Umgang mit kolonialer Vergangenheit

merrype

Neues Mitglied
Hallo,
ich recherchiere momentan im Rahmen einer Geschichtspräsentationsprüfung über Carl Peters(einen umstrittenen Kolonialisten aus dem Deutschen Kaiserreich) und wie man mit dem Gedenken an ihn zu der Zeit der Weimarer Republik, dem Dritten Reich und dann der BRD umgegangen ist. Habt Ihr da zufällig Kenntnisse darüber, die ihr mit mir teilen mögt? :) Also auch generell wie zu den Zeiten die Einstellung zum Kolonialismus war?
und was denkt ihr, warum man bis heute sich so schwer tut, den Kolonialsimus aufzuarbeiten? und warum nach dem 2. Weltkrieg lange solche themen totgeschwiegen wurden?
findet ihr, dass es die kolonialen Verbrechen mehr thematisiert werden müssten?
 
Karl Peters schreibt einen Beitrag in einem Bestseller von 1910:
https://archive.org/details/dieweltinhundert00lbbe "Die Welt in 100 Jahren."

Der Titel des von ihm verfassten Kapitels lautet: "Kolonien in 100 Jahren".
Dieses ist unglaublich dumm und überheblich, und weist darauf hin, dass Peters wohl ein typischer Psychopath seiner Zeit war.
(Insbesondere wenn man bedenkt welch kluge damalige Zeitgenossen an diesem Buch sonst noch beteiligt waren.)
 
Die wohl wichtigsten Arbeiten zum Thema koloniale Erinnerungskultur kommen von Jürgen Zimmerer.

In "kein Platz an der Sonne" konstatiert er, dass sich die deutsche Öffentlichkeit verstärkter mit ihrem kolonialen Erbe beschäftigt.

https://books.google.de/books?id=IS_JAAAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=kein+platz+an+der+sonne&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=kein%20platz%20an%20der%20sonne&f=false

https://books.google.de/books?id=F4bFBQAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=german+colonialism+and+national+identity&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwi0jrjO1eXMAhWLWywKHeVEAEMQ6AEIIDAA#v=onepage&q=german%20colonialism%20and%20national%20identity&f=false

Die Frage, ob koloniale Verbrechen noch heute verstärkt thematisiert werden sollten, würde ich persönlich eher verneinen, unabhängig davon, dass es eigentlich selbstverständlich sein sollte, ausreichende Wiedergutmachung zu leisten.

Wichtiger wäre nicht primär die Erinnerungskultur zu verstärken, sondern den heutigen Neo-Kolonialismus und die heutige Ausbeutung in der 3. und 4. Welt angemessen politisch zu bewerten. Das würde auch den heutigen Nachfahren früherer Opfern des Kolonialismus helfen.

https://books.google.de/books?id=F4bFBQAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=german+colonialism+and+national+identity&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwi0jrjO1eXMAhWLWywKHeVEAEMQ6AEIIDAA#v=onepage&q=german%20colonialism%20and%20national%20identity&f=false
 
Hans Georg Steltzer, Die Deutschen und ihr Kolonialreich, Darmstadt 1984 wird schon deshalb interessant sein, weil es damals eine recht weite Verbreitung erfuhr. Damit hatte es natürlich auch Einfluss auf die Meinungsbildung.
 
Ich bin der Meinung das Deutschland sich schon etwas mehr um seine Vergangenheit vor den Weltkriegen kümmern sollte, allerdings bin ich mit der Art und Weise wie häufig mit der Geschichte "Abgerechnet" wird sehr unzufrieden. Ich habe den Eindruck dass recht häufig, unreflektiert heutige Maßstäbe angelegt werden um Historische Personen zu Verurteilen. Vor einigen Wochen las ich diesen Artikel: Gustav Nachtigal: Afrikaforscher*bei den Sklavenjägern - SPIEGEL ONLINE.
Den Versuch in Gustav Nachtigall einen Schuldigen zu suchen finde ich zum Kopfschütteln.
Natürlich kann man heute von einem erfahrenen Forscher erwarten dass er sich nicht für solche Interessen einspannen lässt, doch gerade in einer Zeit wo selbst SPD und Zentrum nicht grundsätzlich gegen Kolonien waren, ist diesem Mann kaum ein Vorwurf zu machen.
Statt zu verurteilen sollten wir lieber versuchen es besser zu machen, denn auch über uns werden eines Tages unsere Enkel richten.
 
