Was ist dran an den einäugigen Piraten?

Das ist auch die Theorie, die ich anfangs mal erwähnte, glaub ich.

Auffällig ist nur:
wenn das ein Phänomen gewesen sein soll, warum gibt es dann nicht unzählige einäugige geblendete Kapitäne? Warum gibt es dann nicht unzählige Abhandlungen von zeitgenössischen Medizinern zu der Problematik? Warum liest man nichts davon beispielsweise in zeitgen. Zeitungen?

"Viele Seeoffiziere" - wie viele Seeoffiziere?

Die Marine hat bei solchen Problemen m.E. immer gegengesteuert. Es würde Ausschreibungen geben (wie bei der Längengradermittlung) oder Auszeichnungen für Leute, die eine Lösung gefunden haben etc..

Außerdem würde es, wie angesprochen nicht erklären, warum sich das einschlägige Bild des auf einem Auge geblendeten Seefarers hauptsächlich im Bezug auf Piraten durchgesetzt/erhalten hat, wenn es alle anderen ebenso hätte treffen müssen.

Vielleicht sollte man die Diskussion neben den anderen aufgezählten Piraten-Accessoirs noch um einen anderen Kontext erweiten.
Du hattest in diesem Kontext ja Morgans "Statuten" angesprochen, was möglicherweise noch auf einen anderen Punkt hin führt:
Unsere Vorstellung von Piraterie, ist ja, wenn wir ehrlich sind doch sehr starkt vom atlantisch-karibischen Regionalkontext bestimmt. Das mag vielleicht etwas mit dem britischen und neiderländischen Selbstverständins als dezidierte Seefahrernationen und deren historischen Selbstverständnis, so wie mit der Mächtedynamik im kraibischen Raum etwas zu tun haben.
Unabhängig von Piraterie im Kontext Süd- und Ostasiens und auf dem indischen Ozean, über die ich nicht viel weiß, fällt mir aber doch auf, dass bei diesem Bild der für Europa nicht gänzlich irellevante mediterrante Kontext doch recht stark ausgeblendet wird, obwohl der im ähnlichen Zeitraum hier stattfindende "Korsarenkrieg", dem Metier der Freibeuterei und Piraterie in der Karibik ja nicht gänzlich unähnlich war, wenn er auch mit etwas anderen Mitteln und von etwas anderen Akteuren geführt wurde.

Jetzt würde ich mich fragen, wenn wir in der populären Rezeption heute Piraten mit entsprechenden Accessoirs zu sehen bekommen, sind das eigentlich immer solche, die im atlantisch-karibischen Kontext unterwegs sind. Demgegenüber ist mir keine populäre Rezeption bekannt, die etwa genuesische, venezianische, maltesische, osmanische oder Korsaen aus den "Barbareskenstaaten", mit entsprechender Aufmachung ausstaffiert und ich meine, es lohnt die Frage, warum dass so ist, wenn es nicht einfach auf Einbildung beruht.

Könnte es eventuell sein, dass es sich bei der entsprechenden Montur um einen impliziten populären Rekurs auf Morgans Statuten, im Sinne eines Zirkelschlusses handelt? Etwa nach dem Motto "Wenn es solche expliziten Regelungen gab, ist das quasi ein Beleg dafür, dass entsprechende Verstümmelungen des öffteren mal vorkamen"?
Das wäre dann zumindest eine Erklärung dafür, dass die Staffage, jedenfalls nach meiner Beobachtung nur bei einer Gruppe von Piraten in der populären Kultur eine herausgehobene Rolle Spielt, nämlich bei den Europäischen, die im atlantischen und karibischen Kontext aggieren.

Alles nur unbelegte Mutmaßung, aber ich denke, wenn sie so einfach nicht stichhaltige Belege finden lassen, wäre es nicht ganz verkehrt den Begriff "Pirat" auf etwas breitere Basis zu stellen.
 
Wie funktionieren Kindererzählungen? Es gibt das Gute und es gibt das Böse. (Gibt es in Erzählungen für Erwachsene natürlich auch, aber da ist das, zumindest, wenn sie einigermaßen ordentlich verfasst sind, etwa skomplizierter.)
In Kindererzählungen reitet der böse Zauberer in seiner dunklen Kleidung auf einem Rappen und der hellgekleidete Held kommt auf seinem Schimmel daher. Regelmäßigkeit, Symmetrie wird als Schönheit wahrgenommen (Natürlich ist kein schönes Gesicht wirklich ganz symmetrisch) Asymmetrien werden als Makel wahrgenommen. Eine Hakenhand, ein Holzbein, eine krumme Nase oder eine Augenklappe mindern das Empfinden von Symmetrie.
 
..
- Was, und davon kriegt man gleich eine Augenklappe?!
- Nein, ich wollts schnell wegwischen und da habe ich einen Moment lang nicht an den verdammten Haken gedacht.

Klischees: Trugen Piraten Augenklappen, weil ein Auge wegen der Sonne blind war?
sehr witzig ..:D
Aus Deinem Link:
"Es gibt jedoch keine zeitgenössischen Darstellungen von beklappten Piraten aus dem Goldenen Zeitalter der Piraterie, das um 1730 endete. Das Stereotyp entstand erst 100 Jahre später, und richtig populär wurde es durch die Cartoons des 20. Jahrhunderts."
Das wäre ein vergleichbarer Effekt wie die Mär vom Glauben and die Scheibenform der Erde, oder der Hörner an den Helmen der wagner'schen Germanen nebst folgenden Wikingern in allen Comics.
Das kann man sich gut vorstellen :D.
...und Danke an silesia für den Hinweis auf die Windigkeit meines Links, der doch so seriös rüber kam.
.. und den Widerspruch anderer.
 
