Edward Gibbons gab in seinem viel beachteten Werk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire dem Christentum eine Mitschuld am Untergang des Römischen Reichs. Diese These gilt heute in der Geschichtswissenschaft als überholt. Es war ja nun auch nicht so, dass die antike Stadtkultur von heute auf morgen mit der Christianisierung des Reiches zusammenbrach. Die Barbarisierung der Armee führte schon in der Zeit der Reichskrise dazu, dass mancherorts auf schriftliche Befehle verzichtet werden musste. Auf dem Höhepunkt des Imperiums betrachteten es Vermögende als Ehre, Spenden für die Heimatstadt zu machen, Ämter zu übernehmen. Die ständigen Barbareneinfälle, Kriege und Bürgerkriege führten dazu, dass Vermögende haftbar gemacht wurden für das Steueraufkommen einer Polis. Das hatte zur Folge, dass keiner mehr Ehrenämter übernehmen wollte, dass wer Vermögen besaß, es nicht nach außen zeigte, dass ältere Münzen mit hohem Silbergehalt gehortet wurden. Die Armee holte sich das, was sie brauchte, mit Gewalt, und die Vermögenden gaben den Druck nach unten weiter. Rom hatte um die Zeitenwende bereits mehr als 1 Millionen Einwohner. Diese Bevölkerungszahl sank bis zum Mittelalter auf wenige Zehntausend Einwohner. Ständige Kriege, Einfälle, Requirierungen, Bürgerkriege waren zu keiner Zeit ein Klima, in dem Kunst und Wissenschaft gedeihen. Mit dem Verfall der antiken Stadtkultur verfiel auch die Wirtschaft. Vielerorts endete der Fernhandel und man ging zum Tauschhandel über. Damit fielen natürlich auch Mäzene, Auftrag- und Kreditgeber aus.
Schließlich ist auch zu bedenken, dass in der Zeit vor dem Buchdruck ein Buch nicht nur sehr teuer war, sondern es brauchte dafür Kopisten und Illustratoren, die Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitsstunden investieren mussten, um ein Buch zu schreiben.
Auch Beschreibstoffe waren rar und teuer Papyrus wächst heute wild auf Sizilien, in der Antike kam er nur in Ägypten vor. Pergament herzustellen, ist sehr aufwändig. Für ein Buch wird eine ganze Herde von Lämmern, Ziegen oder Kälbern benötigt. Es dauert Jahre, bis der "Rohstoff" gewachsen ist. Ein Illustrator oder Kopist braucht 20 Jahre, um zu wachsen und Jahre, bis er die nötigen Kenntnisse besitzt. Um sich die Kenntnisse zu erwerben, braucht es eine gut organisierte, arbeitsteilige Gesellschaft. Es braucht natürlich auch zahlungskräftige Interessenten, die so teure Bücher kaufen und lesen können.
Alle diese Verwerfungen betrafen das Weströmische Reich schwer, es waren Entwicklungsprozesse, die sich über einen längeren Zeitraum hinzogen und bereits in der Reichskrise des 3. Jahrhunderts sich abzeichneten. Die östliche Reichshälfte war stärker urbanisiert, und hatte auch weniger durch Einfälle in Mitleidenschaft gezogen. Justinian I. ließ in Athen die berühmte Akademie Platons schließen, was einige Historiker als Beginn des Mittelalters betrachten, Kunst und Wissenschaft blühten aber im Byzantinischen Reich.
In Westeuropa war der Verlust antiker Zivilisation, der Rückgang der Alphabetisierung, Niedergang der Stadtkultur usw. dramatischer. In Punkto Trinkwasserversorgung, Sozialfürsorge, Bevölkerungszahl und Urbanisierung wurde das Zivilisationsniveau des Imperium Romanum erst im 18. und 19. Jahrhundert wieder erreicht. Erst im 19. Jahrhundert, nach der Industriellen Revolution erreichten London, Paris und Amsterdam wieder die Einwohnerzahl Roms um 100 n. Chr. Dieser Niedergang setzte aber bereits im 3. Jahrhundert ein, und es war vor allem auf die Faktoren zurückzuführen, die ich genannt habe, nicht aber auf Monotheismus und christliche Intoleranz.
Auch im frühen Mittelalter gab es Bemühungen, antikes Wissen und Schriftgut der Antike zu bewahren. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die sogenannte karolingische Renaissance. Mittelalterliche Klöster wurden zu "Denkfabriken" und Bildungsstätten. Um ein Buch zu produziere, für einen simplen Psalter musste eine ganze Herde von Ziegen, Schafen oder Kälbern dran glauben. Es waren unzählige Arbeitsschritte und auch ein gewisses Know How erforderlich, um überhaupt auch nur das Beschreibmaterial Pergament herzustellen. Kopisten und Illustratoren wuchsen auch nicht auf Bäumen, sie brauchten Jahre, um die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Jahre, vielleicht Jahrzehnte waren sie beschäftigt, um ein Buch fertigzustellen. Wenn man das bedenkt, bedenkt auch, dass die Zahl der Schreibkundigen sehr begrenzt war, genauso wie die Zahl der Interessenten, die ein Buch bezahlen konnten, dann wird man dem, was in mittelalterlichen Skriptorien gearbeitet und geleistet wurde, die Anerkennung nicht versagen können.
Auch auf dem Gebiet der Medizin ist im Mittelalter einiges geleistet worden. Werke von Galen oder Hippokrates waren bekannt und sie wurden kopiert und übersetzt. Hildegard von Bingen verfügte über ausgezeichnete Kenntnisse der Pharmakologie und der Heilpflanzen. Es gab auch im Mittelalter Krankenhäuser, Hospitale. Ähnlich wie im Askleipion auf Kos gab es auch im Mittelalter Fachabteilungen. Vieles, was Paracelsus schrieb und lehrte, wirkt ausgesprochen modern. Es lässt sich eruieren, was in mittelalterlichen Kräutergärten angepflanzt wurde, es wurden bestimmte Pflanzen gegen bestimmte Beschwerden eingesetzt.
Wie in der Antike war aber die Berufsbezeichnung Arzt nicht geschützt. Jeder konnte sich als "Medicus" bezeichnen, und es gab natürlich reichlich Scharlatane. Ärzte waren eine beliebte Zielscheibe für Kritik und Satire. Dabei spielten natürlich auch Aberglauben, magische Rituale und Placebo-Effekte eine Rolle. Aberglauben und Hokuspokus waren auch in der Antike weit verbreitet. Das was man sich naturwissenschaftlich nicht erklären konnte, versuchte man in der Antike wie im Mittelalter durch Magie zu erklären.
Karolingische Renaissance – Wikipedia