Lebten Jäger-Sammler besser als Bauern?

Genau das ist die Frage.
Ab wann sind skalenabhängige Vorteile für die Gemeinschaften da?
Statt 30, 40, 70 nun 200 oder mehr? Einige Hundert?
Siehe auch hier:
7.300 BC: gab es eine ‘soziale revolution’ in cayönü (anatolien)?

Gibt es dazu keine Computersimulationen? Schiene mir lohnenswert, dann hätte man eine formalisierte Diskussionsbasis ("dieser Parameter ist zu hoch/tief angesetzt", "diese Gleichung/Modellannahme ist falsch" etc.)
Vom Link habe ich die ersten 5 von 20 Seiten gelesen, da geht es aber explizit um die Frage, ob die Jäger-Sammler-Lebensweise eine utopische ist (versteckt eigentlich sogar um die philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen). Das scheint mir, nach dem was ich bisher hier erfahren habe, lediglich ein Teilaspekt zu sein (in Richtung von 3. in #7). Dieser Teilaspekt wäre für mich ein spieltheoretisches Problem - genauer ein Gefangenendilemma-Modell. Mit zunehmender Populationsgrösse und Gesellschaftskomplexität ändern sich quasi die Auszahlungsmatrix des Spiels sowie die Art der Interaktion (von nicht-anonymen Mehrfachinteraktionen zu anonymen Einmalaktionen wie in unserer "Jetzt"-Gesellschaft).

Naturwissenschaftlich habe ich nicht als Gegenstück zu unwissenschaftlich verstanden.
Ich würde lediglich versuchen, zunächst einmal biologisch nachvollziehbare Erklärungen zu finden, bevor man "kulturelle Selektion" oder ähnliches vermutet.

Ach so, verstehe. Da wäre die Antwort aber doch eben plump: "Mehr reproduktionsfähige Nachkommen", case closed :).

Der Mensch hat an mehreren Stellen unabhängig die Vorteile einer sesshaften Komponente entdeckt bis hin zu großen Städten, die nicht mehr von Jägern und Sammlern versorgt werden konnten.
Der Mensch hat es also immer wieder als Vorteil erfahren, Dinge anzubauen anstatt jagen zu müssen.

Das ist ja aber gerade das Problem, diese Vorteile greifen ja nicht unmittelbar und es sind auch nur Vorteile, weil wir retrospektiv wissen, dass es Vorteile waren. Im Gegensatz dazu wären zumindest die Nachteile 1.-3. aus #7 ja ganz konkret und direkt erfahrbar. Man müsste also sagen, der (einzige) Vorteil "nicht mehr jagen zu müssen", kompensiere zumindest diese 3 Nachteile.

Die Diskussion betreffend Reduzierung der Körpergröße bei Übergang zur Landwirtschaft ist keineswegs so eindeutig, wie hier behauptet wird, sondern inzwischen offen.

Daraus entnehme ich, dass die ganze Debatte an sich wissenschaftlich noch offen ist?

Wenn dem nicht so wäre, hätten unsere Vorfahren sich nicht neolithisiert.

Hm, ist das nicht eine vorschnelle Schlussfolgerung, wenn man das wie silesia gefordert hat mal nur biologisch-evolutionär betrachtet ("reproduktionsfähige Nachkommen").
 
Die Diskussion ist offen, zB:

Moreover, the series does not show the reductions in body size or height documented in some other areas of the world for early farmers (cf. various in Cohen & Armelagos 1984; Cohen & Crane-Kramer 2007; Steckel & Rose 2002). There is no strong evidence for temporal changes in body size within Çatalhöyük, although there are some hints of a possible decline among females (but not males) after the Early time period. More data from the Early time period are necessary to more clearly delineate temporal trends in this setting.

Ansonsten: nö, so "plump" (Nachkommen) war das nicht gemeint.
Sondern, wie oben dargestellt. Size effects, bezogen auf die Gemeinschaft.
 
