Historisch-kritische Methode beim Islam

T

trvbm12

Gast
Hallo,
ich interessiere mich seit einiger Zeit für die islamische Geschichte. Als ich vor einigen Tagen nach ein paar Büchern im Internet suchte, stieß ich auf Bücher, in denen die Existenz von Mohammed angezweifelt wird. Das waren Bücher von z.B. Karl-Heinz Ohlig, N.G. Pressburg, Gerd R. Puin und Andreas Goetze.
Andreas Goetze behauptet beispielsweise, dass man mit der historisch-kritischen-Methode die Existenz von Mohammed nicht beweisen, aber widerlegen kann.
Diese ganzen Thesen, haben mich sehr interessiert, allerdings weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Ich besitze leider noch nicht so viel wissen, und kann nicht wirklich über diese Thesen urteilen. Die oben genannten Autoren sind auch Mitglieder des Inarah-Instituts, ein „Institut zur Forschung der frühen Islamgeschichte und des Korans“.

Mich würde einfach interessieren, was ihr davon haltet.
 
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Diese Historizitätsdebatten um Religionsstifter haben immer dasselbe Ziel, egal ob es Atheisten sind, welche versuchen, die christliche Religion ad absurdum zu führen, indem sie die Historizität Jesu dementieren oder ob es Atheisten oder auch radikale Christen sind, welche versuchen den Islam ad absurdum zu führen, indem sie die Historizität Muḥammads dementieren. Dabei sind Glaube an eine Religion und Historizität des Religionsstifters zwei unterschiedliche Paar Schuh.

Über die Protagonisten dieser Behauptung und ihre Behauptung haben wir schon ausführlich diskutiert und diese teilweise auseinander genommen: http://www.geschichtsforum.de/f36/historizit-t-mohameds-48726/
 
Das habe ich mir schon gedacht. Ich fand’s schon sehr komisch, dass die Bücher von Ohlig, N.G. Pressburg und Andreas Goetze fast nur auf islamophoben Seiten Anklang finden. Ich war nur etwas unsicher, weil der Islamwissenschaftler Tilman Nagel, der Ohligs Thesen schon kritisiert hat, plötzlich auch ein Buch herausgebracht hat (allerdings auf Französisch: „Mahomet - Histoire d'un Arabe, invention d'un prophète“ - „Mohammed - Geschichte eines Arabers, ERFINDUNG eines Propheten“), welches die Thesen des Inarah-Instituts unterstützt.
 
Bei dem französischen Buch handelt es sich um eine Übersetzung des auf Deutsch 2010 unter dem Titelerschienenen Buch Mohammed – 20 Kapitel über den Propheten der Muslime, welches eine Zusammenfassung seiner beiden Bücher Allahs Liebling: Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens und Mohammed – Leben und Legende ist(beide 2008).
 
Diese Historizitätsdebatten um Religionsstifter haben immer dasselbe Ziel...,
Das sehe ich etwas anders.
Jede gesellschaftliche Bewegung. die sich auf historische Ursprünge beruft und ihre Traditionen daraus schöpft;-. und Religionen nehmen da meiner Meinung nach keinen Sonderstatus ein, - hat sich die Frage nach der historischen Plausibilität und die kritische Überprüfung ihrer Quellen und Traditionen gefallen zu lassen.
Alleine die Tatsache.dass eine konservative religiöse Nomenklatura dies als non grata erklärt bzw.. eine nicht opportune Zielrichtung oder nicht opportune Ergebnisse enthalten sind disqualifiziert Untersuchungen zu diesen Fragen natürlich nicht. Dazu braucht es schon unwissenschaftliches Vorgehen oder logische Fehler.

Bekannt sind mir quellenkritische Untersuchungen zu den historischen Ursprüngen des Islam allerdings bisher nur von Autoren aus dem außerislamischen Bereich.
Deshalb würde ich hier die Frage anschließen. ob solche Untersuchungen auch aus dem Islam selbst bekannt sind oder ob hier eine generelle Tabuisierung die kritische Auseinandersetzung mit den historischen Quellen generell verhindert hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Na klar muss/darf/sollte man Historizitätsdebatten führen (diese sollten aber seriös und wissenschaftlich durchgeführt werden).
Wenn wir jetzt aber mal überlegen, ab wann im Christentum oder Judentum Debatten über die Historizität Jesu und seinen Geschichten oder Moses geführt wurden sind und dann mal den Altersunterschied zwischen Judentum, Christentum und Islam vergleichen, dann (finde ich) kann man erkennen, dass jetzt so die Zeit kommt wo sich man sich innerhalb des Islams auch in weiten Teil mit der Historizität Mohammeds beschäftigen kann.
 
