Die Schlacht an den pontes longi.

Wenn wir davon ausgehen, daß sich die Varusschlacht über mehrere Tage und zig Kilometer hingezogen hat, dann gibt es nicht _den_ Ort der Schlacht, sondern ganz viele Orte, an denen Teile der Varusschlacht stattgefunden haben. Von _einem_ dieser Orte marschiert Caecina los. Kurze Zeit später kann er sich dann an einem Ort befinden, der _auch_ zur Varusschlacht zu rechnen ist.

Aber: Tacitus zufolge macht sich Caecina vermutlich nicht direkt vom Begräbnisort auf den Rückweg. Vorher verfolgen die Römer noch Arminius und liefern sich ein kleines Scharmützel mit ihm.

Ob er das sicher erwähnt hätte? Ob er das überhaupt gewußt hätte? Der dem Sumpf entsteigende Varus ist ja schon eine sehr starke Anspielung auf dessen Niederlage.
 
Wenn er auf dem Rückweg ins Winterlager (Rhein) war, dann müssen wir davon ausgehen, das er in westliche Richtung gegangen ist. Das wird wohl nicht mit (einem) der Varusschlachtfelder identisch gewesen sein.
 
Wo sind die pontes longi zu suchen?

Ich knüpfe mal an diesen Thread an. Es ist zwar nicht die Aufgabe derer, die die Interpretation Kalkrieses als pontes longi ablehnen dafür zwingend eine Alternative anbieten zu müssen, ein schlichtes "wir wissen es einfach nicht" reicht, trotzdem ist es vielleicht ganz reizvoll zu überlegen, wo die pontes longi gelegen haben könnten.

- Wir wissen, dass Caecina das Gebiet zwischen Ems und Lippe von den Brukterern säubern und sich dann mit Germanicus an der Ems treffen sollte.
(Tac. ann. I, 60)
- Dann verwüstet man gemeinsam das Gebiet zwischen Ems und Lippe, erobert den Adler der 19. Legion zurück und begibt sich zum in einer diffusen Nähe liegenden Varusschlachtfeld, (Tac. ann. I, 60)
- man bestattet die auffindbaren Überreste (Tac. ann. I, 62)
- man verfolgt Arminius, der sich in der Nähe aufhält, kehrt dann aber irgendwann um (Tac. ann. I, 63)
Hier scheiden sich nun die Geister. Handelt es sich um einen chronologischen Aufbau, dass Germanicus die Armee zur Ems führt, um die Legionen einzuschiffen? Oder trennt man sich nach dem Reiterscharmützel (Tac. ann. I, 63) mit Arminius sofort, das Risiko geteilter Kräfte auf sich nehmend, wo Arminius noch in der Nähe ist? Ich kann an die risikoreiche Aufteilung der Truppen, östlich der Ems nicht glauben.
Außerdem müsste die Dopplung exercitu legiones erklärt werden.
mox reducto ad Amisiam exercitu legiones classe, ut ad vexerat, reportat;
Ich habe diesen Satz vor einigen Tagen etwas anders übersetzt, als ich das jetzt tue. Ich mache darauf aufmerksam, dass mir niemand vorhält, ich würde das situationsabhängig machen. Der Grund für die andere ÜS war, dass ich vor einigen Tagen mein Augenmerk auf die Verbalfunktionen gelegt habe und das hier diskutierte Problem übersehen habe.
Ich werde den Satz nun farblich aufteilen, wie er meiner Meinung nach zu lesen ist:
mox reducto ad Amisiam exercitu legiones classe, ut ad vexerat, reportat;
Dann, das Heer (Ablativ) an die Ems zurückgeführt, bringt er die Legionen (Akkusativ) mit der Flotte (Ablativ), wie er es herbeigeführt hatte, zurück.
Das Heer zurück an die Ems, bringt er die Legionen mit der Flotte zurück. Diese Dopplung Heer-Legionen ergibt nur dann einen Sinn, wenn man die Gesamtpassage chronologisch liest. Dort also, an der Ems, teilt er erst das Heer und gibt den Reitern und Caecina die jeweiligen Befehle.
Die pontes longi können also nur südlich oder westlich der Ems zu suchen zu sein.
Da die Ems in historischen Zeiten nur bis Greven schiffbar war, ist Greven der südlichste Punkt des anzunehmendes Treffens und Auseinandergehens von Germanicus und Caecina. Als nördlichen Punkt nehme ich mal Lingen. Probleme mit den Gezeiten werden erst im darauffolgenden Jahr erwähnt.
Da die Römer nach dem Treffen an der Ems, wie oben geschildert, erst einmal das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe heimsuchten, ist zudem wahrscheinlich, dass der Treffpunkt an einer Furt relativ weit südlich stattfand. Das kann Greven gewesen sein oder Rheine oder ein anderer Ort.