Auch sind Beeren (als wichtige Komponente bei Sammlern) nur sehr begrenzt haltbar. Sie bereichern also den Speiseplan wenn sie reif sind und in der restlichen Zeit des Jahres braucht es etwas anderes. Getreide hingegen ermöglicht (und fordert) Lagerhaltung.
Trocknen lassen sich etliche Beeren eigentlich ganz gut. Nicht nur bei entsprechendem Zuckergehalt wie bei Datteln, Feigen, Trauben, Aprikosen etc. ist durchaus eine passable Lagerungsfähigkeit gegeben. Dass bereits paläolithische Jäger-Sammler-Gemeinschaften diverse Haltbarmachungskenntnisse für unterschiedliche und mitunter saisonal beschränkte Nahrungsressourcen (Fleisch, Fisch, Nüsse, Obst, Knollen, usw.) entwickelten erachte ich für recht wahrscheinlich.
Der Kampf gegen Probleme durch Schädlingsbefall bei Trockenobst und Getreide dürfte sich in seiner Notwendigkeit nicht allzu groß unterscheiden.
 
Das ist ja aber gerade das Problem, diese Vorteile greifen ja nicht unmittelbar und es sind auch nur Vorteile, weil wir retrospektiv wissen, dass es Vorteile waren. Im Gegensatz dazu wären zumindest die Nachteile 1.-3. aus #7 ja ganz konkret und direkt erfahrbar. Man müsste also sagen, der (einzige) Vorteil "nicht mehr jagen zu müssen", kompensiere zumindest diese 3 Nachteile.
Ich weiß nicht, ob das wirklich Nachteile sind.
- ich habe eine feste Behausung, die zu bauen, dauert länger, aber ich ziehe ja auch nicht mehr alle paar Wochen um (ein bandkeramisches Haus kann locker 50 Jahre und länger bewohnt werden, wobei die Prähistoriker meist "nur" von Belegungszeiten von 25 - 30 Jahren ausgehen)
- anstatt mich tagelang auszupowern und dem Wild hinterherzuhetzen, weiß ich, wo meine Kuh steht, die ich melke und wo mein Feld liegt, dass ich bearbeite.
- ich kann Vorräte anlegen, und wenn mal was schief läuft, darauf zurückgreifen
- die Verletzungsgefahr ist wesentlich geringer, als bei der Jagd (wer jetzt mit Statistiken kommt, dass die meisten Unfälle im Haushalt passieren, ... ;) )
- ich muss meine Nachkommenschaft nicht mehr selber töten, wenn ich mehr Kinder habe, als die Erwachsenen der Familie im Fluchtfall tragen können (hier übertrage ich Verhalten von manchen Amazonasethnien in die Steinzeit, aber ich denke, da die Probleme ähnliche sind, ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch die Lösungen ähnliche sein können).
- sicher bin ich leichter zu finden, aber ich siedele dafür auch in größeren Verbänden.

Trocknen lassen sich etliche Beeren eigentlich ganz gut. Nicht nur bei entsprechendem Zuckergehalt wie bei Datteln, Feigen, Trauben, Aprikosen etc. ist durchaus eine passable Lagerungsfähigkeit gegeben. Dass bereits paläolithische Jäger-Sammler-Gemeinschaften diverse Haltbarmachungskenntnisse für unterschiedliche und mitunter saisonal beschränkte Nahrungsressourcen (Fleisch, Fisch, Nüsse, Obst, Knollen, usw.) entwickelten erachte ich für recht wahrscheinlich.
Der Kampf gegen Probleme durch Schädlingsbefall bei Trockenobst und Getreide dürfte sich in seiner Notwendigkeit nicht allzu groß unterscheiden.
Für Haselnüsse ist das sogar nachgewiesen, die hat man im Mesolithikum geröstet. Dort, wo die Nüsse verbrannten und sie daher nicht geborgen wurden, findet man das im archäologischen Befund.
 