Das sehe ich etwas anders.
Jede gesellschaftliche Bewegung. die sich auf historische Ursprünge beruft und ihre Traditionen daraus schöpft;-. und Religionen nehmen da meiner Meinung nach keinen Sonderstatus ein, - hat sich die Frage nach der historischen Plausibilität und die kritische Überprüfung ihrer Quellen und Traditionen gefallen zu lassen.
Grundsätzlich ja.
Bloß sollte man dann aber auch halbwegs seriös und unvereingenommen an die Sache herangehen. Aber soweit ich das mitverfolge, versuchen die Kritiker - egal ob es nun um Jesu oder Mohammeds Historizität geht - auf Biegen und Brechen deren Historizität zu "widerlegen" oder zumindest möglichst zweifelhaft erscheinen zu lassen, wobei sie bei der Wahl der Argumente nicht gerade wählerisch sind und an die Glaubwürdigkeit/Authentizität der Quellen wesentlich strengere Maßstäbe anlegen als an jegliche andere historische Schriften. (Dazu kommt noch ein gewisser Tunnelblick: Dass die Annahme der Nicht-Historizität oft wesentlich mehr Probleme aufwirft als die Annahme der Historizität, wird ignoriert.) Motiv scheint häufig nicht wissenschaftlich-kritisches Hinterfragen zu sein, sondern fundamentalistischer Atheismus, Hass aufs Christentum bzw. Islamophobie. Das führt dann allerdings schnell dazu:
Dazu braucht es schon unwissenschaftliches Vorgehen oder logische Fehler.
 
Ravenik, da sind wir uns ja einig. deshalb auch meine Anmerkung zur Unwissenschaftlichkeit-

und dann mal den Altersunterschied zwischen Judentum, Christentum und Islam vergleichen,
der Altersvergleich ist ein Scheinargument und hinkt natürlich insoweit. als wir uns nun mal unabhängig von der Religionszugehörigkeit im 21-Jahrhundert und auf dem erkenntniswissenschaftlichen Stand des 21- Jahrhunderts befinden-
( die Stadt Mainz ist ca- 2000 Jahre alt. und die Stadt Mannheim 400 Jahre- trotzdem sind beide auf dem gleichen Standard,haben Kanalisation,moderne Strassen und eine moderne städtische Verwaltungsorganisation- und mehr oder weniger marode Brücken ;) )

Aber nochmal die Frage,ob Euch irgendwelche quellenkritische Untersuchungen zur historischen Plausibiltät auch aus dem Islam selbst bekannt sind`?
 
Aber nochmal die Frage,ob Euch irgendwelche quellenkritische Untersuchungen zur historischen Plausibiltät auch aus dem Islam selbst bekannt sind`?
Es mag solche Leute geben, aber sie werden in der Regel kein Interesse haben, "bekannt" zu werden, schon gar nicht bei uns.

Der recht handfeste Grund dafür basiert auf dem, was Tilman Nagel als "Dogmatisierung der Gestalt des Propheten" bezeichnet und mehrfach abgehandelt hat [1]:
Eine kritische Auseinandersetzung zu Mohammed läuft leicht Gefahr, "seine Autorität und seine Wahrhaftigkeit in ein Zwielicht zu rücken". Das dürfe, so Nagels Befund anhand islamischer Quellen, "nicht geduldet werden"; in der Regel sei der Betreffende zu töten.

Grundsätzlich gilt laut Nagel: "Das Recht des Propheten auf Verehrung durch die Muslime steht über der geschichtlichen Wahrheit." (S. 258) Das kann man beklagen oder nicht.

[1] Mohammed -Zwanzig Kapitel über den Propheten der Muslime. München 2010, S. 247 ff.; davor: Allahs Liebling - Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens. München 2008, S. 135 ff.
 