Das Problem ist nun, dass bisher an der Ems keine Römerlager nachgewiesen wurden (auch Bentumersiel ist kein Römerlager nach derzeitigen Forschungsstand). Es muss aber mindestens das Lager der Truppen gegeben haben, die zwar nicht erwähnt werden, die aber zur Bewachung der Schiffe abgestellt waren.

Wenn man nun, zwischen Lingen und Greven den Landesplatz des Germanicus annimmt und Vetera/Xanten als Ziel des Caecina annimmt, wo Agrippina den Abbruch der Rheinbrücke verhinderte, dann müssen die fraglichen Orte für die Schlacht an den pontes longi in dem Gebiet zwischen Lingen und Greven und Xanten liegen.

Da pontes longi ähnlich wie die Varusschlacht in einem Gebiet stattfinden, wo Erhebungen und Sümpfe aufeinanderstoßen, können da, wenn ich nichts übersehe, nur relativ wenige Orte für die Lokalisierung der pontes longi in Frage kommen:

:rechts: Die hohe Mark
:rechts: Die Baumberge
:rechts: Der Bentheimer Höhenrücken
:rechts: Die Lingener Höhe

Die hohe Mark aber liegt sehr nah an Haltern, dem möglichen Aliso. Die würden also eher ausscheiden (auch wenn man die Belagerung Alisos durch die Germanen im darauffolgenden Jahr zu Gunsten der hohen Mark herauskehren wollte).
Die Lingener Höhe liegt sehr weit nördlich.
Daher wären meine Favoriten für die pontes longi im Bereich der Baumberge oder des Bentheimer Höhenrückens. Die Baumberge sprächen für einenen Landeplatz näher bei Greven, der Bentheimer Höhenrücken näher bei Rheine.
Römische Funde, gar welche die auf ein Schlachtgeschehen hindeuten, sind mir allerdings nicht bekannt. (In Bad Bentheim gibt es einen Drususfelsen, aber das würde ich nicht als irgendeinen Beleg für irgendetwas sehen wollen...)
 
Da ich nicht so viel Zeit habe, ganz kurz zu 2 Aspekten:

Ist nicht ein paar Kilometer nordöstlich von Kalkriese bei Hunteburg ein Knüppeldamm gefunden worden, der sich dendrochronologisch in das richtige Jahr datieren lässt, wie bei Wikipedia beschrieben?

Ich sehe den Gegensatz zwischen dem Heer und den Soldaten des Caecina. Aber dazu gibt es auch einen Aspekt der Sachkritik: Germanicus konnte das Heer nicht länger zusammenhalten, musste es auf getrennten Wegen marschieren lassen. Bei Bedarf werde ich das auch noch vorrechnen. Geschätzte 80.000 Mann liegen jedenfalls klar jenseits dessen, was man an einem Tag auf einer Straße verlegen kann. Es zieht sich doch auch durch die Germanicusfeldzüge, dass meist 2 'Truppenverbände' unabhängig voneinander operieren und nur für kurze Zeit zusammengezogen werden. Caecina befehligte ja nicht nur einige Soldaten, sondern ein ganzes Heer.
 
Ja, ein Knüppeldamm nebst als germanische Holzwaffen eingestufte Keulen.
Caecina befehligte bei den pontes longi vier Legionen.
 
Hier noch ein Literaturhinweis:

Schlüter, Wolfgang; Wiegels, Rainer: Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese. Osnabrück 1999.

  • Carnap-Bornheim, Claus von: Archäologisch-historische Überlegungen zum Fundplatz Kalkrieser-Niewedder Senke in den Jahren zwischen 9 n. Chr. und 15 n. Chr. S. 495 - 508.
  • Pieper, Peter: Die taciteischen Annalen und die Holzfunde vom Bohlenweg XXV (Pr) zwischen Damme und Hunteburg. S. 509 - 526 (die Bilder der Holzwaffen und die Karte vom Verlauf des Bohlenweges findet man auf einer frz. Reenacter-Website mit Zusammenfassung (auf frz.) des Beitrags von Pieper).

