Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Ich habe immer noch Probleme mit der Methodik der Evolutionsbiologen.
Eine Weltkarte, basierend auf nur 112 Einzeldaten, davon etwa zwei aus Sardinien, keine aus z.B. Ägypten - wo liegt die Aussagekraft?
 
Von den Theorien der Matriarchatsforscherinen wie Marija Gimbutas und den deutschen Wolfsfrauen um Heide Göttner-Abendroth halte ich nichts. Siehe auch die Kritik der ehemaligen Matriarchatsforscherin Martina Schäfer - taz.de...

Martina Schäfer ist alles andere als ein Garant für Objektivität, also solltest du dir ihr ´Urteil´ über angeblich rassistische Matriarchatsforscherinnen nicht unbesehen zu eigen machen. Carola Meier-Seethaler z.B. wird von ihr als Propagandistin weiblicher Überlegenheit über den Mann verkauft. Wie passt das mit einer Passage von Meier-Seethaler wie dieser zusammen?

Jedenfalls ist der Versuchung zu widerstehen, der patriarchalen
Ideologie eine neue Form von Ideologie entgegenzustellen, in der
matrizentrische Religions- und Lebensformen idealisiert und –
ausgesprochen oder unausgesprochen – das Weibliche als solches
höher als das Männliche bewertet wird. Dabei bliebe auf der
Strecke, was für die Emanzipation beider Geschlechter aus ihren
Rollenzwängen grundlegend ist: die Rücknahme der patriarchalen
Polarisierung der Geschlechter und der einseitigen Wesenszuschreibungen
an sie.


(Jenseits von Gott
und Göttin, 18)

Auch Marija Gimbutas hat niemals den Matriarchatsbegriff wissenschaftlich verwendet (was ihr von Gegnern aber immer wieder angedichtet wird) und die Idee eines historischen Matriarchats (im Sinne von Frauenherrschaft) niemals vertreten. Stattdessen sprach sie von "nicht-patriarchalischen" oder "matristischen" Systemen im Sinne von Matrilinearität und Matrifokalität. Eine frühgeschichtliche hierarchische Überordnung der Frau über den Mann war nie Teil ihrer Theorie. Das gleiche gilt für Göttner-Abendroth, die zwar den Matriarchatsbegriff gebraucht, ihn aber neu deutet als "am Anfang die Mütter". Eine historische Phase weiblicher Herrschaft ist auch für diese Autorin kein Thema, jedenfalls betont sie das in ihren Publikationen öfters und hat verleumderische Attacken ihrer früheren Anhängerin Schäfer (z.B. dass Göttner-Abendroth "Menschenopfer glorifiziert") entschieden zurückgewiesen.

Ein Blick auf Martina Schäfers Background (engagiertes Mitglied und Sektenbeauftragte der "Schweizerischen Evangelischen Kirche") wirft natürlich die Frage nach den Motiven für Schäfers unsachliche Polemik auf, die vielleicht weniger wissenschaftlicher als weltanschaulicher Natur sind.
 
Ohne mich jetzt groß im Forum umzusehen, möchte ich meine Meinung über die Herkunft der indogermanischen Sprachen mitteilen. Ich hoffe ich habe nicht nur Sachen wiederholt, die im Forum schon diskutiert wurden. Sollte es doch so sein, bitte ich um Verzeihung.

Die Folgerungen dieser Untersuchungen sind nicht ganz unbestritten. So sind z.B. die Sprachwissenschaftler Theo Vennemann und Harald Haarmann der Meinung, dass zahlreiche Berg- und Gewässernamen nicht- bzw. vorindoeuropäischen Ursprungs sind.

"Der deutsche Linguist Theo Vennemann vermutet, dass die Gewässernamen nicht indoeuropäisch seien, sondern aus Sprachen stammten, die mit einer baskischen Sprachgruppe verwandt wären (Vaskonische Hypothese).[4] Auch diese Hypothese findet Anlass zu weiteren Diskussionen." Alteuropäische Hydronymie ? Wikipedia

Das würde dann bedeuten, dass indoeuropäische Sprachträger nicht autochthone Mitteleuropäer waren, sondern zugewandert sind.

Was genetische Mutationen mit der Ausbreitung der Indoeuropäer zu tun haben, will mir nicht ganz einleuchten.

