Geschlechterrollen in der Steinzeit

Nicht zu Geschlechterrollen, aber zu einer anderen Form der "Arbeitsteilung" wurde jetzt auf einem Symposium in Barcelona berichtet. Das gibt eine Meldung in der Nature wieder, auf die weitere Magazine Bezug nehmen.

Es geht um prähistorische "Kinderarbeit": hier u.a. am Beispiel der Hallstatter Salzminen in der späten Bronzezeit. Dies sollen ua. Knochenanalysen ergeben haben.

Bericht aus der Archaeology:
Archaeologists Look for Evidence of Past Child Labor Practices - Archaeology Magazine

Nature:
Prehistoric children as young as eight worked as brickmakers and miners

Auf die Konferenz (Abstracts der Vorträge) wird hier verwiesen:
Programme
 
Archäologische Genderforschung.

Gender Inequalities in Neolithic Iberia: A Multi-Proxy Approach | European Journal of Archaeology | Cambridge Core

Summary:
"Die archäologische Geschlechterforschung in der späteren Urgeschichte Iberiens ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewachsen. Die Untersuchungen haben sich aber meistens auf spezifische Aspekte (wie Grabsitten oder Felskunst) konzentriert, vor allem in der Bronze- und Eisenzeit, also in Bereichen, wo die Beweise leichter erhältlich sind. Außerdem sind diese Studien eher auf einer regionalen oder lokalen Basis durchgeführt worden. In der vorliegenden Arbeit verfolgen wir einen empirisch soliden Multi-Proxy Ansatz zum Verständnis der Entwicklung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten im ganzen neolithischen Iberien. Inspiriert von den Ideen von Gerda Lerner über den Ursprung des Patriarchats und auf der Basis einer systematischen Sammlung von Daten, die mit Signifikanztestverfahren untersucht wurden, stellen wir hier die erste umfangreiche Studie in der iberischen Urgeschichte über die Missverhältnisse zwischen den Geschlechtern vor. Daraus schließen wir, erstens, dass eine Multi-Proxy Methode potenziell nützlich für die systematische Untersuchung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im archäologischen Rahmen ist und, zweitens, dass diese Ungleichheiten sich im Neolithikum entwickelten und die Grundlagen für die spätere männliche Dominanz legten."

Über das Ergebnis kann man sicher geteilter Meinung sein. Klar ist die Wirkungskette, dass wachsende "Bestände" überhaupt erst Verteilungsfragen auslösen bzw. sichtbar machen (natürlich ist auch ein nur verteilungsfähiges Existenzminimum einer Gruppe eine Verteilungsfrage).

steigende Vorratshaltung -> steigende Ungleichheiten
 
Heute im Radio lief in der Sendung Quarks etwas zum Thema. Anthropologen der UCA wollen auf dem amerikanischen Doppelkontinenten (konkret ging es um einen neueren Fund in Perú) mehrere Frauenbestattungen gefunden haben, wonach Frauen mit Jagdutensilien als Beigaben bestattet wurden. Sie interpretieren das so, dass es zumindest auf dem Doppelkontinenten es bzgl. der Jagd keine Unterschiede in den Geschlechterollen gab.
Sie schränken das dann aber gleichzeitig ein. Die Jägerin aus Perú soll um die 20 gewesen sein, daher ist die Überlegung, dass v.a. Frauen, die sich noch nicht um Kinder kümmern mussten, an der Jagd teilnahmen.
Mit der Erfindung besserer Jagdwaffen, wie z.B. dem Bogen, soll dann die Verengung der Jagd auf ein Geschlecht vollzogen worden sein.
 
Die Jägerin aus Perú soll um die 20 gewesen sein, daher ist die Überlegung, dass v.a. Frauen, die sich noch nicht um Kinder kümmern mussten, an der Jagd teilnahmen.
In diesem Spiegelartikel wird erwähnt, dass die Jägerin "nicht älter als 19" gewesen sei. Ich bin mir aber nicht sicher, ob 19/20 Jahre in der Steinzeit ein Alter war, in dem Frauen sich noch nicht um Kinder kümmern mussten. In Anbetracht einer generell geringeren Lebenserwartung als heute könnten viele Frauen auch relativ jung Kinder bekommen haben.
 
