Scorpio
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Irgendwie fehlt mir im Unterforum Drittes Reich ein Thread, in dem die Rolle der Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus diskutiert wird. Der Aufstieg des Nationalsozialismus wurde von vielen evangelischen Pastoren mit wohlwollendem Interesse, teils sogar mit Begeisterung aufgenommen. Ländliche protestantische Milieus haben sich vielerorts als ein fruchtbarer Nährboden für den NS erwiesen. In Nordhessen war in manchen Landkreisen die NSDAP bereits vor 1933 die stärkste Fraktion.
Die evangelische Kirche war eng mit den Herrschenden verbandelt, seit der Reformation waren die Landesfürsten Oberhaupt der jeweiligen Landeskirche. Die Sozialdemokratie wurde von vielen evangelischen Landpastoren Protestanten als Bedrohung wahrgenommen und Errungenschaften der Weimarer Republik wie das Frauenwahlrecht abgelehnt. Staatliche Sozialpolitik stand bei vielen Protestanten im Verdacht, nur Faule und "unnütze Fresser" zu unterstützen. Der Wahlsieg der NSDAP 1933 wurde vielerorts wohlwollend aufgenommen. Von der "Volksgemeinschaft" versprachen sich viele Protestanten eine Widerherstellung der Verhältnisse im Kaiserreich. Wurden Gebiete "heim ins Reich" geholt, wurden die Glocken geläutet und dem "Führer" gedankt. Selten nur haben Pastoren vor Antisemitismus gewarnt. Wer Halb- Dreiviertel- oder Achteljude war, hätte sich vielerorts kaum eruieren lassen, wenn nicht evangelische Gemeinden bereitwillig Kirchenbücher herausgegeben hätten. Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde in vielen evangelischen Gemeinden ausdrücklich begrüßt. Auch eugenische Eingriffe wie Sterilisationen stießen auf wenig Vorbehalte, erst als sich abzeichnete, dass die Maßnahmen und massiven Eingriffe praktisch jeden treffen konnten, haben namhafte protestantische Geistliche wie Theophil Wurm öffentlich dagegen protestiert. Auch innerhalb der bekennenden Kirche war Antisemitismus weit verbreitet. Selten nur haben Vertreter der evangelischen Kirchen gegen Maßnahmen des Naziregimes protestiert. In den meisten Fällen blieb Widerstand der bekennenden Kirche beschränkt auf kirchenpolitische Belange. Konflikte zeigten sich erst, als es um die institutionelle Autonomie der Kirche und die Freiheit des Glaubensbekenntnisses ging. Ein Teil der protestantischen Geistlichen und Laien, die sich in Pfarrernotbünden und der bekennenden Kirche zusammenschlossen, haben zäh und beharrlich Widerstand gegen Übergriffe des NS-Staates auf die Unabhängigkeit ihrer Kirche geleistet. Viele Männer und einige Frauen gingen dabei mit großem Mut erhebliche persönliche Risiken ein. Sie konnten dabei im "Kirchenkampf" mit den "Deutschen Christen" des Reichsbischof Müller durchaus Erfolge verbuchen, die wohl in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich in der NS-Zeit undenkbar gewesen wären. Die Gleichschaltung der Kirche ließ sich in der von den Nazis geplanten Form nie ganz durchsetzen. Es blieb allerdings, abgesehen von wenigen Ausnahmen und dem Engagement von wenigen "Einzelkämpfern" der Widerstand der bekennenden Kirche auf kirchenpolitische Belange beschränkt. Karl Barth, ein Theologe der bekennenden Kirche und einer ihrer schärfsten Kritiker schrieb 1935:
Die Bekennende Kirche hat für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz. Sie hat zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden. Sie redet-wenn sie redet noch immer nur in eigener Sache."
Dabei blieb es, abgesehen von wenigen "Einzelkämpfern" bis zum bitteren Ende, als schon die Briten und Amerikaner vor der Tür standen. Es gab von den Landeskirchen und kirchlichen Organisationen kein oder kaum ein kritisches Wort zur Verfolgung und Ermordung zahlloser politischer Gegner des NS, und auch zur Verfolgung und Entrechtung der Juden erhob die Kirche nicht ihre Stimme. Kein Wort des Unbehagens anlässlich der Nürnberger Gesetze von 1935 war zu hören, keine Stellungnahme zur Reichspogromnacht 1938, als in ganz Deutschland Gotteshäuser in Flammen aufgingen. Wenn sich die Bekennende Kirche mit der Situation der verfolgten Juden befasste, ging es fast ausschließlich um die Lage der getauften Juden. In ihrer Gesamtheit war die evangelische Kirche bis zum bitteren Ende weit davon entfernt, dem NS-Staat die Loyalität aufzukündigen.