Auf jeden Fall gibt es in Europa gute Hinweise auf eine nichtindoeuropäische Bevölkerung, die zeitweise noch in antiker Zeit existent war. So z.B. die altmediterrane Bevölkerungsschicht der Etrusker, Ligurer, Paläosarden, Sikaner, Iberer, Minoer, Hattier, vielleicht auch die legendären Pelasger in Altgriechenland. Nicht zuletzt sind hier die Basken zu nennen, die ebenfalls als Rest einer vorindoeuropäischen Bevölkerung zu deuten sind, die nach Meinung von Theo Vennemann einst einen erheblich größeren Siedlungsraum besetzt hatte.

Ob die Schnurkeramik die Leitkultur einer neuen Einwanderungsgruppe in Form der Indoeuropäer ist, ist sehr umstritten. Auf jeden Fall gibt es einen kulturellen Bruch, der u.a. sehr gut an der Grabkultur sichtbar wird. Die Kollektivbegräbnisse in Form der Megalithbauten verschwinden mit Einbruch der Schnurkeramik fast schlagartig und weichen einer Einzelgrabkultur, deren Menschen ihre Toten einzeln unter Grabhügeln bestatten. Ob das nun mit dem Einbruch neuer indoeuropäischer Bevölkerungsgruppen zu erklären ist, ist strittig.

Marija Gimbutas war keine Matriarchatsforscherin, sondern in erster Linie eine hochdekorierte Archäologin, Prähistorikerin und Anthropologin, die jahrzehntelang Ausgrabungsprojekte in Griechenland, Jugoslawien und Italien leitete. Obwohl sie eine matrilineare Tendenz neolithischer Gesellschaften in Europa postuliert, ist sie dennoch keine Matriarchatsforscherin und weit entfernt vom unwissenschaftlichen Hintergrund einer Heide Goettner-Abendroth.

Allerdings vertritt nicht nur die verstorbene Marija Gimbutas die Kurgan-Theorie, nach der indoeuropäische Gruppen aus Südrussland nach Europa migrierten, sondern auch andere Archäologen und Sprachwissenschaftler. So z.B. in neuerer Zeit der US-Amerikaner David Anthony mit folgenden in der Forschung beachteten Publikationen:

- David Anthony: The Kurgan culture. Indo-european origins and the domestication of the horse, a reconsideration. in. Current Anthropology. University of Chicago, Chicago Illinois, 27.1986, S. 291–313. ISSN 0011-3204

- David Anthony, Dorcas Brown: The origins of horseback riding. in: Antiquity. Oxford University Press, Oxford 65.1991

- David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton 2007

Ferner der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann in:

Die Indoeuropäer - Herkunft, Sprachen, Kulturen. C.H. Beck Wissen, Band 2706, München 2010
 
Wobei Vennemanns Hypothesen zu zentraleuropäischen Toponymen von Indogermanisten, Semitisten und Baskologen mehrheitlich abgelehnt werden.
 
Schon richtig. Aber es ist ja eben so, dass Vennemann für's Baskische und für's Semitische, also für die waskonische und die atlantische Hypothese die fachlichen Kompetenzen fehlen.

Kritik an Vennemann seitens der Indogermanistik: Viele der Orte, die er als vorindoeuropäisch klassifiziert, weil er Parallelen aus dem Semitischen oder dem Baskischen zieht, lassen sich ganz zwanglos indoeuropäisch erklären.

Kritik an Vennemann seitens der Baskologie: Vennemann legt seinen angeblich waskonischen Toponymen das aktuelle baskische Lexikon zugrunde, ignoriert die interne Entwicklung des baskischen und dass dieselben Toponyme bzw. onomastischen Morpheme im belegt baskischen Sprachraum so gut wie gar nicht auftauchen.

Kritik an Vennemann seitens der Semitistik: Vennemanns atlantidische Hypothese setzt eine Entlehnung in Zeiten vor der Trennung von semitischen und hamitischen Sprachen voraus. Gleichzeitig verwendet er verschiedene semitische und hamitische Lexika parallel, um Worte/Toponyme mal aus dem Hebräischen mal aus dem Akkadischen, mal aus einer hamitischen Sprache zu erklären. Und zwar nach dem jeweiligen Sprachstand, nicht nach dem hypothetischen Sprachstand zum Zeitpunkt der Entlehnung.
 
Allerdings vertritt nicht nur die verstorbene Marija Gimbutas die Kurgan-Theorie, nach der indoeuropäische Gruppen aus Südrussland nach Europa migrierten, sondern auch andere Archäologen und Sprachwissenschaftler. So z.B. in neuerer Zeit der US-Amerikaner David Anthony mit folgenden in der Forschung beachteten Publikationen:
...
- David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton 2007

Zitierst Du hier Haarmann, der wiederum Anthony zitiert?