"nicht älter als 19"
Das hatte ich nicht mehr so im Kopf. Ich höre Radio fast ausschließlich im Auto, da ist meine Konzentration dann auf was anderes gerichtet.
Heute werden die Menschen ja bis zu 120 Jahre alt. Ein Alter von ca. 80 ist heute fast normal. Das liegt natürlich auch am medizinischen Fortschritt, jedoch kannten die steinzeitlichen Jäger auch viele Viren und Bakterien noch nicht, vor allem solche, die mit Tierhaltung zusammenhängen. Insofern dürfte die Lebenserwartung, wenn man die kritischen Lebensjahre in der Kindheit überstanden hatte, nicht sooo schlecht gewesen sein.


Meine Überlegung war ja bisher immer, dass man auf einen Mann für die Reproduktion besser verzichten könne, als auf eine Frau*, aber an dieser Überlegung war etwas schief: Denn vor unserer modernen Gesellschaft geschah Reproduktion ja eh eher nicht geplant, sondern sie geschah einfach. Sprich: In einer steinzeitlichen Gruppe wird man sich keine Gedanken darüber gemacht haben, wie viele Kinder in den nächsten Jahren geboren werden müssten. Vor der Neolithisierung muss man ja eh eher davon ausgehen, dass Neugeborene getötet wurden, damit maximal ein Kleinkind pro Erwachsener in der Gruppe zu versorgen war, wenn die Gruppe vor Gewalt oder Naturkatastrophen ausweichen musste. So etwas hat man wenigstens bei auf steinzeitlichem Niveau lebenden Gruppen im Amazonas beobachtet, dass jedes Paar max. zwei Kinder im Kleinkindalter hat und weitere Kinder tötet. Für uns scheint das brutal, aber aus der Logik Nichtsesshafter ohne Transporttiere ist das wichtig für das Überleben der Gruppe. Wenn eine fremde Gruppe die Gruppe angreift, kann sich jeder Erwachsene ein Kind schnappen und laufen. Hat man viele Kinder, behindern die die Flucht.


*Also nicht, dass wir uns missverstehen: Natürlich bedarf es eines Mannes für die Reproduktion, meine schiefe Überlegung war halt, dass im Zweifel viele Frauen schwanger von wenigen Männern sein können, aber eine Frau maximal alle anderthalb Jahre schwanger von verschiedenen Männern (nach der Geburt rechnet man etwa ein halbes Jahr, bis die Frau wieder empfängnisbereit ist, was aber eine der unsichersten Verhütungsmethoden ist).
 
Mit der Erfindung besserer Jagdwaffen, wie z.B. dem Bogen, soll dann die Verengung der Jagd auf ein Geschlecht vollzogen worden sein.
Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Warum ist der Speer besser für Frauen geeignet als Pfeil und Bogen? Der Unterschied zwischen den Geschlechtern liegt ja in der körperlichen Stärke und nicht Geschicklichkeit oder Hand-Auge-Koordination. Braucht für das Spannen des Bogens so viel Kraft? Bei Langbögen könnte ich mir das noch eher vorstellen, aber solche wird es in der Steinzeit wohl noch nicht gegeben haben.

Zumindest in Serien und Filme ist der Bogen ja die typische Frauen-Waffe. Das muss natürlich nichts mit historischen Fakten zu tun haben.
 
Es ging dabei weniger um die körperlichen Fähigkeiten als um den höheren Jagderfolg, der es nicht mehr notwendig macht, dass alle körperlich fähigen Gruppenmitglieder an der Jagd teilnehmen.
 
Vor der Neolithisierung muss man ja eh eher davon ausgehen, dass Neugeborene getötet wurden, damit maximal ein Kleinkind pro Erwachsener in der Gruppe zu versorgen war, wenn die Gruppe vor Gewalt oder Naturkatastrophen ausweichen musste.
Genau das würde dagegen sprechen, dass eine junge Erwachsene keine Kinder hatte. Es ist doch gut vorstellbar, dass während der Jagd jemand anderes aus der Gruppe sich um ein potentielles Kind der Jägerin kümmerte. Das Alter der Jägerin allein lässt für mich jedenfalls nicht darauf schließen, dass sie kinderlos war.
 