Während sich ländliche protestantische Gegenden als sehr empfänglich für den NS erwiesen, waren viele Katholiken etwas reservierter gegenüber dem NS. Vermutlich spielten die Erfahrungen des Kulturkampfes in der Bismarckzeit eine Rolle und das radauhafte Verhalten der SA gegen "die Reaktion". Hitler, Himmler und Goebbels waren bis zuletzt Mitglieder der katholischen Kirche. Goebbels war allerdings exkommuniziert. Nicht wegen Volksverhetzung, Antisemitismus und vielfacher Aufforderung zum Rassenhass, sondern weil er die geschiedene Protestantin Magda Quandt geheiratet hatte. Der Vatikan war der erste Staat, der diplomatische Kontakte mit Nazideutschland aufnahm und ein Konkordat mit ihnen schloss. Damit war eine starke Aufwertung des NS-Regimes verbunden, und der Vatikan ist später dafür-durchaus zu Recht kritisiert worden. Allerdings gelang es dadurch den katholischen Jugendverbänden sich länger der Gleichschaltung zu entziehen, als das anderen Jugendverbänden gelang, die entweder verboten oder in die HJ übernommen wurden. Katholische Schule und Einrichtungen konnten noch eine Zeitlang sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren.
Was auf die evangelischen Landeskirchen zutraf, galt im Großen und Ganzen auch für die Katholische Kirche. Auch in ihren Reihen war Antisemitismus weit verbreitet, und Geistliche wie Bernhard Lichtenberg, der sich kritisch zur Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden äußerte, waren die Ausnahme. Es sind nur wenige Stellungnahmen oder Warnungen von Seiten der Katholischen Kirche erfolgt. Der Rasse- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wurde u. a. von Clemens August Graf Galen, der mit seinen Protesten dazu beitrug, dass die Aktion T 4, die systematische Ermordung von Behinderten 1941 gestoppt wurde, ausdrücklich begrüßt. Katholische Geistliche haben Waffen gesegnet, und Kirchenfürsten wie Alois Hudal haben sich als Fluchthelfer für NS-Kriegsverbrecher betätigt.
Ich bin im Moment etwas schreibfaul, um mehr zum Verhältnis der Katholischen Kirche zum NS zu schreiben. Mir geht es auch nicht darum, Bashing gegen die Kirchen zu betreiben. Wenn man das liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Vertreter der Kirchen und die Nazis Brüder im Geiste gewesen seien.
Das war nicht der Fall. Nach dem Krieg haben die Kirchen sich aber gerne auf Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller, Bernhard Lichtenberg und Maximilian Kolbe berufen und sich oft recht großzügig eine grundsätzliche Gegnerschaft zum NS-Staat attestiert.
Ich hoffe auf eine lebhafte Diskussion!
Die evangelische Kirche war eng mit den Herrschenden verbandelt, seit der Reformation waren die Landesfürsten Oberhaupt der jeweiligen Landeskirche. Die Sozialdemokratie wurde von vielen evangelischen Landpastoren Protestanten als Bedrohung wahrgenommen und Errungenschaften der Weimarer Republik wie das Frauenwahlrecht abgelehnt. Staatliche Sozialpolitik stand bei vielen Protestanten im Verdacht, nur Faule und "unnütze Fresser" zu unterstützen. Der Wahlsieg der NSDAP 1933 wurde vielerorts wohlwollend aufgenommen. Von der "Volksgemeinschaft" versprachen sich viele Protestanten eine Widerherstellung der Verhältnisse im Kaiserreich. Wurden Gebiete "heim ins Reich" geholt, wurden die Glocken geläutet und dem "Führer" gedankt. Selten nur haben Pastoren vor Antisemitismus gewarnt. Wer Halb- Dreiviertel- oder Achteljude war, hätte sich vielerorts kaum eruieren lassen, wenn nicht evangelische Gemeinden bereitwillig Kirchenbücher herausgegeben hätten. Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde in vielen evangelischen Gemeinden ausdrücklich begrüßt. Auch eugenische Eingriffe wie Sterilisationen stießen auf wenig Vorbehalte, erst als sich abzeichnete, dass die Maßnahmen und massiven Eingriffe praktisch jeden treffen konnten, haben namhafte protestantische Geistliche wie Theophil Wurm öffentlich dagegen protestiert. Auch innerhalb der bekennenden Kirche war Antisemitismus weit verbreitet. Selten nur haben Vertreter der evangelischen Kirchen gegen Maßnahmen des Naziregimes protestiert. In den meisten Fällen blieb Widerstand der bekennenden Kirche beschränkt auf kirchenpolitische Belange. Konflikte zeigten sich erst, als es um die institutionelle Autonomie der Kirche und die Freiheit des Glaubensbekenntnisses ging. Ein Teil der protestantischen Geistlichen und Laien, die sich in Pfarrernotbünden und der bekennenden Kirche zusammenschlossen, haben zäh und beharrlich Widerstand gegen Übergriffe des NS-Staates auf die Unabhängigkeit ihrer Kirche geleistet. Viele Männer und einige Frauen gingen dabei mit großem Mut erhebliche persönliche Risiken ein. Sie konnten dabei im "Kirchenkampf" mit den "Deutschen Christen" des Reichsbischof Müller durchaus Erfolge verbuchen, die wohl in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich in der NS-Zeit undenkbar gewesen wären. Die Gleichschaltung der Kirche ließ sich in der von den Nazis geplanten Form nie ganz durchsetzen. Es blieb allerdings, abgesehen von wenigen Ausnahmen und dem Engagement von wenigen "Einzelkämpfern" der Widerstand der bekennenden Kirche auf kirchenpolitische Belange beschränkt. Karl Barth, ein Theologe der bekennenden Kirche und einer ihrer schärfsten Kritiker schrieb 1935:
Die Bekennende Kirche hat für Millionen von Unrecht Leidenden noch kein Herz. Sie hat zu den einfachsten Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden. Sie redet-wenn sie redet noch immer nur in eigener Sache."