Betrifft das denn eher seine Historizität oder nicht doch eher die Bewertung seiner Taten?
Die von Nagel (Liebling, S. 294, Hervorh. js) herangezogene Rechtstradition zieht den Rahmen, in dem über Mohammed geschrieben werden darf, sehr eng:
Jemand, der ihn verächtlich macht oder ihn schmäht, indem er darauf verweist, dass der Prophet das Vieh gehütet, ein Versehen oder eine Vergesslichkeit begangen habe, verhext worden sei oder eine Verwundung oder mit einem seiner Heere eine Niederlage erlitten habe, von seiten seines Feindes geschädigt, durch harte Zeiten bedrängt, von dem Verlangen nach seinen Frauen gepeinigt worden sei – das Urteil für jede einzelne dieser Aussagen kann mit Bezug auf jemanden, der damit den Propheten herabsetzen will, nur auf Tötung lauten.​
Der Vorwurf der "Herabsetzung" dürfte im Ernstfall schwer zu widerlegen sein. Da Mohammed unfehlbar ist, scheidet eine negative Bewertung seiner Taten ohnehin aus.

Für mich ist das jedenfalls eine plausible Erklärung dafür, dass quellenkritische Untersuchungen aus dem islamischen Raum hierzulande wenig oder gar nicht bekannt sind. Aber andere mögen darüber Besseres wissen.
 
Danke. Also geht es bei T. Nagel gar nicht um die Historizität, wie im Eingangsposting sondern um die Fehlbarkeit, eher vergleichbar mit dem christl. Dogma von der unbefleckten Empfängnis.
 
Also geht es bei T. Nagel gar nicht um die Historizität, wie im Eingangsposting sondern um die Fehlbarkeit...
In #1 wird nach Historizität (Abs. 1) und historisch-kritischer Methode (Abs. 2) gefragt. Nagel thematisiert beides. Seine überaus reichhaltigen Forschungen zusammenzufassen, bin ich überfordert, deshalb nur ganz grob und thesenhaft:

  • Unter Anwendung der historisch-kritischen Methode gelangt Nagel zur Erkenntnis, dass Zweifel an Mohammeds Historizität möglich sind, aber nicht durchgreifen. "Er hat tatsächlich gelebt..." [1]
  • Im Islam hat es eine "rationalistische" Schule gegeben, die aber frühzeitig unterging bzw. von einer Art 'Wagenburg'-Mentalität abgelöst wurde. [2]
  • Die heute herrschende Meinung im Islam unterscheidet sich von der 'westlichen' historisch-kritischen Methode in dem entscheidenden Punkt: "Für Muslime sind ... der Koran und die von der Schariagelehrsamkeit und ihren Spezialisten ausgelegten Überlieferungen der Inbegriff dessen, was Allah den Menschen zu wissen gegeben hat (vgl. Sure 2, 32); 'wahres' Wissen jenseits hiervon gibt es prinzipiell für sie nicht." [3]
..., eher vergleichbar mit dem christl. Dogma von der unbefleckten Empfängnis.
In dem Sinne, dass Mohammed ein 'vollkommener', in der Überlieferung 'fehlerfreier' bzw. 'unfehlbarer' Mensch gewesen sei. Zur "unbefleckten Empfängnis" gibt es zwar keine direkte Parallele, jedoch zur Himmelfahrt, die ihm "achtzehn Monate vor der Hedschra widerfuhr" [4].


[1] Mohammed - 20 Kapitel, S. 16; insoweit unterscheidet sich der Autor von 'radikaleren' Kollegen wie Ohlig, Goetze usw.
[2] Die Festung des Glaubens: Triumph und Scheitern des islamischen Rationalismus im 11. Jahrhundert. München 1988; zur späteren "Leben-Muhammed-Forschung" siehe auch Die Islamische Welt bis 1500. München 1998, S. 134 ff.
[3] wie [1], S. 10
[4] wie [1], S. 238
 
Im Islam hat es eine "rationalistische" Schule gegeben, die aber frühzeitig unterging bzw. von einer Art 'Wagenburg'-Mentalität abgelöst wurde. [2]
Ich glaube, dem würde Bauer widersprechen, der ist der Auffassung, das wahhabitische und salafitische Einflüsse erst relativ jung sind (max. 200 Jahre) und das vorher rationalere und ambiguitätstolerantere Strömungen im Islam vorherrschend waren.
 
Ich glaube, dem würde Bauer widersprechen, der ist der Auffassung, das wahhabitische und salafitische Einflüsse erst relativ jung sind (max. 200 Jahre) und das vorher rationalere und ambiguitätstolerantere Strömungen im Islam vorherrschend waren.
Ich habe Bauer nicht gelesen und Du hast vermutlich Nagel nicht gelesen – das macht die Diskussion anfälliger für Missverständnisse. Unter diesem Vorbehalt:

Nagels "Festung" beschäftigt sich mit den Situation in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, als die Seldschuken Schutzmacht über das Abbasiden-Kalifat waren. Seine zentrale Figur ist al-Guwaini, der zeitweise der Denkrichtung der Asch'ariten angehörte, die ab 1053 als "Neuerer" denunziert und verfolgt wurden.