Die Migration spielt bei Anthony eine marginale Rolle, er geht vielmehr von vernachlässigen Wanderungsbewegungen aus, und beschreibt einen Ideentransport und - plakativ - ein "Franchise-System" mit Übernahme in Generationen, in denen sich die "genetic footprints" der Ideenlieferanten bereits verflüchtigt haben

„It is not likely that the initial spread of the Proto-Indo-European dialects into regions outside the Pontic-Caspian steppes was caused primarily by an organized invasion or a series of military conquests. As I suggested in chapter 14, the initial spread of Proto-Indo-European dialects probably was more like a franchising operation than an invasion. At least a few steppe chiefs must have moved into each new region, and their initial arrival might well have been accompanied by cattle raiding and violence. But equally important to their ultimate success were the advantages they enjoyed in institutions (patron-client systems and guest-host agreements that incorporated outsiders as individuals with rights and protections) and perhaps in the public performances associated with Indo-European rituals. Their social system was maintained by myths, rituals, and institutions that were adopted by others, along with the poetic language that conveyed their prayers to the gods and ancestors. Long after the genetic imprint of the original immigrant chiefs faded away, the system of alliances, obligations, myths, and rituals that they introduced was still being passed on from generation to generation. Ultimately the last remnant of this inheritance is the expanding echo of a once-shared language that survives as the Indo-European language family."

Bezieht sich Haarmann hier auf Anthony?
 
Die Migration spielt bei Anthony eine marginale Rolle, er geht vielmehr von vernachlässigen Wanderungsbewegungen aus,

Ein zentraler Einwand der Migrationsgegner lautet, dass die Expansion großer Bevölkerungsgruppen angesichts der dünnen Besiedlung Südrusslands nicht vorstellbar ist. Diesen Einwand haben Befürworter wie Anthony aufgenommen und das Konzept der Marija Gimbutas modifiziert. Statt großer "Menschenhorden" muss man sich danach ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Sprachträger in mehreren Wellen vorstellen, die keineswgs flächendeckend waren. Nachdem Indoeuropäer in einigen Gebieten ihre Sprache und Teile ihrer Kultur durchgesetzt hatten, wurden auch andere ethnische Gruppen "indoeuropäisiert". Man könnte also von einer sekundären Indoeuropäisierung sprechen.

So breitete sich ein indoeuropäischer Formenkreis großräumig aus, ohne dass indessen überall ethnisch originäre Indoeuropäer am Werk waren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kern des Konzeptes von Gimbutas war die "Invasionstheorie".

Hierzu Anthony:
"During the 1980s Gimbutas’s scenario of massive “Kurgan-culture” invasions into eastern and central Europe was largely discredited, notably by the German archaeologist A. Häusler."

[Zitat nach David W. Anthony. „The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders From the Eurasian Steppes Shaped the Modern World.]

Das wird von Anthony nicht modifiziert, sondern verworfen. Eingedampft und übrig blieb lediglich der auch von anderen als Gimbutas vermutete "Ausgangsort". Das mag ja Haarmann umbiegen zu: "modifizieren".

Ist das also ein sekundäres Anthony-Zitat von Haarmann?
 
Das wird von Anthony nicht modifiziert, sondern verworfen. Eingedampft und übrig blieb lediglich der auch von anderen als Gimbutas vermutete "Ausgangsort". Das mag ja Haarmann umbiegen zu: "modifizieren".

Du sagst mit anderen Worten dasselbe, wie ich oben. Von einer Masseneinwanderung gleich einer Hunneninvasion ist man längst abgekommen. Vielmehr wird ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Sprachträger angenommen, wobei als Ausgangspunkt wie auch bei der Gimbutas oder Haarnann die Steppenzone Südrusslands vermutet wird. Sprachen und Kultur wurden im Rahmen eines Transfers weitergegeben, wobei indoeuropäisierte Gruppen Stationen waren.
 
Einerseits schreibt Anthony in "The Horse, the Wheel, and Language", S. 369-370:

(alle Hervorhebungen in diesem Beitrag von mir)

There was no Indo-European invasion of Europe. The spread of the Usatovo dialect up the Dniester valley, if it happened as I have suggested, was quite different from the Yamnaya migration into the Danube valley. But even that migration was not a coordinated military invasion (was Gimbutas aber nie behauptet hat, siehe ganz unten). Instead, a succession of Pontic steppe tribal segments fissioned from their home clans and moved toward what they perceived as places with good pastures and opportunities for acquiring clients. The migrating Yamnaya chiefs then organized islands of authority and used their ritual and political institutions to establish control over the lands they appropriated for their herds, which required granting legal status to the local populations nearby, under patron-client contracts.

