Quellenkritik ist kein Wunschkonzert!
Natürlich kann man 'mox reducto ad Amisiam exercitu' so interpretieren, dass damit die Gesamtheit der römischen Streitkräfte gemeint war, die zur Ems geführt wurden.
Nicht
kann sondern
muss!
Mox reducto ad Amisiam
exercitu,
Bald darauf führte er das
Heer zur Ems zurück.
legiones classe, ut advexerat, reportat;
Die
Legionen brachte er, wie er sie hergeführt hatte, auf der Flotte zurück.
pars equitum litore Oceani petere Rhenum iussa;
Den
Reitern befahl er den Rhein der Meereküste entlang zu erreichen
Caecina, qui suum militem ducebat, monitus...
Caecina, der seine Soldaten führte, wurde ermahnt...
Andererseits sagt Tacitus explizit, dass Caecina sein eigenes Heer führte (qui suum militem ducebat), so dass man den Text auch so interpretieren kann, dass nur die Heeresgruppe Germanicus (klingt nach Nazi Armee, mir fällt aber kein besserer Ausdruck ein) bestehend aus den Germanicus Legionen und einem Teil der Reiterei an die Ems geführt wurde, während die Heeresgruppe Caecina sich schon vorher, also irgendwann nach der Bekämpfung der Germanen im Unwegsamen, von Germanicus trennte.
Das ist Wunschdenken. Mit welcher Begründung sollte rein von der Textgestaltung her für Caecina was anderes gelten, als für die Legionen und die Reiterei? Und jenseits der Textgestaltung: Warum sollte Germanicus dieses Risiko eingehen, nachdem er gerade beinahe in einen Hinterhalt des Arminius geraten wäre? An bzw. jenseits der Ems, da konnte man sich einigermaßen sicher fühlen. Wie trügerisch diese Sicherheit dort jedoch war, haben Caecina und seine Soldaten am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Wenn die bedien Armeen im Unwegsamen überhaupt zusammen operierten, das geht es der Beschreibung ja auch nicht eindeutig Hervor.
Zumindest haben sie es seit dem Treffen an der Ems getan und Caecina wird ausdrücklich voruasgeschickt, um den Weg zum Varusschlachtfeld zu bahnen. Danach ist von einer Trennung nicht mehr die Rede. Bis eben Germanicus das Heer an der Ems aufteilt.
Egal wie du es drehst oder wendest: Caecina ist nicht über die Wupper gegangen.
Und vielleicht noch mal grundsätzliches zu den antiken Quellen, für mich sind die als Informationsquelle immer ein wenig problematisch. Eine schriftliche Überlieferung über einen Zeitraum von 2000 Jahren ist als Informationsübertragungskanal weder deterministisch noch verlustfrei, mit der Folge dass die Informationen die uns auf diesem Weg aus der Antike überliefert wurden immer zu einem gewissen Maße unvollständig und fehlerbehaftet sind.
Das ist alles richtig, berechtigt aber den Historiker nicht dazu,
ad libitum etwas in sie hineinzuphantasieren. Quellenkritik fasst eine Reihe von Hilfswissenschaften zusammen, sie ist jedoch kein Wunschkonzert!
Wenn also 90 % der Information in Tacitus' Text mit der Lokalisierung der Pontes longi in der Wuppertaler Senke übereinstimmen, und nur 10 % der Information widerspricht dem ganzen, ist das für mich in Rahmen der Informationsübertragungs(un)genauigkeit einer antiken Quelle immer noch in Ordnung.
Da stimmt aber nichts überein. Allenfalls wage geographische Beschreibungen von Abhängen und Sümpfen, die auf hunderttausend andere Orte zwischen Elbe, Donau und Rhein auch zutreffen.
Du kannst natürlich Tacitus' Angaben in Abrede stellen. Das ist, besonders dann, wenn du's ein bisschen besser als nur mit allgemeinen Ausführungen begründen kannst, legitim.
Dann musst du aber auch die einzig logische Konsequenz daraus ziehen!
Dann kannst du nämlich gleich aufhören, nach Scharmützeln und Schlachten zu suchen, die nur Tacitus beschreibt. Wenn du Tacitus' Glaubwürdigkeit generell in Abrede stellst, dann brauchst du kein Scharmützel in den
avia und auch keine Schlacht an den
pontes longi zu suchen, denn für diese Ereignisse ist Tacitus die einzige Quelle.