Kulturen ohne Gräber?

lilolung

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Liebe Alle,

in der Archäologie treten vereinzelt immer wieder Kulturen auf, von denen so gut wie nichts über ihre Bestattungskultur bekannt ist - wie beispielsweise die der Michelsberger Kultur. (345 vollständige Individuen - über einen Zeitraum von 800 Jahren - etwas wenig!)

Was sind eure Denkansätze dazu?

Wiese findet man zwar einzelne "Bestattete" die aber dann unter "Sonderbestattung" zählen, jedoch keine Gräberfelder/"Friedhöfe"?

Kennt ihr noch weitere Fallbeispiele?
 
Nicht jede Bestattungssitte hinterlässt Spuren, die sich als Bestattungsspuren identifizieren lassen.

Hier würden womöglich nicht einmal die Pfostenspuren gefunden werden:

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Neben den Plains-Indianern kennen wir einen ähnlichen Bestattungsritus noch von den Zoroastriern, die in Türmen des Schweigens (Dakhma) ihre Toten aasfressenden Vögeln überlassen.
Man stelle sich vor, man fünde einen solchen Dakhma ohne Wissen über die Zoroastrier, ob man wohl wüsste, dass es sich dabei um einen Bau handelt, der mit dem Totenritus zusammenhängt? Kein Leichenbrand, keine Skelettreste oder Leichenschatten, vermutlich nicht einmal erhöhte Phosphorwerte, die ein Indikator für Verwesung sein können (Ställe allerdings sind auch durch erhöhte Phosphorwerte zu identifizieren).
 
Ob es in der Jungsteinzeit bereits Friedhofsordnungen gab, die eine Belegung von 20 oder 25 Jahren vorsahen? ;) Ernsthaft: Gräber, die geräumt und offen gelassen werden, zeichnen sich trotzalledem ab: Nichts ist so dauerhaft wie ein Loch. Und die Phosphatwerte sind natürlich nicht zu vergessen.
Bei den oben vorgestellten Totenritualen bei Plains-Indianern und Zoroastriern ist natürlich zu beachten, ob die Knochen nach der Entfleischung nicht doch noch eingesammelt werden (mindestens bei den Zoroastriern wäre das der Fall).
 
Liebe Alle, dass sind doch bereits einige Fallbeispiele, mit denen ich arbeiten kann. Zeitlich bewege ich mich im Neolithikum, dementsprechend müsste ich noch recherchieren, ob diese auch zeitlich in Zusammenhang kommen könnten.

Das Problem ist nur folgendes: Eine Kultur, die keine regulären Bestatteten (zumindest derzeitiger Forschungsstand) hinterließ, während die Nachbarkulturen Gräberfelder aufwiesen, ist schon merkwürdig. Es hat sicherlich Kulturkontakt gegeben, von daher muss die MK über die Bestattungsrituale der Nachbarn gewusst haben. Sollten Sie wirklich als einzige sich den gängigen "Konventionen" entgegengestellt haben?

Die "Sonderbestattungen" zeigen, dass sie die Verstorbenen, die unter "Sonderbestattung" aufgeführt haben, entweder in Rückenlage/Hocker bestattet haben. Wenige Brandbestattungen sind zudem belegt, jedoch schwierig an den 345 (wovon nur 144 vollständig u. im anatomischen Verband sind) eine Regularität festzumachen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem ist nur folgendes: Eine Kultur, die keine regulären Bestatteten (zumindest derzeitiger Forschungsstand) hinterließ, während die Nachbarkulturen Gräberfelder aufwiesen, ist schon merkwürdig.
Warum? Ich verweise noch mal auf die Dakhma der Zoroastrier. Wir können die Dakhma zwar im Materialbestand nachweisen, aber würden wir sie auch als solche erkennen, wenn es keine Zoroastrier mehr gäbe und auch keine schriftlichen Aufzeichnnungen über sie?