Es kommt sicherlich auf die entsprechende Zeit und Region an, aber eigentlich bedeutet die Landwirtschaft die Konzentration auf wenige anbaufähige Pflanzen., die dann oft den Speiseplan bestimmen; besonders bevor sich Nutzpflanzen aus ihren Entstehungsregionen kommend in der ganzen Welt verbreitet haben.
Die Landwirtschaft beschränkt doch nicht, sie ergänzt. Stell Dir einen Jäger und sammler vor, der samelt Beeren und jagt Wild. Jetzt erkennt er, dass dieses komische Gras auf der einen Lichtung und der Heide da drüben so komische Körner wachsen lässt, die man zubereiten kann. Und er hat festgestellt, dass die geernteten Körner nächstes Jahr wieder mehr Gras wachsen lassen wenn man sie auf geeignetem Boden verschüttet. Diese Erkenntnis braucht vielleicht viele Jahre bis Ursache und Wirkung verknüpft werden, aber was ist dabei heraus gekommen? Eine Ernährung von Wild, wenn es gejagt wird, von Beeren wenn sie reif sind und von Getreide wenn es geerntet wurde. Das Getreide bringt aber nur wenig Ertrag wenn man nur erntet. Wiederum viele Jahre später weiß man dann, dass gezieltes Säen den Ertrag steigert, ein umgegrabener Acker besser ist, man sich also auch außerhalb der Ernte darum kümmern muss und in dieser Zeit nicht hunderte Kilometer entfern jagen kann. Dafür bekommt man dann einen Ertrag, mit dem die Gemeinschaft einen großen Teil der Nahrung hat und nicht nur einen kleinen Teil. Es müssen also nicht mehr alle, egal ob alt, jung oder krank dem Wild hinterher ziehen.
In Jahren schlechten Wetters (Dürre oder Überflutung) wird das Getreide weniger beitragen, d.h. Jagd und Sammlerei müssen mehr beitragen sonst wird gehungert. Ob jetzt alle oder nur ein Teil dem Wild folgen müssen, das wird sich Jahr für Jahr unterscheiden. Da ein Bauer nur wenig mehr als seine Familie ernähren kann, wird dies jedes Mal eine große Entscheidung für die Gruppe gewesen sein und Sesshaftigkeit bringt erst etwas, wenn die sonstige Zeit des Jahres an einem Ort auch Vorteile bringt.
 
Trocknen lassen sich etliche Beeren eigentlich ganz gut. Nicht nur bei entsprechendem Zuckergehalt wie bei Datteln, Feigen, Trauben, Aprikosen etc. ist durchaus eine passable Lagerungsfähigkeit gegeben. Dass bereits paläolithische Jäger-Sammler-Gemeinschaften diverse Haltbarmachungskenntnisse für unterschiedliche und mitunter saisonal beschränkte Nahrungsressourcen (Fleisch, Fisch, Nüsse, Obst, Knollen, usw.) entwickelten erachte ich für recht wahrscheinlich.
Der Kampf gegen Probleme durch Schädlingsbefall bei Trockenobst und Getreide dürfte sich in seiner Notwendigkeit nicht allzu groß unterscheiden.
Es gibt ja nicht nur ein ent oder weder. Der Mensch hat schon immer vieles in der Natur als Nahrung verwenden können und die Anteile schwanken von Jahr zu Jahr und Gegend zu Gegend. Daher hat keiner im Juni nur Erdbeeren gegessen und dann im Juli Getreide geerntet um den ganzen August ein Wildschwein zu essen. ;)
 
Das ist ja aber gerade das Problem, diese Vorteile greifen ja nicht unmittelbar und es sind auch nur Vorteile, weil wir retrospektiv wissen, dass es Vorteile waren. Im Gegensatz dazu wären zumindest die Nachteile 1.-3. aus #7 ja ganz konkret und direkt erfahrbar. Man müsste also sagen, der (einzige) Vorteil "nicht mehr jagen zu müssen", kompensiere zumindest diese 3 Nachteile.
Du tust so, also ob Jäger Adam in einem Jahr gesagt hätte: "Hm, da hinten wächst dieses komische Gras. Familie, kommt, wird kümmern uns mal um dieses Feld und dafür gehen wir nicht auf die Jagd. Ob mich meine Enkel später Bauer Adam nennen werden?".

Es wird so sein, dass sich über Generationen hinweg der Anteil an Getreide an der Nahrung erhöht hat, so wie mehr Getreide verfügbar war. Anfangs noch durch Zufall, später dann durch fortgesetzte Verbesserungen.

Teile der Gemeinschaft werden vielleicht schon vorher nicht den Tieren gefolgt sein, aber mit dem Anbau von Getreide konnten mehr Leute an einem Ort bleiben, es konnten mehr ganz junge, ganz alte und zeitweilig nicht mehr reisefähige Mitglieder der Gemeinschaft versorgt werden, was wiederum allen zugute kam.