Andererseits finden sich, siehe unten, viele Passagen, welche den ausgesprochen kriegerischen Aspekt der Usatovo-Kultur im Zusammenhang mit Migration und Landnahme betonen. Meine Frage: Ist das wirklich eine "Eindampfung" der Gimbutas´schen These (die allerdings nicht so krass ist wie oft angenommen, siehe ganz unten), oder versucht Anthony nur (Gimbutas´ Ansatz lediglich euphemistisch modifizierend), die kriegerische Natur der Einwanderungen herunterzuspielen durch Formulierungen wie "opportunities acquiring clients" und "organized islands of authority"?

S.271

The Usatovo culture was led by a warrior aristocracy centered on the lower Dniester estuary that probably regarded Tripolye agricultural townspeople as tribute-paying clients, and that might have begun to engage in sea trade along the coast.

S. 342 (es geht um die Reiterkrieger der "Pontic-Caspian steppe societies" (S. 341):

Second, they could advance to and retreat from raids faster than pedestrian warriors. Riders could show up unexpectedly, dismount and attack people in their fields, run back to their horses and get away quickly. The decline in the economic importance of cultivation across Europe after 3300 BCE occurred in a social setting of increased levels of warfare almost everywhere. Riding probably added to the general increase in insecurity, making riding more necessary, and expanding the market for horses.

S. 343

All these factors taken together suggest that the spread of Proto-Indo-European probably (sic!!) was more like a franchising operation than an invasion. Although the initial penetration of a new region (or "market" in the franchising metaphor) often involved an actual migration from the steppes and military confrontations, once it began to reproduce new patron-client agreements (franchises) its connection to the original steppe immigrants became genetically remote, (...)


S. 344

It is fairly clear from the archaeological evidence that the steppe aspect of the integrated culture had separate origins and stood in a position of military dominance over the upland farmers, a situation that would have encouraged the spread of the steppe language into the uplands.


S. 355

Patrons and Clients: Graves of the Warrior Chiefs at Usatovo

S. 364

(...) and the Proto-Indo-European initiation ritual that sent all young men out raiding.

The institution of the Mannerbunde or korios, the warrior brotherhood of young men bound by oath to one another and to their ancestors during a ritually mandated raid, has been reconstructed as a central part of Proto- Indo-European initiation rituals.


Von einer Masseneinwanderung gleich einer Hunneninvasion ist man längst abgekommen.

Zu Gimbutas angeblicher Massen-Invasions-Theorie:

(von Joan Marler, frühere enge Mitarbeiterin von Gimbutas)

Belili: The Myth of Universal Patriarchy: A Critical Response to Cynthia Eller's Myth of Matriarchal Prehistory

The peoples from north of the Black Sea (Proto-Indo-European speakers whom Gimbutas named Kurgans) who began entering Europe after 4400 BC lived in small bands and, Gimbutas writes, "their encroachment on Old Europe cannot be thought of as an organized, massive invasion of the type we know from historical times."
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Frage: Ist das wirklich eine "Eindampfung" der Gimbutas´schen These (die allerdings nicht so krass ist wie oft angenommen, siehe ganz unten), oder versucht Anthony nur (Gimbutas´ Ansatz lediglich euphemistisch modifizierend), die kriegerische Natur der Einwanderungen herunterzuspielen durch Formulierungen wie "opportunities acquiring clients" und "organized islands of authority"?

Ich habe die Vermutung, als wollte Anthony zunächst dem Eindruck entgegentreten, Horden von Indoeuropäern seien in einer Masseninvasion über Europa hergefallen. Marija Gimbutas hat diese Vorstellung anscheinend zuweilen erweckt, wodurch ihre Indoeuropäer-Hypothese bei einigen Wissenschaftlern diskreditiert wurde.