Dass Wahhabiten und Salafisten, d.h. die heute als "Fundamentalisten" bezeichneten Denkrichtungen, relativ jung sind, ist unstrittig. Sie haben natürlich ihre eigene Denktradition: Laut "Lexikon des Islam" (Bd. 2, S. 614 ff.) lässt sich eine Linie bilden über Ibn Taymiyya (1260-1327) bis hin zu Ibn Hanbal ("Hanbaliten", 9. Jh.).

Interpretationsangebot:
Es hat im Islam zu vielen Zeiten unterschiedliche Denkrichtungen gegeben, wobei – stark verkürzt – "Rationalisten/Häretiker" und "Fundamentalisten/Orthodoxe" unter wechselnden Bezeichnungen koexistierten oder einander bekämpften. Mit entscheidend war dabei das Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, welches im Islam (Lexikon Bd. 3, S. 614) geprägt ist durch den "Satz 'al-Islam din wa daula' (Islam ist Religion und staatliche Gewalt)", der "als Glaubensbekenntnis der islamischen Politik generell bezeichnet werden" darf.
In der Praxis nahm das unterschiedliche Ausprägungen an, auch was das Verhältnis zu Personen/Gruppen anderen Glaubens betraf; das Umayyaden-Kalifat von Córdoba etwa ist wohl in mancher Hinsicht etwas "Besonderes" gewesen.
Momentan scheint es so zu sein, und damit komme ich zurück auf die Ausgangsfrage (ab #9), dass die Rahmenbedingungen für historisch-kritische Forschung im Islam nicht besonders günstig sind. Aber, wie schon gesagt (#11), ich lasse mich da gern eines Besseren belehren.
 
Mit entscheidend war dabei das Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, welches im Islam (Lexikon Bd. 3, S. 614) geprägt ist durch den "Satz 'al-Islam din wa daula' (Islam ist Religion und staatliche Gewalt)", der "als Glaubensbekenntnis der islamischen Politik generell bezeichnet werden" darf.
Genau dem widerspricht Bauer ganz vehement. Ich schaue heute Nacht mal, ob ich die Stelle wiederfinde.

In der Praxis nahm das unterschiedliche Ausprägungen an, auch was das Verhältnis zu Personen/Gruppen anderen Glaubens betraf; das Umayyaden-Kalifat von Córdoba etwa ist wohl in mancher Hinsicht etwas "Besonderes" gewesen.
Ja und nein.

Momentan scheint es so zu sein, und damit komme ich zurück auf die Ausgangsfrage (ab #9), dass die Rahmenbedingungen für historisch-kritische Forschung im Islam nicht besonders günstig sind. Aber, wie schon gesagt (#11), ich lasse mich da gern eines Besseren belehren.
Dem würde ich gar nicht widersprechen. Lediglich der Zuspitzung auf die Historizität Muḥammads. Denn der Grund für die Infragestellung der Historizität Muḥammads ist nicht der, historisches Wissen zu schaffen sondern unterschiedlichen ideologischen Motiven geschuldet.
 
Mit entscheidend war dabei das Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, welches im Islam (Lexikon Bd. 3, S. 614) geprägt ist durch den "Satz 'al-Islam din wa daula' (Islam ist Religion und staatliche Gewalt)", der "als Glaubensbekenntnis der islamischen Politik generell bezeichnet werden" darf.
Genau dem widerspricht Bauer ganz vehement. Ich schaue heute Nacht mal, ob ich die Stelle wiederfinde.

Bauer, Kultur der Ambiguität, S. 43:
Ein Bereich, der auf eine Weise ebenfalls zum islamischen Recht gehört, ist die Politik. Während aber heute die Aussage im Islam könne man Staat und Religion nicht trennen, zum Allgemeinplatz geworden ist, wird man aus klassischer Zeit nicht mehr als eine Handvoll Handbücher und eine Anzahl kurzer Kapitel in Rechtskompendien finden, die das Thema Herrschaft und Staat aus religiöser Perspektive behandeln. Dagegen steht eine unüberschaubare Zahl von Gedichten zum Lob eines Herrschers... In diesen Gedichten spielt wiederum Religion eine völlig untergeordnete Rolle.​
 
@jschmidt: Meinem Gedächtnis nach meine ich mehrfach gelesen zu haben, dass der Slogan "din wa-dawla" aus dem 19. Jahrhundert stamme. Vielleicht spielt mir meine Erinnerung da einen Streich, aber wird im Lexikon des Islam dafür eine Quelle angegeben?