Und die dazu nötigen Entscheidungen wird jede Gruppe zwar sehr ernsthaft und mit allen zur Verfügung stehenden Informationen getroffen haben, aber natürlich nicht so abstrakt wie hier diskutiert. Da werden plötzlich erkannte Bewegungen des Jagdwilds einbezogen worden sein, eventuelle spirituelle Erkenntnisse, Erfahrungen anderer Menschen wenn man sich mal trifft usw. Generationen später waren die Nachkommen der einen Gruppe erfolgreicher als die der anderen. Eine zielgerichtete Entwicklung kann dies in der ersten Phase nicht gewesen sein. Erst nachdem per Zufall einige Elemente der Landwirtschaft entdeckt waren, konnte bewusst zwischen ihnen entschieden werden. So wird bei einer mehr oder weniger festen Wanderungsroute im Kalenderjahr nach einigen Jahren sicher das dichtere Auftreten von Getreide bemerkt werden, nachdem es einige Male geerntet wurde. Schließlich verteilen sich dann mehr Körner im "Feld" als wenn nur Wind und Tiere für die Vermehrung sorgen.
 
Wobei du und ich einen wichtigen Punkt bisher unterschlagen haben: Wenn wir mal in unsere Gefilde schauen: Die Bandkeramiker z.B., die haben ihre Rinder nicht zuhause gehalten. Und auch noch in der Eisenzeit wurden die Rinder teilweise sehr weit getrieben. Z.B. kann man anhand der Strontium-Isotopen-Analyse feststellen, dass die auf der Heuneburg konsumierten Rinder zu Lebzeiten auf der Schwäbischen Alb geweidet haben. Das ist jetzt nicht megaweit weg, aber auch nicht direkt vor der Haustür.
 
Wobei du und ich einen wichtigen Punkt bisher unterschlagen haben:
Du meinst mich mit dem Du?

Rindherden sind für mich nicht der entscheidende Punkte für die Sesshaftigkeit. Felder sind es. Tiere kann man mitnehmen, wenn auch manche Tierarten nur eine begrenzte Geschwindigkeit erlauben o.ä.

Eine Weide kann man alleine lassen, bei der Rückkehr können die Tiere sie nutzen. Ein bestelltes Feld hingegen benötigt über das Jahr hinweg mehrmals Aufmerksamkeit, d.h. es verträgt sich nicht gut mit einer Anwesendheit nur innerhalb eines begrenzten Zeitfensters, z.B. durch eine Wanderbewegung innerhalb eines Jahreszyklus.
 
Du meinst mich mit dem Du?
Ja.

Rindherden sind für mich nicht der entscheidende Punkte für die Sesshaftigkeit. Felder sind es. Tiere kann man mitnehmen, wenn auch manche Tierarten nur eine begrenzte Geschwindigkeit erlauben o.ä.
Das ist richtig. Nur ist es so, dass die Prähistoriker davon ausgehen, dass die Bandkeramiker, die zweifelsohne sesshaft waren, offensichtlich immer Familienmitglieder hatten, die einen Großteil der Zeit eben nicht zuhause verbrachten sondern die Rinder hüteten, vielleicht ein oder zwei Tagesmärsche von der Siedlung entfernt.
 
Wenn dem nicht so wäre, hätten unsere Vorfahren sich nicht neolithisiert.

Nö, da es mir ja um das "Vorteil erfahren" ging. Ob die betroffenen Menschen die Neolithisierung "als Vorteil erlebten", darin einen Vorteil sahen, kann man mE nicht sagen. Gerade bei der Entstehung der Landwirtschaft würde ich spekulieren, dass die Prozesse zu langsam waren, um von den Betroffenen überthaupt als grundlegende Veränderung der Lebensweise begriffen zu werden.

Ebenso wenig sagen kann man, ob es für den Einzelnen eine Verbesserung der Lebenssituation darstellte. Besonders bei der Ausbreitung der (halbwegs) entwickelten Landwirtschaft in Gebiete, die bisher von Jägern und Sammlern bewohnt wurden, ist es durchaus vorstellbar, dass Vorteile wie die höhere Siedlungsdichte etc den Ausschlag gaben, trotz evtl schlechterer Lebensumstände.