Anthony hat das ein wenig modifiziert. Er geht wie auch die Gimbutas von einem südrussischen Ursprungsraum aus, vermutet aber ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Gruppen nicht allzu großen Ausmaßes. Er scheint eher einem Elitetransfer das Wort zu reden, d.h. einige Clan- oder "Kriegsherren" gewannen die Oberhand aufgrund besserer Bewaffnung und einer durch das Pferd bedingten größeren Mobilität. Von da aus entwickelte sich nach Anthony ein Kulturtransfer, d.h. ursprünglich nichtindoeuropäische Stämme wurden indoeuropäisiert und gaben indoeuropäische Sprachen und Kulturen weiter.

So entstand ein indoeuropäischer Formenkreis, ohne dass indes überall "Ur-Indoeurpäer" involviert waren.
 
Genetiker um David Reich gehen von einer (Massen-) Migration indoeuropäischer Sprachträger, die sie mit der archäologischen Kultur der Schnurkeramiker identifizieren, nach Mitteleuropa aus.

Title: Ancient DNA points to the Eurasian steppe as a proximate source for Indo-European migrations into Europe
...
Western and Eastern Europe collided ~4,500 years ago with the appearance of the Corded Ware people in Central Europe, who derived at least two thirds of their ancestry from an eastern population closely related to the Yamnaya. The evidence for mass migration into Europe thousands of years after the arrival of agriculture, in combination with linguistic and archaeological data, makes a compelling case for the steppe as a proximate source for the spread of Indo-European languages into Europe.
Fachbereich Geowissenschaften der Eberhard Karls Universität Tübingen

Die dazugehörige Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift dürfte spannend werden. Einige Veröffentlichungen genetischer Untersuchungen in diese Richtung wurden in diesem Thread bereits verlinkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Genetiker um David Reich gehen von einer (Massen-) Migration indoeuropäischer Sprachträger, die sie mit der archäologischen Kultur der Schnurkeramiker identifizieren, nach Mitteleuropa aus.

Allerdings liest man immer wieder, dass die Archäologie keine Anhltspunkte für eine derartige Masseneinwanderung hat. Das ist auch stets ein zentrales Argument derjenigen Wissenschaftler, die eine Einwanderung von Indoeuropäern nach Europa verneinen und eine Autochthonen-Hypothese vertreten. Vor allem: Woher sollen solche Menschenmassen einige Jahrtausende vor der Zeitenwende aus südrussischen Steppen kommen?

Auf jeden Fall ist das ein interessanter Link und ein bemerkenswertes Forschungsergebnis.
 
Zuletzt bearbeitet:
Er geht wie auch die Gimbutas von einem südrussischen Ursprungsraum aus, vermutet aber ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Gruppen nicht allzu großen Ausmaßes. Er scheint eher einem Elitetransfer das Wort zu reden, d.h. einige Clan- oder "Kriegsherren" gewannen die Oberhand aufgrund besserer Bewaffnung und einer durch das Pferd bedingten größeren Mobilität. Von da aus entwickelte sich nach Anthony ein Kulturtransfer, d.h. ursprünglich nichtindoeuropäische Stämme wurden indoeuropäisiert und gaben indoeuropäische Sprachen und Kulturen weiter.
Kann das wirklich so gewesen sein?

Ist es nicht vielmehr so, dass nur große fremde Kontingente (siehe z.B. Bayern) die autochthone Bevölkerung majorisieren, sprich in sich aufnahmen und auch sprachlich zum Verschwinden brachten, während kleine Gruppen, selbst wenn sie die neue Elite darstellten, sich mit der autochthonen Bevölkerung vermischten und deren Sprache übernahmen (z.B. Normannen in England und in Sizilien)?

Muss man nicht zwischen Kulturtransfer und Sprachtransfer unterscheiden? Ich meine, Normanen haben schon Einiges an Kultur mitgebracht, das hinterher lange Bestand hatte, aber deren Sprache hat sich im Meer der autochthonen verloren, dies nicht zuletzt wegen Frauen, die auch unter fremden Herrschaft in der Regel sehr lange noch die eigene Sprache sprechen und damit bewahren. Es gibt ja nicht umsonst den Begriff: Muttersprache.
 
Ist es nicht vielmehr so, dass nur große fremde Kontingente (siehe z.B. Bayern) die autochthone Bevölkerung majorisieren, sprich in sich aufnahmen und auch sprachlich zum Verschwinden brachten, während kleine Gruppen, selbst wenn sie die neue Elite darstellten, sich mit der autochthonen Bevölkerung vermischten und deren Sprache übernahmen (z.B. Normannen in England und in Sizilien)?