Da ich das Buch nicht mehr vorliegen habe, muss ich mich auf die französische Zusammenfassung des Pieper-Textes verlassen, der von der C14-Methode spricht, wonach der Bohlweg auf den Zeitraum zwischen 50 v. Chr. und 15 n. Chr. datiert wurde.
" Cependant, à sa grande surprise les analyses au carbone 14 , complétées par des études dendrochronologiques, datèrent ces morceaux entre 50 av JC et 15 ap JC. Et la date de 15 ap JC, c’est exactement la date qui vu s’opposer les troupes de Germanicus contre les troupes d’Arminius et de son oncle Inguiomerus dans la même zone géographique."

Wenn man also das Mittel der C14-Datierung nähme, dann müsste man den Bohlweg auf etwa 18 v. Chr. datieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem ist doch, das es in der Gegend mehrere Knüppeldämme etc gegeben haben kann. Dann liefen die Römer ja auf "Straßen", die auch später genutzt wurden. Deshalb könnten die "Pontes longi" überbaut/untergegangen gegangen sein
 
Pontes longi ist ja auch Plural. Die Anlage oder Ausbesserung derselben durch die Römer wird mehrfach erwähnt.
 
Ich hätte jetzt mal ein paar simple Fragen:

1.
Kann man wirklich von der Gegend um Greven als endgültigen Punkt der Schiffbarkeit der Ems ausgehen?

2.
Muß man eigentlich zwangsläufig davon ausgehen, daß Germanicus die vier Legionen auch die Ems hinauf per Schiff transportiert hat? Oder anders: Vieleicht ist die römische Flotte an der Emsmündung angelandet und ist dann zu Fuß weiter? Oder muß man dies vollkommen ausschliessen?
 
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- man verfolgt Arminius, der sich in der Nähe aufhält, kehrt dann aber irgendwann um (Tac. ann. I, 63)
Hier scheiden sich nun die Geister. Handelt es sich um einen chronologischen Aufbau, dass Germanicus die Armee zur Ems führt, um die Legionen einzuschiffen? Oder trennt man sich nach dem Reiterscharmützel (Tac. ann. I, 63) mit Arminius sofort, das Risiko geteilter Kräfte auf sich nehmend, wo Arminius noch in der Nähe ist? Ich kann an die risikoreiche Aufteilung der Truppen, östlich der Ems nicht glauben.
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Dazu nur mal ein Gedanke: Mir scheint so etwas möglich. Vor dem Hintergrund der Varus-Katastrophe zog man mit einem gewaltigen Aufgebot los, nach den ersten Gefechten, in denen sich der Gegner obendrein zurückzog, konnte man die Kräfteverhältnisse besser einschätzen.
Dass es wohl zu Kampfhandlungen kommen würde war ihnen ja ohnehin vorher klar, die gefühlte Bedrohungslage konnte sich durch den Feindkontakt also durchaus verbessern.
 
4 Legionen dürften übrigens mit 4 Legionen plus Hilfstruppen zu lesen sein, wie ich bezüglich der Legionen des Varus im Kalkriese-Thread schon einmal sagte. Daher rühren auch die oft angeführten 80.000 Mann für die Stärkeschätzung des Germanicus. Aber auch, wenn man nur von den Legionen ausgeht, sind 20 bis 24.000 Legionäre schon ein Heer. Allerdings hätte Germanicus 40.000 Mann wohl noch entlang eines Weges verlegt bekommen. Damit ich nicht zum Vorrechnen aufgefordert werde und Zeit bei mir knapp ist, verweise ich auf die Rechnungen in Clausewitz, Vom Kriege.

Ich hatte in Post 28 vergessen zu erwähnen, dass Caecina anscheinend die Aufgabe hatte, die Pontes Longi auszubessern, nicht erst zu erbauen.
 
Im folgenden Jahr hat er sie an der Emsmündung ausgeladen, was dann zu einem Kataströphchen führte. Also für die betroffenen Truppen war es natürlich ein katastrophales Ereignis, aber es hatte offenbar wenig Einfluss auf den Feldzug und die Moral der Truppen, deshalb diese Verniedlichung.
Dem Text zufolge muss man davon ausgehen, dass Caecina und Germanicus sich an der Ems trafen und zwar an dem Ort, wohin Germanicus mit den Schiffen gefahren war. Diesen muss man so weit als möglich Emsaufwärts suchen, da man danach ja noch gemeinsam das Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstete.

et ne bellum mole una ingrueret Caecinam cum quadraginta cohortibus Romanis distrahendo hosti per Bructeros ad flumen Amisiam mittit, equitem Pedo praefectus finibus Frisiorum ducit. ipse inpositas navibus quattuor legiones per lacus vexit; simulque pedes eques classis apud praedictum amnem convenere.

und es kamen gleichzeitig (simul) Fußsoldaten (pedes = Caecina), Reiter (eques = Pedo) und die Flotte (classis = Germaniucs) am voherbestimmten Fluss zusammen.