Es hat sicherlich Kulturkontakt gegeben, von daher muss die MK über die Bestattungsrituale der Nachbarn gewusst haben. Sollten Sie wirklich als einzige sich den gängigen "Konventionen" entgegengestellt haben?
Es gibt aus Rom sogar den Bericht über eine einzelne Familie, die sich den gängigen Konventionen ihrer eigenen Kultur entgegengestellt hat. Und die Zoroastrier lebten auch immer in einer Region, die von Handelstraßen durchzogen war, sie kamen in der Antike mit dem Buddhismus, dem Juden- und dem Christentum und im Frühen Mittelalter ganz massiv mit dem Islam in Berührung. Mindestens den drei abrahamitischen Religionen muss das zoroastrische Bestattungsritual ein Graus gewesen sein (Auferstehung des Fleisches).*

Die "Sonderbestattungen" zeigen, dass sie die Verstorbenen, die unter "Sonderbestattung" aufgeführt haben, entweder in Rückenlage/Hocker bestattet haben. Wenige Brandbestattungen sind zudem belegt, jedoch schwierig an den 345 (wovon nur 144 vollständig u. im anatomischen Verband sind) eine Regularität festzumachen.
Die Hockerbestattung ist ja für unseren Raum typisch für die Bronzezeit (wobei ich jetzt nicht weiß, ob da im Neolithikum etablierte Bestattungssitten fortwirken, ist ja nicht so, dass ein neolithischer Bauer gesagt hat, "jau, gestern kam erstmals ein Händler mit Bronzenadeln an unserem Gehöft vorbei, jetzt ist Bronzezeit"), aber auch dort gibt es ja Differenzierungen: Linksseitige und rechtsseitige Hocker, geschlechtspezifisch unterschieden, bei der Aunjetizer Kultur jedoch ohne geschlechtsspezifische Unterscheidung nur einseitige Hocker, aber in der Spätphase Rückenlieger, offenbar für eine Art Oberschicht vorbehalten, wobei Beile als Grabbeigabe kreuzförmig geschichtet sind und ähnlich dieser sich kreuzenden Schichten auch zwei verstorbene kreuzförmmig übereinandergelegt wurden, was den übrigen Bestattungen in der Aunjetizer Kultur nicht entspricht.





*Sollte ich hier falsch liegen, bitte vehement widersprechen. Das "Mos teutonicus"/Barbarossa ist mir natürlich bekannnt.
 
Bestattungen

Hallo


Das Problem ist nur folgendes: Eine Kultur, die keine regulären Bestatteten (zumindest derzeitiger Forschungsstand) hinterließ, während die Nachbarkulturen Gräberfelder aufwiesen, ist schon merkwürdig.

Kann ja auch durchaus sein, das man, wie es der Zufall so wollte, immer an den falschen Stellen gegraben hat. Das vielen dieser Funde kan also ganz andre Ursache haben. Von den Goten in Südfrankreich gibt es auch kaum Gräber, obwohl sie dort gut 2 Generationen seßhaft waren, bevor sie weiterzogen.

mfg
schwedenmann
 
Warum? Ich verweise noch mal auf die Dakhma der Zoroastrier. Wir können die Dakhma zwar im Materialbestand nachweisen, aber würden wir sie auch als solche erkennen, wenn es keine Zoroastrier mehr gäbe und auch keine schriftlichen Aufzeichnnungen über sie?

Aber widerspricht es sich nicht, dass sie bei den wenigen Sonderbestattungen die gängigen Bestattungsrituale (Hocker, Rückenlage etc.), wie sie auch bei den Nachbarkulturen nachgewiesen werden konnten, übernahmen. Es dann aber bei allen anderen Toten, einen völlig anderen Weg der Bestattung vornahmen? Wie war es denn bei deinen angeführten Beispielen? Waren die Bestattungsrituale (reguläre und Sonderbestattung) eher heterogen oder homogen?

Zudem ist der einzige sichere Nachweis, dass es sich um die MK handelt, die Keramik. Als solches zu erkennen, ohne die Beigaben wären sie sicher nicht - richitg.

Handelt es sich bei den bestatteten also um was? Vielleicht um Menschenopfer durch
Opferrituale? Auffällig ist dabei folgendes:

- Eine Bestattung von 6 Individuen in Heidelberg-Handschuhsheim (Michelsberger Kultur)
2 Männer, 1 Frau, 3 Kinder (wird als Familie gedeutet)
Begraben in einer Materialentnahmegrube.
4 von 6 wiesen Hiebverletzungen am Schädel auf -> eintretender Tod unmittelbar

- Inningen bei Augsburg auch 6 Individuen, wo aber nur noch die Schädel vorhanden waren. Diese wiesen auch Hiebverletzungen auf.