Nur weil es eine Entwicklung gegeben hat, kann man daraus nicht folgern, dass sie für die betroffenen Menschen vorteilhaft war. Sonst müsste man auch davon ausgehen, dass der Zusammenbruch von Gesellschaften wie die der Mayas oder der Indus-Zivilisation für die Betroffenen von Vorteil war, denn immerhin sind diese Gesellschaften ja zusammen gebrochen... ;)

Ich weiß nicht, ob das wirklich Nachteile sind.
- ich habe eine feste Behausung, die zu bauen, dauert länger, aber ich ziehe ja auch nicht mehr alle paar Wochen um (ein bandkeramisches Haus kann locker 50 Jahre und länger bewohnt werden, wobei die Prähistoriker meist "nur" von Belegungszeiten von 25 - 30 Jahren ausgehen)
(...)
- ich kann Vorräte anlegen, und wenn mal was schief läuft, darauf zurückgreifen

Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass für nicht-sesshafte Wildbeuter die Gebundenheit an einen Ort ein zusätzlicher Stress-Faktor darstellt. Man ist auf Gedeih und Verderb an diesen Ort, diese Felder gefesselt. Ja, man hat Vorräte, aber man ist auch auf diese für die neue Aussaat angewiesen. Ein Verlust wiegt also schwerer.
 
Ideologie: Vorstellungen wie das Paradies der Hebräer oder Hesiods Goldenes Zeitalter findet man in allen Gesellschaften, unabhängig von der Religion.
Aber das sind ja keine Erinnerungen an die Zeit vor der Sesshaftwerdung - es geht ja auffälligerweise nicht um die Jagd - , sondern Träumereien davon, die Plackereien des Alltags loszusein. Adam und Eva haben im Paradies nicht gejagt, sie kannten auch keine giftigen Tiere. Erst durch den Sündenfall wird die Arbeit in die Welt gebracht und Tiere - speziell die Schlange - werden zur Gefahr. Auch Hesiods goldenes Zeitalter ist kein vorneolithisches Zeitalter. Man kennt im Prinzip all das, was man auch zu Hesiods Zeiten kennt, man muss eben nur das Vieh hüten, aber die Plackerei, die Feldarbeit, kennt man nicht. Es ist ein Idealbild von der Welt, das in die Vergangenheit projiziert wird, keine tradierte Erinnerung.

Die Inka kannten den Mythos im Übrigen umgekehrt. Die Inka legitimierten ihre Herrschaft, indem sie sagten, dass Inti (die Sonne) seine Kinder Manco Kapác (der erste Inka) und Mama Ocllo (die erste Coya) zu den Menschen geschickt habe, die wild und vereinzelt in den Bergen lebten. Und Manco Kapác habe die Männer zusammengerufen und Mama Ocllo habe die Frauen zusammengerufen und dann habe Manco Kapác den Männern die Feldarbeit, den Haus- und Straßenbau gelehrt und Mama Ocllo habe den Frauen die Hausarbeit gelehrt und aus Dankbarkeit hätten die Menschen sie und ihre Nachfahren als ihre Inka anerkannt.
 
Nur weil es eine Entwicklung gegeben hat, kann man daraus nicht folgern, dass sie für die betroffenen Menschen vorteilhaft war. Sonst müsste man auch davon ausgehen, dass der Zusammenbruch von Gesellschaften wie die der Mayas oder der Indus-Zivilisation für die Betroffenen von Vorteil war, denn immerhin sind diese Gesellschaften ja zusammen gebrochen... ;)
Den Unterschied zwischen weiterentwicklen und zusammenbrechen sollte man vielleicht nicht ganz so extrem ignorieren, wie du es hier gerade tust ;) Die Maya-Zivilisation - sie existiert im Grunde bis heute, über ihren Zusammenbruch hinaus - brach wegen einer Reihe von Faktoren zusammen: Raubbau an der Natur, Dürreperioden (die wahrscheinlich durch den Raubbau verstärkt wurden), Zusammenbruch der gesellschaftlichen Organisation als Auslöser oder Ergebnis von Bürgerkriegen.

Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass für nicht-sesshafte Wildbeuter die Gebundenheit an einen Ort ein zusätzlicher Stress-Faktor darstellt. Man ist auf Gedeih und Verderb an diesen Ort, diese Felder gefesselt. Ja, man hat Vorräte, aber man ist auch auf diese für die neue Aussaat angewiesen. Ein Verlust wiegt also schwerer.
Aber es ist doch eine Entscheidung, die man fällt. Die Entscheidung, das Umherstreifen aufzugeben und stattdessen einen Acker zupflegen.
 
