriftlich nicht überliefert.
...
(Harald Haarmann, Lexikon der untergegangenen Sprachen, München 2002/2004, S. 170 f.)


Frage an Kiprian: Wie deutest Du z. B. diese Inschrift?

http://www.kroraina.com/bulgar/deny_preslav_inscription.jpg
 
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