Genau das würde dagegen sprechen, dass eine junge Erwachsene keine Kinder hatte.
Diesen Gedankengang kann ich gerade noch nicht nachvollziehen.

Es ist doch gut vorstellbar, dass während der Jagd jemand anderes aus der Gruppe sich um ein potentielles Kind der Jägerin kümmerte.
Richtig.

Das Alter der Jägerin allein lässt für mich jedenfalls nicht darauf schließen, dass sie kinderlos war.
Wenn ich das aus dem Radiobeitrag richtig verstanden habe, dann ging die Interpretation davon aus, dass Jägerinnengräber häufig junge Frauen aufwiesen, wohingegen bei Männern die Altersmatrix heterogener war.
 
Vielleicht gibt es noch andere Aspekte als "Fliehen oder Kämpfen", nämlich den Arterhalt. Daher haben eventuell bei Gesellschaften, die eine feindlichere Umwelt haben, Frauen eine wichtigere Rolle als stabilisierender Faktor, die "Samenspender" waren auch in schrumpfender Anzahl funktionsfähig und austauschbar.
 
Bin neu hier und dies ist mein erster Beitrag. Hoffe das ich's Richtig mache. "Antwort erstellen" erschließt sich mir nicht ganz, weil ich will eigentlich was posten und nicht antworten.

Aber zurück zum Anfang.
Als Bewohner der Ulmer-Region mit weit vorgerücktem Alter sind mir natürliche die steinzeitlichen Aktivitäten meiner schwäbischen Vorfahren nicht unbemerkt geblieben. Andererseits interessieren mich auch noch andere Dinge und so bleibt es nicht aus das die eine oder andere Frage und/oder Gesichtspunkt neu überdacht und/oder infrage gestellt wird.
Ich beschäftige mich auch mit gesellschaftlichen-sozialen- und wirtschaftlichen Fragen. In diesem Zusammenhang wurde ich vor ein paar Jahren von Prof. Franz-Josef Radermacher auf die "Systemische-Evolutionstheorie" des Peter Mersch hingewiesen. Ich bin seitdem davon fasziniert, denn sie erweitert den biologischen- und soziologischen Darwinismus mit einem Blick auf die Systeme, womit Er z.B. die moderne Technik und Konzerne mit einfängt und deren evolutionäre Zwänge beweist.
Zurück zur Ulmer Region, respektive eines Besuchs des "hohle Fels" im Achtal wo ich im August 22 die Gelegenheit hatte die "Systemische Evolutionstheorie" in der Praxis zur Anwendung zu bringen.
Dazu habe ich einen Beitrag in meinem Blog (politischer Stammtiscch) geschrieben welchen ich hier als PDF anhänge. Darf aber auch sagen, daß von meinen politisch interessierten Blogpartner die Rückressonanz bei nahe "0" lag. Rückmeldungen kamen nur von außerhalb.
Mein Fazit: Es scheint schwer zu sein sich gedanklich außerhalb des eigenen Narrativs zu öffnen.

Aus 89250 Senden Rolf Kuntz
 

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Ich beschäftige mich auch mit gesellschaftlichen-sozialen- und wirtschaftlichen Fragen. In diesem Zusammenhang wurde ich vor ein paar Jahren von Prof. Franz-Josef Radermacher auf die "Systemische-Evolutionstheorie" des Peter Mersch hingewiesen. Ich bin seitdem davon fasziniert, denn sie erweitert den biologischen- und soziologischen Darwinismus mit einem Blick auf die Systeme, womit Er z.B. die moderne Technik und Konzerne mit einfängt und deren evolutionäre Zwänge beweist.

Evolution, da denken wir zu erst an Darwin und dessen Kernsatz, der da lautet "Survial of
the Fittest" was vereinfacht übersetzt heißt "der Stärkere oder Bestangepasste siegt". Mit
Blick auf den Neandertaler und dem Homo sapiens ist doch eigentlich der Stärkere schnell
identifiziert..... hingegen es siegte der "Bestangepasste".