- Dann eine weitere, die der Münchshöfener Kultur zugewiesen wird (Großmehring):
-6 Individuen (3 Kinder, 3 Erwachsene)
- 4 davon wiesen Hiebverletzungen auf
- Begraben in einer Materialentnahmegrube

Diese Parallelen nur Zufall?
 
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Hallo

Kann ja auch durchaus sein, das man, wie es der Zufall so wollte, immer an den falschen Stellen gegraben hat. Das vielen dieser Funde kan also ganz andre Ursache haben. Von den Goten in Südfrankreich gibt es auch kaum Gräber, obwohl sie dort gut 2 Generationen seßhaft waren, bevor sie weiterzogen.

Genau das, könnte das Problem sein! Die wenigen Befunde befinden sich entweder in den Erdwerken oder in direkter Nähe dazu. Ich meine mich zu erinnern, dass sich die Gräberfelder immer etwas in Abstand zu den besiedelten Erdwerken befanden. Dort wurde wohl noch nicht gegraben. Da man ja nicht weiß, wo genau sie sich befinden könnten, ist die Grabungsfläche immens groß.
 
Kann ja auch durchaus sein, dass man, wie es der Zufall so wollte, immer an den falschen Stellen gegraben hat. Das Fehlen dieser Funde kann also ganz andre Ursache haben.

Unwahrscheinlich. I.d.R. haben gruppenspezifische kulturelle Merkmale im archäologischen Befund eine gewisse Redundanz. Diese Redundanzen fassen wir dann als archäologische Kultur, deshalb unterscheiden wir etwa Jasdorf oder La Tène, die Aunjetizer Kultur oder die Michelsdorfer (ich weiß, ich bin jetzt im Raum hin und her und in der Zeit rückwärts gesprungen). Natürlich gibt es Dinge, die sich im archäologischen Befund niederschlagen und andere, die das nicht tun, hinzu kommt eine gewisse Abhängigkeit von den naturräumlichen Erhaltungsbedingungen, die sich für Metalle oder organische Materialien jeweils als günstig oder ungünstig erweisen können.

Aber widerspricht es sich nicht, dass sie bei den wenigen Sonderbestattungen die gängigen Bestattungsrituale (Hocker, Rückenlage etc.), wie sie auch bei den Nachbarkulturen nachgewiesen werden konnten, übernahmen.
Zunächst einmal haben wir ja den - von dir behaupteten, ich glaube dir das einfach mal - Befund, dass wir kaum Gräberfelder der Michelsberger Kultur haben. Du fragstest ja, was der Grund dafür sein könnte. Dafür habe ich dir im wesentlichen zwei hypothetische aber in der hist. Wirklichkeit nachgewiesene Erklärmodelle angeboten:
die Gestelle der Plains-Indianer, welche im arch. Befund nur schwer nachzuweisen wären, allenfalls wohl als nicht besonders auffällige Pfostenspuren, zum anderen das Dakhma, also Varianten des Totenrituals, bei denen man den Toten nicht verbrennt und daher auch keinen Leichenbrand hat oder vergräbt und daher eben auch keine Gräber findet.

Was an den dir genannten aufgefundenen Gräbern der Michelsberger Kultur nun auffällt ist, dass die dort Bestatteten (oder muss man von Verscharrten** sprechen?!*) offenbar alle(?) keines natürlichen Todes starben, ob sie nun Opfer eines Raubmordes, eines kriegerischen Aktes oder eines religiösen Rituals waren. Gerade dann, wenn es sich um Opfer eines kriegerischen Aktes handelt, ist zu fragen, ob sie von Angehörigen der eigenen Kultur bestattet/verscharrt wurden. Die Bestattung bzw. Verscharrung in einer Materialentnahmegrube kann ja mindesten darauf hindeuten, dass man den Toten nicht unbedingt die letzte Ehre mit der Bestattung bzw. dann eher Verscharrung erweisen wollte. (Aber natürlich kann auch ein trauernder Angehöriger eine aufgelassene Materialentnahmegrube genutzt haben.)

Da Menschenopfer soviel wir wissen, meist in Krisen dargebracht wurden, können wir mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei den bekannten Bestattungen um Reste von Krisenphänomene handelt, also egal, ob Opfer (human sacrifice) oder Opfer (victim), beides deutet in Richtung einer Krise. Nun wäre zu fragen, ob eine solche Krisenhypothese anhand anderer Veränderungen im archäologischen Befund der Michelsberger Kultur aufrechtzuerhalten ist, oder nicht. Wenn nicht, muss man ein neues Erklärungsmodell suchen.