Ich bin der Meinung das Deutschland sich schon etwas mehr um seine Vergangenheit vor den Weltkriegen kümmern sollte, allerdings bin ich mit der Art und Weise wie häufig mit der Geschichte "Abgerechnet" wird sehr unzufrieden. Ich habe den Eindruck dass recht häufig, unreflektiert heutige Maßstäbe angelegt werden um Historische Personen zu Verurteilen. Vor einigen Wochen las ich diesen Artikel: Gustav Nachtigal: Afrikaforscher*bei den Sklavenjägern - SPIEGEL ONLINE.
Den Versuch in Gustav Nachtigall einen Schuldigen zu suchen finde ich zum Kopfschütteln.
Natürlich kann man heute von einem erfahrenen Forscher erwarten dass er sich nicht für solche Interessen einspannen lässt, doch gerade in einer Zeit wo selbst SPD und Zentrum nicht grundsätzlich gegen Kolonien waren, ist diesem Mann kaum ein Vorwurf zu machen.
Statt zu verurteilen sollten wir lieber versuchen es besser zu machen, denn auch über uns werden eines Tages unsere Enkel richten.

Es geht letztlich um gar nichts, aber man kann sich trefflich darüber aufregen. Ich halte auch nichts davon, nach über 100 Jahren über Gustav Nachtigal die Damnatio memoriae auszusprechen, zumal er ganz sicher kein Typ vom Schlage Carl Peters war und neben Heinrich Barth zu den Afrikaforschern gehörte, die am wissenschaftlichsten arbeiteten und der sich bei seinem Engagement gegen die Sklavenrazzien arabischer Sklavenjäger großen Gefahren aussetzte. Sicher haben die kartographischen und ethnologischen Studien von Afrikaforschern wie Livingstone, Stanley, Emin Pascha, Nachtigal, Barth, Rohlfs und anderen die koloniale Erschließung Afrikas durch die europäischen Mächte erleichtert, und Männer wie Emin Pascha, Wissmann und Nachtigal haben sich der deutschen Kolonialverwaltung zur Verfügung gestellt und die koloniale Erschließung propagiert.

Das kann man kritisieren, und der Überlegensheitsdünkel der europäischen Kolonialmächte verdient es ebenso kritisiert zu werden wie die Scheinheiligkeit. Europa hat sich die afrikanischen Kolonien nicht unter den Nagel gerissen, um die Eingeborenen vor arabischen Sklavenhändlern zu beschützen und sie zu missionieren. Die Sklaverei hieß vornehmer Zwangsarbeit, und die berüchtigten Kongogreuel, die sich in der Privatkolonie des Philanthropen Leopold II. von Belgien abspielten, waren eher noch schlimmer, als die Razzien eines Warlords wie Tippu Tib, mit dem sich übrigens Henry Morton Stanley gut verstand. Europas Einfluß in Afrika war wenig rühmlich-ohne Frage, aber das diskreditiert nicht automatisch die Leistungen der Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts. Gerhard Rohlfs bereiste jahrelang die Sahara inkognito als arabischer Arzt Mustafa el Tobib. Ohne Forschungsauftrag und ohne Gelder aus Forschungseinrichtungen und natürlich auch ohne sicher sein zu können, die verdiente wissenschaftliche Anerkennung für lebensgefährliche Expeditionen zu erhalten. Rohlfs, Livingstone, Heinrich Barth und auch Nachtigal riskierten ihr Leben und wurden ausgeraubt und überfallen und mancher ruinierte dabei seine Gesundheit- Das alles wie gesagt oft in privater Initiative und zum größten Teil aus privaten Mitteln. Die Tropenmedizin befand sich noch in den Kinderschuhen und Krankheiten wie Rhur, Malaria, Gelbfieber und die Schlafkrankheit forderten ihren Tribut.