Dann richtet man sich nach Südosten:

Amisiam et Lupiam amnis inter vastatum

Besucht schließlich das in der diffusen Nähe liegende Schlachtfeld, verfolgt Arminius und kehrt zurück, nach Vetera, wobei die Marschsäulen aufgeteilt werden.

mox reducto ad Amisiam exercitu legiones classe, ut ad vexerat, reportat; pars equitum litore Oceani petere Rhenum iussa; Caecina, qui suum militem ducebat, monitus, quamquam notis itineribus regrederetur, pontes longos quam maturrime superare.

Was die Schiffbarkeit der Ems angeht, so kannte ich bis heute nur Karten, die anzeigten Greven sei bis nach Greven schiffbar gewesen, heute habe ich eine gefunden, die weniger genau ist. Hier liegt die Schiffbarkeit der Ems irgendwo zwischen Greven und Telgte, was ich rausgeschmissen habe. Die Karte ist aber ungenau, so liegen z.B. einige Orte an der Ems auf der falschen Seite, Entfernungen entbehren jeglicher Realität.
Vorsicht, die Karte ist geostet, Norden ist also rechts.
navigabilis bis Telgte.jpg
Monasteriensis Episcopatus, aus dem Theatrum Orbis Terrarum, 1645

Die Karte die ich meine, zehn Jahre älter, genordet, finde ich online leider nicht. Ich liefere sie aber nach.
 
Ich hatte in Post 28 vergessen zu erwähnen, dass Caecina anscheinend die Aufgabe hatte, die Pontes Longi auszubessern, nicht erst zu erbauen.

Richtig. Erbaut wurden die pontes longi lt . Tacitus von L. Domitius. Dies muß um Christi Geburt geschehen sein. Caecina fand diesen Knüppeldamm zumindest tw. in einem bedauernswerten Zustand vor und mußte diesen instandsetzen und sich gleichzeitig der germanischen Angriffe erwähnen.
(vergl. Tacitus ann. I 63, 3-5).
 
Da pontes longi ähnlich wie die Varusschlacht in einem Gebiet stattfinden, wo Erhebungen und Sümpfe aufeinanderstoßen, können da, wenn ich nichts übersehe, nur relativ wenige Orte für die Lokalisierung der pontes longi in Frage kommen
Von den vorgeschlagenen Örtlichkeiten erscheinen mir die Baumberge am plausibelsten.

Wenn ich Tacitus richtig interpretiere, sollte bzw. wollte Caecina auf einer gut bekannten Route zurückmarschieren - kein Wunder am Ende einer langen Sommerkampagne, zumal mit dem noch immer nicht entscheidend geschlagenen Feind im Nacken. Insbesondere die pontes longi wollte Caecina möglichst rasch hinter sich bringen, woraus ich schließen würde, jenseits dieser Etappe wäre die Gefahr eines Angriffs durch Arminius entscheidend geringer. An den pontes longi angekommen, sieht Caecina all diese Befürchtungen bestätigt - Arminius ist schon da...

Welche Verkehrswege die Römer im Barbaricum nutzten, wurde in verschiedenen Threads schon diskutiert. Von zentraler Bedeutung waren sicherlich die Flußsysteme, im fraglichen Gebiet das der Ems und der Lippe. Auf den Flüssen selbst ließ sich effizient Nachschub transportieren oder wie in Germanicus' Fall auch schon mal eine ganze Armee. Entlang der Flüsse ist die Frischwasserversorgung für einen Heerzug sichergestellt. Entlang der Flüsse läßt sich in der Regel auch recht gut und zügig marschieren, da das Wasser sich entweder für's Fließen günstige Topographie sucht oder selbige schafft im Laufe der Zeit. Entlang der Flüsse verläuft man sich außerdem nicht, auch ohne GPS, Landkarte oder einheimischen Führer.