Die Systemische Evolutionstheorie liefert dafür eine überraschende Antwort. Diese
Theorie sagt: Die Akzeptanz des Besitzrechtes bezeichnet den Beginn der Zivilisation und
beruht auf der "Gefallen-wollen-Kommunikation".
Dazu ein Beispiel. Rotkäppchen ist im Wald unterwegs und trägt ein Körbchen voll mit
Beeren. Da kommt ein Räuber und entwendet Rotkäppchen den Korb. Die systemische
Evolutionstheorie bezeichnet einen solchen Vorgang als "dominante Kommunikation",
wogegen ein Wandersmann, der dem Rotkäppchen 10 € für den Korb anbietet, also das
Besitzrecht akzeptiert, als "Gefallen-wollen-Kommunikation" bezeichnet wird.
Übersetzt heißt das für mich, in der Welt des Neandertalers herrschte die "dominante
Kommunikation", beim modernen Menschen die Akzeptanz des Besitzes und damit die
"Gefallen-wollen-Kommunikation".
Welche Besitzrechte gab es bei steinzeitlichen Nomaden?
Fast keine, aber eines ragte heraus und gibt es noch heute!
Ich habe meinen beiden schweigenden Gesprächspartner etwas Denkzeit gegeben. Es
fiel ihnen dazu allerdings nicht ein.
Das Verfügungsrecht der Weibchen über Ihren eigenen Körper!
Aus Sicht eines Mannes war der weibliche Körper die begehrlichste Ressource. Der
Neandertaler hat dies Problem mit der dominanten Kommunikation gelöst. Dabei mußte er
nicht kreativ nachdenken.
Der Homo sapiens, unser Vorfahre, mußte sich was einfallen lassen, um gegen die
Konkurrenz auftrumpfen zu können.
Zunächst einmal ist der Neandertaler uns recht ähnlich gewesen. Auch er hat offenbar seine Toten betrauert. Diese plumpe Vorstellung vom Frühmenschen, der dem Objekt seiner Begierde die Keule über den Scheitel zieht und es dann an seinen Haaren in seine Höhle schleift, ist ein wenig out of date. Fakt ist HSS und HSN müssen sich auf ihrer Wanderschaft begegnet sein und haben sich - ob freiwillig oder erzwungen - miteinander gepaart.
Kommen wir zum Thema Verhaltensbiologie: Im Tierreich müssen Männchen sich die Möglichkeit zur Reproduktion fast überall verdienen, indem sie entweder Konkurrenten aus dem Feld schlagen oder das Weibchen umwerben. Alleine Gelegenheit und im Durchschnitt überlegene Körper können zwar ein Reproduktionsfaktor sein,, aber das gilt eben auch für den HSS. Vergewaltigungen kommen schließlich überall auf der Welt und andauernd vor. Vor einigen Jahren wurde anhand der Vergewatligung einer Touristin weltweit publik, dass das im ländlichen Indien ein Riesenproblem darstellt. Nur solange es nur Inderinnen betraf, hat es halt niemanden interessiert. Für ein funktionierendes Gemeinschaftswesen ist das aber kontraproduktiv und das dürfte für HSN genauso gegolten haben, wie für HSS.
Also, dass der Neandertaler uns verhaltensbiologisch unähnlich war, sollten wir nicht annehmen. Beide Menschenarten haben dieselben Defizite (Kletterfähigkeit, Pelz, Krallen, Reißzähne, Geschwindigkeit) und sind daher auf Zusammenarbeit angewiesen, um zu überleben. Sollte der HSS den HSN ausgerottet haben - was eine gängige Theorie ist - dann wahrscheinlich deswegen, weil der HSN lediglich mit knapp 150 Personen zusammenarbeiten konnnte (die Leute, die man halt so kennt), wohingegen der HSS als einziges Tier die Fähigkeit hat, organisiert mit Menschen zusammenzuarbeiten, die er nicht kennt. Organisation.
 
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