@Shinigami
Wenn auch Johnsons ( Captain Charles Johnson - Wikipedia ) Identität recht zweifelhaft ist, haben wir doch zumindest über ein paar Piraten, die bei ihm auftauchen wie Kidd und Teach (Blackbeard) auch weitere zuverlässige zeitgen. Zeugnisse. Zusammengenommen wissen wir Europäer dadurch über diese Seeräuber mehr als über andere.
Selbst wenn asiatische Seeräuber heute bspw. auch Eingang in die Literatur gefunden haben, sind wir Europäer doch mit den karibischen Piraten - und ihren Ablegern auf Madagaskar - vertrauter als mit den anderen. Die literarische Verarbeitung des Piratenthemas ist eigentlich auch seit der Zeit des Golden Age bis heute so ziemlich ungebrochen.

Es kann schon sein, dass Morgans Statuten zu diesem Bild der einäugigen Piraten geführt haben.

Davon abgesehen aber haben sich Europäer und US-Amerikaner mit den Barbaresken fast ähnlich stark beschäftigt. Zumindest Mitte des 20. Jh. kamen sie auch noch etwa ähnlich oft in Filmen vor ("Old Ironsides" (1926), "Slave Girl" (1947), "Barbary Pirate"(1949), "Tripoli" (1950)).
Vielleicht waren die Barbaresken dann später nicht mehr so beliebt, da sie eigentlich so lange noch als Erzfeinde der christlichen Seefahrt galten und anders als die europäischen Piraten in der Karibik keine Sympathie oder Bewunderung erhielten. Durch die Rolle als Freibeuter bekamen ein paar karibische Piraten auch sowas wie einen Volksheldencharakter.
 
Das ist auch die Theorie, die ich anfangs mal erwähnte, glaub ich.

Auffällig ist nur:
wenn das ein Phänomen gewesen sein soll, warum gibt es dann nicht unzählige einäugige geblendete Kapitäne? Warum gibt es dann nicht unzählige Abhandlungen von zeitgenössischen Medizinern zu der Problematik? Warum liest man nichts davon beispielsweise in zeitgen. Zeitungen?
...

Moin

Möglicherweise liegt es daran, dass Seeleute mit einem Auge, einer Hand, ect. für die Marine nicht mehr diensttauglich waren und nur noch bei den Piraten unterkommen konnten!?
 
Möglicherweise liegt es daran, dass Seeleute mit einem Auge, einer Hand, ect. für die Marine nicht mehr diensttauglich waren und nur noch bei den Piraten unterkommen konnten!?
Klingt zumindest nach einer amüsanten Erklärung. Vereinzelt finden sich in den wenigen Biographien von Seeräubern, die wir haben die Anmerkung, er wäre mal Soldat gewesen (Morgan könnte mal Soldat laut eigenen Aussagen gewesen sein, aber was genaues weiß man nicht).
 
Klingt zumindest nach einer amüsanten Erklärung. Vereinzelt finden sich in den wenigen Biographien von Seeräubern, die wir haben die Anmerkung, er wäre mal Soldat gewesen (Morgan könnte mal Soldat laut eigenen Aussagen gewesen sein, aber was genaues weiß man nicht).

Amüsant hatte ich es nicht gemeint.
Natürlich brauchten auch Piraten eine see- und kampftaugliche Mannschaft, doch als Koch oder Ähnlichem konnte ein Einäugiger wohl noch seine Dienste verichten. Wohl eher als bei der Marine. Und bevor ein Seemann an Land Betteln muss, verdingt er sich doch lieben bei Piraten!?
 
Das ist eine plausible Hypothese. Jetzt wäre es daran, diese Hypothese durch Quellen zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Vor einiger Zeit hatte ich das Buch "Selkirks Insel: Die wahre Geschichte von Robinson Crusoe" von Diana Souhami gelesen.
In dem Buch nimmt die Robinson Geschichte nur eine kleineren Teil ein. Der überwiegende Teil besteht aus der Beschreibung der Piraterie im 16. - 17. Jhd. . War die Seefahrt zu dieser Zeit ohnehin schon gefährlich und entbehrungsreich, so waren die Bedingungen der Piraten noch etwas schlechter. Und dennoch hatten die Kapitäne keine Probleme genug Leute für ihre Unternehmungen zu bekommen. Selbst Seeleute, die schon Kaperfahrten mitgemacht und überlebt hatten, heuerten immer wieder an. Grund: die noch schlechteren Verhältnisse an Land (zumindest für Leute mit Handicaps, Mittellose oder Verbrecher).
Nun stelle ich mir mir halt so einen einäugigen Seeman vor, den die Marine oder Handelschiffahrt nicht mehr brauchte. Was macht der wohl? Betteln oder wieder in dem gelernten Metier weiterarbeiten?

Toll wäre es natürlich, wenn man so eine alte Piraten-Stellungsausschreibung hätte, um zu sehen, ob auch gehandicapte eine Chance hatten!?
 
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