Das Mengenverhältnis zweier Sprechergruppen zueinander kann zwar hilfreich sein, muss es aber nicht. Es ist vielmehr das Prestige, welches eine Sprache hat. So gelang es beispielsweise den Sprechern einer Region aus Mittelitalien dem ganzen westlichen Mittelmeerraum, ihre Sprache aufzudrücken und ein paar Beduinen gelang es, ganz Nordafrika und Spanien, sowie Malta und Sizilien etc. und bis weit ins alte Persien hinein dem Vorderen Orient ihre Sprache aufzudrücken.


Muss man nicht zwischen Kulturtransfer und Sprachtransfer unterscheiden?
Sprachtransfer ist eine Form des Kulturtransfers. Gewissermaßen eine Teilmenge davon.

Ich meine, Normanen haben schon Einiges an Kultur mitgebracht, das hinterher lange Bestand hatte, aber deren Sprache hat sich im Meer der autochthonen verloren, dies nicht zuletzt wegen Frauen, die auch unter fremden Herrschaft in der Regel sehr lange noch die eigene Sprache sprechen und damit bewahren.
Das Problem lag wohl anderweitig: Es war die Oberschicht, die jahrhundertelang Normannisch sprach, dies aber an die Mehrheitsbevölkerung nicht weitergab. Das mag auch an einem lebendigen normannisch-angelsächsischen Gegensatz gelegen haben. Wer im römischen Reich Latein oder Griechisch lernte, konnte ab einem gewissen Zeitpunkt partizipieren. Wer im islamischen Herrschaftsgebiet Arabisch lernte bzw. Arabisch lernen musste, wenn er zum Islam übertrat, der konnte gesellschaftlich partizipieren. Deshalb war es attraktiv Latein, Griechisch oder Arabisch zu können. Das war beim Normannischen in dieser Form offenbar nicht der Fall. Der Hunderjährige Krieg mag ein Übriges getan haben, um eine angelsächsisch-englische Identität herauszubilden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Woher sollen solche Menschenmassen einige Jahrtausende vor der Zeitenwende aus südrussischen Steppen kommen?

Menschenmasse ist hier sicher relativ zu sehen bezogen auf die Bevölkerungsdichte am Ende des Neolithikums. Interessant ist, dass der oben besprochene David W. Anthony lediglich von einem Kultur- und Spracheinfluss von Yamnaya auf Schnurkeramik (oder bereits TBK) in einer Kontaktzone am oberen Dnjestr spricht. Die genetischen Daten scheinen auf mehr zu deuten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Antwort Teil 1
Bzgl. Vennemann gibt es etwas Neues und so erspare ich mir mal das Ausgraben von alten Sachen.
Ein Buch mit kritischen Beiträgen zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa von Fachleuten in Indogermanistik, Onomastik, Baskologie und Semitistik - hier zwei schöne Rezension. Besonders die von Stefan Georg ist schon eine bessere Zusammenfassung.
"Abgesehen von der Leichtigkeit, mit der Vennemanns Thesen ganz offensichtlich zu kippen waren und sind, ist dieser Band ein Modell für den Umgang mit "paralinguistischen" Denk­ansätzen. Rez. stimmt dem Herausgeber uneingeschränkt zu, dass er nötig war, oder, anders gesagt, dass Schweigen nicht der richtige Umgang mit solchen (und ähnlichen) brachialen Versuchen, "Paradigmawechsel" herbeizuführen, sein kann. Allzu schnell gelangen sie in die "Wissenschaftspresse" und erlangen eine Aufmerksamkeit, die der Disziplin insgesamt nicht geringen Schaden zufügt."
Stefan Georg: [Rezension zu]: Jürgen Udolph (Hg.), Europa Vasconica – Europa Semitica? Kritische Beiträge zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa, Hamburg 2013, in: Onomastik-Blog [26.11.2014], URL: Deutsche Gesellschaft fr Namenforschung e.V. |Europa Vasconica - Europa Semitica 2

"Wie Vennemann selbst betont hat, ist er kein Fachmann für die in Frage stehenden Sprachfamilien (vgl. Zitate im hier besprochenen Band S. 154). Eben fachliche Unkenntnis (damit ist das fachliche Unkenntnis von Vennemann gemeint*) ist es nun, die alle in diesem Band vertretenen Spezialisten zu einem ablehnenden Urteil gegenüber Vennemanns Hypothesen führt; Vergleiche werden in den Bereich von "ad hoc sound similarities" (194) und "klingklanglichen Assoziationen" (155) verwiesen."
Dagmar S. Wodtko: [Rezension zu] Jürgen Udolph (Hg.), Europa Vasconica – Europa Semitica? Kritische Beiträge zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa, Hamburg 2013, in: Onomastik-Blog [18.02.2014], URL: http://www.onomastikblog.de/ni_rezensionen/europa vasconica/

*eingefügt von mir

Anfügen will ich nur einen Satz von Wolfgang P. Schmid aus Akademie Journal 2/2001: "Selbst die theoretisch denkbare Existenz eines nicht-indogermanischen Substrats in Zentraleuropa wird immer wieder behauptet, konnte aber bis heute nicht bewiesen werden.