Forscher wie Mungo Parks, David Livingstone, Emin Pascha glaubten, dass die koloniale Erschließung Afrikas den Afrikanern zugute kommen und ihnen mehr Sicherheit, bessere medizinische Versorgung, Wohlstand und Bildung bringen werde.

Das Sendungsbewusstsein der Europäer, das, was Rudyard Kipling mit "The white man´s burden" meinte, mag man, wie schon gesagt, rückblickend kritisieren. Es stellt sich aber die Frage, ob man damit den Zeitgenossen des 19. Jhds gerecht wird. Welche Alternativen hätten sich geboten? Sollte man Elfenbein- und Sklavenjäger, die buchstäblich ganze Landstriche entvölkerten gewähren lassen? War es vor dem "Scramble for Africa" absehbar, was Leute wie Carl Peters und Leopold II. dem Land und den Menschen antun würden?

Nachtigal kann sich nicht mehr verteidigen, und seine Damnatio memoriae macht auch die Kongogreuel und Hereromassaker nicht ungeschehen. Es ist so furchtbar billig, sich über Straßennamen zu mokieren. Thanepower hat schon betont, dass man besser daran täte, sich gegen den Neokolonialismus zu engagieren.

Seit ein paar Jahren gibt es immer wieder mal trashige Doku/Scripted Reality Formate in Afrika. Sophia Wollersheim und Conchita Wurst durften nach Namibia reisen und wurden in Wild Girls- Auf High Heels durch Afrika auf das aussterbende Volk der Himba losgelassen.

Die öffentliche Empörung über diesen sexistisch-rassistischen Trash hielt sich in Grenzen, und in dem Format "Villa Germania" von RTL 2 wurden ein paar geile alte Säcke, vor denen man im Urlaub Reißaus nehmen würde, als Sympathieträger dargestellt. Im 19. Jahrhundert wurden exotische Eingeborene auf Völkerschauen herumgereicht, zu Beginn des 21. Jhds hat sich daran nicht viel geändert.
 
Die Rückgabe von "kolonialem Beutegut" an die Herkunfsländer ist ein zentraler Akt der "kolonialen Erinnerungskultur".

https://www.deutschlandfunk.de/kolo...mittlung-von.2849.de.html?drn:news_id=1157956

Sehr gut!

Wenn es auch nichts Koloniales ist...

Wir Deutschen haben ja auch erwartet das man uns die sogenannte Beutekunst zurück gibt.
Ein sehr gutes Beispiel ist da wohl die Rückgabe der Dresdner Gemälde von den Russen.

In den Jahren 1955 – 1959 gab da die DDR eine extra Briefmarkenserie heraus. Das berühmteste Gemälde was die Russen mitgenommen hatten war wohl die „Sixtinische Madonna“ von Raffael u.v.a.m.

Aber auch der „Domschatz von Quedlinburg“ den sich damals der US-Leutnant Joe Tom Meador (* 30. Juni 1916; † 1. Februar 1980) angeeignet hatte. Wurde allerdings nach meinen Informationen wohl inzwischen zurückgekauft.

Und weiteres mehr...
 
Die Rückgabe von "kolonialem Beutegut" an die Herkunfsländer ist ein zentraler Akt der "kolonialen Erinnerungskultur".

Das möchte ich jetzt gar nicht bestreiten, aber wäre es nicht am besten, die Sammlungen afrikanischer Kulturgüter (in Übereinkunft mit den Herkunftsländern) hier in Deutschland dazu zu nutzen, für Afrika zu werben und mithilfe einer Darstellung des Zustandekommens der Sammlungen zu zeigen, welche unheilvolle Rolle der Kolonialismus in den Ländern gespielt hat?
 
Und wer soll beurteilen, was am "Besten" ist. Die ehemaligen Kolonialmächte oder die Staaten, die früher in die Kolonialherrschaft gezwungen wurden.

Also: 1. Schritt zurück geben und 2. Schritt, nachfragen, ob man Exponate ausleihen kann, um für "Afrika zu werden".
 