*Gab es Grabbeigaben oder eher nicht?
**Ich definiere Bestattung hier als Ritual, durchgeführt von Angehörigen oder Menschen, für die es eine Sakrileg war, Tote unbestattet zu lassen, wohingegen ich mit Verscharrung einen Sachverhalt meine, wonach die Toten ohne Emotion und rituellem Mehraufwand einfach nur unter die Erde gebracht wurden, damit die verwesenden Leichname nicht "im Weg" herumlägen. Bei einer Verscharrung dürften sich - außer womöglich Kleidungsbestandteilen i.d.R. keine Grabbeigaben mehr befinden.
 
Unwahrscheinlich. I.d.R. haben gruppenspezifische kulturelle Merkmale im archäologischen Befund eine gewisse Redundanz. Diese Redundanzen fassen wir dann als archäologische Kultur, deshalb unterscheiden wir etwa Jasdorf oder La Tène, die Aunjetizer Kultur oder die Michelsdorfer (ich weiß, ich bin jetzt im Raum hin und her und in der Zeit rückwärts gesprungen). Natürlich gibt es Dinge, die sich im archäologischen Befund niederschlagen und andere, die das nicht tun, hinzu kommt eine gewisse Abhängigkeit von den naturräumlichen Erhaltungsbedingungen, die sich für Metalle oder organische Materialien jeweils als günstig oder ungünstig erweisen können.

Das verstehe ich so nicht, kannst du dies nochmal erläutern?

Kurz zu den Befunden der MK (Quelle: C. Nickel)

-ca. 345 Individuen
-144 vollständige Skelette, sonst Teilskelette oder einzelne Knochen
- Bei 14 ist Gewalteinwirkung belegt
- Es gibt nicht nur wenige sondern KEINE gräberfelder der MK
- 27 % Beigaben

Es sind m.E. Bestattungen, die in irgendeiner Art und Weise besonders waren. Was auch für die Gewalteinwirkung spricht. Es waren sicherlich keine Opferhandlungen, wie Herxheim etc. Aber reguläre Bestattungen waren es auch nicht. Die 345 Individuen entsprechen einfach nicht der Bervölkerungsanzahl und dem Zeitraum von 800 Jahren der MK.


Zu deinen zwei Ansätzen: Ich weiß nicht, ob sie einer kritischen Auseinandersetzung standhalten würden. Die Indianer stehen in keinem kulturellen Verhältnis zum europäischen Neolithikum. Kulturkontakt unmöglich - wie soll dieses Bestattungsritual nur in einer kulturellen neolithischen Gruppe unter vielen stattgefunden haben. Wie würdest du das erklären können. Zudem müsste man Pfostenspuren erkennen können - ist auch der Fall, wird jedoch einer anderen Funktion zugesprochen.

Die Türme des Schweigens passen zeitlich nicht. Diese sind erst nach Chr. belegt. Korrigiere mich bitte,wenn ich falsch liege.

Die Theorie dass die Gräberfelder einfach noch nicht gefunden wurnen, ist für mich bisher am schlüssigsten. Die Möglichkeit der reinen Ablesung der Toten wäre denkbar. Wenn ich es jedoch nicht beweisen kann, müsste ich es wenigstens schlüssig erläutern können. Dazu dienen würden Parallelbeispiele in Mitteleuropa oder früher. DA zu muss ich mich erstmal einlesen...Es könnte eine Option sein. Aber was passierte mit den Überresten?
 
Das verstehe ich so nicht, kannst du dies nochmal erläutern?

Wir finden in einem bestimmten Areal zu einer bestimmten Zeitstellung immer wieder wiederkehrende Muster, z.B. von Keramik, von Gewandnadeln oder später Fibeln, Arten des Hausbaus oder der Bestattungskultur. Wir sprechen hier von Redundanzen weil wir immer wieder dieselben Kombinationen finden.

Kurz zu den Befunden der MK (Quelle: C. Nickel)

-ca. 345 Individuen
-144 vollständige Skelette, sonst Teilskelette oder einzelne Knochen
- Bei 14 ist Gewalteinwirkung belegt
- Es gibt nicht nur wenige sondern KEINE gräberfelder der MK
- 27 % Beigaben
Okay, woher haben wir aber die 144 vollständigen Skelette?