Wenn man nicht ortskundig ist im fraglichen Gebiet, sind herkömmliche moderne Landkarten gern etwas unübersichtlich. Ich hab' mir die Region deshalb mal nur mit Höhenlinien und Gewässern angesehen, kann dazu aber leider keinen Screenshot hochladen, weil die Kartendaten urheberrechtlich geschützt sind und der Rechteinhaber selbst bei Verbreitung relativ kleinräumiger Reproduktionen keinen Spaß versteht. Allerdings gibt's auf dieser Website eine zwar etwas geringer aufgelöste, trotzdem immer noch sehr taugliche Online-Karte gleichen Inhalts auf Basis frei verfügbarer OSM-Daten, die die Orientierung erleichtern könnte. Das sind natürlich die heutigen Gewässerverläufe. Und über die Beschaffenheit der Umgegend kann man nur mutmaßen, wo da also Knüppeldämme angelegt werden müßten zur Überbrückung morastiger Moorflächen. Insofern alles womöglich sogar eher irreführend denn hilfreich.

Langer Rede kurzer Sinn: Wenn erstens Caecina von der Ems irgendwo bei Greven schnellstens nach Xanten ziehen will und zweitens Haltern gleich Aliso, dann würde ich nach Blick auf meine Karte ihn auf einer Route nach Süden über Münster entlang der Aa erwarten, weiter hinüber zur Stever und dann entweder deren Lauf folgend bis eben Haltern oder gleich über Dülmen abkürzen. Die Stever entspringt am Fuß der Baumberge, wenn ich das richtig sehe. Deshalb wäre das mein Favorit aus Deiner Kandidatenliste.
 
Dazu nur mal ein Gedanke: Mir scheint so etwas möglich. Vor dem Hintergrund der Varus-Katastrophe zog man mit einem gewaltigen Aufgebot los, nach den ersten Gefechten, in denen sich der Gegner obendrein zurückzog, konnte man die Kräfteverhältnisse besser einschätzen.

Ich halte diesen Rückzug für strategisch bedingt. Bei Tacitus, immer unter der Voraussetzung, dass wir seiner Darstellung trauen können, wird ja geschildert, dass Arminius Tuchfühlung mit den Römern hielt und sich zurückzog, dann scheint es einen Hinterhalt gegeben zu haben, aus dem die Reiterei wohl nur durch die Hilfe weiterer Kohorten wieder entrinnen konnte.

Sed Germanicus cedentem in avia Arminium secutus - Aber Germanicus, dem in die Ödnis zurückweichenden Arminius folgend
ubi primum copia fuit - wo die erste Gelegenheit sich bot [fuit = gewesen ist]
evehi* equites campumque quem hostes insiderat - den Reitern das Feld, welches die Feinde besetzt hatten
eripi iubet - befiehlt er zu entreißen

*Ich kann mit evehi ('emporheben') nicht soviel anfangen, in der gängigen ÜS von Sontheimer wird vorzustürmen gesetzt. Sontheimer ist hier wohl recht zu geben.

Arminius colligi suos et propinquare silvis monitos vertit repente - Arminius dreht sich die Seinen sammelnd und sich dem Wald annähernd (bezieht sich monitos auf 'die Seinen'? Soll das heißen, dass er sie zuvor zur Disziplin ermahnt hat?) plötzlich um
mox signum prorumpendi dedit iis - dann gab er jenen das Signal, hervorzubrechen
quos per saltus occultaverat - welche durch den Wald verborgen gewesen waren.

Also zum Schein fliehen diejenige, die das Feld besetzt hatten, vor dem Ansturm der Reiterei, um dann plötzlich umzukehren während gleichzeitig weitere Truppen aus dem Wald (von den Seiten?!) hervorbrechen, deren Anwesenheit von den Römern zuvor nicht erkannt worden war. Die Araber nannten so etwas Jahrhunderte später karr wa farr, eine Scheinflucht. Custer und Lil' Big Horn tauchen da vor meinem Auge auf. ;)

Etc. pp. Jedenfalls gelang es Germanicus offenbar nach Schwierigkeiten, die Ordnung wiederherzustellen und eine Niederlage zu vermeiden.
 
Im Thread Römische Straßen am Niederrhein wird auf J. Schneider, "Die alten Heer- und Handelswege der Germanen, Römer und Franken im deutschen Reiche" verwiesen. Auf S. 5 wird erwähnt, dass bei Mooren häufig ein parallel verlaufender Bohlenweg zu bemerken ist. Nimmt man diese Angabe ernst, ergibt sich eine weitere Möglichkeit für die Bewegungen des Germanicus-Heeres.

