Ich habe mir nochmals die Beiträge hier und im parallel laufenden Chemnitz-Thema durchgelesen.
Es ist erstaunlich, dass die Diskussion (so nehme ich das jedenfalls wahr) von folgendem Dreisatz beherrscht wird, der sich auch in der öffentlichen Diskussion wiederfindet:
- die allierten Luftkriegs-Direktriven setzten die "Moral" bzw. den Widerstandswillen als primäres Ziel der Strategischen Bombardierungen
- das wurde offensichtlich nicht erreicht
-> daraus ergibt sich die Bewertung der Bomberoffensive
als Fehlschlag.
Ich möchte dazu nochmals auf die für die allierte Seite als Grenzübertritt zu wertenden britische Operationsanweisung vom 14.2.1942 zurückkommen (die deutsche Seite lag hier früher). Dort wird "morale" erwähnt, aber nicht nur: der materielle Kern der Anweisung ist der Übergang zur "
Flächenbombardierung". Die Klarstellung setzt dann die "aiming points" (=Zielmarken" für OBOE und H2S-Systeme) mitten in die Städte. Das wird nochmals präzisiert nach Casablanca:
"The progressive destruction and dislocation of the German military, industrial and economic systems
and the undermining of the morale of the German people to a point where their capacity for armed resistance is fatally weakened. Every opportunity to be taken to attack Germany by day to destroy objectives that are unsuitable for night attack, to sustain continuous pressure on German morale, to impose heavy losses on German day fighter force and to conserve German fighter force for the Russian and Mediterranean theatres of war"
Area bombing directive - Wikipedia, the free encyclopedia
"Morale" ist hier ein Baustein des Niederdrückens der militärisch-industriellen Kapazitäten des Kriegsgegners, neben den substantiellen Zerstörungen. Deswegen greift mE jeder Schluß, der sich an der Tatsache des Widerstandswillens bis 5nach12 orientiert, zu kurz. Zu den substantiellen Einwirkungen nochmals Daten:
- der USSBS (Schadensreport) weist anhand der deutschen Industriedaten und der unmittelbaren Nachkriegsanalyse eine Schadenswirkung je nach Industriesektor zwischen 5 und 25% der Jahreskapazitäten 1943/44 nach.
- einen Einblick in die "Soll-Ist-Abweichung" der deutschen Rüstungsfertigung gibt das strategische Schwerpunktziel (lt. Casablanca-Konferenz) Jäger-Produktion nach Budraß, Flugzeugindustrie und Luftrüstung, S. 868): Bereits zwischen Sept. und Dez. 1943 lagen die Istabweichungen mit 23-51,4% unter Soll bei den Typen Bf109 und FW190. Zwischen Februar und Juni 1944 lag die Abweichung zwischen 24 und 38%, um dann im Juli 1944 aufgrund der "Ablenkung" des Luftkriegs auf die französische Invasionsfront sogar wieder
plus 1,6% zu betragen. Dabei handelt es sich nicht nur im direkte Folgen von Luftangriffen auf Städte der Luftrüstung, sondern auch um derivative Wirkungen der Zerrüttung und Störungen in der Lieferkette, von optischen Geräten bis zu Motoren etc. Diese massiven Störungen lassen sich in beliebiger Kette für weitere Beispiele finden, so für U-Boot-Produktion und Panzerfertigung, ganz abgesehen von direkten Ressourcenbindungen im Luftkrieg.
Die Fokussierung des Bombenkriegs auf eine Beurteilung des Widerstandswillens greift daher mE nicht nur wegen der Frage der Beurteilung, sondern aufgrund der primären, nachweisbaren Auswirkungen zu kurz.