Die Indianer stehen in keinem kulturellen Verhältnis zum europäischen Neolithikum. Kulturkontakt unmöglich - wie soll dieses Bestattungsritual nur in einer kulturellen neolithischen Gruppe unter vielen stattgefunden haben.
Selbstverständlich stehen die Plains-Indianer in keinem kulturellen Verhältnis zum Neolithikum. Genauso wenig wie die Zoroastrier. Aber das war ja auch gar nicht die Frage. Die Frage war, warum wir keine Gräberfelder zu einer bestimmten neolithischen Kultur finden. Ich kann dir diese Frage nicht beantworten, ich kann dir nur Hypothesen anhand von Analogien* anbieten. Das hat nichts mit Kulturkontakten zu tun sondern damit, dass eine Idee, auf die Menschen an einem Ort X gekommen sind, genauso gut von Menschen an einem Ort Y erdacht werden kann. Nehmen wir die Schrift: die ist in der Menschheitsgeschichte mindestens zwei Mal erfunden worden, einmal in der Alten, einmal in der Neuen Welt. Wahrscheinlich sogar häufiger und zwar sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt. Dazu bedurfte es auch keines Kulturkontakts.

Die Menschen sind den längsten Teil ihrer Geschichte ohne Schrift ausgekommen, trotzdem haben sie Schrift mehrfach erfunden. Aber von Anfang an sind Menschen gestorben. Dazu muss man sich als Gruppe verhalten. Man kann den Toten achtlos in den Wald (oder in die Steppe) schlörren und dort liegen lassen oder aber ihnen einen pietätvollen Totenritus gewähren, was wohl, weil der Mensch sowohl ein soziales als auch ein reflektierendes Wesen ist, dem Regelfall entspricht. Was also den pietätvollen Totenritus angeht, haben die Menschen sich als einigermaßen kreativ erwiesen: Mit verschiedenen Formen der Brand- und Urnenbestattung, mit Körpergräbern, mit unscheinbarer und auffälliger Grabarchitektur und eben auch mit Darbringung der Toten an den Himmel; sogar Kannibalismus gehörte in manchen Kulturen zu einem akzeptierten und in der jeweiligen Vorstellung pietätvollen Totenritual.
Es gibt aber eben nicht viele Formen der Bestattung, die keine (als solche im Befund erkennbaren) archäologischen Spuren hinterlassen.

Wie würdest du das erklären können. Zudem müsste man Pfostenspuren erkennen können - ist auch der Fall, wird jedoch einer anderen Funktion zugesprochen.
Pfostenspuren muss man zunächst einmal als solche erkennen. Ich habe als Student mehrfach als Grabungshelfer gearbeitet. Dabei habe ich z.B. dafür gesorgt, dass mehrere, zunächst als Wurzelgänge identifizierte Pfostenspuren wohl eines Zaunes dokumentiert wurden und habe andererseits erlebt, wie etwas als anthropogen identifiziert wurde, was sich hinterher als mumaßlicher Fuchs-/Dachsbau herausstellte. Nicht jedes Holzgestell ist ein Ständerbau, der ein bis zwei Generationen Wind und Sturm überdauern soll.

Die Türme des Schweigens passen zeitlich nicht. Diese sind erst nach Chr. belegt. Korrigiere mich bitte,wenn ich falsch liege.
Wie gesagt, es ging nicht um Kulturkontakte o.ä. Es ging alleine darum, Möglichkeiten aufzuzeigen, warum von einer Kultur keine Gräberfelder nachgewiesen werden können. Das Totenritual ist einer der wichtigsten kulturellen Marker, besonders in der Archäologie. Wenn wir zu einer Kultur keine Gräberfelder finden, müssen wir uns Gedanken darüber machen, ob das nicht evtl. am jeweiligen Totenritual lag. Und so, wie die Menschen an verschiedenen Orten der Welt unabhängig voneinander die Schrift erfanden, so mussten die Menschen überall auf der Welt eine Umgangsweise mit ihren Toten finden. Siehe oben, was ich zu den Menschen an den Orten X und Y schrieb.

Aber was passierte mit den Überresten?
Zumindest die Zoroastrier haben ja die Knochen, nachdem die Weichteile von den Vögeln gefressen worden waren, wieder eingesammelt. In einer Kultur, die das nicht tut, wären die Knochen innerhalb weniger Jahre nicht mehr nachweisbar, es sei denn, sie würden aus welchen Gründen auch immer in einer für ihren Erhalt günstigen Umgebung landen und zusedimentiert werden.