Den Unterschied zwischen weiterentwicklen und zusammenbrechen sollte man vielleicht nicht ganz so extrem ignorieren, wie du es hier gerade tust ;) Die Maya-Zivilisation - sie existiert im Grunde bis heute, über ihren Zusammenbruch hinaus - brach wegen einer Reihe von Faktoren zusammen: Raubbau an der Natur, Dürreperioden (die wahrscheinlich durch den Raubbau verstärkt wurden), Zusammenbruch der gesellschaftlichen Organisation als Auslöser oder Ergebnis von Bürgerkriegen.

Das sollte natürlich etwas provokant klingen. Aber was bedeutet denn Weiterentwicklung respektive Zusammenbruch? Beides ist erst mal eine Veränderung. Eine Unterscheidung könnte man treffen, indem man gesellschaftliche Komplexitäten betrachtet, oder die Entwicklung der Produktivkräfte, oder andere Faktoren, die eine eindeutige Richtung, ein "mehr oder weniger" (an Menschen, an produzierter Nahrung, an gesellschaftlicher Komplexität etc) erkennen lassen. Die Frage, die mich umtreibt, ist aber immer noch die (letztendlich nicht zu klärende) Frage, ob das für die Betroffenen Vor- oder Nachteile brachte, bzw wie dies von den Betroffenen erlebt wurde.

Wenn es um die Übernahme der anderswo entstandenen Landwirtschaft geht, gibt es mE genug Beispiele, wo eine freiwillige Übernahme nicht oder nicht freiwillig erfolgte; bzw Indizien, die darauf schließen lassen.

Die Entstehung der Landwirtschaft könnte, zumindest an manchen Orten, wo sie unabhängig entstanden ist, auch eine Folge von Raubbau an der Natur sein, wie du das vom Zusammenbruch der Maya-Zivilisationen sagst. Bspw könnte erst ein Rückgang des Jagdwildes die Notwendigkeit geschaffen haben, einen größeren Fokus auf gesammelte Nahrung zu legen, bzw die schon existente Hege wildwachsender Gräser zu intensivieren.

Geschieht dies schrittweise über einen längeren Zeitraum hinweg, vielleicht auch mit einer Arbeitsteilung in der Gruppe, die sich immer mehr Richtung Hege/Anbau von Gräsern verschiebt, kann dies ein Prozess sein, bei dem gar keine bewussten Entscheidungen über die Lebensweise getroffen werden. Bzw nur auf der Stufe von Detail-Entscheidungen, ohne Erkenntnis, dass dies Teil eines größeren Prozesses ist.
 
Jäger und Sammler waren doch sicher auch seßhaft. Und das über einen langen Zeitraum. Wenn dann vor etwa 11.000 Jahren eine Entwicklung zur Landwirtschaft einsetzte, hatten diese Kulturen einen mehr als doppelt so langen Zeitraum hinter sich. Und neben Jagd und Sammeln genug Zeit und Muße diese herrlichen Höhlenmalereien zu schaffen und sicher auch zu genießen. Neben Fertigkeiten zu Jagd und Wissen des Sammelns wurde den Kindern sicher auch der Sinn für künstlerische Ausdrucksweise weitergegeben. Und das auf hohem Niveau!
 
Jäger und Sammler waren doch sicher auch seßhaft.

Wie häufig sind wirkliche sesshafte Wildbeuter, die dauerhaft und ganzjährig an einem Ort bleiben? Oft geht damit eine schweifende Lebensweise einher, bei dem zwar immer wieder feste Plätze aufgesucht wurden (bspw Winterquartiere), aber während des Jahres oft der Standort gewechselt wurde, um der Jagdbeute zu folgen oder unerschiedliche pflanzliche Ressourcen nutzen zu können bzw deren Übernutzung zu vermeiden.

Problem: Beschrieben wurden und werden Jäger und Sammler von Ackerbauern bzw deren Konquistadoren und Forschern; und diese Ackerbauern hatten regelmäßig die fruchtbarsten Gebiete schon für sich beansprucht, oder waren gerade dabei, das zu tun...

Es gibt mWn Beispiele für sesshafte Wildbeuter, aber die waren auf Gegenden beschränkt, die von Natur sehr viel Nahrung bieten (oft Meeresküsten).
 