@El Quijote: Es ist ein Weilchen her, dass ich Bauer gelesen habe und mir ist auch nicht klar in welchem Zusammenhang dein Zitat steht. Aus der Erinnerung spielt Bauer durchgängig die Rolle des Islams außerhalb der religiösen Sphäre systematisch herunter; Jonas Teichgreeber hebt das hier explizit zustimmend auch noch hervor. Mich überzeugt das nicht besonders. Mein Eindruck ist, dass in islamischem Gesellschaften auch gerade Herrschaft in der Tendenz deutlich öfter religiös legitimiert wurde/wird als in Gesellschaften in anderen Regionen, auch in Europa. Auch Konflikte in Herrschaftsfragen wie z.B. zwischen Sunniten und Schiiten sind auch relativ früh religiös eingetüncht worden. Bauer weiß zur Schia aber gar nicht so viel zu sagen - einer der vielen eigenwilligen weißen Flecken bei ihm: immerhin tritt er doch an eine "andere Geschichte des Islams" zu schreiben (Hervorhebung durch mich). Zu Wort kommt dann vor allem aber fast ausschließlich ein geographisch und zeitlich ziemlich eingeschränkter und sehr ausgewählter Teil sunnitischer Elitekultur.

Nicht gänzlich unpassend zu deinem Zitat zieht Irene Schneider in einer Rezension (Der Islam, 88, S. 439-448. Hier S. 448 zit.) zu Bauer das Fazit,

dass Verf. außerhalb des Bereichs der Literatur, vor allem in den Bereichen der Theologie, des Rechts und des Sexes bzw. der Geschlechterforschung häufig vorschnell und sehr summarisch, teilweise essentialistisch argumentiert und die dazu bestehende Forschung nur ungenügend rezipiert hat. Dem Anliegen, die Vielgestaltigkeit des Islams in der Vormoderne zu erweisen, tut er damit keinen Gefallen.​
 
@jschmidt: Meinem Gedächtnis nach meine ich mehrfach gelesen zu haben, dass der Slogan "din wa-dawla" aus dem 19. Jahrhundert stamme. Vielleicht spielt mir meine Erinnerung da einen Streich, aber wird im Lexikon des Islam dafür eine Quelle angegeben?
Im Lexikon wird der Slogan 10-mal genannt, aber nichts zur Entstehung gesagt. Von der angegebenen Literatur sind vermutlich einschlägig: eine Monographie von Elsa Barbara Blanckmeister (1989) und ein zweibändiges Werk von Thomas Nagel über "Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam" (1981).

Eine kurze Internet-Recherche [1] zeigt, dass der Slogan "in aller Munde" ist. Deshalb finde ich es gut, dass Du nachfragst. :winke:

Um mehr Klarheit zu bekommen, müsste freilich nicht lediglich nach dem Wortlaut gesucht werden, sondern nach den dahinter stehenden Grundgedanken zum Verhältnis von politischer und religiöser Gemeinschaft. Dabei, so das Lexikon (S. 376, 688) kommt auch hier wieder der schon zitierte Ibn Taimiyya ins Spiel.


[1] Gut lesbare Beispiele:
https://politischeberichte.wordpres...ion-und-politik-in-der-islamischen-theologie/
News ORF Religion
https://www.berlin.de/lb/intmig/_assets/themen/.../hoffman_islam_und_verfassung.pdf
 
Eine kurze Internet-Recherche [1] zeigt, dass der Slogan "in aller Munde" ist.https://www.berlin.de/lb/intmig/_assets/themen/.../hoffman_islam_und_verfassung.pdf

Das sagt ja auch Bauer:

Während aber heute die Aussage im Islam könne man Staat und Religion nicht trennen, zum Allgemeinplatz geworden ist, wird man aus klassischer Zeit nicht mehr als eine Handvoll Handbücher und eine Anzahl kurzer Kapitel in Rechtskompendien finden, die das Thema Herrschaft und Staat aus religiöser Perspektive behandeln.

@Ilan, ich bin mit dem Bauer noch nicht fertig, da ich darin immer nur sporadisch lese, meist nur so zehn bis zwanzig Seiten; ich kann mir also weder ein abschließendes Urteil über den Bauer bilden noch kann ich - nach der bisherigen Lektüre - die Kritik von Irene Schmidt nachvollziehen, die ich in Teilen als überpointiert empfinde.
 
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