*Analogiebildungen sind in vielen Wissenschaften ungern gesehen, die Geschichtswissenschaften und die Archäologie sind aber auf Analogiebildungen angewiesen, bei allen Schwierigkeiten, welche Analogismen bedeuten.
 
Okay, woher haben wir aber die 144 vollständigen Skelette?

Ja, Nickel gibt 104 in Siedlungsgruben und 17 in Gruben neben den Graben an. Alle in oder in unmittelbarer Nähe zu den jeweiligen Erdwerken (dessen Funktion zudem diskutiert wird).

Von 50 liegen Angaben zur Totenhaltung vor: 74 % Hocker links, 16% Hocker auf dem Rücken, 6% Rückenstrecker, die restlichen 4% werden wieder nicht erwähnt.

Ich muss sagen, deine Erklärungen sind, zumindest für mich, sehr schlüssig und nachvollziehbar.

Zudem habe ich in der Dissertation von Nickel noch etwas interessantes gefunden. Denn sie erwähnt 2 Befunde:

Zum einen einen Kinderschädel, der sich in der Kulturschicht finden lässt, ohne Anzeichen einer Grube.

Zum anderen ein nur flach eingestuftes Skelett (was auch immer dies bedeutet) inkl. Fußnote, wo von einer unbestatteten Wasserleiche im Uferbereich außerhalb der Siedlung gesprochen wird. Welche Kultur etc. muss ich noch recherchieren, da ich mit google keine Informationen bekommen habe.

Eine, ich nenn es jetzt mal "Luftbestattung" außerhalb der Siedlung soll wohl belegt sein. Was jedoch mit den Überresten geschah, ist reine Spekulation - da es keine Befunde gibt.

Was passierte denn nach dem Einsammeln der Knochen aus deinem Beispiel?
 
Bei den Zoroastriern wurden sie wohl nachbestattet. Denkbar zur Nachbestattung wäre - hypothetisch - natürlich auch die Einbindung der sauberen(!) Knochen der verstorbenen Angehörigen in den Haushalt.

Bei der tibetanischen Himmelsbestattung werden meines Wissens die Knochen, welche die Geier übriglassen, zerkleinert und mit Tsampa verschmischt, an die Raben verfüttert. Man hätte hier somit sogar das aktuelles Fallbeispiel einer Kultur, die absolut keine Bestattungs-Spuren hinterlässt.
 
Und Deutschlands Bestattungen sind in der Regel heutzutage auch nicht für die Ewigkeit.

Soweit ich weiß, 30 Jahre sofern ein Grab nicht unter Denkmalschutz steht oder es sich um ein Ehrengrab handelt.

Manche Friedhöfe haben für mich einen morbiden Charme, und ich könnte stundenlang dort wandeln.

Sollte je mal ein Guide Michelin über Friedhöfe veröffentlicht werden, wären meine Favoriten der von Karaca Ahmed auf der asiatischen Seite von Istanbul. Beys, Beylerbeys, Paschas und Agas der Janitscharen ruhen neben Sultansmüttern Baumeistern, Künstlern und dem Who is Who des Osmanischen Reichs.

In Europa wüsste ich keinen Ort, der eine reichhaltigere Kultur des Todes vorzuweisen hat, als Wien, und der Zentralfriedhof hat einen solchen Charme, dass Wolfgang Ambros ihn schon vor über 30 Jahren besang.
 
Soweit ich weiß, 30 Jahre sofern ein Grab nicht unter Denkmalschutz steht oder es sich um ein Ehrengrab handelt.

Manche Friedhöfe haben für mich einen morbiden Charme, und ich könnte stundenlang dort wandeln.

...

Dann solltest Du dir unbedingt den Friedhof Staglieno in Genua anschauen.

Dort sind mehrere Gallerien mit den Gräbern der Genuesischen Oberschicht, dekoriert mit Statuen und Denkmälern in unglaublicher Qualität.

Was mich dabei überraschte, ist dass viele der Figuren eine für ein katholisches Land erstaunliche erotische Ausstrahlung hatten. Weder in Spanien noch in Südamerika habe ich etwas in dieser Hinsicht Ahnliches gesehen.
 

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