Ein zusätzlicher Weg wird nicht nur dort, wo dies besonders schwierig war, angelegt worden sein. Somit kann diese Erscheinung - wenn sie heutiger Forschung standhält - erklären, wie Germanicus 80.000 Mann zusammenhalten konnte.

Damit wird dann auch die Vermutung, bei den Funden von Kalkriese könne es sich um die Überreste der Schlacht an den Pontes Longi handeln, unwahrscheinlicher. Für unmöglich möchte ich dies aber auch nicht erklären, schließlich habe ich auch nicht mit solchem doppelten Wegebau gerechnet.

Dazu ist seit 1882 viel Tinte geflossen worden. Die Verortung erfolgte aufgrund konkreter Überreste: Spuren befestigter Wege, von Wachposten und Marschlagern mögen heute anders erklärt werden, erhaltene Bohlen, wenn sie denn die Zeit seit dem Fund überstanden haben heute anders datiert werden.
Ich habe auf meine Liste gesetzt dies nachzuschlagen, sobald ich Zeit finde, doch die Liste ist lang. ;)

Auch auf die Beurteilung des Fundortes von Kalkriese hätte dies Einfluss. Solange Varus (oder wer auch immer) an den Frieden glaubte, hätte es z.B. die Logistik vereinfacht, einen Teil des Heeres über den zweiten Weg zu verlegen. Das könnte auch die Hinweise auf die Gleichzeitigkeit von Berg und Sumpf in der Überlieferung erklären. Aber die Voraussetzung ist ja alles andere als sicher...

EDIT: Ein Teil der von Schneider genannten Wege erreichen übrigens bei Greven die Ems.
 
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Da kommt mir ein Gedanke: Was, wenn die Varusschlacht, der Überfall des Arminius auf Germanicus und die Schlacht auf den Pontes Longi auf - übertrieben - engstem Raum stattfanden und Tacitus, um keinen Schatten auf Germanicus fallen zu lassen, die beiden letzteren durch den Bericht über den Rückweg geschickt trennt. Dann hätte Caecina nicht nur seine "milites", sondern das ganze Heer des Germanicus gerettet. Das würde schon eher die Triumphalinsignien für Caecina erklären, als ein knappes Entkommen.

Diese Spekulation mag als unwahrscheinlich betrachtet werden, zeigt aber, wieviel Spielraum Tacitus, der zwar ohne Zorn und Bemühen berichten will, aber gleichzeitig Germanicus gegenüber Tiberius hervorheben will, uns hier gibt:

"Caecina, qui suum militem ducebat, monitus, quamquam notis itineribus regrederetur, pontes longos quam maturrime superare." wäre ein eigenständiger Satz, davor ein Absatz. Der Satz stände dann in Bezug zum vorhergehenden Absatzbeginn "Sed Germanicus...". Die Kundigen hätten es so verstanden, die Unkundigen interpretieren es falsch. Es wäre ja nicht die einzige Stelle, an der uns Tacitus Sand in die Augen streut.
 
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*Ich kann mit evehi ('emporheben') nicht soviel anfangen, in der gängigen ÜS von Sontheimer wird vorzustürmen gesetzt. Sontheimer ist hier wohl recht zu geben.

Kann man evehi nicht auch mit 'vorwärts führen' übersetzen? In der Sache kein großer Unterschied, aber es wird im Gegensatz zu 'vorstürmen' eher ein bedachtes Vorgehen angedeutet.

(Ich will jetzt nicht übertreiben, indem ich auf die von Caecina geführten 'milites' als Gegensatz hinweise.)
 
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Das würde schon eher die Triumphalinsignien für Caecina erklären, als ein knappes Entkommen.
Bei Tacitus, Annales, 1,72, steht nur, dass Aulus Caecina, Lucius Apronius und Gaius Silius ihre Triumphalinsignien für ihre Taten mit Germanicus bekamen; nichts Näheres. Sie müssen in Caecinas Fall also nicht explizit für die Rettung gedacht gewesen sein, sondern können sich auch auf die Gesamtheit seiner Verdienste unter Germanicus bezogen haben.
Von Apronius wird eigentlich keine so wirklich spektakuläre Leistung berichtet, außer dass er Straßen und Brücken anlegte (1,56), und bei Silius wird überhaupt nicht berichtet, was er eigentlich geleistet hat. Somit müssen die Triumphalinsignien auch bei Caecina gar nicht für irgendeine herausragende Einzelleistung gedacht gewesen sein.
 
Ja, stimmt.
Die nicht so eindeutige Überlieferung bei 1, 63 bleibt aber.
 
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