Evtl. will der Lehrer auf den sog. "dt. Sonderweg" hinaus?
Wenn die Aufgabenstellung aber korrekt wiedergegeben ist, dann handelt es sich um eine strukturgeschichtliche Fragestellung. Welche organisationspolitischen Strukturen wurden um 1871 von Bismarck geschaffen, die sich bis zur Machtergreifung der Nazis, also auch durch die Weimarer Republik, fortsetzten?
Die Frage der Entwicklung von Deutschland seit der Reichsgründung 1871 steht sicherlich unter der Perspektive der "Konstanz" und der "Brüche" bis 1933.
Insofern ist damit natürlich auch die Frage aufgeworfen ob es einen "Sonderweg" gab, oder aber nicht einfach eine länderspezfische deutsche Entwicklung, die den regionalen historischen Gegebenheiten entsprach. So wie die Entwicklung in Italien oder Österreich-Ungarn und die implizite Abweichung vom "Standardmodell" zur "liberalen Demokratie" als nicht gerechtfertigtes apodiktisches Werurteil zum Geschichtsverlauf erkennt (vgl. Argumentation Blackbourn & Eley: Mythen).
Die Frage der Konstanz bzw. der Brüche auf der Ebene einer "Struktur-Geschichte" ist notwendiger Weise um die Dimension der "Ideen-Geschichte" zu erweitern.
Dabei sind zwei Dimensionen relevant, die mit "Innen-" und "Außenpolitik" umschrieben werden können und in enger Interaktion stehen, wie am Verhältnis zwischen Imperialismus / Kolonialismus und "innere Staatsgründung" (vgl. beispielsweise Wehlers These zum Sozialimperialismus).
Mit der Reichsgründung in der Mitte Europas wird ein staatliches Gebilde geschaffen, das durch eine semi-hegemoniale Stellung gekennzeichnet ist. Das Vermächtnis der Bismarckschen Reichsgründung, so beispielsweise Dehio, äußerte sich in einer aggressiven Außenpolitik (WW1 und WW2), die auf die vollständige Erringung der Hegemonie in Europa abzielte, auch als Motiv für die Idee von Hitler für den "Lebensraum" im Osten.
Und unterstellt auf einer abstrakten Ebene ein außenpolitisches Motiv, das auch sozialdarwinistisch angeleitet ist, und auf die "endgültige" Klärung der "semi-hegemonialen" Stellung in Europa abzielte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Dehio
Die Beantwortung der Frage, ob eine deutsche Hegemonie in Europa militärisch durchsetzbar ist, erforderte immerhin zwei Weltkriege und ca. 100 Mio Tote. Insofern kann man durchaus von einer impliziten Konstanz der außenpolitischen Anforderungen von 71 bis 33 und deren - ähnlicher machtpolitischer - Interpretation sprechen.
Diese außenpolitischen Anforderungen blieben nicht ohne Rückwirkungen auf die innenpolitische Situation. Zum einen ist es die völlig unverständliche und dysfunktionale Ausgrenzung der katholischen Bevölkerung im Rahmen des "Kulturkampfes" und zum anderen die obrigkeitsstaatliche Unterdrückung der Arbeiterklasse im Rahmen der "Sozialistengesetze" für die innere Reichsgründung.
Diese Spaltung der Gesellschaft durch Bismarck verhinderte die innere Reichsgründung und verhinderte auch die Etablierung eines funktionsfähigen parlamentarischen Systems.
Die Wirkungen dieser "strukturellen" Defizite im Palamentarismus wirkten sich dann in der Weimarer Republik dahingehend aus, dass die Fähigkeit zur demokratischen Mehrheitsbildung entscheidend geschwächt war.
Die politische Kultur der Weimarer Republik wurde noch entscheidend durch deutschnationale, monarchistische Eliten in den Institutionen der Weimarer Republik geprägt und bereiteten durch Begünstigung bzw. Duldung der nationalsozialistischen Bewegung den Weg zur Macht.
Insofern gab es eine strukturelle Konstanz auf der Ebene der Organisationen vom II. Deutschen Reich zum III. Reich und es gab auch eine ideologische "Konstanz" (der Begriff ist nicht präzise, da er die gravierenden Brüche auf der "Rechten" nicht berücksichtigt) auf der deutschnationalen Rechten (Alldeutschen, alt-Monarchisten etc.) der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie.
Abschließend ist m.E. auch festzuhalten, dass es keinen "Weg" von Bismarck zu Hitler gab, der zwangsläufig das Ergebnis des "Sonderwegs" wäre. Zum einen, weil es ein deterministisches Geschichtsbild unterstellt. Und zum anderen, weil der Ausgang des WW1 und die daraus resultierenden Wirtschafts- und Finanzkrisen einen entscheidenden Anteil an der Radikalisierung in der Weimarer Republik hatten.
Ohne die Weltwirtschaftkrise von 1929 hätte es keinen Aufstieg von Hitler zum "Führer" gegeben und die Diskussion über die Konstanz würde nicht geführt werden.