Dabei blieb es, abgesehen von wenigen "Einzelkämpfern" bis zum bitteren Ende, als schon die Briten und Amerikaner vor der Tür standen. Es gab von den Landeskirchen und kirchlichen Organisationen kein oder kaum ein kritisches Wort zur Verfolgung und Ermordung zahlloser politischer Gegner des NS, und auch zur Verfolgung und Entrechtung der Juden erhob die Kirche nicht ihre Stimme. Kein Wort des Unbehagens anlässlich der Nürnberger Gesetze von 1935 war zu hören, keine Stellungnahme zur Reichspogromnacht 1938, als in ganz Deutschland Gotteshäuser in Flammen aufgingen. Wenn sich die Bekennende Kirche mit der Situation der verfolgten Juden befasste, ging es fast ausschließlich um die Lage der getauften Juden. In ihrer Gesamtheit war die evangelische Kirche bis zum bitteren Ende weit davon entfernt, dem NS-Staat die Loyalität aufzukündigen.
Während sich ländliche protestantische Gegenden als sehr empfänglich für den NS erwiesen, waren viele Katholiken etwas reservierter gegenüber dem NS. Vermutlich spielten die Erfahrungen des Kulturkampfes in der Bismarckzeit eine Rolle und das radauhafte Verhalten der SA gegen "die Reaktion". Hitler, Himmler und Goebbels waren bis zuletzt Mitglieder der katholischen Kirche. Goebbels war allerdings exkommuniziert. Nicht wegen Volksverhetzung, Antisemitismus und vielfacher Aufforderung zum Rassenhass, sondern weil er die geschiedene Protestantin Magda Quandt geheiratet hatte. Der Vatikan war der erste Staat, der diplomatische Kontakte mit Nazideutschland aufnahm und ein Konkordat mit ihnen schloss. Damit war eine starke Aufwertung des NS-Regimes verbunden, und der Vatikan ist später dafür-durchaus zu Recht kritisiert worden. Allerdings gelang es dadurch den katholischen Jugendverbänden sich länger der Gleichschaltung zu entziehen, als das anderen Jugendverbänden gelang, die entweder verboten oder in die HJ übernommen wurden. Katholische Schule und Einrichtungen konnten noch eine Zeitlang sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren.
Was auf die evangelischen Landeskirchen zutraf, galt im Großen und Ganzen auch für die Katholische Kirche. Auch in ihren Reihen war Antisemitismus weit verbreitet, und Geistliche wie Bernhard Lichtenberg, der sich kritisch zur Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden äußerte, waren die Ausnahme. Es sind nur wenige Stellungnahmen oder Warnungen von Seiten der Katholischen Kirche erfolgt. Der Rasse- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion wurde u. a. von Clemens August Graf Galen, der mit seinen Protesten dazu beitrug, dass die Aktion T 4, die systematische Ermordung von Behinderten 1941 gestoppt wurde, ausdrücklich begrüßt. Katholische Geistliche haben Waffen gesegnet, und Kirchenfürsten wie Alois Hudal haben sich als Fluchthelfer für NS-Kriegsverbrecher betätigt.
Ich bin im Moment etwas schreibfaul, um mehr zum Verhältnis der Katholischen Kirche zum NS zu schreiben. Mir geht es auch nicht darum, Bashing gegen die Kirchen zu betreiben. Wenn man das liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Vertreter der Kirchen und die Nazis Brüder im Geiste gewesen seien.
Das war nicht der Fall. Nach dem Krieg haben die Kirchen sich aber gerne auf Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller, Bernhard Lichtenberg und Maximilian Kolbe berufen und sich oft recht großzügig eine grundsätzliche Gegnerschaft zum NS-Staat attestiert.
Ich hoffe auf eine lebhafte Diskussion!