Ich denke, entscheidend ist nicht die Regelung der Eigentumsfragen, sondern die Frage, ob die afrikanischen Sammlungen weiter- oder abgewickelt werden sollen.
 
Wieso nicht Replicae erstellen und die Originale zurückgeben? So hat man Beides. Wir hier haben eigene Kunstsammlungen und die Eigentümer haben ihre Kunstobjekte zurück.

Gruß
Peter
 
Zuletzt bearbeitet:
Es darf jeder "denken" was er möchte. Der Rest sind völkerrechtliche Verbindlichkeiten.
"Die derzeit geltende Rechtsordnung - dies gilt sowohl für das deutsche Recht als auch für das Völkerrecht - hält keine geeigneten Instrumente zur Klärung von Eigentumsfragen rund um die Erwerbung aus kolonialen Kontexten bereit."
(Deutscher Museumsbund 2018, Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, S.74.)

Wahrscheinlich gibt es auch andere Auffassungen. Auch möchte ich die ethische Berechtigung der Ansprüche nicht in Zweifel ziehen, aber man sollte die Dinge nicht einfacher darstellen, als sie sind.
 
Und wer soll beurteilen, was am "Besten" ist. Die ehemaligen Kolonialmächte oder die Staaten, die früher in die Kolonialherrschaft gezwungen wurden.

Also: 1. Schritt zurück geben und 2. Schritt, nachfragen, ob man Exponate ausleihen kann, um für "Afrika zu werden".

Naja, dann kommen wir insgesamt zu Abgrenzungsfragen, die wohl nicht mehr vernünftig zu klären sind.

Wie zum Beispiel eine vernünftige Trennung zwischen Beutegut und auf der Anderen Seite Dingen, die in rechtmäßiger Weise erworben wurden herstellen?
In den Afrikanischen Gesellschaften wird es weitgehend jedenfalls nicht Tradition gewesen sein derlei Transaktionen präzise nachzuhalten und zu archivieren, wohingegen hier diverse Nachweise liegen, deren Aufrichtigkeit man in Zweifel wird ziehen können, während andere Teile dem letzten Krieg zum Opfer gefallen sein dürften.

Wie also nun bei der Ermittlung was zurück zu geben wäre präzise herausstellen, was denn nun darunter fällt und was nicht? Sprich was zurück zu geben ist und was beim jetzigen Besitzer zu verbleiben hat?
Sicherlich gibt es einige prominente Stücke, die man entsprechend wird zuordnen können, aber für die Masse sicherlich kein allzu taugliches Verfahren.

Ich würde daher meinen, dass Sinnvollste sei, Repliken von den Stücken anzufertigen, bei denen man einen derartigen Raub ohne weiteres nachweisen kann und die Orriginale zurück zu geben, im Hinblick auf umstrittene Stücke, bei denen sich das so nicht mehr nachvollziehen lässt, in Richtung einer Ausgleichszahlung für erhobene Ansprüche zu verhandeln oder vergleichbares.
 
"Die derzeit geltende Rechtsordnung - dies gilt sowohl für das deutsche Recht als auch für das Völkerrecht - hält keine geeigneten Instrumente zur Klärung von Eigentumsfragen rund um die Erwerbung aus kolonialen Kontexten bereit."
(Deutscher Museumsbund 2018, Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, S.74.)
Was nun auch daran liegt, dass das heute anerkannte Völkerrecht weitgehend vor der Dekolonisierung entstand.
 
Aus der europäischen Initiative zur Aufarbeitung des Kolonialismus und der Rückgabe von Objekte aus dieser Zeit ergibt sich die "völkerrechtliche Verbindlichkeit" von der ich gesprochen habe.

Und beginnt mit der Provenienzermittlung, also der vollständigen digitalen Bestandsaufnahme, und endet mit der kooperativen Rückgabe von geraubten Gütern.

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/eine-luecke-in-unserem-gedaechtnis-1561942

https://www.stuttgarter-zeitung.de/...abe.7a0e12be-2e48-4d95-93b8-c8c13404b886.html

https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/01/AusPolitikUndKultur_Nr17.pdf

https://www.bundesregierung.de/breg...sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten-1008072
 
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