Vorstellungen wie das Paradies der Hebräer oder Hesiods Goldenes Zeitalter findet man in allen Gesellschaften, unabhängig von der Religion.
Aber das sind ja keine Erinnerungen an die Zeit vor der Sesshaftwerdung - es geht ja auffälligerweise nicht um die Jagd - , sondern Träumereien davon, die Plackereien des Alltags loszusein.
Das ist ein weites Feld, über das man vieles sagen können. Und wie oft bei komplexen Sachverhalten ist dann die eine Antwort so richtig wie die andere, weil hier immer viele Faktoren zusammenwirken.

Wichtig scheint mir jedenfalls, dass viele frühe Kulturen ihren Idealzustand nicht vor, sondern hinter sich haben, in der Vergangenheit. Das reicht von Paradies und Goldenem Zeitalter über Konfuzius’ Zeit der alten Kaiser und das Tao des Lao Tse bis zu Platons Atlantis. Mit Sehnsucht nach der Natur wie im 18. Jh. hat das nichts zu tun, auch nicht mit realen Erinnerungen an Jagen und Fischen, sondern ist eher ein vages Echo einer irgendwie glücklichen und „nicht-entfremdeten“ Vorzeit. Erst mit dem Verblassen solcher alten Erinnerungen und Mythen, mit der weiteren Entwicklung neigen Gesellschaften dazu, ihr Ideal in die Zukunft zu verlegen, in eine Rückkehr ins Paradies, eine Wiederkehr des Goldenen Zeitalters, das Erscheinen eines Buddha Maitreya, eines Mahdi, einen endgültigen Kampf zwischen Gut und Böse und dergleichen. Viele Ideologien verbinden beides: erst das Paradies, dann das irdische Jammertal und schließlich Halleluja im Himmel. Das reicht bis in kommunistische Vorstellungen vom Urkommunismus am Anfang und dem Endzeitkommunismus der klassenlosen Gesellschaft am Ende der Geschichte.

Jedenfalls scheint mir eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu bestehen, dass die ursprüngliche Vorstellung von einem Idealzustand in der Vergangenheit (unter anderem auch) auf historischen Erfahrungen beruht. Wie übrigens immer bei Ideologien.
 
Wenn quer durch Zeiten, Regionen, Kulturen
Erzählungen über frühere (verlorene) Idealzustände - "paradise lost" - aufzufinden sind,
sollte darüber nachgedacht werden,
ob diese übereinstimmenden Erzählungen/Stereotype von der Kraft menschlicher Vorstellungen,
hier sozusagen Ausgeburt des steten Konflikts von Wachstums- und Abwehrstrategien in der Konfrontation mit der Umwelt (=Natur), der Sehnsucht nach Kontrolle und der Frustration über den Mangel oder Verlust derselben,
getrieben sind.
Nach den Ereignisbezug muss man dann nicht mehr suchen.
 
Gewiss. Zumindest scheinen mir Zeit- und Geschichtsvorstellungen aber auch einiges über die realen Lebensverhältnisse auszusagen. In den Wildbeutergesellschaften verlief die Zeit wohl vor allem als Kreis, alles wiederholt sich, der Enkel ist die Reinkarnation des Großvaters usw. Solche Vorstellungen wurden dann natürlich auch später noch mitgeschleppt, grade in bäuerlichen Gesellschaften spielt der Zeit-Kreis noch lange eine Rolle.

Bezeichnenderweise kommen nach der neolithischen Revolution aber kaum Fortschrittsvorstellungen dazu, sondern eher rückwärtsgewandte im Sinne von: Früher war alles besser. Das scheint mir doch bezeichnend. Und wenn man sich die entsprechenden archäologischen Daten anschaut, Körpergröße, Todesursachen, Tod durch gewaltsame Verletzungen, Befestigungsanlagen in frühen Siedlungen etc. scheint es auch eine gewisse Logik zu haben.

Fortschrittsvorstellungen kommen meist erst später dazu. So richtig los mit dem Fortschritt geht es sowie erst seit der industriellen Revolution.
 
Scheinen tut manchen vieles. Solche Rundumschläge über die Geschichte von HS auf dem Planeten erscheinen mir zu wolkig.

Da aber wieder die Daten zur Körpergröße erscheinen: die Vermutungen über einen angeblich eindeutigen Rückgang scheinen veraltet.

Der Aspekt scheint inzwischen (seit einigen Jahren) umstritten:
Lebten Jäger-Sammler besser als Bauern?
 
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