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Nur ganz kurz zum Einwandern von Indogermanen aus Russland. Sollte wirklich welche eingewandert sein, wofür ich keine Hinweise sehe, die Yamnaya-Kultur ist nie bis Zentraleuropa gekommen, dann stammen diese von aus Europa ausgewanderten Menschen ab. Dazu später mehr.
Selbst Colin Renfrew musste eingestehen, dass die Durchsetzung einer Sprache von einer Minderheit gegen eine Mehrheit, eine gewisse zivilisatorisch Stufe vorraussetzt, die in Europa zu den in Frage kommenden Zeiten gar nicht vorhanden war.
 
[FONT=&quot]
Es ist vielmehr das Prestige, welches eine Sprache hat. So gelang es beispielsweise den Sprechern einer Region aus Mittelitalien dem ganzen westlichen Mittelmeerraum, ihre Sprache aufzudrücken
Stimmt, aber es gibt auch das Gegenbeispiel östliches Mittelmeer, wo sich das Latein nicht durchsetzten konnte. [/FONT]

[FONT=&quot]Und ich denke hier auch an die Balkanvölker, die erst Jahrhunderte vom Ostrom beherrscht wa[FONT=&quot]ren[/FONT], anschließend 400-500 Jahre von Türken. Sie alle behielten ihre Sprachen, wenn auch sie von der sonstigen Kultur der jeweiligen Herrscher Einiges übernommen haben. [/FONT]

[FONT=&quot]Ähnliches geschah mit Slowenen, die praktisch seit Karl dem Großen bis zum WK I. unter (germanischer) Fremdherrschaft standen und dennoch die eigene Sprache behielten. Auch die Sorben sind so ein Beispiel. [/FONT]


[FONT=&quot]
Sprachtransfer ist eine Form des Kulturtransfers. Gewissermaßen eine Teilmenge davon.
Das ist klar. Dennoch denke ich, dass man da differenzieren, ja andere Maßstäbe anlegen muss, weil Sprache von Müttern weiter gegeben wird, die nicht so wie die Männer dem Assimilierungsdruck ausgesetzt sind bzw. waren. [/FONT]


[FONT=&quot]
Es war die Oberschicht, die jahrhundertelang Normannisch sprach, dies aber an die Mehrheitsbevölkerung nicht weitergab. Das mag auch an einem lebendigen normannisch-angelsächsischen Gegensatz gelegen haben.
Ja, das mag in England so gewesen sein. Aber in Sizilien? Ich denke, den Eroberern folgten keine Siedler, d.h. es waren schlicht zu wenige Normannen – und vor allem Normanninnen - da, um ihre Sprache erhalten zu können. [/FONT]

[FONT=&quot]Das zeigt, dass ein Elitetransfer allein nicht die autochthone Sprache verdrängen kann. Dazu braucht man Siedler in großer Zahl. Oder man dezimiert die Träger der autochthonen Sprache wie die Römer es in Karthago gemacht haben. Dann braucht man natürlich weniger Siedler. Aber ohne den eigenen Siedler, die allein das Land tatsächlich besetzen können, geht es nicht – siehe obige Beispiele.[/FONT]
 
Bzgl. Vennemann gibt es etwas Neues und so erspare ich mir mal das Ausgraben von alten Sachen.
Ein Buch mit kritischen Beiträgen zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa von Fachleuten in Indogermanistik, Onomastik, Baskologie und Semitistik - hier zwei schöne Rezension.
Vennemanns waskonische Hypothese und die von Udolph herausgegebene Replik wird in diesem Thread ausführlich besprochen, mit ausführlichen Zitaten von den jeweiligen Fachleuten indogermanistischer, baskologischer und semitistischer Richtung: http://www.geschichtsforum.de/f22/pro-et-contra-der-waskonischen-hypothese-theo-vennemanns-36459/

Anfügen will ich nur einen Satz von Wolfgang P. Schmid aus Akademie Journal 2/2001: "Selbst die theoretisch denkbare Existenz eines nicht-indogermanischen Substrats in Zentraleuropa wird immer wieder behauptet, konnte aber bis heute nicht bewiesen werden.
Hier ist Schmid wiederum übervorsichtig. Ein nicht-indoeuropäisches Substrat ist nicht nur denkbar sondern muss vorausgesetzt werden. Diese Feststellung ist dennoch kein Einklang mit V.


[FONT=&quot]Stimmt, aber es gibt auch das Gegenbeispiel östliches Mittelmeer, wo sich das Latein nicht durchsetzten konnte. [/FONT]
Deshalb erwähnt ich Griechisch. Das Prestige, welches das Griechische im Alten Rom hatte, führte dazu, dass das Lateinische im oströmischen/byzantinischen Reich nicht durchgesetzt wurde und das, obwohl zeitweise am byzantinischen Hof Latein gesprochen wurde.

[FONT="]Und ich denke hier auch an die Balkanvölker, die erst Jahrhunderte vom Ostrom beherrscht wa[FONT="]ren[/FONT], anschließend 400-500 Jahre von Türken. Sie alle behielten ihre Sprachen, wenn auch sie von der sonstigen Kultur der jeweiligen Herrscher Einiges übernommen haben. [/FONT]
Die Balkanvölker wurden zunächst romanisiert, dann slawisiert. Das Dalmatische als balkanromanische Sprache starb erst im 19. Jhdt. aus.

Aber darum ging es nicht. Es ging darum, dass das Mengenverhältnis zweier wie auch immer gearteter Völker, die aufeinandertreffen, genauso wenig wie ein etwaiges hierarchisches Verhältnis untereinander zwingend zu einer Übernahme der einen oder der anderen Sprache führt. Wenige Römer konnten den gesamten Westmittelmeerraum latinisieren. Wenigen Protobulgaren gelang es aber nicht, ihre Turksprache durchzusetzen, stattdessen nahmen sie die slawische Sprache (eines Teils) ihrer vermutlich sprachlich heterogenen (Balkanslawen, Balkanromanen, Griechen) Untertanen an.

[FONT="]Das ist klar. Dennoch denke ich, dass man da differenzieren, ja andere Maßstäbe anlegen muss, weil Sprache von Müttern weiter gegeben wird, die nicht so wie die Männer dem Assimilierungsdruck ausgesetzt sind bzw. waren. [/FONT]
Was heißt "nicht so, wie die Männer"? Weniger? Oder schlicht "auf andere Weise"?
Es gibt da interessante Modelle. Beispielswiese gibt es für Sizilien ein Modell, wonach muslimische Männer christliche Frauen heirateten, die Söhne zu Muslimen erzogen wurden und Arabisch sprachen, die Töchter zu Christinnen und Griko sprachen. (Ich halte das Modell für interessant aber nicht sehr plausibel.)

[FONT="]Ja, das mag in England so gewesen sein. Aber in Sizilien? Ich denke, den Eroberern folgten keine Siedler, d.h. es waren schlicht zu wenige Normannen – und vor allem Normanninnen - da, um ihre Sprache erhalten zu können. [/FONT]
Auf Sizilien spricht man einen sekundären italienischen Dialekt, inwieweit die Insel in römischer Zeit latinisiert war, dazu haben wir hier einen Thread:
http://www.geschichtsforum.de/f303/wie-latinisiert-war-sizilien-vor-den-labiden-44252/


[FONT=&quot]Das zeigt, dass ein Elitetransfer allein nicht die autochthone Sprache verdrängen kann.
[/FONT][FONT=&quot]
Richt[FONT=&quot]ig. [/FONT]
[/FONT][FONT=&quot]
[/FONT][FONT=&quot][FONT=&quot]
[/FONT] Dazu braucht man Siedler in großer Zahl. Oder man dezimiert die Träger der autochthonen Sprache wie die Römer es in Karthago gemacht haben. Dann braucht man natürlich weniger Siedler. [FONT="][/FONT]
[/FONT]
[FONT=&quot]Falsch. Wie gesagt, auf das Mengenverhältnis alleine kommt e[FONT=&quot]s n[FONT=&quot]icht an[FONT=&quot]. [/FONT][/FONT][/FONT][/FONT]Das Mengenverhältnis kann relevant sein, muss aber nicht. Römer, Araber, Slawen, Spanier in Lateinamerika sind ausreichend Beispiele dafür.
 
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